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Martin Max, Stürmer ohne Lobby

Oliver Fritsch | Donnerstag, 29. April 2004 Kommentare deaktiviert für Martin Max, Stürmer ohne Lobby

Martin Max, Stürmer ohne Lobby, emigriert vermutlich nach Katar – Machtkampf in der Fifa , Kamerun muss darunter leiden – wie kann Holland die Gewalt in seinen Stadien dämmen? (FTD) – SV Wehen und RW Essen möchten in die Zweite Liga, Fortuna Düsseldorf auch, aber erst in die Dritte – Christoph Biermanns „Wunder-von-Bern-Allergie“ (taz) u.v.m.

Keine Lobby

Andreas Burkert (SZ 29.4.) kann Martin Max gut verstehen, der vermutlich nach Katar wechseln wird: „Wenn einer wie er geht, ist das an einem Tag eine Meldung, doch bald schon, ahnt Martin Max, fragt vermutlich niemand mehr nach ihm. Und keine Illustrierte würde wohl nach Katar fliegen und schöne Bilder machen von ihm und den Scheichs und Kamelen. Wie sie das mit den Kamelen Effenberg und Basler gemacht haben, die ihre millionenschwere Fußballrente im Emirat beziehen. Max wird das verkraften; dass ihn nicht nur Manndecker häufig missachten, das weiß er. Martin Max ist stets gut zurecht gekommen mit seiner Rolle als stiller Held der Bundesliga (…) Völler hatte schon 2002 über ihn nachgedacht, Max, damals 33 und Schützenkönig der Liga. In seiner größten Personalnot ließ der Teamchef ihn sogar einmal sieben Minuten spielen, kurz vor der WM gegen Argentinien. Doch eine Nummer ist er nur wenige Stunden nach dem Spiel später gewesen, auf der Raststätte Gruibingen an der A 8, die nachts auf seinem Heimweg lag. Die Anwesenheit des greisen Jungnationalspielers haben damals argentinische und deutsche Fans geschätzt, sie schossen aufgeregt einmalige Fotos: Max mit Chips und Limo. Und im Trainingsanzug der Nationalelf. Nach Asien nahm Völler leider Carsten Jancker mit, der, so erzählen es sehr alte Menschen, einmal ein erfolgreicher Stürmer gewesen sein muss. Weil Max nie jemand gewesen ist, der auf das vertrauen konnte, was man eine Lobby nennt. Gut, der Max, haben die Experten oft gesagt, schießt die Tore nur für 1860 oder Hansa, kleine Lichter unter sich. So war das mit Max: keine Lobby, keine große Klappe und auch keine Glatze wie Jancker. Nun tritt er ab, 35-jährig und offenbar altersweise wie sein Vorfahre Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt: Martin Max erkennt neuerdings seine Verblendung und seine Versäumnisse. Er denkt jetzt an Millionen zwischen Scheichs und Kamelen. Er denkt jetzt einfach mal an sich.“

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Sorge um Autorität

Die Fifa bestraft Kamerun wegen Verstoß gegen den Dress-Code mit Punktabzug; Jörg Kramer (Spiegel 26.4.) enthüllt den Machtkampf hinter dieser Entscheidung: „Kameruns Verband und sein Herzogenauracher Ausrüster prüfen derweil zivilrechtliche Schritte. Die Fifa, sagt Puma-Sprecher Ulf Santjer, sei nämlich bei der Afrika-Meisterschaft in Tunesien „nicht befugt“ gewesen, über den Kleiderkodex zu befinden. Der afrikanische Kontinentalverband habe den Dress genehmigt. Genau solche Zweifel an der Fifa-Kompetenz sind der Schlüssel zur Erklärung der maßlosen Sanktion. Das Urteil „sollte generalpräventive Wirkung haben“, erläutert Jury-Mitglied Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. „Der Respekt“ vor dem Weltverband wäre sonst „beschädigt gewesen“. Die Sorge um die Autorität ist durchaus begründet. Blatter, bei seiner Wiederwahl 2002 von Afrikas Verbandschef Issa Hayatou herausgefordert und einst von Adidas-Boss Horst Dassler protegiert, treibt mehr als persönliches Rachegefühl gegenüber dem Rivalen oder Fürsorge um den langjährigen Fifa-Sponsor, der mit dem Einteilerproduzenten Puma konkurriert. Vor allem geht es um schwindende Macht. So erklärten vor gut einem Monat führende europäische Topclubs, sie wollten das von der Fifa für 2005 anberaumte WM-Turnier für Clubmannschaften boykottieren. Die als „G 14“ firmierenden 18 einflussreichsten Fußballunternehmen weigern sich auch, neue Fifa-Regularien zur Sportgerichtsbarkeit anzuerkennen, und lassen von der Schweizer Wettbewerbskommission prüfen, ob der Weltverband seine Stellung missbraucht. Hintergrund ist ein Streit ums Geld. Die Clubs verlangen Ausgleichszahlungen dafür, dass sie ihre angestellten Nationalspieler abstellen. Ihre Drohung, zu künftigen Weltmeisterschaften keine Profis mehr zu schicken, gilt weiterhin. Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, plagt „die Sorge, dass dieser Sprengsatz die Grundfesten des Fußballs erschüttern könnte“. Alte Herrschaftsverhältnisse sind ins Wanken geraten. Auch die Fifa-Domäne Weltmeisterschaft hat an Renommee eingebüßt, seit beim vorigen Mal Stars etwa französischer und argentinischer Herkunft ermattet anreisten. Sie hatten sich bei den einträglichen Wettkämpfen im Dienste ihrer europäischen Clubs aufgerieben. In einem Machtvakuum werden keine Autoritäten geachtet. Als Blatter die Verkleinerung der europäischen Ligen auf je 16 Teams verlangte, kommentierte das Bundesliga-Boss Werner Hackmann bündig: „Das geht Herrn Blatter gar nichts an.“ In solch misshelliger Atmosphäre lässt sich niemand gern auch noch auf der Nase herumtanzen.“

So tolerant wie wir glauben sind wir nicht alle

Bei einem Jugendspiel in Holland sind die rivalisierenden Fan-Gruppen von Ajax und Feyenoord gewalttätig geworden. Bertram Job (FTD 29.4.) beschreibt den Hintergrund: „Unbeirrbare unter den Feyenoord-Anhänger haben längst Rache gegenüber Fans und Spielern von Ajax geschworen – was dazu führte, dass sich Profikicker wie etwa Jung-Nationalspieler Rafael van der Vaart außerhalb ihres Hauses für“s Erste von Security-Kräften eskortieren ließen. Einige Hitzköpfe haben ihren Revanchegelüsten auch auf unheimlich-moderne Weise Nachdruck verliehen: Sie stellten auf Websides die Namen, Telefonnummern und Adressen von Ajax-Anhängern ins Netz, die auf „De Toekomst“ eine aktive Rolle gespielt haben sollen. Ist damit der Friede im holländischen Fußball endgültig in Gefahr? Oder hat er, genau besehen, schon länger nicht mehr so unbefleckt gestrahlt wie man sich das im vermeintlichen Mutterland der Toleranz einbildete? In diese Richtung zielen Einwürfe wie die des Kolumnisten Johan Derksen, der im Fachblatt Voetbal International an ein paar unliebsame Wahrheiten erinnert. Erst vor zwei Jahren war es auf „De Toekomst“ bei einem Pokalspiel der Reserveteams zu Zusammenstößen zwischen Fans von Ajax und FC Utrecht gekommen. Und vor mehr als drei Jahren gingen Ajacieden an gleicher Stelle auf den Feyenoord-Keeper Zbigniew Malkowski los. Es wäre doch auch ein Wunder, so Derksen, wenn die zunehmende Gewaltbereitschaft in der niederländischen Gesellschaft sich nicht auch in ihrer populärsten Masseneuphorie spiegele: „Man muss ein notorischer Dummkopf sein, um zu glauben, dass die Verwahrlosung unseres Zusammenlebens nicht bis zum Fußball durchdringt.“ In der Tat: was immer an Auswüchsen von Rassismus und Gewaltbereitschaft zwischen Portugal und Polen bekannt ist, gibt es in geringem, aber unübersehbarem Umfang auch in Holland. Da werden Profis aus Surinam oder Afrika mit Affengeräuschen aus dem Fanblock verfolgt und Ajax-Fans als Anhänger eines „jodenclub“ (Judenklubs) beschimpft. In Den Haag und Rotterdam liefern sich Horden aggressiver Jugendlicher mit der Polizei bisweilen kleine Schlachten. Wer diesen „Fans“ nicht passt, wird per Telefon und Mail bedroht. Neuestes Opfer nach Journalisten wie van Derksen ist offenbar Guus Hiddink geworden, der Trainer des PSV Eindhoven. Bald nachdem Hiddink öffentlich sein Interesse an einigen Ajax-Spielern bekannt gab, ging bei seinen Eltern nahe Doetinchem ein anonymes Schreiben ein. Darin wurde ihnen ein Molotow-Cocktail für den Fall angekündigt, dass ihr berühmter Sohn einen Ajax-Profi nach Eindhoven holt. Das mag nicht das Holland der beschaulichen Fahrradfahrer und Kirchgänger sein, das die Niederlande nach außen wie nach innen pflegen. Doch eine Wahrheit zeitigen die jüngsten Ausfälle für Henny Haggeman, Sportredakteur beim Gelderlander, dennoch: „So tolerant wie wir glauben sind wir nicht alle.“„

Dieter Hintermeier (Handelsblatt 29.4.) recherchiert die Fehler der Geldpolitik der Bundesliga-Vereine: „Der Titelkampf in der Bundesliga ist wieder spannend geworden, kurz vor Saisonschluss steigt die Dramatik. Nicht undramatisch ist auch die Situation hinter den Kulissen. 17 Millionen Euro an Verbindlichkeiten steuert Hertha BSC Berlin zum Schuldenszenario der deutschen Fußball-Proficlubs bei. Borussia Dortmund wird vermutlich in diesem Jahr mit 60 Millionen Euro an diesem Schuldenberg beteiligt sein. Insgesamt schlagen bei den Vereinen der Ersten und Zweiten Bundesliga Verbindlichkeiten von über 600 Millionen Euro zu Buche. Folgen bei der Lizenzerteilung durch die DFL hatte das keine, wenn auch einige Klubs, wie Hertha BSC, der Hamburger SV und Borussia Dortmund, nur mit Auflagen das Plazet für die kommende Saison erhielten. „Schulden sind per se nichts Schlimmes“, sagt Björn Bloching, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, „es gibt kaum Unternehmen, die keine haben.“ Was die Angelegenheit bei den Bundesliga-Clubs aber so prekär macht, sei die extrem niedrige Eigenkapital-Decke. „Die liegt im Schnitt bei 4 Millionen Euro pro Club, und das ist eindeutig zu wenig“, betont Bloching. Hintergrund für diese finanzielle Malaise: Viele Vereine sind nicht in der Lage, in einem Markt, der sich in der Konsolidierungsphase befindet, schwarze Zahlen zu schreiben. „Knapp die Hälfte der Clubs in der Ersten Bundesliga arbeitet nicht profitabel“, schätzt der Unternehmensberater. (…) Auffällig ist, dass in erster Linie große Vereine in der Schuldenfalle landen und nicht etwa kleine wie der FC (sic!) Freiburg. Für Roland-Berger-Partner Bloching auch unverständlich. „Jeder Bundesligaverein sollte, wenn er solide wirtschaftet, in der Lage sein, eine 10-prozentige Umsatzrendite zu erreichen“, glaubt er. Warum gelingt das nicht allen? Neben den schwer kalkulierbaren Spielertransfers spielen auch die Investitionen in „Steine“ eine Rolle. „Auch ein teuer finanziertes eigenes Stadion kann für einen Verein zum Stolperstein werden“, warnt Bloching.“

Die Leute können bei uns direkt vor den Kassenhäuschen parken

Jürgen Heide (FR 29.4.) drückt dem SV Wehen für den Aufstieg in die Zweite Liga die Daumen: „Als Junge hatte Heinz Hankammer einen Traum: „Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als jenen Bauernhof unweit meines väterlichen Anwesens, in ein Rittergut zu verwandeln.“ Ein Rittergut sind die Gebäude, die Hankammer 1995 erworben hat, zwar nicht geworden, dafür aber ein Vier-Sterne-Hotel in malerischer Umgebung. Mit dem Hofgut Georgenthal in Hohenstein (Taunus) hat sich der 72-Jährige seinen Kindheitstraum erfüllt. Auch Hankammers berufliche Vision ist Wirklichkeit geworden: Seine nach dem Vornamen seiner Tochter Brita benannte Firma, die Wasserfilter herstellt, hat sich zu einem weltweit tätigen Unternehmen entwickelt. „Ich bin einer, der immer nach oben strebt“, sagt Hankammer, dessen dritter Traum in einigen Wochen Wirklichkeit werden könnte. Denn sein Verein, der SV Wehen, klopft ans Tor zur Zweiten Bundesliga. Dass das Team aus dem 15 Kilometer von Wiesbaden entfernten 6700 Einwohner zählenden Ort von Spielen gegen 1860 München, Eintracht Frankfurt und den 1. FC Köln träumen darf, ist untrennbar mit Hankammers Finanzspritzen verbunden. 1982 hat der hemdsärmelige Macher den Vorsitz beim 1926 gegründeten Verein übernommen. Zuvor war er bei dem Club, zu dem die Kontakte über seinen in der Jugend für den SV spielenden Sohn Markus entstanden sind, Vorsitzender des Vergnügungsausschusses. Grund zum feiern hatten die Wehener während des mehr als 22-jährigen Engagements von Hankammer, der die Firmengeschäfte vor vier Jahren an seinen Sohn Markus übergeben hat, oft. Von der A-Klasse bis in die Regionalliga stiegen die Taunussteiner in dieser Zeit auf. Obwohl sie bereits vor zwei Jahren nur knapp den Aufstieg verpassten, wurden die Wehener wegen der fehlenden Tradition von einem Großteil der Konkurrenz immer ein wenig belächelt und als „Wasserfilter“ verspottet.“ (…) Das größte Problem stellt das Stadion am Halberg dar, weil der profane Sportplatz bei 200 Sitzplätzen nur 4500 Zuschauer fasst. Vor allem durch die Installation einer Stahlrohrtribüne für 3500 Besucher und bauliche Verbesserungen hoffen die Wehener die Auflagen der DFL erfüllen zu können, wozu auch eine zweite Zufahrt gehört. Derzeit staut sich der Verkehr selbst bei nur 1000 Zuschauern im Schnitt sehr oft. „Dafür können die Leute bei uns direkt vor den Kassenhäuschen parken“, sagt Helfenstein. Die Taunussteiner stehen unter Zeitdruck, weil sie die Ausbaupläne in den vergangenen zwei Jahren schleifen ließen. Doch auch die neue Tribüne wird nicht verhindern, dass Bälle, welche über die bereits bestehende geschossen werden, vom 433 Meter hoch liegenden Halberg über eine Wiese Richtung Ortskern ins Tal rollen. Deshalb empfiehlt sich für Autofahrer auch bei den Parkplätzen hinter der Tribüne, die Handbremse fest anzuziehen. Die so genannten Risikospiele werden die Wehener mit Genehmigung des Nachbarn FSV Mainz 05 in dessen Bruchwegstadion austragen, so dass beispielsweise den Kölner Spielern der hautnahe Kontakt zu den Zuschauern erspart bleiben könnte. Dieser ist bisher vor allem auch dadurch gegeben, weil der Kabinengang zugleich als Aufgang für die Vereinskneipe, den Presse- und den schmucken Vip-Raum dient.“

Der Pott kocht auf Rot-Weisser Spitzenflamme

Roland Leroi (FR 29.4.) schreibt über den möglichen Wiederaufstieg Rot-Weiß Essens: „Der Traditionsclub hat Schwierigkeiten, den Spagat zwischen Gestern und Heute herzustellen. An den Wänden der Vereins-Gaststätte hängen Bilder aus den 50er-Jahren, als RWE mit echten Typen wie Fritz Herkenrath oder Helmut Rahn Deutscher Meister (1955) und Pokalsieger (1953) wurde. Alles in schwarz-weiß gehalten, denn als der Buntfilm auf den Markt kam, schrieb Essen zumeist negative Schlagzeilen. Bis 1977 war man zwar insgesamt sieben Jahre in der Bundesliga vertreten. Dann aber folgte der Absturz. Nach zwei Lizenzentzügen sackte Rot-Weiss Essen RWE in den Amateurbereich ab, zwischenzeitlich trat der Club in der viertklassigen Oberliga Nordrhein an. Unter Jürgen Gelsdorf, dem nach Harry Pleß und Holger Fach dritten Trainer in dieser Saison, ist Essen zumindest wieder Regionalligist. Und obwohl Gelsdorf weiß, dass „Tradition keine Tore schießt“, geht RWE sogar als Spitzenreiter in den 29. Spieltag und kann beim Tabellen-16. Preußen Münster einen weiteren großen Schritt Richtung Zweitliga-Comeback schaffen. „Der Pott kocht auf Rot-Weisser Spitzenflamme“, titelte unlängst die Fach-Zeitung RevierSport. „Wir sind gut dabei“, sagt Geschäftsführer Nico Schäfer, der stolz darauf verweist, dass Essen nunmehr nicht durch Skandale in die Schlagzeilen kommt. „RWE ist ein solider Verein geworden. Wir zahlen die Gehälter pünktlich und sind für unsere Sponsoren ein guter Partner“, sagt Schäfer stolz. Zufrieden ist er trotzdem nicht. Weil „jedes Jahr in der Regionalliga ein verlorenes Jahr ist“, müsse diesmal der Bann gebrochen werden. In den vergangenen beiden Spielzeiten verpasste RWE durch zum Teil dramatisch späte Tore der Konkurrenz ganz knapp den Aufstieg und belegte jeweils nur den dritten Platz. Eher mit Bauchschmerzen wurde im vergangenen Sommer ein erneuter Anlauf gestartet. Schäfer haushaltet mit einem Etat von etwa vier Millionen Euro und sehnt sich nach den Fernsehgeldern des Profifußballs.“

Fortuna Düsseldorf möchte bald in den Profifußball zurückkehren; Ulrich Hartmann (SZ 29.4.) berichtet: „Genau 25 Jahre nach der vereinshistorischen Finalniederlage gegen den FC Barcelona im Europapokal setzt der zweimalige DFB-Pokalsieger Fortuna Düsseldorf zur melancholischen Heimkehr in die Bedeutsamkeit an. Allerdings ist es bis dahin noch ein ziemlich weiter Weg. Sie dürfen träumen vom Durchmarsch in die Zweite Liga sowie davon, als Drittligist künftig im modernsten Fußballstadion Europas zu spielen. Denn die 218-Millionen-Euro-Arena für 51 000 Zuschauer, die im Düsseldorfer Norden eigentlich für Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und Olympia erbaut worden ist, soll im kommenden Jahr die Spitzenspiele der Regionalliga Nord beheimaten. Fortuna Düsseldorf gegen den VfL Osnabrück in einem verdeckbaren und klimatisierten Multifunktionspalast – das klingt freilich ein bisschen wie Dosenravioli im Sterne-Restaurant. Das Dilemma am Rhein hat zwei Ursachen: Düsseldorf besitzt neuerdings eine luxuriöse Sportarena ohne konstante Inhalte und bereits seit längerem einen traditionsreichen Fußballklub ohne überregionale Bedeutung. Die beiden Sorgenkinder sollen nun aneinander gesunden, und der Mann, der die Aufgabe lösen soll, ist Thomas Berthold, der frühere Bundesligaprofi und Weltmeister von 1990. Berthold, 39, ist seit einem Jahr Manager der Fortuna, er wird aber von gleich zwei Unternehmen bezahlt, nämlich einerseits vom Klub und andererseits von dem Arena-Betreiber WPF, einer Tochtergesellschaft des Bauunternehmens „Walter Bau“. Als Diener zweier Herren soll Berthold die Fortuna in die zweite Liga führen und der Arena damit dauerhaft Profifußball sowie einträgliche Zuschauerzahlen bescheren. Bis 2006 will Berthold das geschafft haben. Zwei wichtige Voraussetzungen sieht er bereits als erfüllt an. Erstens: „Die Stadt ist hungrig nach Fußball.“ Und zweitens: „Ich habe Kontakte in die ganze Welt.“ Mit seinen globalen Verbindungen hat Berthold vor einem Jahr aus Italien den Trainer und früheren Trapattoni-Dolmetscher Massimo Morales akquiriert sowie eine Mannschaft, die mit Fußballern aus sechs Nationen und einigen früheren Profis in der Oberliga Nordrhein den Ton angibt. Mit einem Etat von vier Millionen Euro und allerhand Verstärkungen will die Fortuna dann auch in der Regionalliga die Spitze erklimmen, denn durch drittklassigen Fußball wird die Arena-Bilanz nicht schöner.

Christian Eichler (FAZ 27.4.) hat sich die ZDF-Dokumentation über die Berner Helden angesehen: „Viel mehr Neues wird man nach diesen Darstellungen nun wohl nicht mehr erfahren können über Bern 1954, was nach fünfzig Jahren noch ungesagt ist, wird es bleiben. Die noch lebenden Beteiligten haben, bis auf den schwerkranken Puskas und den zurückgezogenen Hans Schäfer, ihre Erinnerungen zuletzt immer wieder der großen Bern-54-Medienmaschine preisgegeben. Doch immer noch gibt es Entdeckungen zu machen, bewegende Emotionen in den Stimmen und Blicken alter Männer, deren Leben seit fünfzig Jahren von einem Fußballspiel geprägt ist. So wie Ungarns Torwart Gyula Grosics, der „noch heute aufwacht“ mit dem „Albtraum“ von 1954. Oder Verteidiger Buzansky, dem beim deutschen Ausgleichstreffer der Ball am Schienbein entlangstrich: „Zwei Zentimeter höher, das Spiel wäre anders verlaufen.“ Und, so der bittere Unterton: das Leben auch. Manchen verfolgt Bern gar bis in den Tod. Reporter György Szepesi schildert, wie er Ungarns Trainer Gusztav Sebes zum letzten Mal sah. „Er lag auf dem Totenbett. Er sagte: Wir haben verloren.““

Wunder-von-Bern-Allergie

Mehr Patriotismus, bitte, Herr Biermann (taz 29.4.): „Ich hatte im plüschigen Veranstaltungsraum eines Kölner Hotels Lachshäppchen gegessen und jene dieser Tage ausgestrahlte Version des „Wunders von Bern“ vorab angeschaut, die in der Historien-Fabrik von Guido Knopp erstellt worden ist. Nun kann kein geschichtliches Ereignis etwas dafür, in die Hände des ZDF-Historiensachwalters zu geraten, also in einen Spielfilm verwandelt und mit Musik durchgehend überkleistert zu werden. Knopps Dokumentationen verhalten sich zu Geschichtsschreibung wie Toto zu Rockmusik (falls sich noch jemand an diese schauderhafte Bombastband erinnern kann). Und so ging ich, trotz beeindruckender Recherchearbeit, wiedergefundener Farbbilder und hier und da durchaus neuer Erkenntnisse ordentlich schlechter Laune nach Hause. Dort stolperte ich über einen Berg von Büchern zum Thema, die in den letzten Monaten publiziert wurden. Man kann sie kaum unterscheiden, denn „Wunder“, „Bern“ und „Helden“ kommt fast in jedem Titel vor, und ich hoffe stark, dass diese Abteilung meines Regals nie vollständig wird (schicken Sie mir bitte nichts mehr dazu!). Bestimmt tue ich einigen Autoren sehr unrecht, die tolle Arbeit geleistet haben, aber ich kann es einfach nicht mehr lesen. Denn anlässlich des 50. Geburtstags des Endspiels zwischen Deutschland und Ungarn bei der WM in der Schweiz habe ich inzwischen eine schwere Wunder-von-Bern-Allergie entwickelt. Sobald ich eines der gefürchteten Stichwörter höre, entwickle ich einen so starken Fluchtimpuls, dass ich auf der Stelle bereit wäre, die Lesung eines kirgisischen Lyrikers zu besuchen oder daheim die Steuer zu erledigen. Es ist zwar verständlich und nichts dagegen einzuwenden, dass die Betreiber des Wunder-Business ihr Wunder für das tollste halten, aber inzwischen muss man annehmen, dass es sich dabei um das wichtigste Ereignis in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik gehandelt hat und sie ohne den WM-Gewinn umweglos aufgelöst worden wäre.“

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