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Mit Völler als Teamchef zur WM 2006

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Mit Völler als Teamchef zur WM 2006

Heute beginnt diejenige Turnierphase, in der nach jedem Spiel Teams auf die Heimreise geschickt werden und wodurch sich Teilnehmerfeld und möglicherweise auch Favoritenkreis täglich reduzieren wird. Misserfolge – für manche Teams zählt dazu bereits ein Unentschieden, im Falle Frankreichs gar ein nicht ausreichend deutlicher Sieg – werden nicht mehr wettzumachen sein. Demnach wird uns der dritte Spieltag der Vorrunde Dramatik bieten, wobei sich die Aufmerksamkeit der Beteiligten wie der Zuschauer oftmals nach dem Geschehen beim jeweils anderen Gruppenmatch richten wird. Zur Erinnerung: Seit dem Skandalspiel von Gíjon 1982, als sich Deutschland und Österreich ein für beide ausreichendes Ergebnis (1:0) zurechtlegten und das zuschauende Algerien dadurch ausschied, wird der letzte Akt der Vorrunde zeitgleich ausgetragen.

Auch für Deutschland geht es heute bereits ums Überleben. „Wer die physische Stärke der Kameruner miterlebt hat und deren spielerisches Vermögen Aufblitzen sah, kann nicht allen Ernstes einen Sieg des Afrikameisters ausschließen“, wie Peter Heß (FAZ) vermerkt. Deutschland und ausscheiden? „Sollte dies geschehen, haben ganz bestimmt viele schon lange gewusst, dass diese deutsche Mannschaft nicht das Format hat, sich gegen die Besten der Welt zu behaupten“, verwehrt sich Jan Christian Müller (FR) gegen vermeintliche Besserwisser. Zwei Dinge sind in der Tat sicher: Erstens ist der Ball noch immer rund, und dieser DFB-Auswahl ist alles zuzutrauen: der Finaleinzug sowie ein frühes Scheitern. Zweitens werden sich nach den Turnierende – wann immer es eintritt – Experten finden, die dieses schon immer vorauszusagen wussten.

Außerdem: Oliver Kahn, Fußball und Politik (Argentinien, Frankreich, Kamerun), südländische Stimmung in Japan u.v.m.

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Jan Christian Müller (FR 11.6.) bemerkt vor dem entscheidenden Spiel gegen Kamerun. „Die tiefe emotionale Bindung in Deutschland mit den besten Fußballprofis des Landes lässt es nicht zu, dass eine Niederlage im Land klaglos hingenommen würde. Denn es wäre ja eine historische Niederlage, und auch eine für die Nation an sich. Für ein Land, das der Arbeitslosigkeit nicht Herr wird, dessen Wirtschaft im europäischen Vergleich nur im Zuckeltempo vorankommt, dessen Schulsystem als dringend modernisierungsbedürftig gilt, dessen Bezahlfernsehen vor der Pleite steht und eigentlich Hilfe aus dem Ausland benötigt. Und dann auch noch ein Land, dessen Fußballprofis noch nicht mal mehr gut genug sind für Irland und für Kamerun.“

Peter Heß (FAZ 11.6.) zum selben Thema. „Ein erstmaliges Scheitern in einer WM-Vorrunde bedeutete nicht das Ende des deutschen Fußballs und würde von den meisten auch nicht so aufgefasst werden. Die Kette von bösen Überraschungen bei dieser WM-Endrunde für die traditionellen Fußballmächte wie Frankreich, Italien, Argentinien und für Teams aus der erweiterten Spitze wie Russland und Polen hat die Nachsicht mit der deutschen Mannschaft wachsen lassen. Dass sie nicht mehr zu den ganz Großen gehört, ist eine über mehrere Jahre gewachsene Erkenntnis. Immerhin muss man sich nicht mehr schämen, seit Völler die Mannschaft betreut. Die Reputation des Weltmeisters von 1990 würde auch durch eine Niederlage gegen Kamerun nicht nachhaltig leiden. Zu Völlers Kompetenz kommen hohe Sympathiewerte. Mit ihm als Teamchef will Deutschland die WM 2006 ausrichten.“

Stefan Hermanns (Tsp 11.6.) dazu. „Die offenkundige Gelassenheit von Völler und Co. korrespondiert nicht ganz mit den Sorgen der Heimat. Die Erfahrungen der Turniere von 1994 und 98 sowie die Europameisterschaft 2000 haben das Vertrauen der Deutschen in ihre Nationalmannschaft ein wenig erschüttert. Früher wäre das ja überhaupt keine Frage gewesen: ein Unentschieden gegen Kamerun? Ha! Aber die Zeiten haben sich geändert.“

Pressestimmen zu den Spielen der Gruppe D (KOR-USA, POR-POL)

Pressestimme zum Spiel Tunesien-Belgien (1:1)

über die Stimmung in Japan nach dem historischen Sieg

Ausschreitungen in Russland

Ob der Gelassenheit der kamerunischen Elf ist Ronald Reng (FR 11.6.) skeptisch. „Im Freizeitpark locker zu sein, ist eine Sache; ob sie deswegen auch im entscheidenden Moment heute frei von Nerven sind, eine andere. Und vor allem stellt sich die Frage, ob es tatsächlich Leichtigkeit ist, die Kamerun fehlt. Oder vielleicht doch eher taktische Organisation und ein klein wenig fußballerische Klasse? Im Spiel gegen Deutschland laufen Kameruns Spieler genauso wie ihr deutscher Trainer Gefahr, als größter Bluff dieser WM enttarnt zu werden.“

Der Kapitän der deutschen Elf verweigert sich modischen Kategorisierungen. Michael Horeni (FAZ 11.6.). „Der globalisierte Fußball hat seine Richtung seit den Boom-Neunzigern nicht geändert, im Gegenteil. Er dreht sich weiter, schneller, wie wahnsinnig um die Idee des Investments, das nur dem kühlen Nutzen huldigt, dem operativen Ergebnis, der Reichweite, dem Imagetransfer, den Kontakten, den Klicks. Aber zum Beginn des 21. Jahrhunderts heißt die Leitfigur in Fußball-Deutschland Oliver Kahn. Mit dem Zeitgeist passt das nicht zusammen. Der deutsche Kapitän verkörpert in keiner Sekunde die Leichtigkeit eines Popstars wie David Beckham, der Ikone des modernen Fußballs und der Medien. Kahn ist einem genussfeindlichen Arbeitsethos verhaftet, das im Fußball wie in Deutschland schon lange von der Zeit überholt zu sein scheint (…) Er ist der Kapitän, und das bedeutet, repräsentative Pflichten gegenüber der Öffentlichkeit wahrzunehmen. Aber Kahn macht sich bei der Weltmeisterschaft nahezu unsichtbar. Er spielt und trainiert und sagt nur soviel wie unbedingt sein muss. Kein Vergleich zu Beckham oder anderen Spielführern. Kahn aber ist es gelungen, dass diese öffentliche Verweigerung nicht als Trotz oder Ignoranz wahrgenommen wird. Sie wird ihm zugestanden, als Teil des notwendigen Vorbereitungsprogramms eines sportlichen Asketen.“

Über den Stellenwert des Fußballs in Argentinien heißt es bei Holger Gertz (SZ 11.6.). „Fußball war in Argentinien immer ein Weg, den anderen zu zeigen, wer man ist, genauer gesagt: dass man ist. Als wären die Deutschen ewig in den Fünfzigern hängen geblieben, als ja, wie Fußballphilosophen sagen, mit dem Sieg bei der WM in Bern 1954 die Bundesrepublik eigentlich gegründet wurde. Argentinien gewann daheim bei der WM 1978 mit 3:1 im Finale gegen Holland, und auch das war nicht Fußball, sondern ein langer Werbefilm im Sinne der damals regierenden Junta, gerichtet an die anderen Nationen und an das eigene Volk. Es ging darum, abzulenken von Morden, Folterungen, Verschleppungen. Als sich Argentinien 1982 auf den Falkland-Krieg gegen England vorbereitete, wurden die Fernsehbilder der Truppenübungen gegengeschnitten mit Aufnahmen vom WM-Sieg, und Osvaldo Ardiles, ein berühmter argentinischer Kicker, der damals in England spielte, bei Tottenham, musste Großbritannien vorübergehend verlassen.“

Christoph Keil (SZ 11.6.) glotzt TV. „Faßbender sieht schon lange nicht mehr jedes Foul, und Mohren ist sprachlich in den frühen 80ern hängen geblieben. Rethy wird immer an der eigenen, falschen Einschätzung festhalten, auch nach der dritten Zeitlupe. Und Kerner redet und redet und findet dann so ein Spiel wie das der Engländer gegen die Argentinier mittelmäßig, weil er sich was auch immer davon versprochen habe (…) Vor seiner Verwandlung in JBK war Kerner ein öffentlich-rechtlich sozialisiertes Talent vom Sender Freies Berlin. Wieviele Talente gibt es noch? Wirklich so wenige, dass die ARD ihre Bellheims nach Japan und Südkorea schicken musste?“

Die politische Bedeutung des Fußballs erfährt in Frankreich eine besondere Aufladung. Es geht um die Durchsetzung eines toleranten Gesellschaftsentwurfs; und gegen die fremdenfeindliche Politik von Jean-Marie Le Pen. Jürg Altwegg (FAZ 11.6.) dazu. „Für die Fußballer bleibt die politische Korrektheit, die sie verinnerlicht haben, die beste Taktik. Gegen die ehemalige Kolonie Senegal war die Niederlage ein vornehmes Resultat. Mit Uruguay, dem kleinen Land aus dem aufstrebenden Lateinamerika, dessen demokratische Bemühungen man unterstützen will, teilte man höflicherweise die Punkte. Doch heute kann es keine Rücksichten mehr geben. Ein Sieg muss her, mindestens zwei Tore müssen fallen – gegen den verhinderten Gauleiter (gemeint ist Le Pen, of) zu Hause, den man vor vier Jahren nicht endgültig hatte besiegen können. Und auf dem Spielfeld. Die Rückkehr des antifaschistischen Spielführers Zidane wird die historische Dynamik gegen die nur vordergründig unverdächtigen Dänen neu entfachen. Denn die blonden Hünen aus dem Norden sind ja doch irgendwie Wikinger und diese bekanntlich die Urahnen der Nazis.“

Wie eng Politik und Fußball verknüpft sein können, beleuchtet Thomas Scheen (FAZ 11.6.) am Beispiel Kameruns. „Die „unzähmbaren Löwen“, wie die vom deutschen Übungsleiter Winfried Schäfer betreuten Männer aus Westafrika sich selbst nennen, sind nicht nur eine Fußballnationalmannschaft. Sie sind Identitätsstifter und Blitzableiter in einem regelmäßig von sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Unruhen heimgesuchten Land. Und die Mannschaft ist der beste Wahlhelfer des seit nunmehr 20 Jahren regierenden Präsidenten Paul Biya. Die Zeitungen des Landes hatten den Gewinn der Afrika-Meisterschaft in Mali zu Beginn dieses Jahres erstens der Mannschaft und zweitens der Politik des Sportministers zugeschrieben, was „Tarzan“ (wie Schäfer in Kamerun genannt wird) eigentlich die Zornesröte unter den semmelblonden Schopf hätte treiben müssen. Doch Schäfer ließ sich nichts anmerken, und es traf sich gut, das der Deutsche kein Französisch spricht und vorsorglich verkündete, die Sprache Voltaires auch nicht lernen zu wollen. Wer sich öffentlich nicht zu äußern braucht, muss später auch nichts zurücknehmen. Im Ernstfall nämlich entscheidet in Kamerun nicht der Trainer über die Aufstellung der Mannschaft, sondern der Präsident.“

Über den Zusammenhang zwischen Theater und Fußball sinniert Klaus Dermutz (FR 10.6.). „Das (deutschsprachige) Theater verdankt dem Fußball viel. Wären die Uraufführungen fast aller Bernhard-Stücke solche Triumphe geworden, wenn nicht der beidbeinige Claus Peymann, der Herberger-Freund Bernhard Minetti und der vom russischen Torhüter Lew Jaschin inspirierte Gert Voss sie zum Leben erweckt hätten. Wäre Kick-and-Rush-Peymann überhaupt nach Österreich gegangen, wenn er nicht um seine Qualitäten als Stürmer und Verteidiger gewusst hätte? Das Land war für Peymann ein Strafraum, in dem er auch dann noch gefoult wurde, wenn er gar nicht am Ball war.“

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