indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Rarität im Profifußball

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Rarität im Profifußball

„Dass ein Trainer bei seiner Ablösung selber Regie führt, ist eine Rarität im Profifußball“, urteilt die SZ über Hans Meyers Rücktritt vom Traineramt bei Borussia Mönchengladbach. Seitens der Qualitätspresse wird „dem schlagfertigsten und intelligentesten Fußballcoach seit Erfindung des Trainerscheins“ (FTD) ein stilvoller, wenn auch eitler Abgang bescheinigt. In den heutigen Kommentaren zeigt sich, dass der kauzige Meyer nach wie vor die Anerkennung der seriösen Schreiber genießt, während er auf dem Boulevard jederzeit einen schweren Stand hatte. Über keinen anderen (erfolgreichen) Trainer der Liga waren die Ansichten derart geteilt. Mit dem mit Meyer befreundeten und ehemaligen Gladbacher Profi Ewald Lienen ist bereits ein Nachfolger gefunden, der die Arbeitsweise seines Vorgängers fortzusetzen gedenkt. „Es war die harmonischste Stabübergabe der Ligageschichte“, schreibt die FTD, und die SZ lobt das „Ende ohne Disput“.

„Ein Spitzenspiel sollte es werden, doch am Ende war nur von einem Spitzenspieler die Rede“, berichtet die FAZ vom 2:0 des Tabellenführers aus München bei der bisher besten Rückrundenmannschaft aus Cottbus. Eine gelungene Pointe gelang dabei Michael Ballack, der beide Treffer erzielte, nachdem er im Vorfeld Trainer Hitzfeld wegen dessen defensiver Taktik kritisiert hatte und eine Geldstrafe berappen musste. Jedenfalls ist der „Aufstand der Lausitzer Zwerge beendet“ (FR).

Außerdem: „Die Kunstakademie in der BayArena ist bis auf weiteres geschlossen“, bewertet die SZ das 3:0 der kampfstarken Leverkusener über Werder Bremen. „Statt mental verhedderter Stars ist in Leverkusen erst mal die Zeit unbefangener Arbeiter angebrochen. Bayer ist in die Fußball-Grundschule zurückgekehrt.“

Thema des Tages

Christoph Biermann (SZ 3.3.) kommentiert den Abgang Meyers. „Der dritte vorzeitige Trainerwechsel dieser Saison war großes Theater. Er wird vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil sich in Hans Meyer ausnahmsweise der Coach zum Regisseur seines Abschieds machte. Den letzten Arbeitstag seiner Karriere als Fußballtrainer inszenierte der 60-Jährige perfekt, irgendwo zwischen Dramolett und Burleske (…) Als alle Kameras abgebaut und verstaut waren, hob er zum großen Finale an und verkündete dem verblüfften Vorstand seinen Rücktritt. Hans Meyer hat einen starken Abgang gesucht, würdig war er und versetzt mit einem für Meyer typischen leicht kruden Humor. Andererseits wird er froh sein, dass es vorbei ist, denn die Müdigkeit war in seiner Arbeit zu spüren. Meyer ist einfach zu alt, um die absurden Umstände des Trainerjobs noch übersehen zu wollen.“

Michael Horeni (FAZ 3.3.) meint dazu. “Vor zwei Wochen haben sich die Leverkusener beim Rauswurf von Trainer Toppmöller wie die üblichen 365-Tage-Jecken der Liga aufgeführt. Der Abschied des Fußballehrers Hans Meyer von Mönchengladbach hat der Narrhalla-Gesellschaft Bundesliga am Fastnachtssamstag dagegen verdeutlicht, wie närrisch sie sich ansonsten aufzuführen pflegt. Der 60 Jahre alte Trainer hat die schon fast in Vergessenheit geratene Courage besessen, ganz allein für sich zu entscheiden, daß nach dem 2:2 gegen Schalke nach dreieinhalb Jahren die Zeit für den Abschied von der Borussia gekommen war. Meyer trat überraschend zurück, und es schien, als schriebe man nicht das Jahr 2003, sondern befände sich irgendwo in den Siebzigern auf dem beschaulichen Bökelberg, als Stil noch zum Geschäft gehörte. Zur altmodischen Anmutung paßt, daß sich der Klub am Sonntag auch von einem Profi wie Markus Münch getrennt hat, mit dem Meyer nicht mehr zusammenarbeiten wollte. Dabei heißt der neue Mönchengladbacher Trainer doch nun Ewald Lienen, und üblich ist es in solchen Wechselfällen, daß Spieler bei einem Neuanfang für jedes Fehlverhalten und für alle Fehlleistungen der jüngsten Vergangenheit mit Generalamnestie rechnen können. Die mutige Personalentscheidung des Abstiegskandidaten bedeutet jedoch auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko, das die meisten Konkurrenten aus gutem Grund fürchten, da am Ende die Vereinsführung eben doch am Erfolg und nicht an ihrer respektablen Haltung gemessen wird.“

Von Jörg Stratmann (FAZ 3.3.) lesen wir. „Trennungen in dieser Branche pflegen offiziell in beiderseitigem Einvernehmen über die Bühne zu gehen. Doch zum Außergewöhnlichen dieses Trainerwechsels gehört auch, wie sich Borussias Verantwortliche nach dreieinhalb Jahren in schwierigen Zeiten ausdrücklich bei Meyer bedankten. Ohne Abfindung, diese Klausel war schon in die Verlängerung eingearbeitet worden. Doch als Scout wird Meyer dem Verein erhalten bleiben. Ohne den gebürtigen Brandenburger, der über Trainerstationen bei Carl-Zeiss Jena, Rot-Weiß Erfurt, dem Chemnitzer FC und Twente Enschede zum abstiegsgefährdeten Zweitligaverein Borussia gefunden hatte, wäre weder der Aufstieg 2001 noch jene Aufbruchstimmung möglich gewesen, in der nun ein modernes Stadion entstehe, auf das Borussia alle Hoffnungen setze, sagte Jordan. Und Sportdirektor Christian Hochstätter ergänzte, er habe in Meyer einen väterlichen Freund gefunden. Borussias Anhänger drückten ihre Wertschätzung schon lange aus, indem sie von den Rängen ihre höchstmögliche Auszeichnung verliehen: Sie riefen Hennes Meyer, weil ihr Verein ähnlich wie seinerzeit unter Meistertrainer Hennes Weisweiler aufzublühen schien. Dieses Miteinander beendete Meyer nun nach 1272 Tagen aus freien Stücken, so wie er selbst den Namen Lienen ins Gespräch um die Nachfolge gebracht hatte. Am Samstag sorgte er für einen reibungslosen Übergang, indem er Lienen zwei Stunden lang über Mannschaft und Abläufe der Trainingsarbeit ebenso informierte wie über Dinge, die in letzter Zeit abgelaufen sind, wie Lienen erzählte.“

Bernd Müllender (FTD 3.3.) wird Meyer vermissen. „Es war die harmonischste Stabübergabe der Ligageschichte. Im Laufe des Abends sah man Vorgänger und Nachfolger plaudernd und scherzend wie gute Kumpel. Die beiden passen zusammen. Vor Jahren hatte die „Welt“ nach einer gemeinsamen Pressekonferenz, Lienen war damals in Köln, getextet: „Lienen, in den 80er Jahren in der links-alternativen Szene aktiv, und der im Sozialismus aufgewachsene Meyer spielten einen verbalen Doppelpass, der stark an das US-Komiker-Duo Walter Matthau und Jack Lemmon erinnerte.“ Meyer wird der Liga fehlen. Sätze wie „Meistens verstehen die wichtigsten Leute im Klub nichts von Fußball“ hörte man nur von ihm. Oder Schocker wie „Von Hause aus bin ich Kommunist“, was 1999, zu Beginn seiner Tätigkeit im konservativen Mönchengladbach, schwer erschreckte. Meyers Pressekonferenzen waren immer kleine Charme-Mützel mit den Medien. Mal war der Trainer erfrischend zynisch, mal herzenswarm, mal alles zusammen oder kurz nacheinander. Meyers Masche: spaßige intelligente Unberechenbarkeit. Jetzt freuen sich alle auf den sperrigen Lienen. Für die Borussia hatte er als Spieler Herzblut gegeben und damals, im Bremer Weserstadion, aus seinem aufgeschlitzten Oberschenkel, sogar richtiges.“

Sven Astheimer (FR 3.3.) blickt zurück. „Leute, die ihn länger kennen, sagen, dass der Fußball-Trainer Hans Meyer nicht immer so gewesen ist. Dass er im Lauf der Zeit gelernt habe, sich hinter selbst errichteten hohen Mauern mit beißendem Zynismus gegen manch bittere Enttäuschung zur Wehr zu setzen, die das Fußball-Geschäft für ihn parat hatte. Im Osten galt Meyer als Meister seines Faches. Mit Carl Zeiss Jena holte er drei Mal den Pokal, stand 1981 im europäischen Pokal-Finale und gewann fünf Vizemeisterschaften hinter dem quasi planwirtschaftlich gesteuerten Abo-Sieger Dynamo Berlin. Eine einwandfreie Bilanz – die nach dem Mauerfall aber kaum noch jemanden interessierte. Fußball-Theorie, Abteilung Ost, war out. ein Einzelschicksal: Kollege Eduard Geyer beklagt, dass er sich mit Energie Cottbus seine Meriten ein zweites Mal verdienen musste. Der frühere DDR-Auswahltrainer Bernd Stange tingelt kreuz und quer durch die Weltgeschichte auf der Suche nach bezahlter Arbeit – last Exit: Bagdad. Ulrich Thomale, 1987 mit Lokomotive Leipzig im Europapokal-Finale, geht stempeln, Klaus Sammer wurde bei Dynamo Dresden mit wegsaniert und Dixie Dörner scheiterte bei Werder Bremen.“

Axel Kintzinger (FTD 3.3.) porträtiert den Bayern-Manager. „Der Hoeneß dieser Tage erinnert schon äußerlich zunehmend an einen aktuellen Kinostar, den wir ebenfalls aus unserer Kindheit kennen: Karlsson vom Dach. Fehlt nur der Propeller auf dem Rücken. Ansonsten stimmt alles, vor allem die Haltung. Den einen wie den anderen wirft so schnell nichts um, beide sind die Besten der Welt in der Disziplin, die Realität ihrem Weltbild anzupassen. Ertappt bei anrüchigen Geschäften mit Kirch, reagiert Hoeneß – wie die Figur aus Astrid Lindgrens Feder – erst pampig, dann selbstbewusst: Das stört keinen großen Geist. So was scheint Erfolg versprechend. Kein Mensch glaubt ernsthaft, dass den Bayern wegen der geheimen Kirch-Millionen irgendein Ungemach droht, und wie Karlsson seinen Lillebror, so hat auch Hoeneß ganz schnell Freunde in der Liga, die zu ihm stehen. Das Karlsson-Prinzip funktioniert – nicht nur in München und nicht nur beim Fußball. Sondern auch im Finanzsektor: Banken mit Einnahmeproblemen? Stört keinen großen Geist, da muss halt der Staat helfen, der sich doch sonst herauszuhalten habe. Oder in der Politik: Fehlende Mehrheit im Weltsicherheitsrat? Kein Problem, immerhin leiden westafrikanische Staaten bekanntermaßen unter großen Geldsorgen.“

Energie Cottbus – Bayern München 0:2

Katrin Weber-Klüver (FTD 3.3.) resümiert. „So weit sind sie also gekommen, die Männer des FC Bayern München mit ihrem einsamen Erfolg in der nationalen Konkurrenz. So weit, dass die Frage nach dem nächsten Deutschen Meister derart langweilt, dass sich die nach Abwechslung und Aufregung verlangende Aufmerksamkeit auf Nebenschauplätze verlagert. Bei zehn Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger ist weder ernsthaft darüber zu debattieren, ob Borussia Dortmund noch eine Chance auf die Titelverteidigung hat, noch kann sich das Fußballvolk allwöchentlich an spektakulär großartigem Spiel der Bayern vergnügen. So werden neben millionenschweren, dafür moralisch schwachen Geheimverträgen vor allem Petitessen und Privates aus der Welt der Münchner zum Gegenstand öffentlicher Betrachtung. Erst wurde vergangene Woche ein harmloses Interview von Michael Ballack zu Fragen der Bayern-Taktik und seiner persönlichen Rolle im Spielsystem zur Revolte gegen Trainer Ottmar Hitzfeld hochgejazzt, vereinsinterne Geldstrafe des umgehend reuigen Spielers („Es hätte nicht in die Zeitung müssen“) inklusive. Am Wochenende nun stießen Klatsch- und Boulevardblätter in die Lücke, um mitzuteilen, Oliver Kahn, 33 Jahre alt, verheiratet, nächstens Vater zweier Kinder, unterhalte eine Affäre.“

Zu den Reaktionen der Sieger heißt es bei Friedhard Teuffel (FAZ 3.3.). „Hinterher verteilten die Münchner noch Worte des Wohlwollens und der Gefälligkeit an die Cottbuser. Die Cottbuser haben uns sehr freundlich aufgenommen und eine starke Leistung geboten, sagte Manager Uli Hoeneß. Allein diese Worte sagten viel über das Spiel aus. So redet man, wenn man vor, während und nach dem Spiel gut behandelt wird. Zwei gute Chancen hatten die Cottbuser zum Torerfolg. In der ersten Halbzeit schoß Marko Topic übers Tor, in der zweiten traf Timo Rost nur den Pfosten. Mehr hatten die Cottbuser nicht beizutragen. Trainer Geyer listete nach dem Spiel seine offen gebliebenen Wünsche auf: daß seine Spieler aggressiver aufgetreten wären, mehr Zweikämpfe gewonnen und mehr für die Offensive getan hätten. So wie er über Fußball denkt und welche Maßstäbe er an ein gutes Spiel anlegt, hätte er sich außerdem wohl mehr Gelbe Karten für seine eigenen Spieler gewünscht. Denn eine Gelbe Karte ist für Geyer wie ein Abzeichen des Kampfes. Doch am Ende hatten die Bayern drei davon bekommen und die Cottbuser nur zwei. Da konnte etwas nicht stimmen. Die Münchner spielten mit der Disziplin, nach der sich der Cottbuser Trainer Geyer so sehnt.“

Andreas Burkert (SZ 3.3.) meint dazu. “Die Münchner leugneten hinterher, unter besonderer Beobachtung gestanden zu haben. Da haben sie natürlich ein wenig geflunkert. „Die Mannschaft hat doch mit der Kirch-Sache nichts zu tun“, sagte Hoeneß trotzdem und arbeitete gelassen die angesammelten Sündenpositionen ab – denn über das Spiel wollte kaum jemand mit ihm reden. „Das mit Michael Ballack ist doch harmlos gewesen, und die Sache mit Oliver Kahn ist seine Privatangelegenheit.“ Wohl nicht ganz, sonst hätte Hitzfeld nicht nach Konsultationen mit dem Keeper die Profis vor dem Abschlusstraining vom nahenden Enthüllungsorkan informiert, worauf sein Team übrigens „zusammengerückt“ sei und „auch für den Olli gespielt“ habe. Das mag in diesem delikaten Fall etwas makaber klingen, wie auch Jens Jeremies´ Hinweis, Kahn habe „schon ganz andere Drucksituationen durchgestanden.“ Dennoch demonstrierten die Münchner beim FC Energie eindrucksvoll, dass die Aufregungen am Rande die sportliche Potenz nicht in Gefahr bringen können. In Cottbus profitierten sie anfangs vom unvermindert hohen Respekt vor dem Klubenblem.“

Karsten Doneck André Görke (Tsp 3.3.). „Auf keinen Fall sollte sich der FC Energie durch die verbalen Nebelkerzen den Blick trüben lassen, mit denen Bayerns Manager Uli Hoeneß nach Spielschluss gegenüber den Cottbusern um sich warf. Hoeneß streichelte den Gegner förmlich mit Komplimenten, scherte sich dabei auch nicht darum, dass die, die das Spiel gesehen hatten, möglicherweise seinen Fußball-Sachverstand anzweifeln könnten. „Man hatte nie das Gefühl, dass hier der Meisterschaftsanwärter gegen einen potenziellen Absteiger spielt“, sagte Hoeneß und sprach von „zwei fast gleichwertigen Mannschaften“. Hoeneß suchte auf diese Weise offenbar die Versöhnung mit dem Cottbuser Publikum, das ihm schon mal recht feindselig begegnet war – damals, kurz nachdem der Bayern-Manager in der Koks-Affäre um Christoph Daum dezidiert Stellung bezogen hatte. Ob Uli Hoeneß spürt, dass er im nächsten Jahr mit dem FC Bayern wieder in die Lausitz muss – zum Bundesligaspiel beim FC Energie?“

Friedhard Teuffel (FAZ 3.3.) über den Spieler des Tages. „Das einzig Blöde für Michael Ballack ist, daß ihm jetzt tausend Euro fehlen. Am Anfang der vergangenen Woche hatte er nämlich eine Geldstrafe zahlen müssen, weil er sich öffentlich über seine Rolle beim FC Bayern München beschwert hatte. Wenn man einen torgefährlichen Spieler wie ihn hole, dann müsse man ihn auch so einsetzen, hatte der 26 Jahre alte Nationalspieler gefordert. Die Strafe liege knapp unter zehntausend Euro, sagte Manager Uli Hoeneß. So viel hat Ballack am Samstag fast wieder eingespielt, aber eben nur fast. Er erzielte beide Tore beim 2:0 seiner Mannschaft gegen den FC Energie Cottbus. Hoeneß sagte, die Siegprämie reiche nicht ganz aus. Macht dann wohl eine Wochenbilanz von minus tausend Euro. Für soviel Geld hätte Ballack einige Semester an der Fernuniversität Hagen studieren können. Aber im Grunde hätte ihm schon eine Privatstunde in Neuerer Geschichte des FC Bayern München genügt. Trainer Ottmar Hitzfeld hätte sie ihm sogar kostenfrei erteilt.“

Interview mit Eduard Geyer (Energie Cottbus) taz

Porträt André Lenz (Energie Cottbus) SZ

Borussia Dortmund – Hansa Rostock 2:0

Richard Leipold (FAZ 3.3.) berichtet. „Am Ende wurde es familiär im Westfalenstadion. Fünf Minuten vor Schluß wechselte der Dortmunder Trainer Matthias Sammer noch einmal aus. Als Abwehrspieler Dede unter großem Applaus an der Seitenlinie ankam, umarmte er den Kollegen, der seinen Platz einnehmen durfte, besonders herzlich. Es war sein Bruder Leandro. Drei Tage zuvor, beim Gala-Abend gegen Real Madrid, war Sammer vor diesem Wechsel noch zurückgeschreckt – zu riskant. Der Fußballehrer wollte dem unerfahrenen Leandro die Last der Verantwortung ersparen und sah, mangels anderer Abwehrkräfte, den Stürmerstar Amoroso als letzte Lösung. Mit dem Ergebnis, daß ein Ballverlust von Amoroso in der Nachspielzeit den Ausgleich der Spanier einleitete. Im real existierenden Bundesliga-Alltag wagte Sammer den Wechsel unter Brüdern – nicht nur deren Vater zuliebe, der sich unter die 65.000 Zuschauer gemischt hatte (…) Der Alltag hat eben auch seinen Charme, vor allem wenn das Vorprogramm für die Fans so attraktiv ist wie vor dieser Partie. Die Besucher der Südtribüne waren diesmal nicht nur als Borussenchöre gefragt. Der Regisseur Sönke Wortmann vertonte mit den Dortmunder Anhängern die Fangesänge für den Fußballfilm Das Wunder von Bern. So bejubelten sie insgesamt fünf Tore – drei aus dem Jahre 1954 und zwei aus dem Jahr 2003.“

Bayer Leverkusen – Werder Bremen 3:0

Zum Leverkusener Aufschwung bemerkt Roland Zorn (FAZ 3.3.). „Von Leverkusen lernen heißt siegen lernen. Wie bitte? In einem Jahr, da aus dem umschwärmten Meisterschaftszweiten ein bedauerter Abstiegskandidat geworden ist? Thomas Schaaf war am Karnevalssamstag nicht zu Witzen aufgelegt, als er das Bayer-Tagewerk vorbildlich nannte: Wie die sich am eigenen Schopf da rausgezogen haben, davon können wir uns eine Scheibe abschneiden. Der Trainer des SV Werder Bremen, dessen Team in der Hinrunde landauf, landab ob vieler Siege in Serie gefeiert worden war, hat es im Augenblick nur noch mit einer konfusen, uninspirierten, nahezu desinteressiert anmutenden Mannschaft zu tun (…) Während die Bremer Spieler nach Spielschluß wegen eines von oben verhängten Interviewverbots nichtssagend wie vorher auf dem Platz blieben, feierten die Rheinländer ihren ersten Heimsieg seit dem 19. Oktober 2002 so stocknüchtern wie man sich eine kleine Geburtstagsfeier im Katasteramt vorstellt. Für die neue Zeit ohne Pathos steht bei Bayer Thomas Hörster, der Nachfolger des Trainer-Romantikers Klaus Toppmöller. Ein Mann wie aus den Tagen des Schwarzweißfernsehens: ohne Showallüren, auf das Wesentliche fixiert und nicht darauf erpicht, seine Auftritte mit rhetorischen Schleifchen und emotionalem Beiwerk mediengerecht zu veredeln. Immerhin scheinen die unter Toppmöller im Auf und Ab der Gefühle verunsicherten Spieler gerade noch rechtzeitig begriffen zu haben, daß auch für sie zuerst die Grundwerte ihres Mannschaftssports gelten: füreinander da zu sein und miteinander zu kämpfen. So wie am Samstag wird das was mit dem Klassenverbleib, denn da spielte Leverkusen zunächst einfach und danach, von kurzfristigen Sorgen nach Schneiders ausgelassener Elfmeterchance befreit, einfach schön.“

Zu den Querelen innerhalb der Bremer Mannschaft lesen wir von Frank Heike (FAZ 1.3.). „Plötzlich ist Johan Micoud das Problem. Plötzlich steht der Franzose für den Fall von Werder Bremen nach der Winterpause – fünf Bundesligaspiele, nur ein Sieg. Plötzlich sind alle zauberhaften Auftritte des Regisseurs in der Vorrunde vergessen. Eine halbe Stunde mühen sich Trainer Thomas Schaaf und Sportdirektor Klaus Allofs am Donnerstag mittag im Presseraum der Bremer, das Thema Johan Micoud kleinzureden. Es gelingt ihnen nicht. Frage um Frage prasselt auf die Verantwortlichen ein, sie scheinen immer kleiner zu werden auf dem Podium (…) Micoud, dem die Bremer Fans und Verantwortlichen im Spätsommer den roten Teppich des Respekts ausgerollt haben, wirkt beleidigt wegen öffentlicher Kritik. In der vergangenen Woche hat er einen Reporter der Bild geohrfeigt – ein Fauxpas, der durch die Bremer Zeitungen wanderte und vor allem dem höflichen Allofs mehr als peinlich ist. Und nun, als wäre das egoistische Fehlverhalten des Monsieur Micoud infolge der eigenen Unzufriedenheit nicht deutlich genug, gibt der Franzose auch noch ein langes Interview, in dem er Thomas Schaaf angreift. Technik und Taktik würden zuwenig trainiert, die Kommunikation müsse verbessert werden. Doch in diesem Falle wäre es besser gewesen, wenn der neue Bremer Star den Mund gehalten hätte. Schließlich ist bekannt, daß Schaaf häufig Trainingseinheiten mehrfach unterbricht, um taktische Anweisungen zu geben. Und Micoud, man erinnert sich, sprach noch im September, als er nach Bremen kam, voller Häme über seinen alten Trainer in Parma. Dort hätte es zweistündige Taktik-Besprechungen gegeben – horrible! Jetzt plötzlich der Schwenk in die andere Richtung (…) Noch ist längst nicht alles schiefgelaufen beim Tabellenfünften. Aber die Bremer spüren, daß sie wieder einmal nach einer Winterpause in eine selbstverschuldete Abwärtsspirale geraten sind, die die Zukunftsplanung unendlich schwierig macht. Schon muß sich Allofs fragen lassen, wer denn diesmal verkauft werde, zumal dann, wenn der internationale Wettbewerb nicht erreicht werde.“

1860 München – 1. FC Kaiserslautern 0:0

Joachim Mölter (FAZ 3.3.) sah ein schlechtes Spiel. „Es war schon in der Nachspielzeit, als der Kaiserslauterer Kapitän Aleksander Knavs den Ball aus dem eigenen Strafraum dreschen wollte und dabei den heranstürmenden Münchner Martin Max am Kopf traf – von wo aus der Ball dann knapp am Tor vorbeiflog. So ist den 23 000 Zuschauern nicht einmal das Vergnügen eines Slapstick-Treffers vergönnt gewesen an diesem Samstag im Münchner Olympiastadion, wo so gut wie nichts klappte in der Bundesligapartie zwischen dem TSV München 1860 und dem Tabellenletzten 1. FC Kaiserslautern. Die heimschwachen Münchner hatten sich vorgenommen, ihre verärgerten Fans zu versöhnen, spielten beim 0:0 aber so, als ob sie die verbliebenen auch noch vergraulen wollten. Die auswärts in dieser Saison sieglosen Kaiserslauterer waren gekommen, um verlorenen Boden gutzumachen auf einen Nichtabstiegsrang, traten aber auf, als kämpften sie schon gegen den Abstieg aus der zweiten Liga. Und hinterher glaubten beide Trainer auch noch, ihre Mannschaft hätte den Sieg verdient gehabt. Der Ball sauste nämlich über das Feld wie ein wild gewordener Hase, sprang erst in eine Richtung, dann in eine andere und hoppelte dann wieder dahin zurück, von wo er hergehüpft kam. Es schien, als wäre er auf der Flucht vor den 22 Männern, die ihm rudelweise hinterherhetzten und reichlich ungenau nach ihm traten. Als Antifußball bezeichnete der FCK-Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi die neunzigminütige Quälerei, und er fand niemanden, der ihm widersprochen hätte.“

1. FC Nürnberg – VfL Wolfsburg 0:0

Hans Böller (FAZ 3.3.) kommentiert das Abstiegsduell. „In schlechten Zeiten muß auch über das Preis-Leistungs-Verhältnis beim Fußball schon mal laut nachgedacht werden. Und so hatte Wolfgang Wolf, zum Saisonende scheidender und nicht mehr unumstrittener Trainer des VfL Wolfsburg, gerade die Verspieltheit seiner Mannschaft beim Torschuß gerügt, als sein Nürnberger Kollege Klaus Augenthaler den besonders getadelten Hünen Diego Klimowicz in Schutz nahm. Wer sieben Millionen Dollar kostet, sagte der leiderprobte Augenthaler, darf es schon mal mit einem Lupfer versuchen. Daß aus Lässigkeit, Schusselei und Unvermögen resultierende Versäumnisse auch viel billiger zu haben sind, hatte Augenthalers Elf wieder einmal vorgeführt, und so blieben die Ansichten über die Punkteteilung beim 1:1 beider Mannschaften im Frankenstadion auch eine Frage des Anspruchs. Beim einst ambitionierten VfL Wolfsburg ist es damit zuletzt – parallel zur sportlichen Talfahrt – abwärtsgegangen, in Nürnberg kann das Ziel wie gehabt nur der Klassenverbleib sein, mag die Mannschaft mit einigen ansehnlichen Auftritten vor der Winterpause auch den Wunsch nach mehr geweckt haben. Inzwischen aber ist der Club Tabellenfünfzehnter und damit genau an der Schnittstelle zwischen erster und zweiter Liga. Die Grenzen des sportlichen Wachstums bekamen die Franken am Samstag mal wieder aufgezeigt. Und das gegen einen auswärts notorisch schwachen Gegner.“

Zur Situation in Wolfsburg FR

VfL Bochum – Hannover 96 1:2

Richard Leipold (FAZ 3.3.). “In der Halbzeit waren die Fußballspieler des VfL Bochum kaum in den Katakomben verschwunden, da kehrten sie schon wieder zurück. Trainer Peter Neururer schickte sein Personal nach fünf Minuten wieder auf den Rasen. Der Übungsleiter verlegte die Pausenansprache nicht des schönen Wetters wegen ins Freie. Neururer setzte die Spieler, die zuvor versagt hatten, bewußt den Blicken der 20.000 Fans aus, deren Unmut im Laufe der aus Bochumer Sicht mißratenen ersten Halbzeit nicht mehr zu überhören gewesen war. Von dieser ungewöhnlichen Maßnahme versprach er sich eine doppelte Wirkung. Neururer wollte die Stimmung der Fans kippen und zugleich die bis dahin lethargische Mannschaft wachrütteln (…) Vor dem Anpfiff hatten die Bochumer eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgestellt. Sie wähnten sich zu Höherem berufen, und Neururer, der sonst nur vom UI-Cup spricht, ließ sich dazu verleiten, einen Uefa-Pokal-Platz als neues Saisonziel zu definieren – unter dem Vorbehalt eines Sieges über Hannover. Weil daraus nichts wurde, brauchen die Bochumer sich mit derart komplizierten Gedanken nicht weiter zu befassen. Wir haben die Riesenchance verpaßt, uns nach oben zu schießen und in den nächsten Wochen mit Spaß Fußball zu spielen, sagte Mannschaftskapitän Dariusz Wosz. Die Botschaft des Samstags war eindeutig: Auch mathematisch weniger bewanderten Zeitgenossen wie Neururer ist klargeworden, daß die Bochumer sich wieder auf das kleine Einmaleins der Bundesliga konzentrieren müssen. Sieben Punkte beträgt ihr Vorsprung auf den Tabellensechzehnten. Insofern sieht Neururer seine Mannschaft nicht unmittelbar in Abstiegsgefahr. Aber auch hier könnte der Schein trügen. Den Ausfall überdurchschnittlicher Kräfte wie Freier, Oliseh, Kalla und Schindzielorz vermag die Mannschaft offenkundig nicht zu kompensieren.“

Hamburger SV – Hertha Berlin 1:0

Spielbericht Tsp

VfB Stuttgart – Celtic Glasgow 3:2

Thomas Klemm (FAZ 1.3.). „Im Achtelfinale des Uefa-Pokals ausgeschieden – na und? Mögliche Einkünfte von drei Millionen Euro verspielt – was soll’s. Es bedurfte am Donnerstag abend im Gottlieb-Daimler-Stadion nicht des hymnischen Abgesangs der 5.500 schottischen Fans, die den VfB Stuttgart mit dem trostspendenden Liedchen You‘ll never walk alone von der internationalen Fußballbühne verabschiedeten. Die Schwaben waren selbst rundum mit sich im reinen, nachdem sie sich aus schier aussichtsloser Lage ein gutes Stück befreit und im packenden Achtelfinal-Rückspiel gegen Celtic Glasgow einen 0:2-Rückstand in einen 3:2-Erfolg umgewandelt hatten. Spiel gewonnen, den Wettstreit ums Weiterkommen verloren – Krassimir Balakow sah sich und seine Mitspieler als moralische Sieger, weil wir bis zur letzten Sekunde gekämpft haben. So kann es, so wird es weitergehen, meinte Felix Magath, der sich wie alle Stuttgarter weiter wie im Ländle des Lächelns fühlt. Das Auftreten seines Teams habe Hunger auf mehr gemacht, sagte der VfB-Trainer. Wir werden alles dransetzen, auch im nächsten Jahr international zu spielen. Tabellenplatz drei in der Bundesliga bietet beste Aussichten, das offizielle Ziel – die direkte Qualifikation für den Uefa-Cup – zu erreichen. Diese Europapokalsaison ist abgehakt, die nächste fest im Visier (…) Zuvor hatte sich aber gezeigt, daß die große Stärke der Mannschaft noch ihr größtes Handicap ist. Der jugendliche Elan, mit dem die unbekümmert auftretenden Schwaben in der Liga für Aufsehen sorgen und im Europapokal begeisterten, brachte sie früh in jene mißliche Lage, aus der sie sich nur halbwegs befreien konnten. Schon nach einer Viertelstunde offenbarte sich, daß der VfB ohne seine Stammbesetzung in der Defensive nur bedingt abwehrbereit ist. Alan Thompson und Chris Sutton nutzten mangelnde Cleverneß und Stellungsfehler in der Stuttgarter Hintermannschaft, in der sich das Fehlen der gesperrten Stammkräfte Marcelo Bordon, Fernando Meira und Silvio Meißner nachhaltig bemerkbar machte. Der VfB sei eben keine europäische Spitzenmannschaft mit einem großen, guten Kader, erklärte Magath das Manko.“

Richard Leipold (FAZ 1.3.) berichtet. „Frank Rost, der Torwart des FC Schalke 04, hat auf eigentümliche Weise den Konkurrenzkampf mit seinem Dortmunder Kollegen Jens Lehmann aufgenommen, der im Revierderby seinen Mitspieler Marcio Amoroso beschimpft hatte. Nach dem Spiel tat Rost es dem Dortmunder gleich, allerdings nicht am Arbeitsplatz, sondern in einem vornehmen italienischen Restaurant, wo die Schalker Fußballprofis sich – ohne Cheftrainer Frank Neubarth – getroffen hatten, um das Betriebsklima zu fördern. Wie Zeugen berichten, beschimpfte der Torhüter seinen umstrittenen Mitspieler Jörg Böhme. Du mit deinem Scheiß-Egoismus auf dem Platz. Anschließend sollen sogar Stühle und Gläser geflogen sein. Die Musikkapelle habe ihre Ausrüstung in Sicherheit gebracht und sei in Deckung gegangen, bis Manager Rudi Assauer und Sportdirektor Andreas Müller den Streit geschlichtet hätten. Am Tag danach schienen sich die Wogen zu glätten. Rost entschuldigte sich bei Böhme, und alle glaubten, in Frieden den Rest des Wochenendes genießen zu können. Nach Frank Rosts Versprechen, sich mit Böhme zu arrangieren, dachten alle, die Veranstaltung sei zu Ende, sagte ein Schalker Spieler. Das Ding hat uns völlig umgehauen, auch den Trainer. Nach der Versöhnung mit Böhme folgte das Ding, der Hauptakt des königsblauen Boulevardtheaters. Der Torhüter ging vor versammelter Mannschaft auf Trainer Neubarth los. Seitdem du hier bist, macht mir Fußball keinen Spaß mehr. Du sprichst nicht mit mir, rufst mich nicht und bindest mich nicht ein, soll er geschrien haben. Neubarth hat den für ihn überraschenden und grundlosen Vorfall bestätigt, will ihn aber nicht kommentieren. Wir haben die Sache intern besprochen und aufgearbeitet. Aber was in der Kabine besprochen wird, ist tabu. Ich werde keine weitere Stellung dazu nehmen. Jede öffentliche Diskussion würde Neubarths Autorität vermutlich noch weiter untergraben. Neben den offen ausgetragenen Konflikten sehen Trainer und Manager mit Sorge, daß es Spieler gibt, die solche Interna nach außen tragen. Auf dem Boulevard hat sich ein Profi zu den Ereignissen um Neubarth, Rost und Böhme als Zeuge vernehmen lassen. Assauer glaubt zu wissen, wer der Informant ist.“

dazu auch SZ

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

117 queries. 0,520 seconds.