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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2016

EM 2016 – Brodelnde Gewalt

Kai Butterweck | Dienstag, 14. Juni 2016 Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Brodelnde Gewalt

Die EM im Fadenkreuz der Hohlhirne: Hooligans aus Russland, Deutschland und England prügeln sich durch die französischen Stadien. Die Presse ist entsetzt

Während des Spiels Russland gegen England zünden gewaltbereite Ultras Raketen und Böller im Stadion. Lutz Wöckener (Welt) ist fassungslos: „Die angekündigten Megasicherheitsschleusen entpuppten sich als überflüssige Durchlaufstationen. Mancher war nach einem Klaps auf Po oder Bauch und der Kontrolle der Eintrittskarte schon im Stadion. Sicherheitsstufe drei, nur nochmal zur Erinnerung. Laisser-faire, das verwundert und beängstigt. Wenn russische Hooligans problemlos Knallkörper und Raketen ins Stadion bekommen, werden Terroristen nicht am Einlass scheitern. Jedes Zweitligaspiel in Deutschland ist sicherer als die Partien bei der EM.“

Thomas Krause (stern.de) weiß, warum die Hooligans gerade jetzt zuschlagen: „Die EM in Frankreich ist die vorerst letzte Gelegenheit für Hooligans, sich ein Kräftemessen zu liefern. Bei der WM 2018 in Russland dürften viele Hooligans das härtere Durchgreifen der Polizei fürchten. Wer will schon einen mehrwöchigen Urlaub buchen und am ersten Abend in Polizeigewahrsam landen? Bei der EM 2020 spielen wieder die Distanzen eine große Rolle. Das Turnier findet über ganz Europa verteilt statt: Zwischen St. Petersburg, Rom und Glasgow müssen nicht nur die friedlichen Fans ihrem Team hinterherreisen. Das ist teuer und aufwändig – für viele wohl zu aufwändig. Bei der WM 2022 in Katar kommen dann beide Gründe zusammen: Teure Anreise plus eine Polizei, die nicht zimperlich sein dürfte. Und wo die EM 2024 stattfindet, steht noch nicht einmal fest.“

Ein Zeichen ist besser als nichts

Christian Spiller (Zeit Online) fordert mehr Symbolik: „Vielleicht hatte der Fußball zu lange das Gefühl, das Hooliganproblem sei gelöst. Aktionen gegen Fangewalt haben in den vergangenen Jahren etwas an Bedeutung verloren, es gab andere gesellschaftliche Themen, mit denen sich der Fußball beschäftigte. Rassismus etwa oder Homophobie. Es braucht wieder mehr Symbolik. Wenn am Samstagabend nach dem Spiel russische und englische Spieler zusammen auf dem Rasen ein Zeichen gegen Gewalt gesetzt hätten, würde das vielen Schlägern vielleicht nur ein müdes Lächeln abringen. Aber ein Zeichen ist besser als nichts.“

Andreas Rüttenauer (taz) klopft mit Nachdruck an die Tore von Verbänden und Vereinen: „Wenn Vereine und Verbände sich hier für nicht zuständig erklären, haben die rechten Schläger eine Schlacht gewonnen, ohne dass sie die Fäuste haben schwingen müssen. Die fühlen sich in Zeiten von Pegida ohnehin im Aufwind und haben auch nichts dagegen, wenn ihnen – wie in Lille – russlanddeutsche Putinfanatiker dabei helfen, auf Ukrainer loszugehen. Sie politisieren den Fußball für ihre Zwecke.“

Iren und Schweden zeigen der Welt, wie es anders gehen kann

Thomas Hummel (SZ) freut sich über Licht im Dunkel: „Es begann schon im Gare du Nord, wo die meisten Zuschauer in Richtung Norden zur Vorstadt Saint-Denis aufbrachen. Die aus dem Büro kommenden Franzosen blickten leicht pikiert umher ob der Massen an jungen Männern in grünen oder gelben Hemden, die laut und gerne auch falsch singend durch den Bahnhof wanderten. Hatten nicht in Marseille sogenannte Fußballfans die halbe Altstadt zerlegt? Diesmal mussten die Pariser auf ihrem Heimweg schlimmstenfalls ein krummes Trommelfell befürchten, weder Iren noch Schweden waren in ihre Stadt gekommen, um Randale zu veranstalten. Sondern um der Welt zu zeigen, wie es anders gehen kann. Wenn Zehntausende ein Fußballspiel in einer fremden Stadt zum Anlass nehmen, mal richtig zu feiern.“

Dominik Mai (Berliner Zeitung) gruselt es beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster: „Natürlich macht dieses Omnipräsenz nationaler Symbolik nicht alle zu Nazis. Aber ungefährlich und harmlos ist der Party-Patriotismus nicht: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der „Schland“-Euphorie und einem Anstieg rassistischer Gewalt. Ich freue mich, wenn spätestens am 11. Juli, am Tag nach dem Finale, der Fußball- und Deutschland-Hype wieder vorbei ist. Wenn das Gemüse nicht mehr in Landesfarben sortiert ist. Und wenn bei Freunden und Kollegen der schwarz-rot-goldene Nagellack abgeblättert, die Deutschland-Schminke verlaufen und das Fußball-Toilettenpapier aufgebraucht ist.“

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