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Reformstau im deutschen Fußball, Holger Fach im Interview

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Reformstau im deutschen Fußball, Holger Fach im Interview

Sonntags-Spiele in Mönchengladbach und Wolfsburg – Dortmund ist auswärts berechenbar erfolglos – Kritik an Matthias Sammer (Handelsblatt) – Holger Fach hat rasch Fuß gefasst in der Profi-Branche, sehr lesenswertes FAS-Interview – Sladan Asanin, unterschätzter Abwehrspieler Gladbachs (SZ) – Stefan Schnoor, Wolfsburgs überdurchschnittlich wertvoller Durchschnitt-Profi (FAS) – Spiegel beklagt „Reformstau“ – taz resümiert kritisch die Hinrunde – Klaus Allofs bekommt inzwischen sehr viel Lob für seine Arbeit als Sportdirektor Werder Bremens – „Beim FC Bayern dominiert plötzlich das Menschliche, die Verletzlichkeit, die Schwäche“ (SpOn) – die unterschiedlichen Werte der Marken Bayern München und VfB Stuttgart – Klaus Toppmöller beflügelt den HSV (FR) – Martin Max, ewig jung u.a.

Borussia Mönchengladbach – Borussia Dortmund 2:1

„Borussia Dortmund ist auswärts eine feste Größe – für den Gegner“, spottet Richard Leipold (FAZ 16.12.): „Zwei Jahrzehnte lang sind sie außerhalb ihrer Trutzburg Westfalenstadion nicht so harmlos aufgetreten. Wenn die Dortmunder zu Bundesligaspielen anreisen, besitzt die Heimmannschaft eine gewisse Planungssicherheit, ob sie Erster oder Letzter ist im Klassement der Liga. Nur einmal, beim 1:0 in Frankfurt, durchbrachen die Borussen den Trend, aber sie vermochten ihn seither nicht umzukehren, auch nicht im letzten Versuch im Bökelberg-Stadion, das bald abgerissen wird. Dem Abriß geweiht ist auch das Wolkenkuckucksheim des BVB. Das Fundament trägt die hohen Ansprüche nicht mehr. Dortmund verliert den Anschluß an die Spitzenmannschaften. Die Geschäftsführung weigert sich noch, eine Gewinnwarnung für das Kerngeschäft Fußball auszusprechen, doch Cheftrainer Matthias Sammer blickt den abgründigen Tatsachen ins Auge. Noch sind wir nicht im Abstiegskampf, aber diese Es-wird-schon-wieder-Mentalität sei gefährlich.“

Sammer scheint seine eigene Defensivhaltung auf die Mannschaft zu projizieren

Mathias Rechenmacher (Handelsblatt 16.12.) beurteilt die Lage des Dortmunder Trainers: „Sammer gilt in Dortmund immer noch als gesetzt. Doch der kontinuierliche Abwärtstrend der vergangenen Wochen und Monate hinterlässt auch bei ihm Spuren. Sammer führte nach dem 1:2 allerlei Gründe an für den Niedergang: Schiedsrichter Steinborn habe den Gladbachern unmittelbar vor Asanins Siegtor einen Freistoß geschenkt, Kehl habe den Flankengeber Korzynietz vor der ersten Gladbacher Führung nicht energisch genug angegriffen, ein Klassespieler wie Rosicky müsse in prekärer Situation ‚auch mal das 2:1 machen‘ und so weiter und so weiter. All diese Punkte mögen zutreffen, aber Sammer beschränkt sich von Spiel zu Spiel darauf, die konkreten Gründe für das Scheitern aufzuzählen, auf eine grundsätzliche Diskussion lässt er sich nicht ein, offenbar aus Furcht, die wenigen gesunden Spieler, die ihm noch bleiben, zu vergrätzen, oder die Jungen, auf die er wegen einer langen Verletzungsserie angewiesen ist. So fest die Verantwortlichen, allen voran Präsident Gerd Niebaum, zu ihm stehen mögen: Fünf Bundesligaspieltage nacheinander ohne Sieg und das Scheitern im Europa- wie im nationalen Pokal verleiten den zu schrulligen Verhaltensweisen neigenden Sammer zu absonderlichen Erklärungen. Gegen die Beschlusslage, das Verletzungspech nicht länger zu thematisieren, wies er in Mönchengladbach auf das Fehlen angeblich unersetzlicher Profis hin. ‚Uns haben wieder neun Schlüsselspieler in der Defensive gefehlt.‘ Neun Defensivkräfte von herausragender Bedeutung, kann das wirklich sein? Sammer scheint seine eigene Defensivhaltung auf die Mannschaft zu projizieren.“

Ich will immer agieren

Sehr lesenswert! FAS-Interview mit Holger Fach

FAS: Für einen Neuling wirken Sie als Bundesligatrainer sehr selbstbewußt. Haben Sie das geübt?

HF: Ich finde, das Auftreten eines Trainers kann man nicht lernen, auf keiner Trainerschule und in keinem Rhetorikkurs. Entweder man hat es, oder man hat es nicht. Ich stand immer unter Beobachtung. In den letzten sieben, acht Jahren habe ich immer nebenbei Amateurmannschaften trainiert. Ich will Ihnen mal was sagen: In der Landesliga Trainer zu sein ist manchmal schwieriger als in der Bundesliga.

FAS: Warum?

HF: Ganz einfach. In der Bundesliga nimmt mir jeder alles ab. Wenn ich ein Spiel beobachtet haben möchte, brauche ich nur jemandem zu sagen: Fahre bitte morgen dahin. In der Landesliga muß ich alles selber machen. Vor dem Training gehen die Spieler acht oder zehn Stunden arbeiten, die muß ich bei Laune halten. Nach Feierabend in ihrer Freizeit kann ich sie nicht in den Hintern treten und verärgern, sonst kommen die nicht wieder. In der Bundesliga weiß ich genau: Die kommen immer wieder.

FAS: Aber im Profifußball sind Spieler und Trainer starkem Druck ausgesetzt.

HF: Statt über Druck zu jammern, sollten manche Leute lieber mal den Verstand einschalten und sich klarmachen, wie gut es ihnen in diesem Geschäft geht. Selbst ein junger Spieler ist heutzutage nach zwei guten Verträgen finanziell unabhängig.

FAS: Sie haben sieben Spieltage auf den ersten Sieg in der Liga warten müssen. Warum hat es so lange gedauert?

HF: Den Schalter umlegen und so weiter, das ist alles nur für die Medien. Manches kann man gar nicht groß verbessern, weil jeder Mensch, jede Mannschaft an Grenzen stößt. Ich behaupte nicht, daß ich alles besser mache. Aber ich habe eine bestimmte Art, wie ich Fußball gespielt haben möchte.

FAS: Wie würden Sie diesen Fußball beschreiben?

HF: Ich will immer agieren. Auch wenn ich den Ball nicht habe. Ich lege Wert darauf, daß die Spieler zur Arbeit gehen und denken, es ergibt einen Sinn, was wir machen. Dann haben sie eine gewisse Eigenmotivation. Ich werde nie jemand sein, der auf Motivationskünstler macht, ich finde so etwas grausam.

FAS: Was stört Sie an sogenannten Motivationskünstlern?

HF: Geldscheine an die Kabinentür zu hängen oder über Glasscherben zu laufen: Mir ist so etwas zu platt. Das entspricht dem Klischee des doofen Fußballspielers. Solche Dinge auszuprobieren ist ballaballa.

Christoph Biermann (SZ 16.12.) achtet einen Unterschätzten: „Seltsam sieht es aus, wenn Sladan Asanin seiner Arbeit nachgeht. Wie viele groß gewachsene Menschen, neigt auch der Verteidiger von Borussia Mönchengladbach zu einer leicht schiefen Körperhaltung. Die Schultern leicht vorgebeugt läuft er mit großen Schritten über den Platz und wirkt dabei wie ein Schlurfsprinter. Weil Asanin während des Spiels kaum einmal gestikuliert, hat man mitunter den Eindruck, dass er sich für das Geschehen nicht so richtig interessiert. Beim Publikum am Bökelberg jedenfalls ist der ‚Ascho‘ genannte Kroate bestenfalls mäßig beliebt. Holger Fach findet das ungerecht und die Wahrnehmung vieler Fans falsch. ‚Dem ist in dieser Saison noch keiner weggelaufen‘, sagt der Trainer von Borussia Mönchengladbach. Auch den Eindruck von zu großer Lässigkeit hält er für eine optische Täuschung. ‚Als technisch guter und körperlich großer Spieler sieht er immer etwas leichtsinniger aus, als er ist‘, sagt Fach. Für Fach ist Asanin aber vor allem ein Verteidiger, der seinem Spielentwurf entspricht. ‚Er kann Fußball spielen‘, sagt Fach, ‚und man sollte den Ball nicht immer nur nach vorne treten, auch wenn sie dann auf der Tribüne nicht mehr raunen, denn so werden wir keinen vernünftigen Spielaufbau haben.‘ Nach einigen Anlaufschwierigkeiten erkennt man inzwischen, dass die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach die Vorstellungen ihres Trainers von agierendem Fußball umzusetzen versteht. Und beim 2:1 sorgte der ungeliebte Asanin für den entscheidenden Treffer.“

VfL Wolfsburg – Hannover 96 2:1

Die Gelassenheit eines mittelmäßig Begabten

Frank Heike (FAS 14.12.) porträtiert Stefan Schnoor, VfL Wolfsburg: „Wenn die Journalisten sich nach Spielen des VfL Wolfsburg vor dem Kabinengang entlang eines Trassierbandes aufstellen und auf die Profis warten, warten sie auf einen besonders. Nicht auf Pablo Thiam, der sagt viel, inhaltlich wenig. Eher schon auf Maik Franz, aber der ist zu jung, um wirklich Gewichtiges zu sagen. Die Argentinier Andres D‘Alessandro und Diego Klimowicz sprechen kein oder kaum deutsch. Sie dürfen vorbeigehen. Man wartet dort also vor allem auf Stefan Schnoor. Schnoor ist nach fast jedem Spiel (egal, welchen Ausgangs) leicht mürrisch, er stellt Gegenfragen, er ist sehr selbstbewußt, er wird auch mal laut: Stefan Schnoor ist in dieser Hinsicht der Oliver Kahn des VfL Wolfsburg. Er faßt sich beim Reden auch genausooft an die Nase. An die eigene Nase packen. Das könnte auch eine seiner Lieblingsbotschaften sein: Schnoor vertraut eigentlich vor allem der eigenen Leistung. Und davon gibt er immer 100 Prozent – auch, weil ihm dann hinterher niemand etwas vorwerfen kann. Seine Rolle im Ensemble der Niedersachsen ist in jedem Jahr eine andere gewesen. Im November 2000 von Derby County geholt, sollte Schnoor zunächst die Abwehr stabilisieren. Daß er das kann, hatte er ja auch vor dem englischen Intermezzo beim Hamburger SV gezeigt. Es lief ganz gut unter Wolfgang Wolf, Schnoor war ein zuverlässiger Profi in einer mittelmäßigen Mannschaft. Als Effenberg kam, hatte Schnoor einen Spezi gefunden und stieg in der Hierarchie auf. Als Effenberg ging und auch Wolf verschwand, fehlten Schnoor plötzlich zwei Fürsprecher, und der neue Trainer Jürgen Röber sagte: Er muß sich steigern, um beim VfL eine Zukunft zu haben. Das Aus für Schnoor?Schnoor steigerte sich. Vom Auslaufmodell zum Schlüsselspieler und wieder zurück, das alles in einem Jahr: Damit konfrontiert, würde Schnoor höchstens die Schultern zucken. Das ist keine Gleichgültigkeit. Es ist die Gelassenheit eines mittelmäßig Begabten, der sich wieder einmal durchgesetzt hat.“

Weiteres

Seit Jahren schmort der deutsche Fußball im eigenen Saft

Alfred Weinzierl Michael Wulzinger (Spiegel 15.12.) beklagen „Reformstau in der Bundesliga“: „Der FC Bayern ist das Maß aller Dinge, und wer das nicht erkennt, der ist ein Neider oder Ignorant. So sieht Uli Hoeneß, seit fast 25 Jahren Manager des Deutschen Rekordmeisters, die Welt. Wenn einer die Einzigartigkeit der Münchner in Zweifel zieht, dann kriegt er es mit der selbst ernannten Abteilung Attacke des Clubs zu tun – wie vorige Woche Fernsehreporter Marcel Reif, dem Hoeneß einen unerträglichen 90-minütigen Totalverriss beim Spiel in Glasgow vorwarf. Wir werden uns überlegen, ob wir jetzt mal Premiere boykottieren, wütete der Fußballmacher. Nur zur Erinnerung: Der Pay-TV-Sender zahlt der europäischen Eliteliga in diesem Jahr rund 25 Millionen Euro, und der FC Bayern gewann dort von den letzten zwölf Spielen zwei. Der Journalist Reif, dessen Kommentierung neutrale Zuschauer als moderat einstuften, mochte auf die Drohung nicht mehr reagieren: Das ist ein immer wiederkehrendes Ritual. Es zeigt nahezu prototypisch, wie es deutsche Fußballfunktionäre mit Kritik, Selbstkritik und Selbsteinschätzung halten. Statt offen die Defizite anzusprechen, färben sie schön, bagatellisieren und beschwichtigen. Es gebe Verantwortliche, sagt Reif, die immer noch behaupten, die Bundesliga sei die stärkste Liga der Welt – dabei ist das schon lange falsch. Die Hinrunde dieser Saison, die diese Woche ihren letzten Spieltag vor der Winterpause hat, war reich an Indizien für die Rückständigkeit des deutschen Kickerbetriebs. Sämtliche fünf Uefa-Pokal-Teilnehmer waren nach zwei Runden draußen – ihre Gegner aus Polen, der Ukraine, Tschechien und Dänemark sowie ein französischer Provinzclub stellten unüberwindbare Hürden dar. Die deutsche Nationalelf blamierte sich mit einem 0:0 auf Island und wurde von Frankreich beim 0:3 vorgeführt. Ihre letzten acht Spiele gegen bedeutende Fußballnationen hat die DFB-Auswahl verloren – bei 3:19 Toren. Dass die Fans den Bundesligisten dennoch die Stadien einrennen, zählt selbst mancher Vereinstrainer zu den unerklärbaren Phänomenen dieses Sports. Die Qualität und die Attraktivität der Spiele ist schwächer als vor 10, 20 Jahren, urteilt Ex-Nationalspieler Holger Fach, 41, in branchenuntypischer Klarheit. Sein Eindruck: Das Niveau der Akteure ist eindeutig gesunken. Viele wissen das, nur wenige wollen es wahrhaben (…) Seit Jahren schmort der deutsche Fußball im eigenen Saft. Kein einziger deutscher Trainer arbeitet bei einem bedeutenden internationalen Club, höchst selten heuern renommierte ausländische Trainer in der Bundesliga an. Das Karussell der Fußball-Lehrer dreht sich seit Jahren mit den immer gleichen Namen, beklagt Thomas Berthold, weshalb auch die Qualität der Trainer schlechter geworden ist. Es riecht nach Zweitklassigkeit. Wahr ist auch, dass die unlängst im Uefa-Pokal gestrandeten Vereine Dortmund, Schalke, Berlin, Kaiserslautern und Hamburg seit dem Bosman-Urteil von 1995 Hunderte Millionen Euro in vermeintliche Spitzenkräfte aus allen Kontinenten investiert haben, die sich sehr schnell als biedere Handwerker entpuppten. In keiner anderen europäischen Liga, konstatiert der Spielerberater und Rechtsanwalt Michael Becker, ist der Anteil unterdurchschnittlich kickender, aber überdurchschnittlich entlohnter Ausländer so hoch wie in Deutschland. Mancher Club-Boss griff in die Kasse, als betriebe er eine Notenpresse. Borussia Dortmund zahlte allein für den kapriziösen Brasilianer Marcio Amoroso 25 Millionen Euro Ablöse an den AC Parma. Das sorgt in Italien noch immer für Heiterkeit, spottet ein BVB-Insider.“

Das Niveau der höchsten deutschen Fußballklasse ist schlecht

Matti Lieske (taz 16.12.) fasst die Hinrunde zusammen: „Was war das doch für eine merkwürdige Hinrunde? Drunter und drüber ging es in der Tabelle. Was einmal oben war, ist nun unten, und erst recht umgekehrt. Die ältesten Wahrheiten sind außer Kraft gesetzt, und hätte sich nicht wenigstens Bayern München gerade noch rechtzeitig auf den Pfad des unverschämten Glücks zurückbegeben, man verstünde die Fußballwelt überhaupt nicht mehr. Wie kann es zum Beispiel sein, dass der beste Fußballer der Liga ausgerechnet in Wolfsburg spielt? Wie ist es möglich, dass die spielentscheidende Fehlentscheidung eines Schiedsrichters dem Underdog Borussia Mönchengladbach zum Sieg verhilft und nicht dessem Gegner Borussia Dortmund, der jahrelang von solchen Dingen zehrte? Wie ist es zu erklären, dass der VfL Bochum munter an den Champions-League-Plätzen schnuppert, während ein zuverlässiger Eroberer von Uefa-Cup-Plätzen wie Hertha BSC ins Nichts durchsackt? Gäbe es nicht den 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt, man wüsste gar nicht mehr, woran man sich halten soll. Wie es zu diesem wunderhübschen und unterhaltsamen Kuddelmuddel kommt, liegt auf der Hand und wurde oft genug analysiert: Das Niveau der höchsten deutschen Fußballklasse ist schlecht (…) Wahre Jammertäler gibt es bei den spendablen Großeinkäufern zu bestaunen, die eigentlich die Liga aufmischen wollten und deren Manager nun auf den teuer bezahlten Spielern herumhacken, anstatt nur den Anflug eines Fehlers bei sich zu suchen. Borussia Dortmund, denen ein offensichtlich antikapitalistisch angehauchter Fußballgott eine Verletztenliste eingebrockt hat, die sich, wenn Matthias Sammer sie vorträgt, wie die komplette Besetzung einer brasilianischen Telenovela anhört. Dann wäre da Schalke 04, wo der neue Supertrainer Jupp Heynckes erst mal die Mannschaft mit Werder Bremen tauschen muss, bevor so etwas wie Fußball rauskommt. Hertha BSC, wo ein böser Geist das Manuskript vom Aufstieg zum berühmten Hauptstadtklub in ein elisabethanisches Drama mit dem Arbeitstitel Hoeneß II. umgeschrieben hat. Und natürlich Bayern München, eine Mannschaft, die so wirkt, als sollte sie in der Winterpause am besten komplett, inklusive Vereinsführung, im Max-Planck-Institut für Psychologie einchecken. Turm im Sturm! Also, bitte! Dabei haben sie so großmächtig getönt im Sommer. Und munter gegen Real Madrid gehetzt, das spanische Starensemble, mit dem sie sich auf einer Stufe wähnten. Geradezu genüsslich hatte Manager Uli Hoeneß den Zirkus der Beckham-Verpflichtung bespöttelt, nur um zu erleben, wie David Beckham sich nahtlos einfügte ins All-Star-Team und eine großartige Saison absolviert, während beim FC Bayern kaum jemand dem anderen unfallfrei einen Ball zuspielen kann. Wie die Faust aufs Auge passt dazu das Gnadenlos, welches den Bayern im Achtelfinale der Champions League mit Real zuteil wurde. Auf der einen Seite die Möglichkeit des endgültigen europäischen Absturzes, auf der anderen die ideale Gelegenheit für eine seelentröstende Rehabilitation. Die Chancen stehen gar nicht mal schlecht, schließlich sind die Leute bei Real Madrid die Letzten in Europa, die noch Angst vor Bayern München haben. Außer Bremen, Leverkusen und Stuttgart natürlich.“

Für die Wahl zum Manager des Jahres wäre Allofs ein aussichtsreichster Kandidat

Frank Heike (FAZ 16.12.) klopft Klaus Allofs, Sportdirektor Werder Bremens, auf die Schulter: „Daß Werder sich überhaupt um Miroslav Klose bemüht, ist ein Zeichen der Stärke. Denn Werder buhlt mit den anderen Größen der Liga um die Dienste des Nationalstürmers. Für Allofs ist das derzeit die wichtigste Aufgabe. Es wäre der Königstransfer, die aufsehenerregende Personalie, die das ideale Trostpflaster für Tonis Weggang wäre. Klose kann am Saisonende für fünf Millionen Euro Ablöse gehen. Das alles weiß der Sportdirektor natürlich. Es hat Gespräche gegeben, sagt Allofs, wenn Klose zu uns kommen will, werden wir alles in Bewegung setzen, um ihn zu holen. Wenn wir einen Ersatz für Ailton haben wollen, kommen nicht so viele Kandidaten in Frage. Klose ist einer, der zu uns passen würde. In diesen Sätzen steckt immer noch viel Konjunktiv. Niemals würde Allofs so bestimmt auftreten wie Kollege Hoeneß (Uli), niemals die alleinige Deutungshoheit beanspruchen wie Kollege Hoeneß (Dieter). Auch den Transfer Klose wird Allofs, der Pferde- und Rotweinfreund, der das stilvolle Leben in seinen Jahren als Profi in Frankreich zu schätzen lernte, wenig marktschreierisch vorbereiten. Denn seine Arbeitsweise, dieses Streiche-Setze, war zuletzt so erfolgreich, daß sie ihm eine große Portion Selbstvertrauen und Zuversicht gegeben hat. Streiche Frings, setze Ernst, streiche Rost, setze Reinke (über den Umweg Borel), streiche Krstajic, setze (bald) Fahrenhorst. Und nun: streiche Ailton, setze Klose? Kein anderer Klub in der Bundesliga hat so viel Erfolg bei den Transfers gehabt wie der SV Werder in den vergangenen beiden Jahren. Nimmt man Johan Micoud hinzu, dessen Gehalt Parma nicht mehr zahlen konnte, Valerien Ismael und Ümit Davala, beide zunächst ausgeliehen, inzwischen zumindest der Franzose fest verpflichtet, kommt man auf eine halbe Mannschaft, die Allofs geholt hat und die inzwischen das Gerippe des Teams bildet. Für die Wahl zum Manager des Jahres wäre Allofs ein aussichtsreichster Kandidat.“

Marko Schumacher (NZZ 16.12.) rechnet mit Werder: „Genau zwei Monate sind vergangen, seit Experten dem SV Werder bescheinigt hatten, er habe nicht das Zeug zum deutschen Meister. Im Spitzenspiel gegen Stuttgart stürmte Bremen damals munter nach vorne, erspielte sich Chance um Chance – und unterlag am Ende gegen eiskalt konternde Schwaben 1:3. In der Bayarena war ein identisches Spiel zu sehen: Wieder stürmte der Gastgeber mit heissem Herzen, abermals gewann die Mannschaft mit dem kühleren Kopf 3:1. Diesmal war’s Werder. Eindrucksvoll bewies die Equipe von Trainer Schaaf, dass sie dazugelernt hat. Die Experten sind sich seither einig: Bremen ist der ernsthafteste Titelkandidat einer Saison, in der Stuttgart und Leverkusen ins Straucheln geraten sind und der FC Bayern sich mit erschreckend uninspiriertem Fussball über die Runden rettet. Hatte Bremen bisher zumeist mit höchst attraktivem und spektakulärem Offensivspiel die Zuschauer verzückt, so fügte das Team in Leverkusen seinem Spiel eine weitere Eigenschaft hinzu, die für Meisterteams unerlässlich scheint: Effizienz.“

Beim FC Bayern dominiert plötzlich das Menschliche, die Verletzlichkeit, die Schwäche

Daniel Theweleit (SpOn) stellt eine Disharmonie fest zwischen Bayern und dem „Kaiser“: „Der Kaiser scheint keine Phasen der Verwundbarkeit zu kennen. Für Deutschlands größten Fußballhelden ist jedweder Anflug von Selbstzweifel schlicht nicht existent. Ängste? In seiner Welt nicht. Menschliche Schwächen? Mit diesen muss man nicht umgehen, man muss sie ausmerzen. Wie alles so gut funktionieren konnte, bleibt das ewige Geheimnis des Franz Beckenbauer und gleichzeitig das Fundament seines unglaublichen Erfolges. Jahrelang prägten diese Züge auch den FC Bayern, Führungsfiguren wie Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg fügten sich hervorragend ein in diesen Mechanismus, Schwächen einfach auszublenden. Mit Blick auf die vielen Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen FC Bayern sagte Effenberg vor kurzem: Wir hatten zu meiner Zeit Typen drin. Wir sind mehr oder weniger über Leichen gegangen für den Erfolg. Auch intern. Das funktionierte wunderbar, und genau diese Haltung machte den Club für viele unglaublich faszinierend und für andere unerträglich. Doch wer geht jetzt über Leichen beim FC Bayern? Seit der langsamen Abkehr Beckenbauers hin zu seinen WM-Aktivitäten, dem Abwandern der alten Leitwölfe und den persönlichen Verfehlungen des Oliver Kahn – auch einst ein glühender Verfechter des Beckenbauer-Gefühls – gibt die Mannschaft ein vollkommen neues Stimmungsbild nach außen. Es ist irgendetwas mit dieser Mannschaft, was wir bisher noch nicht hatten, analysierte Uli Hoeneß in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Situation etwas ratlos und ergänzte, dass die Dinge verdammt schwierig geworden sind. Diese Erkenntnis entspringt gewiss nicht nur seinen Erfahrungen mit Sebastian Deislers Depressionen. Beim FC Bayern dominiert plötzlich das Menschliche, die Verletzlichkeit, die Schwäche.“

FAS-Interview mit Bernd Schröder vom Institut Sport + Markt über die Marktwerte FC Bayern und VfB

FAS: Weg vom Sportlichen zwischen dem FC Bayern und VfB Stuttgart. Wer hat denn aktuell die Nase im Vergleich der beiden Fußballprodukte vorne?

BS: Eindeutig die Bayern. Auch wenn sich die Stuttgarter gerade überall gut darstellen. Sie sind und bleiben immer noch ein deutsches Thema. Das über Jahre aufgebaute Renommee der Münchner ist dagegen eine europäische Geschichte, die über Deutschland hinaus funktioniert. Wenn man im Ausland Fußballfans fragt, welchen deutschen Klub sie gut finden, dann kommt eigentlich immer Bayern München als Antwort – und dann lange dahinter nichts mehr. Von Stuttgart spricht da, ehrlich gesagt, kaum jemand.

FAS: Was kann das junge, frische Fußballprodukt VfB Stuttgart dennoch für sich reklamieren?

BS: Es ist eine Kombination, die wir im deutschen Fußball in den letzten Jahren so nicht hatten. Also eine junge, wilde und unbekannte Mannschaft, die dazu noch viele deutsche Spieler hat und zu einem tollen Siegeszug aufgebrochen ist. Im Gegensatz dazu: Auch Werder Bremen ist natürlich national sehr erfolgreich, aber über die spricht man nicht so. Das liegt wohl vor allem daran, daß dort nicht so viele Deutsche in vorderster Front am Erfolg beteiligt sind. Die Bremer wirken nicht so jung und wild wie Stuttgart. Für den VfB ist das deshalb eine Riesenchance, sich langfristig als Marke zu etablieren, auch über den Leistungsknick hinaus, der sicherlich irgendwann kommen wird.

FAS: Welches Potential liegt noch in der Schwabenmarke im Vergleich zu den ehrwürdigen Bayern?

BS: Wenn man in Deutschland zum Beispiel schaut, wer die größten Fanpotentiale hat, kommt man zu einem deutlichen Ergebnis. Jeder vierte von etwa 40 Millionen Fußballinteressierten im Lande sagt, die Bayern sind mein Lieblingsklub. Seit wir das von Beginn der Neunziger an messen, hat diesen Wert noch niemand erreicht. Die Stuttgarter müssen sich erst einmal nach dem Niveau dahinter richten. Das sind die Dortmunder und Schalker, die liegen bei etwa zehn Prozent. Das ist ein Niveau, das eine junge, wilde Mannschaft aus Stuttgart aber durchaus erreichen kann.

FAS: Wo steht der VfB im Moment?

BS: So etwa bei sechs bis sieben Prozent.

FAS: Wo sehen Sie Entwicklungsbedarf?

BS: Stuttgart ist auf einem guten Weg. Die sollten allerdings noch mehr ihre Aushängeschilder nach vorne bringen. Sprich Kuranyi, Hinkel, Hildebrand und auch ihren Trainer Magath, den Vater der Erfolge. Man könnte einen Hildebrand noch mehr aufbauen, als den kommenden Nachfolger von Kahn.

Frank Hellmann (FR 16.12.) beschreibt Klaus Topmmöllers Verdienst: „Im neuen Jahr wird die Familie Toppmöller von Rivenich an der Mosel nach Hamburg an die Elbe umsiedeln. Zusammen mit Ehefrau Roswitha hat sich Toppmöller bereits eine schöne Mietswohnung in Blankenese ausgesucht. Bessere Wohngegend, Blick auf den Fluss. Passend zur schönen Aussicht, die der 52-jährige Fußball-Lehrer dem Traditionsverein der Hansestadt verschafft hat. Zwölf Punkte in sieben Spielen, fünf in Folge ohne Niederlage: Plötzlich sieht der HSV wieder eine (internationale) Perspektive. Der Erfolg wird dem Trainer Toppmöller zugeschrieben, der nicht nur die Assistenten ausgetauscht (Werner Melzer und Ralf Zumdick statt Armin Reutershahn und Manfred Linzmaier), das System umgestellt (3:5:2 statt 4:4:2) und öffentliche Kritik an der Mannschaft (vom beliebten Kurt Jara meist unbehelligt gelassen) eingeführt hat. Toppmöller hat vieles auf den Prüfstand gestellt: Quartier oder Lauftraining, Getränke oder Medienarbeit. Bei Bedarf hat er korrigiert, manchmal nur um Nuancen. Christian Rahn ist auch bei ihm kein Stammspieler, aber es ist die Summe von Veränderungen, die fruchtet.“

Ronny Blaschke (FTD 16.12.) freut sich mit Martin Max: „Er hätte es so schön haben können im Paradies für kickende Vorruheständler. Ein bisschen Fußball am Abend, das ganze fürstlich bezahlt, und davor und danach ausgiebige Exkursionen in die Welt der fünf Sterne. Gemeinsam mit seinem Kumpel Thomas Häßler, mit dem er bei 1860 München zusammen gespielt hatte, wollte Martin Max noch vor wenigen Monaten ins ferne Katar reisen, um ein paar Dollar aus dem Wüstensand zu graben. Oder ein paar Millionen. Doch Max wählte ein ehrenhafteres Finale seiner Laufbahn. Endstation ist für ihn nicht die Wüste, sondern das Meer. Seit letztem Sommer spielt er in Rostock. Und nicht, weil sich die Ostseeluft im Alter als förderlich erweist, sondern weil ihm der FC Hansa als einziger nennenswerter Klub einen Job angeboten hatte. Martin Max, 35, pendelt seitdem zwischen Rostock und München, wo seine Familie lebt und der Sohn in der E-Jugend bei den „Löwen“ kickt. Die Arbeit des passionierten Toresammlers funktioniert im Osten der Republik ebenso gut wie im Westen (Schalke, Mönchengladbach) und im Süden (1860 München).“

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