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Flotter Eröffnungsball

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Flotter Eröffnungsball

Die Beobachter sind sich einig: Die Fußball-Bundesliga ist am vergangenen Wochenende sehr gut aus ihrem Winterschlaf erwacht. „Flotter Eröffnungsball“ titelt die FAS angetan über den ersten Rückrunden-Spieltag. Weiter heißt es dort: „Eine lange Ruhepause birgt üblicherweise die Gefahr, bei Wiederaufnahme der Arbeit nur recht mühsam in Schwung zu kommen. Aber: Von Trägheitsmomenten nach fast sechswöchiger Unterbrechung in der Bundesliga kaum eine Spur.“ 31 Tore zeugen in der Tat von Offensivgeist.

Einige Trends des Vorjahres scheinen sich zu bestätigen. Stuttgart und Bochum sorgen weiterhin für positive Überraschungen, Leverkusen für negative. Ein ernsthafter Konkurrent für die Bayern ist nach der dritten Dortmunder Saisonniederlage in Berlin nicht in Sicht. Und: „Wie soll der 1. FC Kaiserslautern dem Abstieg noch entgehen?“, fragt die FAZ besorgt angesichts der erneuten Heimpleite der im Vorfeld tatendurstig, auf dem grünen Rechteck jedoch überfordert wirkenden „Roten Teufel“.

Gespannt war die Öffentlichkeit – wenn auch in erster Linie die japanische – auf das Debüt des Neu-Hamburgers Takahara in der Hannoveraner AWD-Arena. Jedoch konnte Japans Fußballer des Jahres beim glückhaften Remis des HSV vor zahlreichen akkreditierten fernöstlichen Journalisten noch keine Akzente setzen. „Bleibt die Frage“, bemerkt die taz, „was die dokumentierenden Heerscharen eigentlich tagein, tagaus so alles berichten sollen. Zum Beispiel von den ersten 18 Minuten der Partie in Hannover, in denen Takahara nicht einmal den Ball berühren durfte. Ob sie den traumhaften Himmel über Deutschlands unwirtlichstem Stadion beobachtet haben?“

Ach ja, noch ein Hinweis für alle ran-Zuschauer vom vergangenen Samstag: Das Schicksal des (namentlich unbekannten) Reporters des Spiels Bochum gegen Nürnberg, dessen rhythmische Reime („Oliseh – oh wie schee!“) ab der zweiten Halbzeit plötzlich und unvermittelt nicht mehr zu hören waren, soll an dieser Stelle geklärt werden: Ich habe ihn an Ketten in ein dunkles Verlies gesperrt, wo er bei Wasser und Brot verharrt.

Michael Horeni (FAZ 27.1.) blickt in den Tabellenkeller. „Im weiten Land hinter Bayern und Dortmund haben die besonders notleidenden Klubs in der Winterpause alles versäumt, um die Zuschauer mit Reformen auf eine Wende einzustimmen. In den Krisenregionen der Liga läuft auch nach dem ersten Tag des Fußballjahres 2003 alles so weiter wie zuvor. Der 1. FC Kaiserslautern kommt trotz vieler Worte und Beschwörungen nicht aus der Krise. Aufsteiger Hannover 96 hat es auch gegen den Hamburger SV trotz zahlreicher schlechter Erfahrungen in der Hinrunde noch immer nicht gelernt, einen 2:0-Vorsprung erfolgreich zu verteidigen – obwohl doch jeder weiß, daß solche Verluste am Saisonende fast immer mit der Rückversetzung in die zweite Klasse bestraft werden. Hansa Rostock verliert nun trotz Trainer Armin Vehs autoritärer Welle schon das fünfte Heimspiel im Ostseestadion und befindet sich – alle Jahre wieder – abermals im Abstiegskampf. Aber auch die Erfolgsmodelle des Vorjahres verstanden es beim Neustart, sich weiter von der Konkurrenz abzuheben. Der VfB Stuttgart stürmt beim 2:1 auf dem Betzenberg weiter unter routinierter Führung Balakows jugendlich nach oben, und Nationalmannschafts-Rückkehrer Bobic trifft unverdrossen für Hannover. Und selbst die Bielefelder Leisetreter sind nach dem überraschenden 2:2 in Bremen seit fünf Spielen unbesiegt.“

„Der vierte Mann sorgt für Ruhe“ FR

Hertha Berlin – Borussia Dortmund 2:1

Matti Lieske (taz 27.1.) wagt einen Vergleich. “Manchmal erinnert Matthias Sammer, auch wenn er es vielleicht nicht gern hört, ganz frappierend an Franz Beckenbauer, den Teamchef. Auch jener kochte häufig vor Wut, wenn seine Mannschaft gewonnen hatte, wirkte aber oft geradezu glücklich und zufrieden, wenn sie eine Niederlage kassierte. Ich fahre mit Magenschmerzen nach Hause, sagte der Trainer von Borussia Dortmund nach dem 1:2 bei Hertha BSC, schaute dabei aber gar nicht aus wie einer, dem sein Verdauungsapparat Pein bereitet. Vielmehr schien er von einer seltsamen Art grimmiger Freude erfüllt. Der ehemalige Spieler Sammer weiß eben genau, dass bei seinen Profis der Schock einer Niederlage in letzter Sekunde mehr fruchtet als hundert Trainerpredigten, in denen mehr Konzentration und Ernsthaftigkeit gefordert wird. Wochenlang hatte der BVB-Coach gegen die ihm verhasste Spaßgesellschaft beim deutschen Meister geeifert, die Genugtuung darüber, Recht behalten zu haben, konnte er nun nicht vollständig verbergen.“

Zu den Reaktionen des Dortmunder Trainers nach der Niederlage heißt es bei Katrin Weber-Klüver (SZ 27.1.). „Wenn es neben den großen kollektiven Objekten des individuellen Leidens wie gefühlter Temperatur oder gefühlter Inflation auch so etwas gäbe wie einen gefühlten Tabellenplatz, dann stünde es schon nach dem ersten Rückrundenspieltag nicht mehr gut um den Deutschen Meister. Faktisch steht der nun auf Rang drei. Aber er werde „auf Rang zehn oder zwölf“ landen, wenn die Mannschaft so weiterspiele wie an diesem Nachmittag, unkte Dortmunds Trainer Matthias Sammer. Und weil er gerade so genervt war über das 1:2 bei HerthaBSC ergänzte Sammer in unfröhlicher Ironie: „Ich weiß nicht, ob wir noch in Abstiegsgefahr geraten können.“ Das Absturzszenario wäre zwar streng rechnerisch betrachtet möglich, doch ist dies nicht weiter von Belang. Tatsächlich schwerwiegend ist, wie sich die Position zur Tabellenspitze entwickelt hat. Durch die Niederlage ist Borussia dem ersten nicht-internationalen Rang sechs erheblich näher als der Tabellenführung (…) Die gefühlte Lage in Dortmund bleibt zornig. Oder wie es die Meteorologie objektiv formulieren würde: Es droht Donnerwetter.“

Friedhard Teuffel (FAZ 27.1.) ist vom Spielgeschehen enttäuscht. „Vielleicht haben beide Mannschaften nicht gerade attraktiv gespielt, sagte Sammer hinterher und hatte die Langeweile damit schön umschrieben. Ein Strategiespiel sahen 51.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion und ein Geduldsspiel. Wann würden sie endlich etwas zu sehen bekommen? Einen überraschenden Spielzug etwa oder eine bestaunenswerte Torchance? Mit Ausnahme eines Freistoßes der Berliner, den Marcelinho knapp neben das Tor setzte, wurde in der ersten Halbzeit nichts geboten. Die zweite Halbzeit ließ zunächst nichts anderes erwarten, bis Marcelinho das Ziel wiederum knapp verfehlte. Vorausgegangen war dieser Gelegenheit ein Fehlpaß des Dortmunders Ewerthon. Ohne Einwirkung eines Berliners spielte er den Ball kurz vor der Strafraumgrenze quer zurück ins Mittelfeld, wo ihn sich Marcelinho schnappte. Diesen Fehler deuteten die Berliner richtig: nämlich als Zeichen der Dortmunder Verwundbarkeit, die vielleicht sogar dieses Spiel entscheiden könnte. Ewerthons Querschläger bewirkte jedenfalls eine deutliche Steigerung des Berliner Selbstbewußtseins.“

Spielbericht Tsp

1. FC Kaiserslautern – VfB Stuttgart 1:2

Martin Hägele (SZ 27.1.) beschreibt die Stimmung auf dem Betzenberg. „Vor dem Spiel war die Fahne. In der Form eines Trikots. Mit der klaren Botschaft: „FCK-Fans – Wir sind der 12. Mann vom Betze“. Eine Klub-Delegation, darunter die derzeit verletzten Profis Jose Manuel Dominguez aus Portugal, Herve Nzelo Lembi aus Kongo und der schmächtige Brasilianer mit dem Künstlernamen Lincoln, geleiteten die 169 Quadratmeter Tuch dorthin, wo seit jeher das Herz des Pfälzer Kultvereins schlägt: in die Westkurve. Dort verschwand die symbolische Prozession dann unter dem beschwörenden Timbre des Stadionsprechers: „Holt sie raus, bei jedem Tor!“ Als die Partie gegen den VfB Stuttgart in die letzten Minuten ging, kamen höhnische Chöre aus der Ostkurve des Fritz-Walter-Stadions: „Wo ischd euer zwölfter Mann?“ Die Fans aus dem Schwabenland hatten leicht jubeln, ihre Elf hatte den berüchtigten Berg schon längst gestürmt. Der Spielstand 1:2 sagte nichts darüber aus, wie sicher das Ensemble von Felix Magath seine Gegner im Griff und längst demoralisiert hatte. Das komische Gefühl, das den Vorstandsvorsitzenden des 1. FCK schon vor jener PR-Aktion („Es ist ein Versuch, die Fans noch einmal zu reanimieren“) drückte, hatte Rene C. Jäggi also nicht getrogen. Der Chef vom Betzenberg muss dennoch geschockt gewesen sein – jedenfalls erschien Jäggi zum ersten Mal nicht dort, wo er sonst seine Bestandsaufnahmen abgibt. Wie hätte er die Pfiffe des Publikums und die allgemeine Depression erklären sollen? Die Frage nach der Fahne etwa? Früher hätte der Klub seinen Anhängern kein Banner schenken müssen. Der wahre FCK-Fan brachte seine Fahne selbst mit auf den Betze, bevor sich in einer Kabine dieses Fußball-Tempels elf Männer in Rote Teufel verwandelten, um danach mit Zehntausenden Gesinnungsgenossen Hölle zu spielen (…) In allen Belangen wird der Unterschied zwischen den beiden Klubs aus Südwest immer größer. Beim VfB erkennt man System und die Handschrift des Trainers. Und selbst wenn eine Handvoll Stammspieler ausfallen, ruft Magath nicht irgendeinen international agierenden Profiagenten an, sondern besorgt in der eigenen Amateur-Abteilung Ersatz. Diesmal für den brasilianischen Abwehrchef Bordon. Und der Student Steffen Dangelmayer hat sein Bundesligaexamen summa cum laude bestanden, obwohl seine Aufgabe Miroslav Klose hieß.“

Jan Christian Müller (FR 27.1.) meint dazu. „Die positiven Ansätze aus dem Dezember – zwei Heimsiege –, haben sie beim 1. FCK nicht ins neue Jahr retten können. Auch dass Gerets sich den im Sommer geschassten Reinhard Stumpf als Co-Trainer zurückholte und für die angesichts der Finanznot abenteuerliche Ablösesumme von mehr als einer Million Euro den Linksverteidiger Bill Tchato verpflichtete, wirkte sich in keiner Weise positiv aus: Tchato passte sich dem niederen Niveau seiner Nebenleute problemlos an; es stellt sich die Frage, warum der vorgeblich knallharte Sanierer René C. Jäggi dem Transfer zustimmte: Zick-Zack-Kurs statt geradeaus (…) Gerets, der sympathische, aber in dieser schwierigen Situation offensichtlich überforderte Chefcoach, hat es in seiner nun knapp fünfmonatigen Lehrzeit in der Pfalz zwar geschafft, die Herzen der Fans zu erobern, der Mannschaft aber hat er nicht vermitteln können, wie sie sich erfolgreich im Klassenkampf zur Wehr zu setzen hat. Das Personalpuzzle verwirrt mehr die Seinen denn die Gegner. Ein Abstieg würde den 1. FC Kaiserslautern ungleich härter treffen als weiland 1996. Damals konnte der Club mit einem finanziellen Drahtseiltakt sämtliche Leistungsträger halten und so den Weg zurück in die erste Liga finden. Finanzielle Drahtseilakte aber schließen sich am Betzenberg für die Zukunft aus. Es sei denn, es findet sich ein wagemutiger Hasardeur, der das Stadion kauft.“

Gerd Schneider (FAZ 27.1.) bedauert den FCK-Coach. „Das Bild, das der Kaiserslauterner Trainer Eric Gerets am späten Samstag nachmittag abgab, verkündete eine Botschaft: Der Mann war erschüttert. Mit schwerem Schritt und verstörtem Gesichtsausdruck machte sich der Belgier nach dem 1:2 auf den Weg in die Kabine. Als könne er den Anblick der leidenden Fans nicht mehr ertragen, schlug Gerets schließlich die Hände vor sein Gesicht und schüttelte immer wieder den Kopf. Derweil starrten oben auf der Westtribüne die Anhänger der Roten Teufel ins Leere – sie waren nicht einmal mehr in der Lage, ihren Ärger hinauszuschreien. Es war, als hätte Schocklähmung das Stadion ergriffen. Da war sie wieder, die Angst vor dem Abstieg, den manche schon gleichsetzen mit dem endgültigen Untergang des schlingernden Traditionsklubs. Dabei hatte nach den Erfolgen am Ende der Vorrunde die Hoffnung wieder geblüht in der Fußball-Pfalz. Die Fans erinnerten sich an 1997, als ihr Klub nach dem Abstieg wieder in die Bundesliga zurückkehrte und an Tausenden Autos in Kaiserslautern rotschwarze Aufkleber mit der Aufschrift pappten: Jetzt erst recht. Auch die Vereinsführung trug zum Stimmungswandel bei und rief mit Sponsoren eine PR-Kampagne ins Leben. Titel: FCK-Fans – Wir sind der 12. Mann am Betze. 100.000 Aufkleber hat man in den vergangenen Wochen verteilt, überall in der Stadt Großplakate aufgehängt. Um so schlimmer traf den Anhang die Wucht, mit der die Realität am Samstag hereinbrach auf dem einstmals stolzen Betzenberg. Mit leidenschaftslosem Schema-Fußball hatte das Team versucht, den Stuttgartern beizukommen. Doch die Mannschaft von Felix Magath zeigte den Lauterern spielend leicht die Grenzen auf (…) Man muß nur hinschauen, um die Gründe für den sportlichen Absturz der Pfälzer zu erkennen. Der Mißerfolg hat nichts Mysteriöses an sich, und er ist auch nicht mit dem vielzitierten Druck zu erklären: Es ist eine Frage der Qualität. Gerets Team ist schwerfällig und uninspiriert. Vor allem die Abwehr genügt nicht erstklassigen Ansprüchen, und ob der in der Winterpause verpflichtete kamerunische Nationalspieler Bill Tchato daran etwas ändern kann, auch das ist fraglich. Sforza und Basler, die beiden bestimmenden Kräfte im Mittelfeld, scheinen ihren Leistungshöhepunkt längst hinter sich zu haben.“

Reaktionen in Kaiserslautern FR

Hansa Rostock – 1860 München 1:4

Matthias Wolf (FAZ 27.1.) beleuchtet die Rostocker Perspektiven. “Nach 21 Minuten, als es nach zwei Toren von Schroth bereits 0:3 stand, hatten die Rostocker Zuschauer noch laut ihren Ärger herausgebrüllt: Wir haben die Schnauze voll! Danach straften sie ihre Spieler mit Mißachtung – und gingen schweigend. Es herrschte eine depressive Stimmung. Als wäre Hansa schon abgestiegen. Peter Wibran sah sich deshalb zu einem Satz genötigt, der nur in Notzeiten geäußert wird: Es ist noch nicht zu Ende – wir haben noch ein paar Spiele. Doch sollte Hansa sich weiter so präsentieren, werden es nicht mehr viele im Kreis der Besten. Trainer Armin Veh will nun sofort die Vierer-Abwehrkette abschaffen. Wir stecken mitten im Abstiegskampf, sagte er. Das klang wie die Ankündigung, nun werde bei Hansa wieder geholzt und gebolzt wie früher. Gegen 1860 waren die Hanseaten so brav, daß sie nicht eine Gelbe Karte bekamen. Der Trainer hingegen hat längst eine härtere Gangart eingeschlagen. Dem bisherigen Regisseur Thomas Meggle, nur einer von mehreren Spielern, die ihren Stammplatz verloren haben in der Winterpause, drohte er nach einem Wortgefecht im Abschlußtraining: Sei bloß vorsichtig, sonst kannst du dir deine Papiere abholen. Meggle soll zwar noch eine Chance bekommen, aber erst, wenn er wieder fit sei: Im Moment interessiert mich Meggle überhaupt nicht, sagte Veh. Der Gescholtene schweigt. Er verfolgte die Partie von einer Loge im dritten Stock des Ostsee-Stadions aus. Die haben Freunde von ihm für einen fünfstelligen Betrag eigens für die komplette Rückrunde angemietet – um ihn spielen zu sehen. Womöglich eine glatte Fehlinvestition.“

Spielbericht und Reaktionen SZ

Portrait Markus Schroth (1860 München) FR

Hannover 96 – Hamburger SV 2:2

Jan Christian Müller (FR 27.1.) ordnet die Aussagen von Ralf Rangnick ein. “Was sagt ein rhetorisch begabter Trainer der Presse, wenn er spürt, dass hinter seinem Rücken die Messer gewetzt werden? Was formuliert er für die Öffentlichkeit, nachdem seine Mannschaft nach einer anscheinend beruhigenden 2:0-Führung noch zwei Gegentore kassiert hat und er längst merkt, dass weder Präsident noch Sportdirektor viel Lust verspüren, wenigstens mittelfristig noch mit ihm zusammenzuarbeiten? Er sagt, dass er lieber schlecht gespielt und gewonnen hätte als gut gespielt und unentschieden. Er macht Werbung in eigener Sache, dafür, dass er der richtige Mann am richtigen Ort mit der richtigen Mannschaft ist. Aber natürlich weiß Ralf Rangnick, dass er angesichts der unangenehmen Situation recht tief im Tabellenkeller noch so eloquent und redegewandt daher kommen kann – es wird ihm nichts helfen, wenn er nicht eiligst Punkte einfährt. Zumal gegen einen derart schwachen Gegner wie den Hamburger SV, der sich hinterher selbst wunderte, weshalb er nach einer Stunde geballter Lust- und Planlosigkeit plötzlich zwei Tore erzielen durfte.“

Jörg Marwedel (SZ 27.1.) meint zum selben Thema. „Geradezu hymnisch pries der Fußballlehrer trotz einer verschlampten 2:0-Führung die Darbietung seiner Mannschaft und schaute dabei so zuversichtlich durch seine randlose Brille, als seien deren Gläser rosarot. „Spielfreude“ habe er gesehen, „Spielwitz“ und überhaupt „kein besseres Spiel von uns in dieser Saison“. Nur das Ergebnis, das sei „ein Witz“ gewesen und habe alles „auf den Kopf gestellt“, weil man den Gegner doch „beherrscht“ habe. Das alles war nicht völlig falsch, aber eben doch etwas dick aufgetragen. Vielleicht muss ein Mann so reden, dessen Team auf Rang 16 der Tabelle steht, seit nunmehr sieben Spielen sieglos ist und für den es, vor allem intern, „keine einfache Zeit“ ist. Rangnick hat sich für diese Art Offensive entschieden, weil ihm nichts anderes übrig bleibt in einem Umfeld, das längst seinen Abgang vorzubereiten scheint. Er kämpft gegen den Präsidenten Martin Kind, dessen Ungeduld fast so groß ist wie die der beiden wichtigsten Geldgeber des Klubs. Trikotsponsor TUI und Finanzdienstleister AWD, Namensgeber des in AWD-Arena umbenannten Niedersachsenstadions (Werbeslogan: „Offensivtaktik für mehr Geld“), würden es Kind kaum verzeihen, wenn die „Roten“ nach 13 Jahren ohne Bundesliga postwendend wieder abstiegen und der Klubchef nicht alles unternommen hätte, den Sturz aufzuhalten. Verdienste um den Aufstieg zählen da so wenig wie der von Rangnick proklamierte kontinuierliche Aufbau, zumal der Präsident die Rolle des Sanierers beim einst maroden Traditionsklub für sich selbst reserviert hat. Zum Druck der Sponsoren kommt die Allianz, die Kind mit Sportdirektor Ricardo Moar bildet. Der Spanier, dessen Büro in der Zentrale der Firma „Kind Hörgeräte“ in Großburgwedel ist, malt dem Präsidenten schon mal seine taktischen Vorstellungen aufs Papier – es sind andere als die des Trainers.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 27.1.) schreibt zum Spiel. „Der eine oder andere Fußballreporter aus Japan wird sich gefragt haben, warum ihr Naohiro Takahara nicht nach Hannover gewechselt ist. Weil das Team von 96 beim 2:2 gegen den Hamburger SV den viel attraktiveren Fußball bot. Bis zum Anpfiff hielten die Herrschaften aus dem Land der aufgehenden Sonne den HSV für die bestmögliche Bundesligaadresse für ihren Nationalspieler. Schließlich hatten die Hanseaten die letzten sieben Spiele vor der Winterpause ohne Niederlage überstanden. Und diese vermeintlichen Überflieger gastierten bei einer Elf, die sich schon reichlich lange vergeblich an einem Erfolgserlebnis versucht. Das alles deutete auf eine Einladung zum Torschuß für den neuen Stürmer hin. Nichts da. Gemessen an dem, was wir können, war unsere Leistung desaströs. Die Mannschaft hat nicht einmal bewiesen, daß sie in der Bundesliga wettbewerbsfähig ist. Da hat nichts funktioniert, zürnte HSV-Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer. Das herbe Urteil teilte er dann auch in gepflegtem Englisch mit. Somit darf die japanische Nation auf Tage hoffen, an denen der HSV als Team funktioniert (…) Martin Kind, der Vorstandsvorsitzende des Aufsteigers, hatte einen Sieg als Zeichen im Abstiegskampf gefordert. Das Zeichen ist ausgeblieben. Rangnick, der zusammen mit den 43.000 Zuschauern im Stadion Bobic im Duett mit Idrissou auf dem Weg zum Matchball, dem 3:0, sah, setzt sich und seiner Elf eine neue Frist: Jetzt müssen wir in München gegen Nürnberg und Cottbus weiter punkten. Mit seinen Zielen geht er in die Verlängerung, die Frage bleibt, ob Kind es mit seinen Vorgaben genauso hält. Drinbleiben will Rangnick, Dranbleiben, Sigmar! signalisierte eine Gruppe von Sympathisanten des amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel im Stadion, mit dem man per du ist. So kam es, daß der lokale Wahlkampf live sogar bis nach Japan getragen wurde. Die Japaner ließen sich darüber aufklären, daß kein Fußballer, sondern ein Politiker gemeint war. Das war dann eine weitere Überraschung für die Fans aus dem Fernen Osten.“

Japanischer Medienrummel taz

VfL Wolfsburg – Schalke 04 1:2

Über die Ambitionen der Wolfsburger lesen wir von Klaus Hoeltzenbein (SZ 27.1.). „Das Mittelfeld ist kein sehr geziemender Ort für einen Klub mit Großkonzern im Kreuz (Bayer stand ja Modell mit Leverkusen), auch wenn derzeit eine Tabellenlage zwischen den notorisch Notleidenden aus Bielefeld und Nürnberg die Realität darstellt. Dieser zu entfliehen, bleibt zunächst der Auftrag von Wolf, der Zuversicht im Worte trägt: „Mich kann nichts erschüttern, ich bin auf alles vorbereitet.“ Ähnlich euphorisch ging vor exakt einem Jahr auch Jürgen Röber den Auftrag an, die Hauptstadt-Hertha bis zum fest verabredeten Erscheinen seines Nachfolgers Huub Stevens über die Zeit zu retten. Der Unterschied zwischen den beiden: Röber wurde durch die Verkündung der schleichenden Trennung das, was in Polit-Kreisen „lahme Ente“ heißt: der Macht beraubt, dem Abschied nah; Stevens hingegen war gerufen worden, er durfte als befördert gelten, weshalb Schalke, anstatt zu zerfallen, mit ihm zum Pokalsieg stürmte.Ob ein bisschen Scheidung möglich ist? Wolfsburg wagt die Wiederholung des Experiments, für das nun auch der Nebenbuhler fest steht: Christian Gross, der mit dem FC Basel zeigte, wie kleine Städte sogar in der Champions League auffällig werden können. Womit die Eckdaten für ein erfolgreiches Produkt fast schon so passen wie beim Autokauf. Der Motor (Effenberg) mag stottern, aber er ist da, die Karosserie (Stadion) nagelneu und auch das Image war nie besser. Klimaanlage, Winterreifen, Sitzheizung oder Tempomat aber sind Extras, die werden oft teuer erkauft. Manchmal dauert es Jahre, mancher schafft es nie, dass er das Gefährt seiner Träume zusammen hat.“

Peter Unfried (taz 27.1.) analysiert die schwierige Aufgabe von Wolfgang Wolf. „Der VfL-Trainer hat in fünf Jahren Wolfsburg schon einige Krisen mitgemacht, dies hier ist keine. Noch keine. Zunächst sind es zwei Heimniederlagen in Folge, seit dem Umzug des Klubs aus einem veralteten Zweitligasportplatz in die hochmoderne VW-Arena. Das ist faktisch ein Problem für einen Klub, der auswärts in dieser Saison kaum gepunktet hat. Stärker wiegt der emotionale Faktor: Das neue Stadion wurde als Aufbruch in eine neue Epoche vermarktet bzw. rezipiert. Die Worte Champions League wurden von den Machern des Mehrheitsaktionärs VW eingeführt und stehen im Raum. Geplant war allerdings nicht, das das Team mit Betreten des neuen Stadions plötzlich auf einer neuen Qualitätsstufe Fußball spielt – allerhöchstens hie und da irrational erhofft. Geplant war aber natürlich auch nicht, dass die Sache so gründlich in die Hose geht, wie Stürmer Tomislav Maric gewohnt volksnah den Stand der Dinge zusammenfasste (…) Wolfgang Wolf hat zwar Recht, wenn er sagt, dass Schalke einen qualitativ deutlich besseren Kader hat. Aber den hatten auch Dortmund und Bremen, denen vor ein paar Wochen vom VfL praktisch die Luft abgedrückt wurde – im alten Stadion. Warum ist man im neuen nicht so kompakt und aggressiv? Die Spieler geben sich ahnungslos (Kapitän Karhan) bzw. nicht zuständig (Maric). Wolf sagt, es sei die Nervosität. Er selbst wird nicht nervös, angeblich. Und so, wie es aussieht, will es der Klub mit ihm auch bis zum Saisonende schaffen. Es macht Sinn – schon weil man mittlerweile Trainer mit Perspektive kaum zu einem anderen Zeitpunkt zum Einsteigen bewegen kann als dem 1. Juli.“

Zur Stimmung in Schalke meint Raimund Witkop (FAZ 27.1.). „Ein Gefühl der Unzufriedenheit angesichts der früheren Leistungen war allen anzumerken, trotz Rang vier in der Tabelle. Vermutlich war das der Grund für die überwiegend selbst angezettelten Diskussionen in der Winterpause, wer im Kader noch welche Zukunft habe. Sie haben ihre Lehren gezogen: keine Spekulationen mehr, dafür Fakten auf dem Rasen. Andreas Möller mußte neunzig Minuten zuschauen und wird sich mit seinem Abschied abfinden müssen. Dafür lief der ebenfalls umstrittene Jörg Böhme bis zur Erschöpfung und machte ein gutes Spiel. Nationalstürmer Gerald Asamoah kam für die letzten paar Minuten und wird sich Gedanken machen müssen, zumal Gustavo Varela hinter den Spitzen Sand und Mpenza eine glänzende Figur machte. Man sortiert sich in Gelsenkirchen, und das Resultat spricht für sich. Schalkes neue Konsequenz war im direkten Vergleich zu den ebenso ambitionierten Wolfsburgern um so deutlicher. Beide gehören zur Kategorie der Möchtegerns, die über kurz oder etwas länger in die Champions League wollen, die neue, supermoderne Arenen haben und die insgesamt auf Expansion zielen. Derzeit hat aber nur Schalke eine sportliche Basis dafür (…) Noch vor kurzem hätte Wolfsburg sich mit den Schalkern etwa auf Augenhöhe gewähnt. Nach zwei Spielen in der Volkswagen-Arena – dort gab es dank Tausender Schalker Fans mit 26.000 Zuschauern eine Besucherrekord – sieht der Rasen aus, als habe er schon viele Schlachten erlebt. Dabei waren es nur zwei Niederlagen, die Wolfsburg in die unerwünschte Richtung brachten.“

Spielbericht FR

VfL Bochum – 1. FC Nürnberg 2:1

Christoph Biermann (SZ 27.1.) berichtet vom Spiel. „Besondere Sorgen weckte bei den Nürnbergern die Niederlage im Ruhrstadion nicht. Trainer Klaus Augenthaler empfand sie als „bitter, weil sie unnötig war“, Vereinspräsident Roth hatte „unser Spiel nicht so schlecht gesehen“. Verteidiger Thomas Stehle war nach dem missglückten Start in die Rückrunde ebenfalls kaum beeindruckt: „Es ist nicht viel passiert, jetzt müssen wir Rostock schlagen.“ Der latent positive Eindruck ergab sich vor allem aus der Leistung nach der Pause, hatte jedoch Momente einer optischen Täuschung. Die Bochumer zogen sich nach der Pause weit zurück, wie sie es bei einer Führung immer tun. Dadurch wirkte Nürnberg wesentlich aktiver, ohne in großem Stil für Gefahr zu sorgen. Die Einschätzung von Torwart Darius Kampa, der eine „hervorragende zweite Halbzeit“ seiner Mannschaft gesehen hatte, war zweifellos überzogen. Augenthalers Groll über den „Rückfall in alte Zeiten“ während der entscheidenden Szenen des ersten Spielabschnitts hingegen war berechtigt (…) Es machte überhaupt den Eindruck, als ob der Aufsteiger an die guten Leistungen vor der Winterpause wird anschließen können. Nur deckt sich das in Bochum offensichtlich nicht ganz mit den Publikumserwartungen. Zum ersten Spiel im neuen Jahr kamen trotz schönen Wetters nur 20.280 Zuschauer.“

Werder Bremen – Arminia Bielefeld 2:2

Frank Heike (FAZ 27.1.). „Daß Werder nun zwei Punkte weniger hat, lag am Samstag nachmittag vor 29.600 Zuschauern im Weserstadion an der eigenen Abwehr. Mit den Bielefelder Toren zum jeweiligen Ausgleich durch Mamadou Diabang und Du-Ri Cha hat Werder jetzt 29 Gegentreffer bekommen – so viele, wie die Bayern und Dortmund zusammen. Zwar hat sich Torwart Pascal Borel weiterentwickelt und greift kaum noch daneben, aber es muß nur ein Dribbelkönig vom Schlage eines Ansgar Brinkmann kommen, um die Bremer Abwehr in Angst und Schrecken zu versetzen. Beide Bielefelder Tore bereitete der blonde Brasilianer vor und ließ seinen überforderten Gegenspieler Skripnik von Übersteigern und anderen Finten träumen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfelds mußte der Bremer Verteidiger Paul Stalteri einige Male den flinken Südkoreaner Cha, den Sohn des früheren Bundesliga-Profis Bum Kun Cha, weglaufen lassen, und in der Mitte sah man wieder einmal, wie hüftsteif Nationalspieler Frank Baumann ist, wenn er gegen bewegliche Leute spielen muß. Was Trainer und Manager mißfällt, ist für die Zuschauer Spektakel – wieder einmal fühlten sie sich bei einem Heimspiel Werders bestens unterhalten. Das lag auch an den erstaunlich starken Bielefeldern. Sie traten auf, als wollten sie mit Siegprämien die 42.000 Euro einspielen, zu der ihr Anführer Brinkmann am Freitag von einem Bielefelder Gericht wegen mehrfacher Körperverletzung verurteilt worden war. Wären die Konter gegen die offene Bremer Abwehr am Ende etwas konzentrierter vorgetragen worden, Bielefeld hätte drei Punkte mit nach Hause gebracht. Die Arminia verdiente sich den Punkt nicht nur durch eine starke kämpferische Leistung, sondern auch durch ansehnlichen Fußball.“

Spielbericht FR

Europas Fußball vom Wochenende: Resultate – Tabellen – Torschützen NZZ

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