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Deutsche Elf

Verteidiger ohne Axt, Selbstgespräche von Völler

Oliver Fritsch | Montag, 14. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Verteidiger ohne Axt, Selbstgespräche von Völler

was geschieht hinter dem mit Matten verhängten Trainingsplatz? (FAZ) – „Philipp Lahm und Arne Friedrich sind gewiss nicht die Verteidiger, die ihre Gegenspieler mit der Axt vom Ball trennen“ (SZ) – „oft redet Rudi Völler, als führte er ein kontroverses Gespräch mit sich selbst“ (Spiegel) – Franz Beckenbauer stand immer im Sonntagslicht (FAS) u.v.m.

Was geschieht hinter dem mit Matten verhängten Trainingsplatz?

Spielt Bastian Schweinsteiger gegen Holland von Anfang an? Michael Horeni (FAZ 14.6.): „Es sind manchmal nur ein paar Wortfetzen, die etwas über die Befindlichkeit einer Mannschaft verraten. Im letzten öffentlichen Trainingsspiel der deutschen Auswahl, rund 100 Stunden vor dem Auftakt gegen die Niederlande, geht Miroslav Klose nach einem Foulspiel von Torwart Jens Lehmann zu Boden. Es gibt Elfmeter, Klose reibt sich das Schienbein, und Oliver Kahn ruft von hinten: „Weiter so, Miro.“ Der Stürmer, der vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft mit fünf Treffern noch zum deutschen Star, zur großen Entdeckung in Japan und Korea aufstieg, hat nach erfolglosen Wochen und Monaten Aufmunterung bitter nötig. Eine weitere gute Aktion gelingt ihm trotzdem nicht mehr. Kurz nach dem Elfmeter bekommt Thomas Brdaric einen Tritt gegen den Knöchel. Das Spiel läuft weiter, Brdaric humpelt, und von hinten ruft der Kapitän dem zum schnellen Fall neigenden Hannoveraner zu: „Nicht bei jedem Scheißdreck.“ (…)Seitdem sich Völler und Co. im Unkonkreten behaglich eingerichtet haben, ranken sich im deutschen Troß die Geschichten darum, was hinter dem mit Matten verhängten Trainingsplatz tatsächlich geschieht. Eine handelt vom Münchner Bastian Schweinsteiger, der tatsächlich einen ausgezeichneten und selbstbewußten Eindruck vermittelt, wie er sich im Geheimen den Ball schnappt und ihn einem erfahrenen Spieler durch die Beine spielt (kein Name, soviel Anonymität muß sein). Der unerschrockene Schweinsteiger wird daraufhin gewarnt, dies nur einmal zu tun. Solche Szenen gefallen dem Teamchef, und ebenso die Chuzpe, mit der sich der 21 Jahre alte Münchner im Quartier an den Tisch der „Großen“ setzt, zu Oliver Kahn und zu Michael Ballack. Er soll Augen und Ohren offen halten, um für die WM 2006 zu lernen, sagen ihm wohlmeinende Ratgeber. Schweinsteiger allerdings lernt schnell, so schnell, daß Völler auch schon über einen Einsatz des Nachrückers gegen Holland diskutiert. Das wäre die mutigste Variante im Taktikspielchen gegen die Niederlande. Sie gilt aber nicht als mehrheitsfähig.“

Eine porentief reinen Defensiv-Ordnung inklusive gesundheitsstrotzender Härte

Ludger Schulze (SZ 14.6.) freut sich auf die Abwehr-Schlacht mit Holland: „Am 24. Juni 1990 hatte es in Mailand eine Temperatur, die sich nachmittags langsam auf den Punkt zu bewegte, an dem aus Asphaltstraßen kochend schwarze Swimmingpools werden. Auf der Tribüne des Giuseppe-Meazza-Stadions diskutierten bis zur Selbstauflösung schwitzende Journalisten, was denn den Beckenbauer geritten habe, seine Elf mit mehr als einem Drittel gelernter Vorstopper zu einer Art Fort Alamo vor der Irokesen-Attacke auszubauen. Was sie dann erlebten, hat die vorauseilende Kritik schnell verstummen lassen; Deutschland gewann im WM-Achtelfinale 2:1 gegen die Niederländer, und man verachte den Anteil nicht, den das Stopper-Quartett Augenthaler, Berthold, Buchwald und Kohler daran hatte. Man möge die ollen Kamellen in der Mottenkiste ruhen lassen, aber in diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Rudi Völler nicht nur dabei war, sondern eine aktiv-passive Rolle spielte, indem er sich von Frank Rijkaard bespucken lassen musste und – bis heute ungelöstes Geheimnis des argentinischen Schiedsrichters Loustau – deshalb vom Platz flog. Trotz der persönlichen Malaise hat Völler aus diesem Match gesicherte Erkenntnisse mitgenommen, wie man den auch diesmal favorisierten Nachbarn so zu Leibe rückt, dass sie den Spaß am Fußball verlieren: mit einer porentief reinen Defensiv-Ordnung inklusive gesundheitsstrotzender Härte. Es ist jetzt heiß in Portugal, nicht weniger als damals in Mailand, und Völler muss wieder viel erklären. Philipp Lahm aber und Arne Friedrich sind gewiss nicht die Verteidiger, die ihre Gegenspieler mit der Axt vom Ball trennen, sondern eher mit chirurgischer Präzision. Deshalb klingt es ein wenig so, als würde ein Fliegengewicht den Klitschko-Brüdern mit der Faust drohen, wenn auch der 20-jährige Lahm die neuen deutschen Lieblingsworte von der „nötigen Aggression“ in den Mund nimmt. Aber auch Lahm, der in der Offensive so viel Phantasie entwickelt, kennt seinen rückwärts gewandten Primär-Auftrag: „Hinten muss die Null stehen“.

Über die Nationalmannschaft reden heißt, einem archaischen Bedürfnis nachzugeben: den Bauch sprechen zu lassen

Holger Gertz (SZ/Wochenende 12.6.) hat Mitleid mit der Nationalelf: „Die deutsche Nationalmannschaft hat immer in weiß und schwarz gespielt, und immer wurde sie in weiß oder schwarz gesehen, dazwischen war nichts. Könige oder Wegelagerer. Wer die Nationalmannschaft beurteilt, ihre Chancen, ihre Bedeutung, der befindet sich oft nicht auf dem Boden der Rationalität. Über die Nationalmannschaft reden heißt, einem archaischen Bedürfnis nachzugeben: den Bauch sprechen zu lassen. Und wo der Bauch spricht, hat der Kopf gerade Pause. Vor ein paar Tagen war das wunderbar zu beobachten. Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft in Winden im Elztal, eine Woche vor der Europameisterschaft. Zwei Steilpässe weiter übte sich vor Jahren Professor Brinkmann in der Schwarzwaldklinik als Operateur. Vor dem Schwarzbauerhof, dem Quartier des DFB, warten Trauben von Autogrammjägern, irgendwann kommt der Nationalspieler Fabian Ernst vorbei, die Kinder hinter dem mit Markierungsbändern abgesperrten Innenbereich schreien „Fabi, Fabi“, ein paar Erwachsene, die unreif genug sind, noch Autogramme zu sammeln, schreien es auch. In der Masse hört sich ihr Geblöke wie Gejubel an. Vereinzelt, wenig später auf dem Nachhauseweg, klingt das ganz anders. „Finscht den Ernscht etwa gut?“ fragt ein Junge seinen Vater. Grad haben sie noch gemeinsam „Fabi, Fabi“ gerufen, aber jetzt sagt der Vater, beziehungsweise lässt er es seinen ziemlich geräumigen Bauch sprechen: „Der isch halt auch so eine Flasche, die wo null Scharisma hat.“ Fabian Ernst, ein stiller, intelligenter Mittelfeldspieler aus Bremen, hat als Einzelner gerade eine grandiose Saison gespielt und als Teil eines Kollektivs namens Mannschaft erlebt, was der Fußball machen kann, mit einer Stadt, einem Stadtstaat zumal, also einem regional scharf umrissenen Bereich. Er kann die Menschen in Ekstase versetzen, er kann den Bürgern das Gefühl eigener Bedeutung geben. Bremen ist ziemlich klein und ziemlich arm, und wer die Stadt kennt, muss tatsächlich den Eindruck gehabt haben: so selbstbewusst und stolz und fröhlich wie in den vergangenen Wochen waren die Bremer nie, ganz gleich, ob sich aus dem Fußballerfolg irgendetwas ableiten lässt für irgendeinen anderen Bereich des Lebens. (…) Fußball ist ein Bauchgeschäft, der Nukleus des Fußballs sind Legenden, und eine davon besteht darin, zu behaupten, das Spiel der deutschen Mannschaft sei ein Abbild des Zustandes im Land. Die Fußballnationalmannschaft ist aber eher wie ein Esel, auf den jeder prügeln kann, der nicht genau weiß, ob die Gesundheitsreform jetzt gut oder schlecht ist. Die Nationalmannschaft ist schlecht, auf jeden Fall, das macht die Dinge einfacher. Die Spieler sind nicht austrainiert: das darf noch der fülligste Reporter in sein Laptop hacken, bevor er japsend zusammenbricht. Der Fußball ermöglicht jedem, eine Meinung haben zu dürfen. Aber sonst? Hätte man sich beteiligen sollen am Irakkrieg? Soll der Finanzminister sparen oder prassen? Sind erneuerbare Energien ein Zukunftsmodell, oder ist jede Investition dafür nur herausgeschmissenes Geld? Schwierige Fragen, auf die nicht nur bei Christiansen keiner eine Antwort hat. Politiker oder Fan – wer nichts zu sagen hat, kann immer noch über Fußball reden, auch wenn er den Betzenberg für eine Erhebung im Erzgebirge hält und in Mutters Schmuckkästchen nach der Viererkette sucht. Wahrscheinlich also ist das der tiefere Sinn der Institution Nationalmannschaft: die Kommunikation unter den Leuten im Fluss zu halten.“

Beckenbauer stand immer im Sonntagslicht

Roland Zorn (FAS 13.6.) vergleicht Rudi Völler und Franz Beckenbauer: „Beckenbauer ist in seinem royalen Habitus und Gestus das genaue Gegenteil von Völler, der wie ein Fußball-Sozialdemokrat aus dem deutschen Musterkatalog anmutet. Hier die launische bajuwarische Majestät, der alles wie von selbst zufliegt, da der hessische Ackermann, der sich seinen Status mit spitzen Ellenbogen und trickreichen Manövern im Kampf Mann gegen Mann erkämpft hat. Der Torschützenkönig der Bundesliga von 1983 war als Spieler der Offenbacher Kickers, des TSV München 1860, des SV Werder Bremen, des AS Rom, von Olympique Marseille und Bayer Leverkusen immer einer, der von Berufs wegen Gelegenheiten erspähen und nutzen mußte. 132 Treffer in 232 Bundesligaspielen, 47 Tore in 90 Länderspielen verraten die Entschlossenheit, die diesen Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen immer ausgezeichnet hat. Wie als Stürmer agierte Völler als Trainer – ständig unauffällig auf der Suche nach mehr Know-how, nach dem letzten Kick Raffinement, nach praktisch verwertbaren Erkenntnissen. Dabei ist der Teamchef immer pragmatisch geblieben und nie programmatisch geworden. Deshalb sind ihm theoretische Erörterungen nach dem Schema „Was wäre, wenn“ fremd. Völler relativiert seine Einsichten lieber und schottet seine Erkenntnisse bis zur Bekanntgabe seiner Aufstellungen nach außen ab. Als Protagonist der ideologiefreien deutschen Fußballschule hat er den Alltag seines Jobs veredelt, während Beckenbauer immer im Sonntagslicht stand. Scheute der „Kaiser“ notfalls auch vor öffentlicher Kritik an seinem Personal nicht zurück, schützt der soziale Demokrat Völler, der seine Autorität nur intern, und das wohldosiert, einsetzt, seine Spieler in selten erlebter Konsequenz. Als Anwalt der gelebten Solidarität kann der harmoniebedürftige, in sich ruhende Chef nur dann – dann aber richtig – wütend werden, wenn er überhebliche, anmaßende Kritik von außen wittert. Seine „Wutrede“ vom 6.September 2003 nach einem dürftigen 0:0 seiner Mannschaft in Island war gewiß keine rhetorische Ruhmesleistung, und doch sprach Völler damit vielen Fußballfans aus dem Herzen. Der Mann von der Basis wetterte damals recht unflätig gegen die Herrschaften „auf dem hohen Roß“ und gewann mit seiner Konterattacke noch an Popularität. Der „Ruuudi“, wie sie ihn in vokaler Lautmalerei in den Stadien rufen, weiß aber auch, daß selbst er nur dieses eine Mal den Aufstand proben durfte. Seitdem ist der damals über sich selbst ein wenig erschrockene Völler zu einem freundlich-unverbindlichen Umgangston zurückgekehrt, der ihm bei aller medialen Umzingelung immer wieder Optionen offenläßt. Mit praktischer Intelligenz und einer im Laufe seiner Trainerjahre erheblich professionalisierten Öffentlichkeitsarbeit schützt sich Rudi Völler solange wie möglich vor unnötig dezidierten Festlegungen. Wie er wirklich denkt, was er wirklich will, verstehen nur Entschlüsselungsexperten seiner geschickt kodierten Äußerungen. Dabei stellt sich der Teamchef, schon als Spieler ein guter Fallensteller, gern kommunikativ-kumpelhaft dar: mit Rudi Völler im Scheindialog.“

Michael Horeni (FAS 13.6.) findet, dass Ballack Deutschland schon entwachsen ist: “Michael Ballack bringt so ziemlich alles mit, was die Fußball-Industrie an Projektionsfläche benötigt, um einen globalen Werbestar zu formen. Er verkörpert Erfolg, Lässigkeit und auch einen gewissen Sex-Appeal. Die Kampagnen von McDonald’s, Pepsi oder der Deutschen Telekom spielen mit diesen Images, und Michael Ballack ist vor der Europameisterschaft der einzige deutsche Nationalspieler, der über die Grenzen hinweg diese Wirkung erzielt. Er polarisiert im Ausland nicht wie Torwart Oliver Kahn, und für die internationalen Fachzeitschriften, die seine Spielweise schätzen, ist die Sache eindeutig: Ballack ist der einzige Star auf dem Feld und die größte Hoffnung der deutschen Mannschaft in Portugal. Die Deutschen indes tun sich schwer mit Ballack. Die Vorbehalte, mitunter ziemlich diffus, hat er immer wieder zu spüren bekommen, nicht nur in diesem Jahr beim FC Bayern München. „Dabei habe ich schon oft bewiesen, daß ich wichtig für die Nationalmannschaft und den Verein sein kann“, sagt Ballack. Die Schwierigkeiten begleiten ihn schon, seit er beim 1. FC Kaiserslautern seine Bundesligakarriere begann. Damals war es Otto Rehhagel, der mit dem Jüngling nicht zurechtkam, später verkannte Berti Vogts in Leverkusen die Klasse des Mittelfeldspielers. Diese Vorbehalte konnte man noch abtun mit unterschiedlichen Ansichten über das Entwicklungspotential eines noch nicht ausgereiften Spielers. Aber selbst seit er die Nationalmannschaft in Japan und Korea ins Finale der Weltmeisterschaft führte und der französische Ausnahmetrainer Arsene Wenger ihn „zum torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Welt“ ausrief, entzweit Ballack weiter die Fußball-Nation. Während er im Ausland als anerkannter Star gehandelt wird, die Kollegen in der Nationalmannschaft seine Spielweise und sein Auftreten schätzen, spielt er in Deutschland wie unter Bewährung. (…) Nach den Erfahrungen mit dem FC Bayern München in dieser Saison ist Ballacks Wunsch, Deutschland zu verlassen, übermächtig geworden. Die innere Bindung an die Münchner ist längst dahin, und da es keinen anderen Verein mehr in Deutschland gibt, der ihm eine entsprechende sportliche Perspektive bieten kann, bedeutet das, daß Ballack Deutschland schon entwachsen ist.“

Oft redet Rudi Völler, als führte er ein kontroverses Gespräch mit sich selbst

Jörg Kramer (Spiegel 14.6.) entdeckt bei „Tante Käthe“ zwei Gesichter: „Völler, silbergrau geworden, ist kein Angreifer mehr, er muss in Portugal verteidigen: sich, sein Amt, die Mannschaft. Als Trainer musste er die Nationalelf in den ersten Tagen vor dem Argwohn beschützen, der die Delegation seit der Abreise an die Algarve umflorte. Denn das Urvertrauen in die notorische Steigerungsfähigkeit deutscher Fußballer im Ernstfall war plötzlich verloren gegangen. Ernüchternde Darbietungen der letzten Zeit etwa beim 1:5 gegen Rumänien oder beim 0:2 gegen Ungarn ließen selbst die Erinnerungen an den Einzug ins letzte WM-Finale verblassen. „Es schwankt immer wieder“, sagt Völlers labiler Abwehrchef Jens Nowotny zum Leistungsstand der ganzen Mannschaft. Sie wollen in Portugal „nicht sang- und klanglos untergehen“, formulierte Torwarttrainer Sepp Maier bescheiden. Und der Teamchef – angeblich „felsenfest überzeugt“, dass sich die deutsche Elf nicht blamieren wird – war mit Begründungen für die Zuversicht sparsam. Denn manchmal ist es für ihn wie bei der Nominierung der Spieler: „Es gibt Fälle, wo es schwierig ist, es so zu erklären, dass es logisch rüberkommt.“ Logisch. Es gibt ja zwei Rudi Völler. Den einen, der im Affekt selbst im Fernsehen „Scheißdreck“ ruft, vor der Trainerbank gegen Werbebanden tritt und zum Zeichen der bevorstehenden Eruption diese Zornesfalten auf der Nase bekommt, wenn Kurányi das Tor nicht wie im Training trifft. Oder der verächtlich den Kopf in den Nacken wirft und mit den Augen rollt, wenn Angreifer Miroslav Klose eine Chance verschenkt. Und dann gibt es den charmanten dauergewellten Rudi, der in einem Gassenhauer („Es gibt nur ein‘ Rudi Völler“) besungen wird. Der, wenn er Kloses vermasselte Szene noch mal auf dem Monitor sieht, vor der TV-Kamera milde den Kopf wiegt und sagt: „Kann passieren“. Und der, ganz die fürsorgliche „Tante Käthe“, nach den Kapriolen seiner Schützlinge erst „eine Teilschuld“ und Minuten später sogar „die Hauptschuld“ am Debakel auf sich lädt. Dann können die Spieler ja nicht mehr so viel falsch gemacht haben. (…) Dem Sturmtalent Kurányi eröffnete Völler, jener kenne sein eigenes Potenzial noch nicht, etwa die „enorme Schnelligkeit“. Wenn er sie häufiger einsetze, sei sie doch „eine Waffe“. Er hätte Kurányi auch gleich Faulheit vorwerfen können. Mangels Trainerausbildung schöpft der Teamchef aus den Erfahrungen des häuslichen Lebens. Es sei „wie in der Familie“, sagt er, wenn es etwa um seine Fähigkeit zur Strenge geht: „Da muss man ja auch manchmal ein paar direkte Worte sprechen.“ Nur ist es in der Familie Völler so, dass der Familienvater gern der Ehefrau Sabrina die Verantwortung überträgt, etwa dass „sie den Hausarrest ausspricht“. Respekt erlangt „Liebling Völler“ („Express“) nicht durch Distanz, sondern durch Nähe. Neulingen wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger erklärte er zur Begrüßung: „Ihr könnt mich nachts um drei wecken, wenn ihr nicht schlafen könnt. Dann komm ich runter, und wir spielen Karten oder gucken einen Film.“ Selbst Wildfremden verpasst er schon mal einen freundschaftlichen Knuff auf den Arm, als gehörten sie zu seiner Mannschaft. Gern und zu Recht vermittelt der einstige Italien- und Frankreich-Legionär den Eindruck, alle Sonnen- und Schattenseiten des Fußballgeschäfts aus der Nähe zu kennen. So riet er Klose davon ab, ins Ausland zu wechseln, wo er bestimmt hinzugelernt, aber angesichts stärkerer Konkurrenz auch ein Dasein auf der Ersatzbank riskiert hätte. Der Vorgang zeigt: So draufgängerisch der Stürmer Völler war, so vorsichtig und konservativ denkt der Trainer Völler. Dass er in seinem typischen Singsang manchmal etwas kryptisch formuliert, weiß der Autodidakt natürlich selbst. „Ich verstehe Ihre Frage, aber ich verstehe auch meine Antwort“, ließ er einen verblüfften Reporter vorige Woche wissen. Oft redet er, als führte er ein kontroverses Gespräch mit sich selbst. Diese eigentümliche Dialektik des ständigen „Andererseits“ mündet selten in eine Synthese, meistens in Nebelschwaden. Doch wenn er scheinbar geheimnisvoll sagt, „der eine oder andere“ müsse erst noch im Training „etwas anbieten“, bevor er sich eines Stammplatzes sicher sein könne, dann ist Insidern klar: Der mitunter vorlaute Torsten Frings darf sich angesprochen fühlen. Den Dortmunder Profi disziplinierte Völler kurz vor der EM mit der Zuteilung des Verteidiger-Postens. Auf diese Weise bestrafte einst Bundestrainer Berti Vogts den Problemschüler Stefan Effenberg.“

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