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Schuldenpolitik Schalkes und Dortmunds

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Schuldenpolitik Schalkes und Dortmunds

die Schuldenpolitik Schalkes und Dortmunds in der Kritik der Presse: „Größenwahn AG“, „Geld ausgeben ohne Sinn und Verstand“ (Zeit über Dortmund); „zwei der populärsten Bundesligaklubs haben ihre Zukunft verpfändet“ (NZZ) – Start in die Rückrunde heute: „Bloß nicht den neureichen Nachbarn geben“ (FAZ über die Absicht Rudi Assauers, Schalke-Manager) – taz-Interview mit Peter Neururer (Trainer des VfL Bochum): „die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ändern, da muss ein Ehrenkodex her“ – FR-Interview mit Jupp Heynckes (Trainer des FC Schalke 04): „Solidarität darf man nicht erwarten“ – Heribert Bruchhagen, mutiger und fleißiger Vorstandschef Eintracht Frankfurts, macht seinem Verein Hoffnung u.v.m.

Zwei der populärsten Bundesligaklubs haben ihre Zukunft verpfändet

Martin Hägele (NZZ 30.1.) kritisiert die Schuldenpolitik Dortmunds und Schalkes: „Die beiden Anleihen von S04 und BVB verschlechtern das wirtschaftliche Gesamtbild der Bundesliga entscheidend. Statt wie zu Saisonbeginn mit 600 Millionen Euro schreibt die deutsche Fussballklasse nun zusammen 800 Millionen Euro rote Zahlen. In vielen Klubs wird mit Unverständnis registriert, wie locker sich zwei der Branchenführer aus dem schon von der Vernunft vorgegebenen Sparkurs nach der Kirch-Krise und ausbleibenden Fernsehgeldern verabschiedet haben ins ewige Leben auf Pump. Schalke 04 zum Beispiel verpfändete die Zuschauereinnahmen bis ins Jahr 2027. Besonders im VfB Stuttgart, dessen Jugend- und Finanzpolitik als vorbildlich gilt beim Anpassen an die neuen und harten Zeiten, hat es deshalb Ärger gegeben, nachdem ausgerechnet Assauers Agent den brasilianischen Abwehrchef Bordon aus dem erfolgreichen schwäbischen Mannschaftsgefüge herausgebrochen hatte. Der 28-Jährige unterschrieb einen Vierjahresvertrag vom 1.Juli 2005 an und wird Schalke 04 hochgerechnet fast 15 Millionen Euro kosten. Weil Schalke 04 aber schon in der nächsten Saison ins Titelrennen eingreifen will und den Topverteidiger deshalb früher braucht, werden im Sommer noch einmal rund 5 Millionen Ablöse fällig. Spötter fragen deshalb, ob das Transfer- Paket Bordon dann aus den Zuschauereinnahmen der Saison 2017/18 und 2018/19 bezahlt wird oder ob damit auch schon die hochgerechneten Einnahmen verbraucht sind, die die Erben Assauers in den Jahren 2020 und 2021 aus der Arena Auf-Schalke kassieren wollen. Dass da zwei der populärsten Bundesligaklubs ihre Zukunft verpfändet haben und die reichen Nachbarn eigentlich gar nicht so reich waren, wie sie getan haben, wurde nun im VfL Bochum gemerkt, und entsprechend reagierte er. Die Bochumer, die lange als Schlucker zwischen den zwei Fussball-Domänen galten, wollen nun den Status attackieren. Es gab jedenfalls einige Schlagzeilen, als der Coach Neururer nicht nur auf die Tabellen, sondern auch auf die Besitzverhältnisse und die daraus resultierenden Ambitionen hinwies. „Wir sind der schlafende Riese, Schalke und Dortmund sind die eingeschlafenen Riesen.“ Er sehe, meint der wortgewaltige Neururer in seiner Kampfansage um die Nummer 1 im Westen, Perspektiven sogar dauerhaft an den beiden Grossmächten vorbeiziehen.“

Eine gewagte Prognose – aber ganz falsch muß sie nicht sein

Im Vergleich damit ist Michael Horeni (FAZ 30.1.) vertrauensvoller: “Optimismus ist nicht gerade eine deutsche Tugend. In der Bundesliga gehört sie jedoch trotz alarmierender Meldungen zur mentalen Grundausstattung. Dem einstigen Krösus Borussia Dortmund geht das Geld aus. Schalke 04 leistet sich trotz fehlenden sportlichen Erfolgs und ohne die entsprechenden Zusatzeinnahmen auf wundersam sorglose Weise immer neue und kostspielige Profis. Der Schuldenstand der Profiklubs soll sich nach einer noch nicht veröffentlichten Studie der DFL von 600 auf knapp 700 Millionen Euro erhöht haben. Sportlich fällt die Bundesliga im internationalen Vergleich mit England, Spanien und Italien immer weiter zurück. Aber der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München behauptet unverdrossen vor dem Start zur Rückrunde: Die Bundesliga steht von den großen Ligen in Europa mit Abstand am besten da. Am Ende, so Karl-Heinz Rummenigge, werde die Bundesliga der Gewinner im momentanen Bereinigungsprozeß sein. Eine gewagte Prognose – aber ganz falsch muß sie nicht sein. Denn marode Vereine wie der AC Parma, der nun von einem Insolvenzverwalter geführt wird, oder Lazio Rom sind in der Bundesliga noch nicht Wirklichkeit geworden, selbst wenn zahlreiche deutsche Klubs in den vergangenen Jahren notorisch über ihre Verhältnisse gelebt haben. Auf Gehaltszahlungen mußte auch noch kein Profi in den verkleinerten Kadern verzichten (…) Zudem hat die Liga die Langeweile in dieser Rückrunde, anders als beim Münchner Alleingang im Vorjahr, aus ihrem sportlichen Programm gebannt. Meister muß diesmal nicht automatisch wieder der Rekordmeister FC Bayern werden, seit auch weniger ambitionierte Geschäftsmodelle Erfolg versprechen. Die soliden Kaufleute aus Bremen stehen an der Spitze vor den reichen Bayern, die sparsamen Schwaben lauern dahinter – und das ist ganz sicher gut fürs Geschäft.“

Paul Suciu-Sibianu, Diplom-Betriebswirt und DVFA-Investmentanalyst, schreibt einen Gast-Kommentar (FR 30.1.): “Eine gegenwärtig diskutierte Form der Kapitalbeschaffung für Unternehmen wie Borussia Dortmund ist die sogenannte Asset Backed Security-Konstruktion. Als einziger Bundesligist hat sich Schalke 04 dieser Form der Anleihe-Finanzierung beim Londoner Finanzmakler Stephen Schechter bedient. Dortmund denkt darüber nach. Bei dieser Transaktion handelt es sich um den Verkauf von zukünftigen Zahlungsströmen, die mit einer bestimmten Sicherheit prognostizierbar sind. Bei Fußballunternehmen sind dies zukünftige TV-, Zuschauer- oder Sponsoreneinnahmen. Die Finanzierungskosten dieser Konstruktion hängen in erster Linie von der Qualität des Zahlungsstromes und der Laufzeit der Anleihe ab. Schlechte Qualität, also hohes Ausfallrisiko, und lange Laufzeit resultieren in einer hohen Zinsbelastung für den Emittenten. Bei der Einstufung der Transaktion durch eine Ratingagentur wird tatsächlich lediglich die Qualität der zukünftigen Zahlungsflüsse beurteilt und nicht die Bonität des Fußballunternehmens selber. Für die Unternehmen liegt der Vorteil auf der Hand: Sie bekommen heute das Geld für Leistungen, die sie erst morgen erbringen. Damit die Unternehmensexistenz nicht gefährdet wird, muss dass Management dafür Sorge tragen, dass zum einen die schon verkauften Leistungen auch definitiv erbracht werden können und zum anderen, dass während der Laufzeit die Zinszahlung und am Laufzeitende die vollständige Tilgung der Anleihe erfolgen kann. Dies kann nur bei einer professionellen und verantwortungsvollen Verwendung der eingenommenen Mittel gelingen (…) Grundsätzlich muss bei Fußballunternehmen das Bewusstsein wachsen, dass ein gewinnorientiertes Unternehmen anders geführt werden muss als ein Verein. Dazu gehört, dass wesentliche Entscheidungen in einem kompetenten Management-Team unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte diskutiert werden. Eine starke zweite Reihe, welche die Geschäftsführung berät und an Entscheidungen beteiligt ist, ist für den unternehmerischen Erfolg unabdingbar.“

Geld ausgeben ohne Sinn und Verstand

Sehr lesenswert! Hanns-Bruno Kammertöns, Henning Sussebach Stefan Willeke (Zeit / Dossier 29.1.) berichten Zustand und Zukunft der „Größenwahn AG“: „Seit 18 Jahren regiert Gerd Niebaum den BVB, hat aus einem Provinzklub eine Kapitalgesellschaft gemacht, die erste und einzige deutsche Fußballfirma, die an die Börse ging. Mit viel Geld kann man viel Erfolg kaufen, dachte Gerd Niebaum, und wenn man sich dafür heute hoch verschulden muss, dann wird der Profit von morgen die Schulden tilgen. Gerd Niebaum hat eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen, und diese Wette droht er gerade zu verlieren. Rund 44 Millionen Euro Verlust, ermittelte Anfang Januar die Bayerische Hypo- und Vereinsbank, werde der BVB am Ende dieser Bundesligasaison angehäuft haben, wenn nichts passiert. Was schon passiert ist: Der Schutzwall, mit dem sich Niebaum umgibt, ist brüchig geworden. In Dortmund sagt es jeder, dass diejenigen, die Gerüchte streuen und immer neue, dunkle Zahlen lancieren, zu den engen Mitarbeitern des Präsidenten gehören müssen. Was kommt noch ans Licht? Selbst jene, die Niebaums Lebensleistung bewundern, sagen mittlerweile, dass ihnen der Mann unheimlich geworden ist. „Irgendwann hat er die Bodenhaftung verloren, hat er angefangen, Geld auszugeben ohne Sinn und Verstand“, urteilt ein langjähriger Mitstreiter. Der Präsident sei „hoch intelligent, aber irgendwann fehlgewickelt worden“. Liegt es daran, dass er entgegen dem Rat vieler Freunde nicht vom BVB lassen wollte oder konnte? Von bedrohlichen Schwierigkeiten will Gerd Niebaum nichts wissen. „Wir schnallen den Gürtel insgesamt enger“, sagt er in diesen Tagen lächelnd, ein „Kostensenkungsprogramm“ habe er für alle Angestellten in der Geschäftsstelle durchgesetzt. „Ich verdiene schon seit geraumer Zeit sehr viel weniger.“ Die Hybris des deutschen Fußballs ist in Dortmund zu besichtigen, mehr noch, der tiefe Fall nach dem Höhenflug. Der Meister der Kalkulationen hat sich verrechnet. Er dachte, dass man sportliche Höchstleistungen abonnieren könne, wenn man in der ganzen Welt berühmte Spieler zusammenkauft. Gerd Niebaum hat den Wirtschaftsbetrieb Borussia von perfekten Flanken und Torschüssen abhängig gemacht. Jetzt muss er selbst einem unsichtbaren Gegner hinterherlaufen und drohende Verluste eindämmen. Niebaums Lebenswerk steht auf dem Spiel, aber niemand soll davon etwas merken. Im Flur neben seiner Zimmertür hängt ein gerahmtes Bild mit vielen kleinen Erinnerungsfotos, die alle nur ein Thema haben – den erfolgsverwöhnten Boss. Niebaum mit Kanzler Schröder. Niebaum mit Weizsäcker. Niebaum mit dem Chef des Deutschen Fußball-Bundes. Wenn der BVB-Präsident nicht aufpasst, könnte demnächst ein weiteres Foto hinzukommen: Niebaum mit Insolvenzverwalter (…) Jede neue Stufe, die der Klub im Laufe der Zeit erklomm, jeder Anspruch, den er erhob, wurde hier in Beton gegossen. Es ist, als habe der Präsident Niebaum jede Meisterschaft eingraviert, stufenweise hat er die Tribünen vergrößern lassen, steil gestaffelt. Im vergangenen Herbst wurden dann auch noch die bis dahin offenen Ecken geschlossen. Mehr geht nicht. Die Heimstatt des Ballspielvereins Borussia ist inzwischen fast doppelt so groß wie vor zehn Jahren. Das Superstadion, eine Illusion. Die Borussia werde eine „bessere Auslastung“ erreichen, „auch verstärkt durch Nicht-Fußball-Events“, schrieb 2001 die Düsseldorfer WGZ-Bank, die mithalf, den BVB an die Börse zu bringen. Das Stadion sei eigentlich gar kein Stadion mehr, so der Tenor, sondern eine Multifunktionsarena, in der sich durch Pop- und Rockkonzerte zusätzliche Gewinne erwirtschaften ließen. Aber das letzte große Konzert hat 1976 stattgefunden. Damals traten Simon and Garfunkel auf. Konzerte zahlten sich nicht aus, hat Manager Meier in der Geschäftsstelle vorgerechnet, zumal die Fans den Rasen vollends zerstören würden. Dann hat er noch leise von „Schwingungsproblematiken“ gesprochen. Die Statik des Westfalenstadions ist nicht auf den Rhythmus von 83000 Konzertbesuchern ausgelegt, die stundenlang hüpfen, klatschen, stampfen. Die neuen Aufbauten gründen auf den 30 Jahre alten Tribünen des Urstadions, deren Betonstelen dünner und mit weniger Stahl durchzogen sind als jene in der Arena auf Schalke beispielsweise. Ein Gutachten stellt klar, einstürzen kann das Stadion nicht, aber Haarrisse sind zu befürchten. Die Leute sollen bitte sitzen bleiben, beim Fußball tun sie das zum Glück, seit Stadionsprecher Norbert Dickel nicht mehr das Lied Hey, Pippi Langstrumpf spielt, zu dem die Zuschauer gerne auf und ab sprangen (…) Auch wenn die Verantwortlichen der Borussia das Wort „VIP“ einvernehmlich nicht in den Mund nehmen, Klassenunterschiede sind ihnen nicht fremd. Deshalb haben sie im Westfalenstadion kulinarische Verwöhnzonen geschaffen, die in Werbebroschüren als „einzigartig“ beschrieben werden. Zur Wahl steht der Rote Erde Club mit „einem eigenen Küchenkomplex“ und „separatem Eingang für Ihre Gäste“ oder der so genannte Stammtischbereich, der nach den Worten von Cramer „landestypisch“ gehalten ist und 1700 Menschen Platz bietet. Man sitzt an klobigen Holztischen mit Wimpeln, die das Terrain von E.on, der Sparkasse und das der Dortmunder Stadtwerke sichtbar markieren. Eintrittspreis für jeweils vier Personen 21600 Euro, Tribünenkarten für Heimspiele inklusive. Doch wer wirklich mittendrin sein will, wählt den Borussia Park, den inneren Tempelbezirk der Arena. Hier kostet die Viererkarte 13200 Euro, hier ist Dortmunds Borsigplatz in Kulissen getreulich nachgebaut, was die einen schon mal an Disney World erinnert. Andere reagieren gerührt angesichts der Pokale in den Vitrinen, der alten Fotos an den Wänden und der Waggons der elektrischen Eisenbahn, die auf Schienen über die Köpfe der Zecher hinweg die Theke entlangfährt (…) Auf Platz 62, Reihe 3 sitzt Lars Ricken, erst 27 Jahre alt und doch – nach Stefan Reuter – der dienstälteste Spieler im Kader. Und der letzte Dortmunder. Wer in der Geschäftsstelle durch die Flure läuft, kann auf den gerahmten Mannschaftsfotos sehen, wie seit elf Jahren um diesen Ricken herum eine ganze Mannschaft rotiert, wie Spieler kamen und gingen, große Namen wie Möller, Kohler, Riedle, Chapuisat. Auch die Trainer wechselten, auf Hitzfeld folgten Scala, Skibbe, Krauss, Lattek, Sammer. Nur Ricken saß bei jedem neuen Fototermin wieder vorne in der ersten Reihe. Das macht ihn zum Kronzeugen für die Entwicklung der Marke BVB, der Ware Fußball. Deshalb sitzt er hier im Stadion und soll erzählen, mit welchem Gefühl er heute in ein Spiel geht. „Verantwortung“, sagt er. Verantwortung. Spielfreude entwickelt sich. Vielleicht. Wenn’s läuft. Ricken erzählt, man höre in der Kabine, tief in der Tribüne versteckt, nichts von den 83000 Menschen draußen, keinen Ton, nur das Räuspern und Klospülen der Mitspieler und das Klacken ihrer Stollen auf den Fliesen. Wenn sie dann rausgehen, knallen ihnen die Farben und Gesänge entgegen, die Erwartungen, der Druck, und über allem wacht hoch oben der Präsident, den die Spieler noch immer artig Dr. Niebaum nennen. Man geht nicht da raus, um Spaß zu haben. Man geht nicht mehr ins Stadion wie auf eine Wiese. Erst recht nicht in dieses. Rickens Karriere verlief parallel zu der des ganzen Clubs, Mitte der Neunziger der steile Aufstieg, dann die Stagnation. Aus allem, was Ricken sagt und was er nicht sagt, wird deutlich, wie tief das Unternehmen Fußball in seinen Sport eingedrungen ist. Manchmal überlegt er schon auf dem Spielfeld, wie er nach dem Abpfiff einen Fehler erklären soll. Ricken war schon einmal allein im Westfalenstadion unterwegs, 1997, in einem Werbespot für die Firma Nike. Damals trat er als einsamer Kritiker des Profifußballs auf, tadelte „Männer in Nadelstreifen-Anzügen“ und „Geschäftemacherei ohne Ende“. Ricken war damals 20. Drei Jahre zuvor hatte er als jüngster Spieler aller Zeiten in der Bundesliga sein erstes Tor erzielt, war dann zweimal Deutscher Meister geworden, ein paar Monate später sollte er die Borussia zum Champions-League-Sieg schießen, kurz darauf würde ihn der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre zur literarischen Figur erheben. Ricken war öffentliches Gut geworden, Nachwuchshoffnung des deutschen Fußballs. Damals wollte sogar die Firma Wella mit ihm werben, obwohl Ricken eine Glatze trug. „Geschäftemacherei ohne Ende.“ Ricken wurde damals als scheinheilig gescholten – heute muss man zugeben, dass er ein Prophet war: In einer Ecke des Stadions wird an jedem Spieltag ein Blackjack-Tisch der Spielbank Hohensyburg aufgeklappt, in einer anderen ist eine Golfplatz-Simulation in Planung. Geschäftemacherei ohne Ende ist das jetzt hier also auch, oder? Einen seltsamen Menschenschlag hat die Entlohnung hervorgebracht, das ist an jedem Morgen zu besichtigen, wenn die Spieler in schweren Limousinen auf dem Trainingsgelände vorfahren: Christian Wörns, Mercedes. Stefan Reuter, Porsche. Flavio Conceicao, BMW. Jan Koller, Mercedes. Torsten Frings, Porsche. Henrique Ewerthon, BMW. Tomás Rosicky, Mercedes. Christoph Metzelder, VW Phaeton. Sebastian Kehl, Mercedes. Leonardo Dede, BMW. Lars Ricken, Porsche. Den Wagen entsteigen junge Männer in Lederjacken mit Pelzbesatz, einige mit Häkelmützchen. Kleine Bohlens, für deren große Autos der Parkplatz am Trainingsgelände etwas knapp geworden ist. Wenn es zu eng wird, parkt ein Ordner ihre Wagen ein. Kann man das alles wieder zurückschrauben? Lars Ricken schaut die Tribünen hinauf. Oben in den Dächern rauscht der Wind wie in einem Wald. 83000 Plätze, Werbebanden, VIP-Bereiche und unsichtbare Verpflichtungen, Verträge, Kredite. Kann man das alles wieder zurückschrauben? „Das hier nicht.““

Wo ist bloß all das Geld geblieben?

Roland Zorn (FAZ 30.1.) ergänzt: „In Wirklichkeit bieten die Westfalen Spieler auf einem Markt an, dessen Mechanismen seit dem Kirch-Crash und angesichts rückläufiger Fernsehhonorare nicht mehr funktionieren. Es fehlt an potenten Abnehmern selbst für vermeintliche Stars, und da hilft den Borussen auch keine noch so freundliche Einschätzung von Analysten wie denen der Hypo-Vereinsbank, die für die Mannschaft des BVB einen Marktwert von 130 Millionen Euro errechnet haben. Was zählt und auf die Konten drückt, ist eine andere Ziffer. 57 Millionen Euro kostet die Borussen ihr 26 Profis umfassender Kader – mehr gibt kein Verein in Deutschland für die maßlos überbewertete Arbeit seiner Balltreter aus. Nicht einmal der deutsche Meister Bayern München, der per annum rund 51 Millionen Euro an Gehältern zahlen soll. Zwar haben die Dortmunder ihre kickenden Angestellten nach dem Ende aller Champions-League-Hoffnungen zu einem Gehaltsverzicht von zwanzig Prozent überreden können, doch der Preis, den der Klub für sein Bundesliga-Ensemble zahlt, ist noch immer üppig. Unglücklicherweise läuft zum Ende dieser Spielzeit nur der Vertrag des Routiniers Stefan Reuter aus, so daß überzeugende Einsparpotentiale im Spielerbudget nicht in Sicht sind. Den Dortmundern werden zum Ende dieser Saison mindestens dreißig Millionen Euro in der Kasse fehlen, die das von einer beispiellosen Verletztenserie geplagte Team in den Stunden seiner international mißglückten Bewährungsproben verspielte. Wo ist bloß all das Geld geblieben? fragt sich der Brasilianer Dede in aller Unschuld. Manager Meier geizt nicht mit der passenden Antwort: Da soll er mal auf sein Konto schauen. Zu all den Wohltaten für die vereinsintern überschätzten Meister von 2002 kommt eine weitere Hypothek, die dem BVB 09 zu schaffen macht: der Stadionausbau auf jetzt 83 000 Plätze. Um 40 Millionen Euro für die dritte Ausbaustufe zahlen zu können, hat das Unternehmen sein Stadion auf Zeit verkauft. Sale and Lease back lautete hierfür die Geldformel, nach welcher die Dortmunder inzwischen gegen ein Entgelt von angeblich 1,5 Millionen Euro im Monat Mieter im eigenen Haus sind. In ein paar Jahren wollen die Borussen das Stadion, dessen Grund und Boden ihnen gehört, zurückerwerben. Wie stark wird dann noch der Verein sein, der die Bayern vor zehn Jahren im Kampf um die Pole Position in der Bundesliga herausgefordert hat?“

Christoph Biermann (SZ 30.1.) vergleicht die beiden Konkurrenten: „Wahrscheinlich wird man in der kommenden Spielzeit die Schalker Mannschaft kaum noch wiedererkennen. Neun Verträge laufen aus, viele dürften nicht verlängert werden. Ob Agali oder Kmetsch, van Kerckhoven, Glieder, der kürzlich nach Kerkrade ausgeliehene van Hoogdalem und einige Hinterbänkler, alle müssen sich für das neue Schalke nachhaltig empfehlen. Andreas Müller, Leiter der Lizenzspielerabteilung, geht noch weiter: „Wir werden auch bei den Spielern schauen, deren Verträge noch gültig sind.“ Tomasz Hajto oder Dario Rodriguez dürfen sich da angesprochen fühlen und selbst Mannschaftskapitän Tomasz Waldoch, der in Dortmund neben Sand wohl auf der Bank sitzen wird. Während also das Gros des Teams quasi auf Bewährung spielt, sondiert Schalke den Transfermarkt europaweit. Selbst in Italien, wo viele Klubs wanken, schaut sich Schalke nach Auskunft von Assauer inzwischen um. So scheint es fast, als hätten binnen kurzem die großen Rivalen des Ruhrgebiets die Rollen getauscht hätten. Während die Geldverschwender von Borussia Dortmund kürzer treten müssen, fällt jetzt der heutige Gegner mit spektakulären Transfers auf. Dabei besteht jedoch ein deutlicher Unterschied. Der BVB investierte zu Zeiten des Booms bei Höchstpreisen, während Schalke nun in der Baisse aktiv wird. Außerdem zahlte der Klub bislang keine Ablösen, und Assauer bestreitet nach wie vor, den Personaletat von 40 Millionen Euro im kommenden Jahr zu erhöhen. Der von Borussia Dortmund liegt derzeit 17 Millionen Euro darüber.“

Lange nicht war die Vorgeschichte eines Derbys so frei von Ballyhoo

„Bloß nicht den neureichen Nachbarn geben“ – Richard Leipold (FAZ 30.1.) hört bei Rudi Assauer genau hin: “Selbstverständlich hätten die Dortmunder eine Rasenheizung, bekam Jupp Heynckes vor Beginn der Plauderrunde in einer Loge der Schalke-Arena zur Antwort. Ob der BVB allerdings die Kosten für den Betrieb tragen könne, sei eine andere Frage. Heynckes lächelte verhalten, fast verlegen. Früher hätte so eine Pointe in Schalker Kreisen vermutlich herzhaftes Gelächter hervorgerufen, auch bei mancher Führungskraft. Doch die Verantwortlichen des Gelsenkirchener Fußballbetriebes finden es gar nicht lustig, daß es dem Nachbarn so schlecht geht. Manager Rudi Assauer gibt sich mitfühlend, wenn die Rede auf die Wirtschaftskrise kommt. Assauer betrachtet den BVB als Widerpart, ohne den das Fußball-Leben nur halb so schön wäre. Lange nicht war die Vorgeschichte eines Derbys so frei von Ballyhoo. Vor dem Fußballvergleich im Westfalenstadion steht der Wirtschaftsvergleich. Und die Schalker gelten zum ersten Mal seit langer Zeit als das gesündere Unternehmen. Während Dortmund kickendes Personal abbauen, Transfererlöse erzielen und Kosten senken muß, hat Schalke in den vergangenen Monaten profilierte Spieler von Spitzenvereinen wie Bremen und Stuttgart angeworben. Sie sollen mithelfen, Assauers Vision zu verwirklichen. Der Manager postuliert beharrlich, Schalke müsse im deutschen Fußball die dritte Kraft werden. Bei dieser Gelegenheit fragt ein Reporter, wer denn die zweite Kraft nach den Bayern sei. Immer noch Borussia Dortmund, antwortet Assauer. Und es hört sich so an, als hoffte er, daß es so bleibe.“

Solidarität darf man nicht erwarten

FR-Interview mit Jupp Heynckes

FR: Herr Heynckes, es wird in diesen Tagen nur von den spektakulären Neuverpflichtungen Ailton, Krstajic und Bordon geredet. Schalke ist derzeit Mittelklasse. Das klingt, als hätten Sie diese Saison schon abgehakt?

JH: Wir sind massiv kritisiert worden in der Hinrunde. Doch wir stehen nur zwei Punkte hinter einem Uefa-Cup-Platz. Ich denke, da hat man schon eine gute Perspektive. Es ist doch so, dass ich im Sommer einen kränkelnden Patienten übernommen habe. Bis man gesundet, da braucht man immer eine gewisse Zeit.

FR: Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass nun alles besser wird?

JH: Meine Mannschaft hat sich nach der Trainingspause in einer sehr guten Verfassung vorgestellt. Wir können nun unter anderen Bedingungen arbeiten als im Sommer, weil die Spieler meine Arbeitsweise verinnerlicht haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Rückrunde spielen können.

FR: Zuletzt hatte Schalke wegen der prominenten Verpflichtung keine so gute Presse, gerade in Bremen nicht. Fühlen Sie sich ein wenig als Buhmann, der mit den Geldscheinen wedelt?

JH: Bei Ailton und Krstajic ist doch der Punkt, dass sie frei auf dem Markt waren und andere das offenbar verschlafen haben. Andere Vereine haben das, was wir tun, jahrelang gemacht. Bei Bordon war entscheidend, dass er seinen Vertrag in Stuttgart einhalten will und wird. Ausschlaggebend ist doch, dass man eine Mannschaft organisch zusammenstellen muss.

FR: Nun kriegen Sie einen Schlüsselspieler: Ailton. Einen Star, der, nach allem, was man weiß, ein bisschen Nestwärme braucht und ganz gern mal aus der Rolle fällt. Früher hätte es geheißen: Das liegt dem Heynckes nicht. Begleitet Sie das Urteil noch hartnäckig, Sie könnten nur mit jungen, unbekannten Spielern arbeiten?

JH: Das ist etwas, das immer wieder kolportiert wurde, aber nie der Realität entsprach. Ich habe immer mit schwierigen Spielern arbeiten müssen und auch können. Natürlich musste ich erst meinen Stil finden. Aber es war auch eine Mode, dass die Journaille diese Schublade aufgezogen und die Dinge da rausgekramt hat. Natürlich reagiere ich in bestimmten Situationen inzwischen ganz anders als früher. Da habe ich mich praktisch nie geöffnet. Ich war unheimlich reserviert den Medien gegenüber, habe mich nicht entsprechend artikuliert. Das mache ich sicher schon seit Jahren in Spanien und jetzt auch hier auf Schalke anders. Da lernt man dann eben einen ganz anderen Jupp Heynckes kennen.

FR: Es hat in der Tat einen Imagewandel gegeben.

JH: Ich bin nie ein Mann gewesen, der im Scheinwerferlicht stehen will. Aber heute bin ich der Meinung, dass das einfach zu meinem Beruf dazugehört. Das ist ein riesiger Aufwand und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Durch meine zusätzliche Arbeit auf dem Mediensektor ist meine Freizeit so reduziert wie nie zuvor. Aber ich finde es notwendig, dass die Medien dann eben auch zur Kenntnis nehmen, dass eine Entwicklung stattgefunden hat. Es kann sein, dass ich mich früher ein bisschen dagegen gesperrt habe, so viel preis zu geben. Wenn ich damals hier und da anders reagiert hätte, dann hätte ich etwa bei den Bayern ein viel leichteres Leben gehabt, das ist doch klar.

FR: Oder in Frankfurt …

JH:…vielleicht auch in Frankfurt. Das Problem damals (mit der Suspendierung von Yeboah, Okocha und Gaudino; Anm. d. FR-Red) hätte man eleganter lösen müssen. Heute weiß ich: Mit so einer Entscheidung sollte man bis zum Saisonende warten. Ich sehe das inzwischen entspannter, ohne Ressentiments. Über mich hat man alles geschrieben, das tangiert mich heute nicht mehr. Ich habe eben früher anders gedacht und anders gehandelt.

FR: Wie war Ihr erster Eindruck von der Bundesliga, als Sie aus Spanien zurück kamen? Was hat sich besonders verändert?

JH: Ich glaube, dass die Liga mit sich selbst unkritisch umgegangen ist. Da hat ein elektronisches Medium, ein Sender, die Liga unkritisch präsentiert. Das war zwar perfekt in der Anmutung, aber man hat den Fußball geschönt dargestellt. Ich glaube, das hat auf viele Dinge Einfluss gehabt. Wenn man unkritisch ist, verfällt man in Selbstgefälligkeit. Dann meint man, alles sei okay. Aber ich finde, dass wir bei unserem Fußball einfach anspruchsvoller sein müssen.

FR: Was gefällt Ihnen an der Bundesliga überhaupt nicht?

JH: Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Anstoßzeiten weiterhin samstags um 15.30 Uhr sind. Ebenso, wenn wir wieder freitags spielen würden. Ich finde, der Donnerstag ist traditionell kein Fußball-Spieltag. Ich fände es gut, wenn die Uefa-Cup-Spiele wieder dienstags und mittwochs ausgetragen würden – unabhängig von der Champions League. Was stört mich noch…?

FR: Die hohen Gehälter?

JH: Nein, überhaupt nicht. Ich finde allerdings, dass gutes Geld nur gegen gute Leistung gezahlt werden sollte. Man sieht ja, dass manche Spieler immer noch nicht kapiert haben, dass andere Zeiten angebrochen sind. Wenn in Hamburg ein Spieler (gemeint ist Marcel Maltritz, Anm. d. FR-Red) einen 800 000-Euro-Vertrag angeboten bekommt und der überlegt noch lang, dann frage ich mich schon: In welcher Zeit lebt der? Von so einem Spieler müssten die anderen Vereine auch mal die Finger lassen.

FR: So anständig wird die Branche nicht sein.

JH: Nein, Solidarität darf man sowieso nicht erwarten.

Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ändern, da muss ein Ehrenkodex her

taz-Interview mit Peter Neururer

taz: Wenn Sie Pech haben, kann es irgendwann heißen: Danke, Peter, für die nette Zeit. Aber, sorry, das wars. Und plötzlich sind Sie wieder arbeitslos, sitzen zu Hause vor dem Telefon und warten darauf, dass ein neuer Verein anruft, so wie Sie das vor Ihrer Zeit beim VfL getan haben.

PN: Ja, mit Sicherheit. Aber wenn dieser Schritt beim VfL Bochum irgendwann vollzogen werden sollte, weiß ich zumindest, dass er mit Stil und Format und mit Niveau vollzogen wird. Bisher, das muss man zugeben, haben wir ja nur gute Zeiten miteinander erlebt. Wenns richtig kracht, dann sehen wir, wies läuft.

taz: Mit Verlaub: Das ist doch Scheiße, oder?

PN: Es ist aber so. Das ist mein Job. Ich habe hier mittlerweile sicherlich einen gewissen Kredit, auch beim Publikum, aber wenn es dazu kommen sollte, dass wir sieben, acht Spiele in Folge verlieren, dadurch unsere Ziele aus den Augen verlieren und die Fans solchen Blödsinn rufen wie: entweder der geht oder wir, dann muss jeder Vorstand, der vernünftig arbeitet, im Sinne des Vereins handeln. Da zählt dann nicht mehr die Person Peter Neururer. Da muss reagiert werden.

taz: Dennoch lieben Sie diesen Job?

PN: Natürlich.

taz: Was ist so faszinierend daran, Trainer zu sein?

PN: Jeden Tag wunderbar an der frischen Luft arbeiten …

taz: Das macht ein Briefträger auch.

PN: Aber der wirft immer nur Sachen in den Schlitz. Ich hingegen habe Einfluss auf die Leute, die ich bearbeiten darf. Ich habe eine Riesenriege, die Mannschaft ist in sich stimmig. Es macht einfach von morgens bis abends Spaß.

taz: Ein besonders hohe Meinung von Ihresgleichen scheinen Sie aber nicht zu haben.

PN: Meinesgleichen gibt es doch gar nicht. Ich habe viele Kollegen, aber einen zweiten Peter Neururer, das kann die Bundesliga nicht verkraften.

taz: Einigen dieser Kollegen haben Sie vorgeworfen, kein Rückgrat zu haben. Wo fehlts?

PN: An der angesprochenen Zivilcourage, die sich unter anderem auch in mangelnder Solidarität ausdrückt. Die Verhaltensweisen der Trainer untereinander müssen sich ganz gewaltig ändern, da muss ein Ehrenkodex her.

taz: Wie könnte der aussehen?

PN: Dass wir uns beispielsweise dazu verpflichten, in der Öffentlichkeit grundsätzlich nichts über Kollegen zu sagen. Dass wir Fehler, die im Augenblick geschehen, nicht auf den Vorgänger zurückführen. Dass man sich nicht für einen Job ins Gespräch bringt, wenn ein anderer Kollege diesen Job noch ausübt. Und, und, und … – da gibt es eine ganze Menge, die man in so einen Ehrenkodex packen könnte.

Wir sind nicht irgendwer, wir sind Eintracht Frankfurt

Ingo Durstewitz (FR 30.1.) lobt und lobt Heribert Bruchhagen, Vorstandschef Eintracht Frankfurts, für dessen Fleiß und Mut: “Willi Reimann arbeitet auf dem Feld so engagiert wie nie zuvor, er mimt den Vorturner, er ist mittendrin, nicht mehr am Rand; Reimann sieht alles und überhört nichts, er lebt Leidenschaft und Bereitschaft vor, das war nicht immer so. Der Trainer gibt glasklare Kommandos, er tobt und schreit, gestikuliert und treibt an, lobt und tadelt. Bisweilen zucken die Profis zusammen, weil er sie in einer Phonstärke zusammenfaltet, die sie allenfalls aus der heimischen Stereoanlage kennen. Ich werde alles tun, um Eintracht Frankfurt in der Liga zu halten, sagt Reimann. Erstmals glaubt man ihm Worte wie diese. Der Trainer hat an Ansehen gewonnen, er scheint wie ausgewechselt, wirkte er doch vor der Winterpause leblos, zaudernd und lethargisch, als sei jeder Funke Begeisterung aus seinem Körper gewichen. Die Mannschaft rückte ein Stück weit von ihrem Vorgesetzten ab, Eintracht Frankfurt schien nicht mehr zu retten. Beim besten Willen nicht. Sechs Wochen später ist nicht nur der Trainer wie runderneuert, die Tristesse ist weggefegt, ein neuer Wind weht über Frankfurt. Den neuen Geist hat vor allen Dingen Heribert Bruchhagen entfacht, er hat dem darbenden Patienten neues Leben eingehaucht. Der neue Vorstandsvorsitzende, vormals Geschäftsführer bei der DFL, hat seine weitreichenden Kontakte in die Liga genutzt. Er hat drei Transfers eingeleitet, die Eintracht Frankfurt kaum jemand zugetraut hatte. Vor allem auf den Schultern von Ioannis Amanatidis und Ingo Hertzsch ruhen die Hoffnungen, hungrige Profis, die sich neu beweisen wollen, und Spieler, die Angebote hatten von Hannover 96, VfL Bochum und Hertha BSC, sich aber für die Eintracht entschieden. Wir sind nicht irgendwer, wir sind Eintracht Frankfurt, beeilte sich Bruchhagen zu sagen, die Eintracht hat Tradition und einen Namen, der nach wie vor zieht, der für Spieler attraktiv ist. Der Gymnasiallehrer, 55, hat die Eintracht Frankfurt Fußball AG binnen kürzerster Zeit auf professionelle Beine gestellt, er arbeitet rund um die Uhr, ist stets auf Achse, immer unterwegs in Sachen Eintracht Frankfurt. Unlängst ist er zu einer anberaumten Pressekonferenz 15 Minuten zu spät gekommen. Wer ihn kennt, weiß, wie unangenehm ihm so etwas ist. Bruchhagen hat sich in den zurückliegenden Wochen so manches Mal gewundert, mit welch Geringschätzung die lokale Wirtschaft, regionale Unternehmen der Eintracht entgegentreten; der Respekt für die als Skandalklitsche verschrieene Eintracht ist auf ein Minimum beschränkt. Das sind Altlasten aus der Vergangenheit, die er Stück für Stück wird abtragen müssen. Das kann klappen, denn mit dem Pädagogen hat Seriosität Einzug gehalten, er hat Verein und AG, einst spinnefeind, zueinander geführt.“

Tsp-Interviewmit Thomas Schaaf

Die Apportierer, die Mannhinterherhechler

Christof Kneer (BLZ 30.1.) stellt fest, dass Deutschland erneut taktische Innovation verschlafen hat: “Die Geschichte muss einfach stimmen. Sie ist so schön, dass kein Mensch sie erfinden kann. Die Geschichte geht so, dass der englische Nationaltrainer Alf Ramsey seinen Spieler Alan Ball fragt, ob er einen Hund habe, worauf der Spieler antwortet Ja, Boss. Ob er dem Hund ab und zu einen Ball hinwerfe, forscht Ramsey weiter. Ja sicher, sagt Ball. Was der Hund dann mache, will Ramsey wissen. Na, er jage den Ball und bringe ihn zurück, sagt Ball. Darauf Ramsey: Und ich will, dass du das für Bobby Charlton tust, was der Hund für dich tut. Man kann sich nicht erinnern, dass die Nummer sechs im Fußball schon einmal besser beschrieben wurde als von Alf Ramsey. England wurde übrigens Weltmeister damals, 1966, mit Ramsey auf der Bank und mit Charlton und Ball auf dem Platz. Für mehr als eine Epoche war damit das treffende Bild gefunden. Die Sechser, das waren die Hündchen in diesem Spiel namens Fußball: die Apportierer, die Mannhinterherhechler. Sie hießen erst Hacki Wimmer und Heinz Simmet, später hießen sie Wolfgang Rolff oder Dieter Eilts. Sie waren darauf abgerichtet, dem gegnerischen Zehner den Ball zu klauen und ihn dann artig beim eigenen Zehner abzugeben. Sie waren die Harrys, die dem Spielmacher den Wagen holten und sodann in der Kulisse verschwanden. Es gehört zu den Geheimnissen des Fußballs, dass viele noch immer nicht bemerkt haben, dass sich die Harrys emanzipierten (…) So kommt es, dass inzwischen auch in deutschen Landen kreative Mischwesen wie Dietmar Hamann, Torsten Frings, Fabian Ernst, Sebastian Kehl oder Frank Baumann wachsen. Sie verschlucken die Bälle nicht mehr nur wie jener frühe Sechsertypus, der einst als Staubsauger das Mittelfeld säuberte. Sie spucken die Bälle auch wieder aus wie eine Ballmaschine: rechts raus auf den Flügel, links raus auf den Flügel oder stramm nach vorn. Aber das Land hat lange gebraucht, um die neue Gattung der Ballspucker zu verstehen. Gerade diesem erhaben staksigen Hamann hat die Nation seine technische Veranlagung lange nachgetragen – sie wollte immer einen schön auffälligen Spielmacher, und sie hat nicht begriffen, dass hier unauffällig schön ein Sechser spielt. Die moderne Sechs hat sich in Spanien oder Italien früher durchgesetzt, weil dort mehr Wert auf Taktik gelegt wird als in Deutschland, sagt Rolff.“

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