indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Mehmet Scholl

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Mehmet Scholl

Mehmet Scholl, Ausnahmefußballer in doppelter Weise – FAS-Interviews mit Hans Meyer und Felix Magath – „die schönen Jahre des BVB könnten fürs erste vorbei sein“ (FAZ) – Gerhard Poschner, überdurchschnittlicher Spieler mit durchschnittlicher Karriere, verstärkt vielleicht 1860 München – Diskussion um Anstoßzeit und TV-Rechte u.v.m.

Du wechselst doch auch nicht zu Neun live

Sehr lesenswert! Thomas Hüetlin (Spiegel12.1.) stellt uns Mehmet Scholl, altbekannt, neu vor: „Eine Zeit lang schien es, als könnte Mehmet Scholl so etwas wie der deutsche David Beckham werden. Aber der Popruhm wurde ihm zu viel, und auch sein Körper rebellierte. Endet er als großes Talent, oder kann er nach der Winterpause seine Karriere vollenden? (…) Scholl liebt Adidas und hasst Puma. Puma, sagt Scholl, tragen Leute, die im Grunde spießig sind, aber sagen: ,Heute bin ich der Lockermann. Und außerdem hab ich in Puma-Schuhen einen eleganteren Fuß.‘ Aber noch mehr als Puma geht Scholl der Bachelor auf die Nerven. Eigentlich ist der Bachelor nur ein weiterer Import amerikanischen Reality-Fernsehens, aber für Scholl ist dieser Typ, dem sich die Frauen reihenweise vor die Puma-Turnschuhe werfen, damit er sie auserwählt, ein Vollschleimer, den sie sogar im Puff rausschmeißen würden. Scholl schüttelt sich vor Ekel. Dann malt er mit seinem rechten Zeigefinger kleine Kreise in die Luft. Einer, der so die Oberarme von Frauen streichelt, grässlich. Und da er schon einmal dabei ist, sich die Nervensägen der deutschen Unterhaltungskultur vorzunehmen, darf auch Dieter Bohlen und sein Deutschland sucht den Superstar nicht fehlen. Scholls Sohn, der bei seiner geschiedenen Frau lebt, hat die CD der Nachwuchssänger und hört sie gern. Aber jedes Mal, wenn der Papa zu Besuch kam, durfte der Sohn die CD am nächsten Morgen im Mülleimer in der Küche suchen. Das war unser Ritual, sagt Scholl. Er hat sie immer wieder rausgeholt, ich hab sie immer wieder reingeschmissen. Mit solchen Ansichten ist Scholl zum Liebling der vielen Leute geworden, die von Fußballern nicht nur schöne Dribblings, sondern auch feine Sätze verlangen. Denn ein Fußballspiel dauert heute nicht mehr 90 Minuten, sondern eine ganze Woche. Es ist nicht mehr damit getan, dass 22 Leute hinter einem Ball her rennen, Fußball ist heute Teil der Unterhaltungskultur – ein Sport, der an Dramatik mit einem großen Hollywood-Spektakel mithalten und der die Fans so pausenlos unterhalten muss wie ein Fortsetzungsroman. Dieses Non-Stop-Spektakel braucht Stars mit dem Talent eines Mehmet Scholl – einen, der nicht nur ein Spiel gestalten, sondern es auch erzählen kann. Einen, der mit seinen Sätzen Risiken eingeht. Einen Fußballer, der zuverlässig Pointen liefert wie Gerd Müller früher Tore, einen, der auch über Musik reden kann, übers Kino, über Mode und über Turnschuhe. Er ist bestimmt einzigartig, sagt eine Redakteurin der Harald Schmidt Show, in der Scholl schon mal plaudern durfte. Kein anderer deutscher Kicker kann es mit ihm an Schlagfertigkeit und Witz aufnehmen. Das Problem dieses idealen Fußballers, der den Fußball so schön verkaufen kann, ist allerdings, dass er nur noch selten Fußball spielt. Operation am Sprunggelenk, Muskelfaserriss – und die Bandscheiben knirschen derart, dass er kurz vor der Winterpause der Bundesliga noch unters Messer musste. Offenbar fällt es Scholls schmächtigem Körper immer schwerer, die Anforderungen des Profigeschäfts zu erfüllen. Sein Leben lang war sein Talent viel größer als sein Körper (…) Damals, als Scholl neu war bei Bayern, sagte ihm niemand, dass man die Klappe hält, wenn man neu ist bei Bayern. In der Kabine fragte er den damaligen Torwart der Mannschaft, Raimond Aumann, ob der zu den 15 bestverdienenden Bayern-Spielern gehöre. Worauf Aumann ihn anstarrte und antwortete: Ich bin nicht der Einzige, der hier glaubt, dass der Club die sechs Millionen, die er für dich ausgegeben hat, besser hätte anlegen können. In einer Fragebogenaktion schrieb der junge Bayern-Spieler unter der Rubrik Lieblingswitz: Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt. Lacher blieben aus, stattdessen musste Scholl sich offiziell entschuldigen und 5000 Mark spenden. Erst daraufhin zog ein Lokalpolitiker seine Klage wegen Aufforderung zum Mord zurück (…) Dieser Scholl ist kein Fußballsklave, und deshalb war er logischerweise einer der letzten Gäste jener Show, in der acht Jahre lang Fußballsklaven dem Publikum zum Lachen vorgeworfen wurden. Anfangs läuft Harald Schmidt – Scholl sitzt noch in der Garderobe – mit einem Blatt Papier durchs Publikum und fragt, was er Scholl fragen soll, er habe keine Redakteure mehr, alle auf Jobsuche, deshalb kriege das Publikum seine Chance. Das Publikum nutzt sie nicht, den Leuten fällt nichts ein. Einer träumt davon, dass der Bayern-Millionär beim 1. FC Köln seine Karriere beenden solle. Schließlich kommt Scholl herein, weißes Nadelstreifenhemd, Designer-Militärhose, Designer-Militärstiefel und natürlich kein Sponsor am Kragen von einem Baumarkt oder einem Herrenausstatter. Schmidt stellt die Köln-Frage, und Scholl antwortet : Du wechselst doch auch nicht zu Neun live. (…) Noch ein, zwei Jahre schönen Budenzauber wünscht sich der 33-Jährige, damit er eine Karriere vollenden kann, die bisher unvollendet ist, so zerrissen wie die von Sebastian Deisler, so unentschlossen wie die von Michael Ballack. Wenn man darüber lamentiert, warum große deutsche Fußballer keine Weltstars mehr werden, dann bietet dieser Mehmet Scholl Erklärungshilfe: vielleicht zu schlau, vielleicht zu sensibel, vielleicht zu wenig Sklave.“

Über meine Trennung von Gladbach ist viel Schwachsinn verbreitet worden

FAS-Interview mit Hans Meyer

FAS: Es ist erstaunlich, daß Sie noch mal eine solche Herausforderung angenommen haben. Als Sie im Frühjahr 2003 bei Borussia Mönchengladbach aufgehört haben, wirkte das wie ein entnervter Rückzug aus dem Trainergeschäft.

HM: Über meine Trennung von Gladbach ist viel Schwachsinn verbreitet worden, auch in seriösen Medien. Es stimmt einfach nicht, daß ich vor der Boulevardpresse kapituliert habe. Die hat null Anteil an meinem Rücktritt. Ich habe meine Entscheidung in großer innerer Ruhe getroffen. Ich glaube, ich bin noch nie so gelassen gewesen wie am Tag meines Rücktritts.

FAS: Was hat Ihnen denn diese innere Ruhe gegeben?

HM: Mein letzter Kontrakt mit Borussia Mönchengladbach beinhaltete die Klausel der beliebigen, einseitigen Auflösung. Das zeigt deutlich, daß ich mich seit langem mit dem Gedanken des Rückzugs befaßt hatte. Zum Zeitpunkt der Trennung spürte ich deutliche Zweifel durch Präsidium, Spieler und Zuschauer an meiner Arbeit. Übrigens, bei unserem Tabellenplatz zu dem Zeitpunkt absolut verständlich. Im Rückblick haben es alle Beteiligten deshalb richtig gemacht, weil Borussia mit den nachfolgenden Trainern eine mehr als komplizierte Situation zufriedenstellend gelöst hat. Ewald Lienen hat den Klassenerhalt geschafft, und Holger Fach liefert zur Zeit hoffnungsweckende Resultate.

FAS: Fühlen Sie sich noch als Ost-Trainer wahrgenommen?

HM: Was verstehen Sie darunter? Wenn Sie meinen, ob die vielen Fußballfreunde im Osten Deutschlands meinen beruflichen Weg mit viel Interesse und Anteilnahme verfolgen, dann fühle ich mich immer noch gern als Ost-Trainer. Ansonsten sollte man meinen, daß diese Ost-West-Thematik genug strapaziert wurde.

FAS: Sie und Ihr Cottbuser Kollege Eduard Geyer gelten als harte Hunde und Schleifer. Ist Härte ein Merkmal von erfolgreichen Trainern aus Deutschlands Osten?

HM: Es wundert mich, daß Sie auf diese dummen, albernen Klischees der Boulevardpresse mit Ihrer Frage eingehen. Es ist schlimm genug, daß Trainer, die in ihrer Arbeit nur konsequent sind, in unserer Leistungsgesellschaft besonders hervorgehoben werden – wenn auch mit negativem Unterton.

FAS: Gibt es schon etwas, was Sie in Berlin gelernt haben?

HM: Ich bin 61 Jahre alt und seit sechs Tagen in Berlin, da ist die Wahrscheinlichkeit, daß mich Überraschendes beziehungsweise Neues trifft, nicht so groß.

FAS: Im Moment sind Sie Herthas amüsantester Öffentlichkeitsarbeiter. Selten wurde in Pressekonferenzen so viel gelacht. Ihnen wird von den Medien viel Kredit gegeben.

HM: Welche Chancen der Konfrontation bestehen in dieser Sauregurkenzeit für Fußballberichterstatter? Noch keine Niederlagen, noch keine gravierenden Auswechselfehler, keine alten Lügengeschichten (die werden durch ständige Wiederholung nicht wahrer), ich kann noch nichts Neues von der Hertha erzählen. Das sind die Voraussetzungen für harmonische Pressekonferenzen in Wärme und beim Kaffee.

Das Thema Geld ist bei uns jetzt ein kritisches Thema

FAS-Interview mit Felix Magath

FAS: Ihr junges Team hatte zum Ende der Hinrunde mehr und mehr Schwierigkeiten, das hohe Niveau zu halten. Könnte es in der Rückrunde gar einbrechen?

FM: Ich weiß nicht, ob wir einbrechen. Aber wir sind in einer kritischen Phase. Wir haben die Situation, daß plötzlich Geld bei uns eine Rolle spielt, was in den letzten beiden Jahren nicht der Fall war. Mit dieser neuen Situation müssen wir jetzt zurechtkommen, damit die mannschaftliche Geschlossenheit, die uns in den vergangenen Monaten stark gemacht hat, beibehalten wird.

FAS: Sie meinen, Neid und Mißgunst unter den Spielern könnten das Projekt gefährden?

FM: Genau das.

FAS: Wie sieht das konkret aus?

FM: Das Thema Geld ist bei uns jetzt ein kritisches Thema. Wir müssen sehen, daß die jungen Spieler die Sache mit dem Geld nicht so hoch bewerten und weiter an ihrer sportlichen Entwicklung arbeiten. Unsere Talente werden sich nur weiterentwickeln, wenn sie die sportliche Perspektive in den Vordergrund stellen. Deshalb waren es auch wichtige Zeichen für uns, daß Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi ihre Verträge bei uns verlängert haben und auf höhere Angebote anderer Klubs verzichteten.

FAS: Das heißt, die harte Realität des Fußballgeschäfts hat die jungen Überflieger vom VfB erwischt.

FM: Wir haben in der Vergangenheit völlig unbelastet gespielt, weil Geld bei uns kein Thema war. Aber es ist nun mal eine wichtige Sache im Profisport, deswegen muß man sagen, beginnen wir nun langsam, uns der Realität zu nähern. Wir müssen uns mit der Realität anfreunden.

FAS: Wie sieht es mit der Psyche Ihrer jungen Spieler aus?

FM: Wir hatten einen Riesenvorteil, daß wir in den letzten beiden Jahren freier waren als die anderen. Wir wollten einfach spielen, Spaß haben. Da gab es keine Zwänge, wir hatten keine Verpflichtungen zu erfüllen, die uns mit viel Geld vom Verein vorgegeben wurden. Wir waren unbekümmert, dementsprechend haben wir gespielt. Das hat uns viel Lob und Anerkennung gebracht. Ich arbeite daran, daß wir das in der Rückrunde beibehalten können.

FAS: Wie können Sie das als Trainer steuern?

FM: Ich versuche, mit den Spielern über die Situation zu reden. Vor allem über die Gegebenheiten der Branche, und ich versuche ihnen weiterhin den Spaß am Spiel zu lassen. Ich muß den Druck richtig lenken, damit wir bessere Leistungen bringen als andere. Der Druck darf nicht so groß werden, daß er uns lähmt.

FAS: Müssen Sie sich in der neuen Situation verändern?

FM: Ich muß immer flexibel sein. Flexibilität ist für mich sowieso das entscheidende Wort. Ich reagiere immer darauf, was mir die einzelnen Spieler anbieten. Ich bin nicht von vornherein auf ein festes Konzept festgelegt. Ich will unberechenbar bleiben.

FAS: Wie stellt man sich darauf ein, daß es, wie zum Ende der Hinrunde, nicht mehr ganz so rund läuft?

FM: Ich bin immer ganz wachsam und versuche, alle Signale rechtzeitig zu sehen, die darauf hindeuten, daß wir in eine schwächere Phase kommen könnten. Meine Hauptaufgabe liegt darin, dagegen anzusteuern. Deswegen ist es für mich unbedingt notwendig, daß ich jede Trainingseinheit selbst miterlebe. Wenn ich auch aktiv nicht mehr so viel mache wie früher, ich muß beim Training immer dabeisein, alles mitkriegen, um die Dinge richtig einordnen zu können.

Die schönen Jahre des BVB könnten fürs erste vorbei sein

Roland Zorn (FAZ 23.12.) sorgt sich um Borussia Dortmund und ihren Präsident: „Gerd Niebaum ist gern angriffslustig. Als Herausforderer der nationalen und internationalen Fußballgrößen hat er sich in seinen mittlerweile siebzehneinhalb Präsidentenjahren bei Borussia Dortmund einen guten Namen gemacht und große Erfolge mit seinem BVB – drei Meisterschaften, Champions-League-Gewinner, Weltpokalsieger – gefeiert. Alles längst Vergangenheit? Dieser Tage wirkt der 55 Jahre alte Dortmunder Wirtschaftsjurist angegriffen wie selten – und das, obwohl er sich herausgefordert sieht wie vielleicht noch nie in seiner Amtszeit als Präsident eines führenden deutschen Fußballklubs und Geschäftsführer des börsennotierten Unternehmens Borussia Dortmund GmbH Co KGaA. Eigentlich wollte ich schon längst im Skiurlaub sein, sagt Niebaum in Gedanken an eine weiße Pracht, die ihm angesichts der schwarzgelben Nachtummalung, mit der sein Klub zuletzt koloriert wurde, wie ein fernes Traumziel vorkommt. Das sportliche Verlustgeschäft in dieser Saison, das manche schon auf 50 Millionen Euro hochgerechnet haben, die ins Auge gefaßte Anleihe in Höhe von vielleicht 100 Millionen Euro, die nicht wenige auch als einen Deal zum hastigen Stopfen finanzieller Löcher einschätzen, die Aufrechnung längst vollzogener Transfers (Amoroso/Evanilson) unter der Anmutung eines Verschleierungstatbestandes – und die konkrete, auch von Niebaum nicht verhehlte Sorge um die Geschäftslage seiner Vereinsfirma in dieser sportlich und damit finanziell schon verkorksten Saison: Das alles hat dem Vormann des westfälischen Traditionsklubs unüberhörbar zugesetzt. Daß ihm nun auch noch vorgehalten wird, er beherrsche die Borussia nahezu absolutistisch und sei deshalb längst beratungsresistent, macht dem nicht uneitlen Anwalt schwer zu schaffen. Alles, was ich hier gemacht habe, ist mit den Gremien und Entscheidungsorganen abgesprochen, entgegnet er auf den Vorwurf, selbst bestimmt und andere nur abgenickt lassen zu haben. Wenn alles so wäre wie jetzt dargestellt, frage ich mich, warum mir vor vier Wochen mit nahezu hundertprozentigem Vertrauen das Mandat für drei weitere Präsidentenjahre erteilt worden ist. Doch die schönen Jahre des BVB 09, sie könnten fürs erste vorbei sein.“

Borussia Dortmund setzt sich sportlich unter noch höheren Zugzwang

Im Wirtschaftsteil der FAZ (23.12.) liest man dazu: „Das Millionenspiel Fußball-Bundesliga birgt tatsächlich Risiken. Auf dem Platz und in den Bilanzen der Vereine. Seit Gründung 1963 waren die Klubmanager daran gewöhnt, mit immer steigenden Summen jonglieren zu können. Geflossen sind die Gelder in oft absurd hohe Spielergehälter. Das war bei Borussia Dortmund nicht anders als bei manch anderem Bundesligisten. Aber von einem börsennotierten Fußballklub darf mehr finanzielle Weitsicht erwartet werden als von Hansa Rostock oder Hannover 96. jetzt steckt der BVB, der sich gern zu den finanzstärksten Klubs Europas rechnet, in der Klemme: Den in guten Jahren eingegangenen Millionenverpflichtungen stehen die nach der Kirch-Pleite wegbrechenden Fernseherlöse und der zum Erliegen gekommene Spieler-Transfermarkt gegenüber. Und was macht der Verein? Anstatt die Kosten den Einnahmen anzupassen, will er die klaffende Lücke im operativen Geschäft über eine Anleihe auffangen. Das ist ein Wechsel auf die – schwer planbare Zukunft. Borussia Dortmund setzt sich sportlich unter noch höheren Zugzwang. Es ist zu befürchten, dass das Dortmunder Beispiel Schule macht. Auch das ist eine Erkenntnis aus 40 Jahren Bundesliga.“

Philipp Selldorf (SZ 5.1.) sucht und findet europäische Vergleiche: „Vor den tollsten Beträgen im Fußball steht jedoch leider vermehrt das Minuszeichen. Eine willkürliche Auswahl vom Wochenende führt kreuz und quer durchs alte Europa: Aus Griechenland meldet Meister Olympiakos Piräus Verbindlichkeiten von 61,58 Millionen Euro und der Traditionsklub und Lazio Rom nach den Crashs ihrer Besitzerunternehmen vor dem Kollaps; in England phantasiert der Erstligaklub Leeds United von chinesischen oder arabischen Investoren, die den Schuldenstand von mehr als 100 Millionen Euro fortzaubern; in Schottland ist einschließlich des Spitzenklubs Glasgow Rangers die halbe Scottish Premier League pleite. Und auch die Bundesliga hat ihre Patienten: Borussia Dortmund fehlt bis Saisonende die Deckung von 20 bis 25 Millionen Euro; vom ambitionierten, doch tief gefallenen Hauptstadtklub Hertha kommen ebenfalls beunruhigende Signale. Wer keinen Scheich aus Bahrain oder Milliardär aus Sibirien kennt, der hofft, sich mit Spielerverkäufen zu sanieren. So hört man es in Rom, in Leeds und auch in Dortmund, wo Profis wie Koller, Kehl und Frings als kapitalfähiges Potenzial gehandelt werden. Doch auf diesem europäischen Marktplatz treffen sich Problem und Trugschluss: Wo die Depression die Lage beherrscht, da fehlen ganz einfach die Abnehmer.“

Vielleicht war Poschner einfach nicht der Typ, der ein Großer wird

Christian Zaschke (SZ 14.1.) blickt zurück auf die Karriere Gerhard Poschners, möglicher Zugang von 1860 München: „Es ist nichts daran auszusetzen, zum Ende der Laufbahn noch einmal in die Bundesliga zurückzukehren, es ist auch nichts daran auszusetzen, bei 1860 zu spielen, doch Poschner war zu Beginn seiner Karriere einer, der ein ganz großer Spieler zu werden versprach. Irgendetwas ist passiert zwischen den Anfängen als Profi mit 17 und heute, da Poschner sagt: „Ich kann es nicht genau erklären, aber ich will mir noch einmal etwas beweisen.“ Wenn er die Geschichte dieser 17 Jahre erzählt, sind es Kleinigkeiten, die im Wege standen, eine kleine Verletzung hier, eine Formkrise dort, schließlich größere Verletzungen, natürlich zum falschen Zeitpunkt. Fußballer mit weit weniger Talent haben weit größere Karrieren hingelegt, und woran das liegt, ist im Rückblick nicht einmal zu sagen. Schon gar nicht, wenn alles so beginnt: Poschner, 13 Jahre alt, spielte bei der Sportvereinigung Bissingen, er war immer bester Mann, aber nie lud ihn jemand zur Kreisauswahl ein, zur Bezirksauswahl schon gar nicht. „Irgendwann hat mein Trainer damals gesagt: ,Gerhard, pack‘ deine Sporttasche, wir fahren jetzt zur Bezirksauswahl.’“ Die sollte zum Freundschaftsspiel antreten, der Bissinger Trainer sagte dort: „Das ist der Gerhard, der spielt jetzt mal mit.“ Danach wurde Poschner genau einmal zu einem Spiel der Auswahl eingeladen, der C-Jugend-Trainer des VfB Stuttgart sah ihn, und am nächsten Tag kam der Anruf: Ob er, Poschner, zum VfB kommen wolle? Poschner kam. „Bis zum 13. Lebensjahr war alles ruhig in meinem Leben, und dann, von einem Tag auf den anderen ging es Schlag auf Schlag, es kam der VfB, die DFB-Auswahlmannschaften, wir wurden Deutscher B- und A-Jugend-Meister.“ Poschner wurde noch als A-Jugendlicher Profi. „Mir fiel immer alles in den Schoß. Problematisch wurde es erst, als ich mir einen Muskelfaserriss holte. Ich musste aussetzen und hatte den Anschluss verpasst, und es war neu, dass ich meinen Platz erkämpfen sollte. Ich bin vielleicht mit den ersten Schwierigkeiten nicht fertig geworden. Dann kam sofort der nächste Faserriss. Dann kam der Druck von außen, und der Druck von innen war noch belastender. Das habe ich irgendwie nicht gepackt.“ Vielleicht ist es der Faserriss, der vieles vereitelte. Vielleicht war Poschner einfach nicht der Typ, der ein Großer wird. Heute kann Poschner über diese Karriere nicht bloß reden, sondern reflektieren. Er sieht, wo die entscheidenden Punkte waren, und er ist keiner jener ungezählten Spieler, die so gern erzählen: „Ohne diese eine Verletzung damals wäre ich ein großer Spieler geworden.“ Er sagt: „Manchmal war ich verbohrt, ich hatte Scheuklappen, ich glaubte, jeder wolle mir was Böses.“ Es ist ja keine misslungene Karriere, über die er spricht, eher eine, die das Versprechen nicht ganz hielt, das sie so früh zu geben schien.“

SpOn-Interview mit Stefan Beinlich, Hamburger SV

Unbezahlbarer Wert der Chiffre 15.30

Roland Zorn (FAZ 8.1.) kommentiert die Diskussion um eine Veränderung der Anstoßzeiten: „Die Medien, nicht nur die vom Boulevard, bemächtigten sich des Themas, als handelte es sich um ein Fait accompli. Davon indes kann nicht die Rede sein, da sich das Gros der Bundesligavereine dem Vorziehen einer oder mehrerer Bundesligapartien auf den Samstagmittag mit guten Argumenten widersetzt. Wenn dazu behauptet wird, daß sich der asiatische Markt dem deutschen Profifußball eher öffne, wenn man ihm wenigstens ein Spiel live zur besten Sendezeit anbiete, wird der Widerspruch nur noch heftiger. Niemand weiß genau, für wie attraktiv etwa die Chinesen die Bundesliga, verglichen mit der ungleich renommierteren Premier League, halten und wieviel Geld sie bei einem reizvollen Fernsehangebot zahlen würden. Jeder aber kennt den unbezahlbaren Wert der Chiffre 15.30. Das ist die Zeit, in der Samstag für Samstag auf dem ungleich wichtigeren heimischen Markt die Bundesligaspiele angepfiffen werden. Weil die deutsche Eliteklasse auch in turbulenten Fernsehzeiten seit der Spielrunde 2001/02 siebenmal samstags um 15.30 Uhr und zweimal sonntags um 17.30 Uhr den Ball rollen läßt, hat ihr Format Jahr für Jahr an Wert gewonnen. England, Spanien und Italien sind mit ihren zerstückelten Spielplänen schlechter dran. Wer auch in Jahren des spärlicher fließenden Fernsehgeldes Konstanten zu bieten hat, um die ihn andere beneiden, und nicht zuletzt deshalb stetig wachsende Zuschauerzahlen vermelden kann, setzt eine Erfolgsgeschichte nicht ohne Not aufs Spiel. Ebendeshalb ist ein einschneidender Wechsel in der Programmpolitik unwahrscheinlich.“

Michael Ashelm (FAS 4.1.) fügt hinzu: „Alles ist möglich, alte Visionen erhalten neuen Schwung. Die Top-Funktionäre der DFL sehen sich auf dem goldenen Weg, in Zukunft wieder mehr Geld für das Produkt Bundesliga einzuspielen, nachdem der Fernsehvermarktungsvertrag mit der Sportrechteagentur Infront zum Ende dieser Saison definitiv auslaufen wird. Die Entscheidung bietet eine neue Chance, daß sich die DFL selbstbewußt darstellt, sagt Werner Hackmann, der DFL-Aufsichtsratsvorsitzende. Geht es nach den Verantwortlichen, könnte sich die Liga bald mit neuem Gesicht präsentieren, ernsthaft diskutiert wird der eigene Fernsehkanal. Nach der Bekanntgabe der Infront AG, ihre Vertragsoption für weitere zwei Jahre Partnerschaft ungenutzt zu lassen, steht vor allem die Live-Berichterstattung im Bezahlfernsehen im Mittelpunkt des Interesses. 150 Millionen Euro pro Saison zahlt der Pay-TV-Sender Premiere bisher für dieses Recht, vor allem hier verspricht sich die Liga, mehr herauszuholen. Wir sind nicht auf Gedeih und Verderb mit Premiere verbunden, sagt Hackmann und spekuliert schon mit einer grundlegenden Veränderung: Wenn unsere finanziellen Vorstellungen nicht erfüllt werden, wäre eine Option, daß wir uns das Know-how einkaufen und einen eigenen Pay-TV-Sender aufbauen. Mit Premiere muß nach dem Ausstieg von Infront neu verhandelt werden – wie auch mit dem DSF über die beiden Sonntagsspiele (bisher 12 Millionen Euro pro Saison). Der ARD-Kontrakt (65 Millionen) für die Erstverwertung der Bundesligarechte im frei empfangbaren Fernsehen bis 2006 bleibt unberührt, da die DFL in diesen einsteigt. Im Hause des einzigen deutschen Bezahlfernsehsenders sorgen die Spekulationen des Ligachefs für wenig Aufregung. Wir sehen das gelassen, sagt Premiere-Sprecher Dirk Heerdegen. Experten trauen der Liga nicht zu, daß sie einen funktionsfähigen Sender stemmen könnte – schon gar nicht in einem halben Jahr.“

In einem Leserbrief an die FR (14.1.) zeigt Christoph Heisiger, mein ehemaliger Studienkollege, dem FR-Redakteur den Vogel: „Dass Sie die (wöchentlich neuen) und völlig absurden Ideen der Bayern-Oberen auf Kosten der Fußball-Basis (und das sind eben die Amateur-Kicker und die Fans des FC Kleinplittersdorf) unterstützen und die Rummenigge und Co. zur Revolte auffordern, finde ich skandalös. Die Bundesliga hat sich in über 40 Jahren als Traditions-Produkt bewährt und boomt wie nie zuvor. Besonders Traditionsvereine (Hamburger SV, Schalke 04, Eintracht Frankfurt) können gerade in schlechten Zeiten auf ihre Anhänger zählen, die Jahr für Jahr für neue Rekordzahlen sorgen. Der DFB steht für Tradition und versucht, diese auch weiterhin zu bewahren und die Fußball-Basis (Amateur-Fußball) zu schützen. Der Begriff anachronistische Strukturen ist fehl am Platz. Ein Aufbrechen traditioneller Strukturen (u.a. neue Anstoßzeiten), wie von Ihnen gefordert, führt (wenn überhaupt) nur zu kurzfristig schnellen Einnahmen, welche die besonders schlauen Club-Oberen in Form von fetten und unangebrachten Jahres-Gehältern für durchschnittliche Spieler (BVB) zum Fenster rausfeuern. So stellt man keinen Anschluss zur enteilten europäischen Konkurrenz (die hoch verschuldeten italienischen Vereine etwa?) her, sondern zerstört ein 40-jähriges Premium-Produkt.“

Einheitsfront aus Opposition, Lobbyisten und Leitartiklern

Auch Fritz Tietz (taz 15.1.) ärgert sich: „Da werden die Asiaten aber Schlitzaugen machen, so die vage Hoffnung, die sich allerdings spätestens bei so Bundesliga-Spitzenprodukten wie, sagen wir mal, Hertha gegen Frankfurt oder Rostock gegen Köln als vollends trügerisch erweisen dürfte. Kaum vorstellbar nämlich, dass die mit englischem, spanischem oder französischem Traumfußball längst fernsehverwöhnten Asiaten ausgerechnet nach der derzeit allenfalls semiattraktiven deutschen Fußballkost lechzen. Jüngste Markterhebungen bestätigen denn auch: Eher noch als vom deutschen Ballgeschiebe lassen sich die asiatischen Massen vom live übertragenen Umfallen eines Reissacks vor die Glotze locken. Neben dem Samstagmittagtermin werden weitere innovative Anstoßzeiten anvisiert. So verlangt FC Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge (bzw. Lummenigge, wie er sich für den asiatischen Markt umbenamsen lassen müsste), mit ein, zwei Spitzenspielansetzungen am Sonntag um 14 Uhr mehr Kreativität in den Spielplan zu bringen, soll heißen: mehr Fernseh- und Werbegelder einzustreichen. Der heimische Amateurfußball dürfte unter die Räder kommen, weil ihm mit einem regelmäßigen sonntäglichen Bundesliga-Anpfiff um 14 Uhr das eh schon knappe Zuschauerkontingent noch weiter ausgedünnt wird. Den Vorwurf der Entsolidarisierung zwischen Profis und Amateuren weiß Rummenigge in der typisch neowindigen und mittlerweile allseits gepflegten Arschlochdiktion Gerhard Schröders zu kontern: Wir können nicht immer Rücksicht nehmen, bläht es da aus der bisher für ihr rücksichtsvolles Gebaren weithin bekannten Chefetage des FC Bayern. So signalisiert man da dem rot-grünen Agenda-Pack samt der es bedingungslos sekundierenden Einheitsfront aus Opposition, Lobbyisten und Leitartiklern, dass man, wie Schröder sagen würde, verstanden hat: Seinen Wohlstand wird der Profifußball jetzt auch völlig ungeniert nach dem Vorbild rot-grüner Reformpolitik mehren, zu Lasten nämlich vor allem von Mittellosen oder Bedürftigen. Oder eben Amateuren. Ich bin immer ein Freund des Amateurfußballs gewesen, macht Rummenigge dazu mächtig einen auf hehren Opfermut. Aber man muss hier auch ein bisschen Flexibilität einfordern, salbadert er im besten Schrödersprech, so wie das mittlerweile auch der schmalstgespurte Sozialdemokrat draufhat, wenn es gilt, die durch seine Partei begünstigte zügellose Abgreife des globalisierten Halunkentums als prima Sache zu verkaufen. So werden wohl die Amateure auf den Dienstag- oder Mittwochvormittag ausweichen müssen.“

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