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Bayern München siegt gegen Dortmunder No-Names, Kölner Spott für Kölner Fußball, Gram in Kaiserslautern

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bayern München siegt gegen Dortmunder No-Names, Kölner Spott für Kölner Fußball, Gram in Kaiserslautern

Hannover 96 – Werder Bremen 1:5

Peter Heß (FAZ 10.11.) schildert das Arbeitsethos Thomas Schaafs, Trainer von Werder Bremen, „der zur Zeit aufregendsten und unterhaltsamsten deutschen Fußballmannschaft“: “Akribisch, zuverlässig, mit Überblick, integer, ein bißchen langweilig. Wahrscheinlich muß Schaaf auch so sein, um ein Team voller Spielernaturen unter Kontrolle zu haben. Den Stars, Torjäger Ailton und Spielmacher Micoud, sind Stargefühle nicht fremd. Entsprechend diffizil sind sie im Umgang, bilden potentielle Sprengsätze für ein harmonisches Ganzes im Kader. Aber Schaaf schafft es, sie bei Laune zu halten und auch die übrigen Spieler so zu motivieren, daß sie voller Glauben an ihren Aufstiegsmöglichkeiten arbeiten (…) Für das Schmuckvolle sind in Bremen die Spieler zuständig, nicht der Trainer. Besser als umgekehrt.“

Jörg Marwedel (SZ 10.11.) stellt fest, dass sich viele Mannschaften nicht heimisch fühlen: „Der Mensch fühlt sich nicht wohl zwischen Kränen, nacktem Beton und jenen Resten bröckelnder, alter Bausubstanz, die ihn wehmütig machen in der Erinnerung an das Gewesene, während er das Künftige noch nicht genießen kann. Das alles trifft besonders auf die Baustellen von Fußballstadien zu. Von denen gibt es in Deutschland derzeit eine Menge, wegen der nahenden Weltmeisterschaft 2006. Zu beobachten ist dabei ein weiteres Phänomen, das durchaus folgerichtig erscheint: Der Mensch fühlt sich dort nicht nur unwohl, er spielt dort auch schlechter Fußball. Wie anders ist zu erklären, dass beinahe alle Sorgenkinder der Liga ein Problem eint: Sie spielen vor abgerissenen Tribünen und verwaisten Traversen auf, und ihre Mannschaften scheinen sich chamäleongleich diesem Zustand des Unvollendeten anzupassen. Zu nennen wären der 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, Hertha BSC Berlin und Hannover 96 – die drei letztgenannten Teams konnten vor der heimisch-unheimeligen Kulisse erst einmal gewinnen. Nicht zu reden von Fortuna Düsseldorf, dem einstigen Bundesligaklub, dem das Rheinstadion zunächst ersatzlos weggesprengt wurde und der dafür gar mit dem Sturz in die Viertklassigkeit zahlte. Der 1. FC Kaiserslautern wiederum, der nicht nur in mittelmäßige Spieler, sondern auch in die Baustelle Fritz-Walter-Stadion zu viel Geld investierte, hätte wohl schon längst keine Mannschaft mehr, wäre die Politik nicht mit ihren Winkelzügen eingesprungen. Dabei ist auch das verbliebene Team im Grunde nur dies: ein Fall für ein Abbruchunternehmen.“

Peter Heß (FAZ 10.11.) gratuliert dem Mann des Tages: “Bühne frei für die nächste Attraktion, Bühne frei für Nelson Haedo Valdez. In Zeiten, in denen die Bundesliga nach frischen Talenten lechzt, weil die Altstars abgetreten oder in die Jahre gekommen sind und die jüngeren Jahrgänge nur in Stuttgarter Ausnahmefällen Glitzerndes bieten, darf ein Spieler wie er den Fußballfreunden nicht länger vorenthalten werden. So jung, so unverbraucht, so unverkrampft, so gut – Nelson Haedo wirkt wie ein Antidepressivum auf dem Fußballplatz, wenn man nicht gerade zu seinen Gegenspielern zählt.“

Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart 0:2

Claus Dieterle (FAZ 10.11.) staunt über stoische Stuttgarter: „Warum bloß hat man das Gefühl, daß diesem VfB Stuttgart in der Fußball-Bundesliga derzeit einfach nichts passieren kann? Weil der Gegner Eintracht Frankfurt heißt, mit bescheidenem spielerischen Potential ausgestattet ist und folgerichtig gegen den Abstieg kämpft? Nein, das allein kann es nicht sein. Es haben ja schon ganz andere Kaliber versucht, den jungen Routiniers von Trainer Felix Magath Flecken auf die weiße Bundesliga-Weste zu machen. Natürlich haben selbst kühnste Pessimisten nicht erwartet, daß der Spitzenreiter ausgerechnet bei den Biedermännern vom Main eine Auszeit vom Erfolg nehmen würde, aber Glanz verströmte das Schwaben-Ensemble beim geduldig erarbeiteten 2:0 höchstens szenenweise. Bei den Treffern von Szabics und Kuranyi zum Beispiel, als es für die engagierte Eintracht einfach zu schnell ging. Dazwischen beschränkte sich der VfB auf eine Hinhaltetaktik nach dem Motto: Kräfte sparen, Schaden fernhalten – und im richtigen Moment zuschlagen. So hat es früher eine berühmte Mannschaft aus München gehalten. Souverän sieht bisweilen anders aus, aber irgendwie scheint das Tor von Timo Hildebrand eine magische Zone zu sein: Zutritt verboten.“

Christoph Biermann (SZ 10.11.) fordert von den Frankfurter Fans Geduld und Wirklichkeitsnähe: „Viel Geld konnte in diesem Sommer nicht in das Team investiert werden, das wundersamer Weise den Aufstieg geschafft hatte. Denn trotz all der fragwürdigen Förderung der Eintracht durch öffentliche und halböffentliche Gelder verfügt der Klub über eine nur bescheidene Wirtschaftskraft. Folglich ist die Mannschaft von Willi Reimann so zusammengestellt, dass sie nichts besonders gut kann. Die Abwehr ist nicht besonders sicher, das Mittelfeld ist nicht besonders kreativ, der Angriff ist nicht besonders gefährlich. Das einzige, was man von diesem Team erwarten darf – besonderen Fleiß und besonderen Einsatz – hat ihm bislang niemand absprechen können. Für den Aufsteiger ist jedes Punktspiel wie eine Partie im Pokal. Denn Eintracht Frankfurt ist ein Zweitligist, der sich in die Bundesliga verirrt hat, und wird aller Voraussicht nach im kommenden Jahr wieder ein Zweitligist sein, der in der zweiten Liga spielt. Einige Fans der Eintracht scheinen das nicht akzeptieren zu wollen, deshalb forderten sie zuletzt die Entlassung des Trainers. Reimann grummelte zurück, dass man ihn halt rausschmeißen solle, dann hätte er wenigstens wieder Zeit. Daraufhin wurde ein Transparent in der Frankfurter Kurve aufgehängt, in dem Reimann gedroht wurde, seine Zeit würde schnell ablaufen, wenn er Streit mit den Anhängern suche. Das kommt zwar donnernd, ist aber blöd. Eher sollten sie Reimann für jede Minute in der Bundesliga danken und zu jedem Platz jenseits des Tabellenendes gratulieren.“

Christian Eichler (FAZ 10.11.) beklagt rohe Sitten: „Gewiß hat die Rote Karte eine Inflation erlebt, weil das Regelwerk ihre rein disziplinarische Funktion erweiterte: als Gesundsheitschutz (Grätsche von hinten), als Kompensation für geraubte Torchancen (Notbremse, Handspiel), als Addition von zweimal Gelb. Doch nicht solche taktischen Platzverweise, bei denen wenigstens noch ein Ball im Spiel ist, geben der Saison einen Rotschimmer: Es sind die aus blinder Wut. Und die aus kalter Hinterhältigkeit. Notbremsen und Rücklingsgrätschen finden immer seltener statt – Profis meiden Betriebsrisiken. Dafür erlebt man die Inflation der persönlich gemeinten Körperverletzung. In Frankfurt trat Cipi auf den liegenden Amanatidis, in Berlin gingen Aidoo und Marcelinho zum Kampfsport über. Der rote Samstag lag im Trend. Spieltag acht: Tätlichkeit Brdaric; neun: Brutalitäten von Lapaczinski und Placente; zehn: Tätlichkeiten von Christiansen, Meyer, Kehl; elf: Ellbogenschlag Linke. Versteckte Tätlichkeiten ortete man früher nur in südlichen Ligen, etwa bei dem Real-Mexikaner Sanchez oder dem Lazio-Serben Mihajlovic, der zuletzt einen Gegner in der Champions League trat und bespuckte. Weil die Kamera es sah, wird er dank einer Sperre von acht Spielen wohl endlich aus dem internationalen Fußball verschwinden. Doch Hinterhältigkeiten häufen sich längst auch in der Bundesliga. Das übelste Foul des Spieltages blieb ungeahndet: Der Hannoveraner Krupnikovic trat dem liegenden Davala aufs Knie, als wolle er dessen Karriere augenblicklich beenden. Die Vorreiter dieser Verrohung haben nicht viel zu befürchten. Sie behandeln Fußball als blutigen Ernst, wissen aber, daß die Folgen ihres Tuns in den Grenzen eines Gesellschaftsspiels bleiben.“

Bayern München – Borussia Dortmund 4:1

Philipp Selldorf (SZ 10.11.) sah einen verdienten Bayern-Sieg: „Die Abordnung von Borussia Dortmund, die um kurz vor halb sechs im Licht eines prächtigen Vollmonds auf den Rasen des Olympiastadions marschierte, trug zwar das traditionelle Schwarz und Gelb, hatte aber ansonsten wenig mit dem üblichen Erscheinungsbild der Mannschaft zu tun. Spielernamen wie Brzenska, Senesie und Metzelder – Malte, nicht Christoph – machten diese Begegnung der beiden deutschen Vereinsgiganten zu einem Duell mit ungleichen Voraussetzungen. Insofern wäre es wohl übertrieben, nach dem 4:1 der Bayern gegen das tatsächlich letzte Aufgebot der Borussia, das sich im Lauf der Partie obendrein selbst dezimierte, von der Rückkehr zu altem Glanz zu schwärmen. Aber abgesehen von dem dankbaren Gegner waren die spielerischen Fortschritte und vor allem der Wille, sich zu rehabilitieren, nicht zu verkennen. Die Probleme, die Ottmar Hitzfeld veranlasst hatten, seine Spieler in einem Trainingslager am Tegernsee einzuschließen, fanden im Stadion nur noch auf den Fanplakaten ihre Fortsetzung. „Wir stehen zu Euch – kämpft“ hatten Anhänger auf ein Transparent gepinselt – das klang, als ob die Bayern im Abstiegskampf stünden, und so hatten es ja auch Präsident Franz Beckenbauer („Um die Säbener Straße mache ich derzeit einen großen Bogen“) und die Schlagzeilen der Tagespresse („FC Leblos“) zuletzt nahe gelegt.“

morgen mehr zu diesem Spiel und zum 3:1 Leverkusens gegen Schalke

Hamburger SV – 1860 München 3:1

Ralf Wiegand (SZ 10.11.) hört den Verantwortlichen von 1860 München zu und runzelt die Stirn: „Unten im flugzeughangargroßen Keller der AOL-Arena zieht es aus allen Ritzen, aber einem öffentlichen Kranken, wie ihn Karl-Heinz Wildmoser gerade auf der Fußball-Bühne gibt, kommt das nur recht. Kerzengerade stellte sich der Grande des TSV 1860 München in die kalte Abendluft, schlug den Mantelkragen hoch und wartete, wer ihm diesmal die obligatorischen Genesungswünsche überbringen würde. Lange dauerte es nicht, bis Bernd Wehmeyer vom Hamburger SV sich mit dackelhaftem Kondolenzblick dem Sechz’ger-Paten näherte und ihm „alles, alles Gute“ wünschte; wie jeder andere hatte auch er gelesen, wie schwer dieser arme Mann an seinem Klub leidet und ein bisschen wohl auch an seiner Schilddrüse (…) Wildmoser senior zeichnet seine Löwen inzwischen gern als Dorf-Klub, der „in der Bundesliga mitspielen kann, wenn er an die Leistungsgrenze geht“ – als sei 1860 kürzlich erst eher zufällig an einer riesigen Wunderbohne in den Fußball-Himmel geklettert und nicht schon seit knapp zehn Jahren eine feste Größe in der Liga. Starspieler wie Thomas Häßler, Martin Max, Gerald Vanenburg, Abédi Pele, Davor Šuker oder Jens Jeremies hängen noch nicht lange in der Galerie der alten Meister, aber inzwischen redet Wildmoser schon von einem Durchschnittsspieler wie David Jarolim, als handele es sich um Zidane persönlich: „Womit hätt’ ma den bezahlen soll’n, mit Hosnknöpf?“, raunzte Wildmoser. Die neue Bescheidenheit des TSV 1860, der sich jetzt gern als Jugendförderverein verkauft und jede schwache Leistung mit „Unerfahrenheit“ (Wildmoser II) zu begründen versucht, ist offenbar Teil einer Überlebensstrategie, die Opfer auf allen Ebenen fordert. Bei den Physiotherapeuten und in der Presseabteilung sind bereits Stellen abgebaut worden, einst geplante Baumaßnahmen auf dem Vereinsgelände liegen auf Eis, und neue Spieler sollen mit der Moralkeule in den Verein geprügelt werden, weil fürs branchenübliche Wettbieten das Kleingeld fehlt. So buhlen um den Mittelfeldspieler Markus Feulner, 21, vom FC Bayern München, dem der TSV 1860 ein Angebot gemacht hat, neuerdings „ja noch acht andere Klubs, wie man hört“, zischte Karl-Heinz Wildmoser. Man werde ja sehen, „ob er sich fürs Geld entscheidet oder erkennt, wo die Jugend gefördert wird“. Spiele wie die in Hamburg bringen freilich auch den jüngsten Spieler kein Stück weiter.“

Frank Heike (FAZ 10.11.) berichtet die Handhabe Klaus Toppmöllers, Trainer des HSV: „Für den ersten Sieg mit dem neuen Trainer ist auch Sergej Barbarez während der vergangenen Trainingswoche an seine Grenzen gegangen. Er ist nicht mehr gelaufen als sonst, er hat nicht mehr gegrätscht als sonst, nein – er hat seinen Magen malträtiert wie nie zuvor. Ich konnte das Zeug am Ende nicht mehr sehen, sagte der Bosnier schmunzelnd, aber wenn der Trainer meint, dadurch fünf oder zehn Prozent mehr Leistung herauszukitzeln, dann trinken wir es. Toppmöller hatte seinen Profis seit Mittwoch Kraft-Shakes kredenzt, scharfe Sachen, wie der neue Trainer leicht verrätselt später sagte, um damit den von ihm beobachteten schlechten Fitneßzustand seiner Profis auf die Schnelle zu beheben. Den wollte Toppmöller beim innerhalb von wenigen Minuten zustande gekommenen 2:3 des HSV in Dortmund wahrgenommen haben. Das war eine kaum versteckte Kritik an der Aufbauarbeit seines Vorgängers Kurt Jara, die manchen erstaunte, hatte der HSV mit Jara doch in vielen Spielen frühe Rückstände spät und durchaus kraftvoll ausgeglichen und umgebogen (…) Wir haben Kohlehydrate in vernünftiger Dosis eingenommen. Wir haben seit Mittwoch einen Mediziner dabei, der das überwacht. Wir müssen auch außerhalb des Platzes alles Menschenmögliche tun, um fit zu sein. Profis müßten sich professionell ernähren, meinte Toppmöller zur von ihm initiierten Aktion kontrolliertes Essen und Trinken beim HSV. Sergej Barbarez indes wollte das Phänomen der späten Gegentore wie auch die Fünf-Minuten-Lähmung im Westfalenstadion eher einem Körperteil zuordnen, der etwas weiter oben liegt als der Bauch: Kräftemangel würde ich nicht sagen. Bei uns ist es eher ein Kopfproblem.“

VfL Bochum – 1. FC Köln 4:0

Roland Zorn (FAZ 10.11.) hört Spott in der Kölner Fankurve: „In der ersten Halbzeit saß der Schreck bei den rund 7000 mitgereisten Anhängern des 1. FC Köln tief, in der zweiten Hälfte sangen sich die Fans von ihrem Klub los. Sie gaben ein süß-saures Open-air-Konzert, nach dem den Verantwortlichen beim Bundesliga-Aufsteiger die Ohren geklungen haben müssen. Wir sind nur ein Karnevalsverein, lautete einer der Lieblingshits der rot-weißen Kolonne, die tapfer und lauthals gegen die deprimierende 0:4-Schlappe ihres Teams anschmetterten. Viva Colonia gehörte ebenso zum selbstironischen Repertoire der besten Sängerknaben der Liga wie der schon zu fröhlicheren Anlässen angestimmte Fußballplatzchoral So ein Tag, so wunderschön wie heute…. Dazwischen feierten die frustrierten Kölner noch die ehemaligen FC-Angestellten Peter Neururer und Sunday Oliseh, die am Samstag zu den Heldendarstellern des VfL gehörten. Um beim neuen FC-Trainer Marcel Koller aber keinen Irrtum über die wahre Gemütslage der kölschen Seele aufkommen zu lassen, skandierte die trotzige Gefolgschaft des Traditionsklubs auch Unzweideutiges wie Wir ham die Schnauze voll und Wir sind Kölner und ihr nicht. Der Schweizer Meistertrainer, den es nach Titeln und Triumphen in der Heimat zum Tabellenletzten der deutschen Bundesliga verschlagen hat, erlebte einen Einstand, der aber auch gar keine Hoffnung auf bessere Zeiten machte. So wie die Kölner am Samstag spielen sonst Mannschaften, bei denen der Coach kurz vor der Entlassung steht. Der 42 Jahre alte Zürcher hatte sich zur vermeintlichen Feier des Tages, wie sich herausstellen sollte, angemessen eingekleidet. Schwarz die Jacke, schwarz der Anzug, das paßte zum traurigen November-Auftritt der Kölner Profis. Der Mann, der den Offensivfußball liebt, mußte mit ansehen, daß seine Elf nicht einmal bedingt abwehrbereit ist.“

Die Tatsache, dass Manager und Trainer ihre Teams auch nach Niederlagen in die Fankurven schicken, um sich bei diesen für die Schmähungen zu bedanken, wertet Matti Lieske (taz 10.11.) als Zugeständnis an die Fans, die sich Macht zurückerobert hätten: “Eine relativ neue Sitte in der Bundesliga, über welche Fußballer anderer Länder vermutlich nur den Kopf schütteln können. Dort läuft man zu den Fans, wenn man gewonnen hat, um sich gebührend feiern zu lassen. Oder man bedankt sich, wenn man verloren hat, aber tapfer gekämpft, und einen die Anhänger bis zum Ende unterstützt und angefeuert haben. Ganz gewiss begibt man sich jedoch nicht zu einer Horde missgelaunter, selbstgefälliger und Beleidigungen ausstoßender Menschen, die schon eine ganze Halbzeit lang jede gelungene Aktion des Gegners höhnisch beklatscht und den eigenen Spielern mitgeteilt haben, dass diese – im Gegensatz zu ihnen selbst – nicht würdig seien, das Trikot des jeweiligen Vereins zu tragen. Ihre Fortsetzung findet die unsägliche Anbiederung der Vereinsmanager an die Fans inzwischen meist bei den beliebten Sitzblockaden vor dem Mannschaftsbus und den Diskussionen, die arme Spieler und Trainer noch stundenlang mit teils schwer besäuselten Leuten führen müssen, welche die Boulevardschlagzeilen der letzten Woche auf der Zunge tragen und sich zum Beispiel im Glauben wiegen, dass der 1. FC Köln um die Meisterschaft mitspielen müsse oder Hertha BSC eine europäische Spitzenmannschaft sei. Niederlagen können somit bloß dem bösen Willen der Spieler oder der Dummheit des Trainers geschuldet sein. Was diesen natürlich unmissverständlich und prompt mitzuteilen ist. Der verordnete Kotau in hass-brodelnder Kurve ist jedoch nicht nur Martyrium für gedemütigte Verlierer, sondern symbolisiert auch eine erstaunliche Entwicklung: die Renaissance des Fans. Fast schien er schon abgeschrieben in Zeiten der Versitzplatzung, Logenbildung und Durchkirchung. Doch dann meldete er sich mit der 15.30-Uhr-Aktion sowie ultramäßigen Inszenierungen für Auge und Ohr zurück – und scheint plötzlich unverzichtbarer denn je. Je schlechter der Fußball, desto hofierter der Fan.“

Christoph Biermann (SZ 10.11.) ergänzt: „„Wir haben ein schwieriges Spiel erwartet“, sagte Mittelfeldspieler Sunday Oliseh, einst ebenfalls beim FC beschäftigt, „wenn in Deutschland ein neuer Trainer kommt, gehen die Spieler richtig hin, das gibt es in anderen Ländern so nicht.“ Die Kölner gingen auch wirklich richtig mit Lust hin – sieben Minuten lang. Dann griffen die Gastgeber zum ersten Mal an, und Vahid Hashemian konnte den Führungstreffer für Bochum erzielen. Anschließend war alles, was sich die Gäste vorgenommen haben mochten, restlos verschwunden. Mit dem zweiten ernsthaften Angriff stand es nach einer Viertelstunde 2:0, und eigentlich jedes Mal, wenn die Bochumer in Kölns Strafraum kamen, brach dort Anarchie aus. Ein „überragendes Ergebnis bei einer durchschnittlichen Leistung“, konstatierte Bochums Trainer Peter Neururer, und deprimierender für die Kölner konnte man es kaum zusammenfassen. Fast wäre einem sogar in den Sinn gekommen, dass Friedhelm Funkel doch Recht hatte. Der entlassene Trainer hatte in Köln nur mit strikter Defensive gepunktet, und diese gelebte Freudlosigkeit scheint, den Eindruck musste man jedenfalls haben, die einzige Chance dieser Mannschaft zu sein.“

SC Freiburg – VfL Wolfsburg 3:2

Christoph Kieslich (FAZ 10.11.) klopft Alexander Iaschwili, Freiburger Schütze aller drei Tore, auf die Schulter: „Der hat Bewegungen drauf, die gehören eigentlich verboten, hat ein früherer Freiburger, Jens Todt, einmal über Iaschwili und seine begnadeten Dribblings gesagt. Seit 1996 spielt der Georgier in Deutschland, erst beim VfB Lübeck, seit Oktober 1997 beim SC Freiburg. Am Samstag hat der 26 Jahre alte Angreifer seine hundertste Erstligapartie im Trikot der Südbadener bestritten und sein Jubiläumsspiel zur Iaschwili-Gala gemacht. Nach jeweils zwei Treffern zuletzt gegen Bremen und beim Pokaltriumph gegen Schalke gelang ihm nun ein Dreierpack, was vor ihm in zehn Jahren Bundesliga nur drei Freiburger geschafft haben: Uwe Wassmer (einmal gegen die Bayern und in Duisburg), Adel Sellimi bei einem 5:0 gegen Rostock und Soumaila Coulibaly bei einem 4:3 gegen den HSV vor eineinhalb Jahren. Es war ein Sieg quasi im Alleingang.“

Hansa Rostock – 1. FC Kaiserslautern 4:0

Matthias Wolf (FAZ 10.11.) hat Mittel gesehen, die er im Abstiegskampf erwartet: “Schlünz spricht seit seinem Dienstbeginn vom Existenzkampf. Der Trainer hatte aber zunächst alle Mühe, seinem Personal die Anweisungen seines schöngeistigen Vorgängers Armin Veh auszutreiben. Ball und Gegner müssen nicht mehr pfleglich behandelt werden. Wer das mißachtet, dem droht Ungemach. Es kann nur über die kämpferische Komponente gehen, sagt der Trainer, und über die Gemeinschaft. Damit war auch Antonio Di Salvo gemeint. Der Italiener erzielte binnen elf Minuten ebenso viele Tore wie in der gesamten letzten Saison. Bei Hansa hatten sie befürchtet, er sei an der Ostsee schon gescheitert. Weil ihn Veh nicht mehr einsetzte und stetig aufforderte, sich endlich einen neuen Verein zu suchen. So hat er das mit vielen Reservisten gemacht. Schlünz beorderte nun fünf von ihnen in seine Startelf: Ich habe zu allen gesagt, daß sie die Berechtigung haben, in der ersten Liga zu spielen. Eine Prise Psychologie, die am Samstag Wirkung zeigte.“

Ronny Blaschke (SZ 10.11.) schildert Gram auf beiden Seiten: „Auf den ersten Blick war der Sieger kaum zu identifizieren. Im Pressestübchen des Ostseestadions hatten Juri Schlünz, Trainer des FC Hansa Rostock, und Eric Gerets, Berufskollege in Kaiserslautern, gerade begonnen, ihre Kurzvorträge zu halten. Wenige Minuten waren vergangen nach dem 4:0 der Rostocker, es war der erste Sieg seit neun Spielen. Doch von der Eindeutigkeit des Ergebnisses war in den Gesichtern der Trainer nichts zu lesen. Aschfahl, so saßen sie dort, und sprachen über Krisen und Befreiungsschläge. Fast wirkte die Szene wie ein inszenierter Rollentausch. Die Rostocker hatten ihren Gegnern eine Lehrstunde in Sachen Offensivfußball erteilt. Niemand auf den Tribünen war darauf vorbereitet, wie selbstverständlich war die Kunst des Scheiterns zuletzt Teil des Rostocker Systems gewesen, bis der Erfolg zurückkehrte. „Dieser Sieg tut unheimlich gut“, sagte Schlünz nach seinem ersten Sieg als Cheftrainer, „ich hoffe, jetzt geht es in die andere Richtung.“ Über einen Richtungswechsel musste auch Eric Gerets sprechen. Mit düsterem Blick und tiefen Sorgenfalten suchte er nach Erklärungen für die schlechteste Saisondarbietung. Spötter im Stadion sahen Kaiserslautern auf dem Rostocker Niveau vergangener Wochen angelangt.“

Oliver Trust (Tsp 10.11.) kommentiert die Probleme in Kaiserslautern: “Im Team herrschen Neid und Missgunst. Altgediente Spieler sind sauer, weil Gerets auf seine Neueinkäufe setzte und nicht die belohnt, die vergangene Saison den Klassenerhalt gesichert haben. „Die vielen Neuen waren ein Eigentor“, sagte Kapitän Alex Knavs. „Durch die vielen Neuen wurde die Mannschaft extrem verändert, das war ein Fehler. Eigentlich sollte sich der Trainer auf Leute verlassen, die geholfen haben, die Karre wieder aus dem Dreck zu ziehen.“ Die meisten Neuen, bis auf Kosowski, sitzen längst nur noch auf der Bank. Die Käufe von Freund, Nurmela, Vreven und Mettomo entpuppten sich als Fehlschlag. Der Graben zwischen Trainer und den Altgedienten bleibt. Im Team ist keine Hierarchie erkennbar.“

Hertha BSC Berlin – Borussia Mönchengladbach 2:1

Christof Kneer (BLZ 10.11.) berichtet Änderungen in Berlin: “Luizao ist Herthas Krisengewinnler, man kann das Zufall nennen. Aber vermutlich steckt hinter dem Kuriosum eine profane Wahrheit. Vermutlich ist es so, dass sich Huub Stevens selbst zu seinem Glück gezwungen hat. In Krisenzeiten macht man ja oft die besten Erfahrungen, und es spricht einiges dafür, dass das Ultimatum der Vereinsführung den Trainer so unter Druck gesetzt hat, dass er gar nicht anders konnte, als sich selbst zu besiegen. Er hat gewusst, dass jetzt nur noch Siege helfen, er hat gewusst, dass man für Siege Tore braucht – also hat er einfach jene aufgestellt, die am ehesten zum direkten Torschuss taugen. In der Not hat er mit Bobic und Luizao zwei Mittelstürmer zusammenkomponiert, von denen es bei Hertha stets hieß, sie könnten bauartbedingt nicht zusammen spielen. Es ist jetzt nicht mehr zu übersehen, dass Huub Stevens unter dem Eindruck des umstrittenen Ultimatums seinen Stil verändert hat. Er ist kein anderer Trainer geworden deswegen, aber er hat sich im Angesicht der drohenden Entlassung seine personelle Sprunghaftigkeit abtrainiert. Neun Spieltage lang hatte er seinen Kader stets so bunt durcheinander gemischt, dass dieser Flickerlteppich von Mannschaft vor lauter Buntheit den allergrauesten Fußball zusammenstolperte. Ohne Not hatte der Balance-Fanatiker Stevens an neun Spieltagen neun verschiedene Aufstellungen erfunden – erst als die Not kam, vertraute er der Kontinuität. Dreimal in Folge hat er nun dieselbe Hertha an den Start gebracht, und die einzige Veränderung vor dem Gladbach-Spiel war nur der Rückkehr des Kapitäns Dick van Burik geschuldet, der Andreas Schmidt aus der Elf drängte. Fürs Erste hat es Stevens geschafft, dass erste Ansätze eines Koordinatensystems sichtbar werden, wenn auch auf immer noch erschreckend niedrigem Niveau.“

Christian Ewers (FAZ 10.11.) ergänzt: “Vielleicht ist das aus Berliner Sicht der erfreulichste Aspekt: Die Mannschaft hat sich selbst einen Weg gewiesen, wie sie aus der Krise kommen kann. Zwar war die Partie gegen Gladbach wahrlich keine grandiose, doch steht sie für die Rückkehr zu einem nüchternen und sachorientierten Fußball. Einzig Marcelinho, der brasilianische Regisseur, schlug zu Spielbeginn Haken wie ein Kaninchen im Frühling. Hertha BSC, der selbsternannte Anwärter auf einen Champions-League-Platz, kämpft um den Klassenverbleib. Der neue simple Stil der Mannschaft scheint vor allem jenen Spielern Sicherheit zu geben, die zuletzt unter dem Druck hoher Erwartungen eine enttäuschende Partie nach der nächsten abgeliefert hatten. Niko Kovac, vom FC Bayern München als Führungsspieler geholt und in Berlin bislang nicht mehr als ein Mitläufer, bot gegen Mönchengladbach seine bisher beste Saisonleistung. Keine haarsträubenden Dribblings mehr, keine Chefallüren im Mittelfeld. Kovac spielte schnörkellos und beschied sich mit der Rolle des Vorbereiters.“

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