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Internationaler Fußball

Niemand mag sie, aber sie stört es nicht

Oliver Fritsch | Donnerstag, 17. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Niemand mag sie, aber sie stört es nicht

Christopher Davies (Telegraph 16.6.) erklärt Deutschlands Erfolgsrezept: „Es war ein denkwürdiges Spiel und Deutschland kann mit Recht behaupten, den ersten EM-Sieg seit dem Finalerfolg gegen Tschechien 1996, verdient zu haben. Für Deutschland sind sogar die schlechten Seiten gut, und auch wenn sie einen Hauch vom FC Millwall haben – niemand mag sie, aber sie stört es nicht – die erfolgreichste europäische Nation aller Zeiten nutzt diese Feindseligkeit zu ihrem Vorteil. Deutschland, das Spiel über weite Strecken kontrollierend, hatte gute Aussichten die drei Punkte mitzunehmen bis der Jäger van Nistelrooy in den Schlussminuten zuschlug. Die Holländer mögen nicht den totalen Fußball, der ihnen den Gewinn der EM 1988 einbrachte, gespielt haben, sondern machten Behauptungen lächerlich, dass dies das schlechteste deutsche Team seit Generationen ist. Deutschlands Trainer Rudi Völler benannte eine defensive Startelf mit den zwei ballgewinnenden Spielern Frank Baumann und Didi Hamann im Mittelfeld und Kevin Kuranyi als einzigem Stürmer. Im Tor feierte Kapitän Kahn seinen 35. Geburtstag. Dick Advocaat, Hollands Trainer, entschied sich den erfahrenen Mittelfeldspieler Boudeweijn Zenden dem viel versprechenden Wesley Sneijder vorzuziehen. Ein gutes Omen für beide Seiten ist, dass jedes Mal wenn Deutschland und Holland in einem großen Turnier aufeinander trafen, einer von beiden das Finale erreichte, während bei vier dieser Ereignisse einer die Veranstaltung gewann. (…) Die Partie brauchte eine Weile, bis sie entflammte, und Kuranyi wurde für den Versuch, den Ball ins höllandische Tor zu schlagen verwarnt, was die offensichtliche Anti-Deutschland-Stimmung nicht minderte. Die Anfangsminuten waren Fußball-Schattenboxen, beide Seiten probten und testeten sich gegenseitig (…) Die beste Gelegenheit, einen Treffer zu erzielen hatte Wörns nach einer Ecke von Bernd Schneider – der Abwehrspieler hätte mehr aus dem Kopfball machen müssen und seine Körpersprache nach dem Fehlversuch unterstrich seine Frustration. Deutschland begann die Kontrolle in der ersten Halbzeit zu gewinnen, und es war nicht überraschend, als sie in Führung gingen, obwohl das Tor einen Hauch von Glück und schlechter Abwehrleistung hatte. (…) Advocaat entschied Hollands Angriffe für die zweite Hälfte mit der Einwechslung von Sneijder und Marc Overmars zu erfrischen, aber mit Michael Ballack, der mehr und mehr Einfluss ausübte, war Deutschland solide, wenn auch unspektakulär. Ein 20m-Schuss von Sneijder wurde fast arrogant von Kahn gehalten.“

Deutschland findet sein Spiel und sein Selbstvertrauen

Patrick Vignal (Libération 16.6.) reibt sich die Augen: „Bei ihrem Eintritt in die Euro 2004 hat die deutsche Mannschaft ihren Ruf als Spezialist für wichtige finale Phasen gestärkt, indem sie ihr bestechendes und verlockendes Gesicht gezeigt hat – weit entfernt von ihren armseligen Darbietungen in den Freundschaftsspielen. Der Ärger über den späten Ausgleich der Holländer konnte die Zufriedenheit ein gutes Spiel gezeigt zu haben nicht auslöschen.“

Solide Innenverteidigung, eroberungslustiges Mittelfeld und ein junger, sehr lebhafter Angreifer

Weiter heißt es in Libération: „Holland hat Deutschland ein mühevolles 1:1 abgerungen, das keine Mannschaft weiterbringt. (…). Mit einer soliden Innenverteidigung, einem eroberungslustigen Mittelfeld und einem jungen, sehr lebhaften Angreifer, haben sich die Deutschen ihren Gegnern, und auch ihren zahlreichen Kritikern, insbesondere im eigenen Land, wieder in gute Erinnerung gebracht. Sie haben in der zweiten Halbzeit nicht die hochverdiente Führung durch Frings zu halten gewusst. Lange Zeit enttäuschend, hat Holland im zweiten Abschnitt Druck erzeugt, dabei aber ohnmächtig und einfallslos gewirkt, bis van Nistelrooy sie zehn Minuten vor Spielende rettete.“

Ohne Hoffnung mitzuhalten und völlig ohne Aussicht zu gewinnen

Michael Walker (The Guardian 16.6.) umarmt die Deutschen: „Traditionell empfinden Engländer gegenüber Deutschland keine Sympathie, aber sogar der größte Euro-Skeptiker müsste gestern ein wenig Mitleid für sie gefühlt haben. Achtundvierzig Stunden, nachdem Zinedine Zidane England mit zwei späten Toren zerstörte, tat Ruud van Nistelrooy, nur ein kleines Stück weiter entlang der Küste, Deutschland etwas sehr ähnliches an. Deutschland hat nicht, wie England verloren, aber sie werden sich sicher heute Morgen so fühlen, als hätten sie es. Es war zu erwarten, dass das Team eigentlich grässlich zu beobachten sei, ohne Hoffnung überhaupt in dem Spiel mitzuhalten zu können – und völlig ohne Aussicht es zu gewinnen. Holland sollte eigentlich vor Fähigkeiten tropfen und Ideen sprudeln. Aber Rudi Völlers Jungs stellten alle Annahmen auf den Kopf. Sie waren nicht nur respektabel, Deutschland dominierte Holland und verteidigten ihre Führung bis zur 82. Minute. (…) Trotzdem, wenn sie den Moment nüchterner Reflektion erreichen, werden Rudi Völler und seine Mannschaft dies als gute Leistung bewerten. Thorsten Frings’ Freistoß hätte ihnen drei Punkte einbringen sollen, aber er wird ihnen wenigstens die bis dahin nicht vorauszusehenden Hoffnung geben, sich aus der Todesgruppe zu qualifizieren.“

Das Elend fast perfekt gemacht

Oliver Kay (Times 16.6.) sah eine eindrucksvolle Leistung der Deutschen: „Er hatte vor der Begegnung unglücklicherweise einen Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg angebracht, aber für Ruud van Nistelrooy war es nicht mehr als ein persönlicher Kreuzzug. Lange musste er auf seinen ersten Auftritt bei einem großen internationalen Turnier warten, bevor es nun im Alter von 27 Jahren endlich klappte. Im Spiel war er 81 Minuten nicht wirklich in Erscheinung getreten, Frust und Isolation bestimmten sein Spiel, aber 9 Minuten vor Schluss erzielte er einen spektakulären Treffer und bewahrte sein Team somit vor einer zerstörenden Niederlage. Bis zum Ausgleichstreffer deutete alles darauf hin, dass die Deutschen, die ihre beste Vorstellung seit der WM 2002 ablieferten, das Elend ihrer Nachbarn, die wie immer in ihrer Turniervorbereitung durch interne Zankereien gestört wurden, perfekt machen würden. Ein zufälliges Tor von Torsten Frings in der 30. Minute brachte die deutsche Mannschaft vorerst auf den Pfad zu einem wichtigen Sieg, aber van Nistelrooy sicherte seinem Team und Coach Advocaat ein Unentschieden. Eine Niederlage hätte sicherlich dafür gesorgt, dass im holländischen Lager bereits von einer Krise gesprochen worden wäre. (…) Deutschlands Form in den Vorbereitungsspielen, die unter anderem peinliche Niederlagen gegen Rumänien und Ungarn zur Folge hatten, war eigentlich noch schlechter als die der Holländer, aber von Beginn an zeigten sie eine eindruckvolle Leistung und verstanden es gut, sich auf dem Spielfeld zu behaupten. (…) Rudi Völler zeigte sich nach dem Match zufrieden und sagte, dass man nun mit frischem Selbstvertrauen in die Partie gegen Lettland gehen könne, nachdem man mit so niedrigen Erwartungen in dieses Turnier gegangen sei. Das größte Lächeln gehörte an diesem Abend aber van Nistelrooy: Krieg mag zwar übertrieben sein, aber es war für ihn sicherlich eine persönliche Schlacht, die er gewonnen hatte.“

Deutschland, ein Favorit – dies behauptet der frühere kroatische Spielerstar Robert Prosinecki. Seine Meinung steht dabei repräsentativ für die Einschätzungen der kroatischen Presse, die das Spiel der deutschen Elf gegen Holland durchweg positiv beurteilt. In seiner Kolumne für die Zagreber Tageszeitung Vecernji List (16.6.) schreibt Prosinecki: „Vor diesem Spiel waren für mich Frankreich und Holland die klaren Favoriten. Nach diesen 90 Minuten sind die Holländer für mich eine große Enttäuschung. Sie leisteten rein gar nichts, ihr – so bekanntes – Kurzpass-Spiel ist ganz und gar unterblieben. Deutschland hingegen glänzte mit viel Laufarbeit, Kampfgeist und ausgezeichneter Ballkontrolle. Im Mittelfeld bremsten sie die Oranjes vollständig aus: Außer Cocu hatte niemand eine Chance. Ich hätte nicht gedacht, dass ich die deutsche Mannschaft so loben würde. Die deutsche Fußballnation hatte ihr Team bereits seit langem abgeschrieben, auch die größten Optimisten unter ihnen hätten nicht gedacht, dass sich die deutsche Elf so glanzvoll präsentieren würde. Es ist schwierig, Deutschland mit England und Frankreich zu vergleichen. Trotz deren unterschiedlichen Fußball-Stile sind die drei Teams etwa gleich stark. Deutschland zeigte in diesem Spiel, dass es keineswegs zu den Outsidern gehört – vielmehr zu einem der Favoriten.“

Es ist eine Mannschaft, die den Wettkampf liebt, und die, zwischen zwei internationalen Turnieren, das seltene Talent hat, sich selbst vergessen zu machen

Eric Collier (Le Monde 15.6) anerkennt die Leistung der Deutschen: „Etwas verwirrt nach dem seltsamen Tor von Frings, glichen die Holländer dank einer Glanzleistung von Ruud van Nistelrooy noch aus. Die sechzehn Mannschaften der Euro 2004 haben alle ihr erstes Spiel bestritten und, wenn die Stunde schlägt, ist Deutschland zur Stelle – ist dies wirklich eine Überraschung? Die Spieler von Rudi Völler haben ihr erstes Spiel nicht verpatzt, da sie ein Unentschieden gegen die Holländer erreicht haben. Wie schon so oft in der Vergangenheit nach dem letzten Titel im Jahre 1996, kam Deutschland, die einzige Nation, die drei Mal den Europameistertitel gewann, mit mehr Fragen als Antworten nach Portugal, begleitet von einer desaströsen Vorbereitung: Niederlagen gegen Frankreich, und, noch schwerwiegender, gegen Rumänien und Ungarn. Weswegen sollten seine leidenschaftlichsten Fans zweifeln, die sich auf eine Statistik stützten: Vor der ersten Runde der Euro 2004, verlor Deutschland nur 2 der letzten 25 Pflichtspiele. Es ist eine Mannschaft, die den Wettkampf liebt, und die, zwischen zwei internationalen Turnieren, das seltene Talent hat, sich selbst vergessen zu machen. Vizeweltmeister von 2002 entgegen allen Erwartungen, fanden die Deutschen nun unter allen sechzehn Teilnehmern einen Weg, einen “Outsider”-Status zu erlangen, der wiederum ideal war, um die holländische Auswahl zu irritieren: “Deutschland begibt sich immer wieder in diese Position, die ich nicht verstehen kann“, seufzte Dick Advocaat. „Eine Mannschaft wie Deutschland sollte schon ein wenig mehr Selbstvertrauen besitzen.“ Dieses Vertrauen kommt stets im richtigen Moment zur Mannschaft zurück, und lässt Oliver Kahn und seine Mannschaftskollegen weit weniger Fehler machen, wenn der Gegner Holland heißt. Die Rivalität zwischen den beiden Ländern ist historisch. (…) Seit der WM 1990 haben sich die Spannungen weitgehend beruhigt, doch auch der holländische Verteidiger Giovanni van Bronckhorst sagt: “es ist wie mit Frankreich und England“: eine unlöschbare Rivalität.“

Italien enttäuschend – die Formel so falsch wie Tottis Schuhe

Corriere della Sera (15.6.) gibt die Hoffnung fast auf: „Angesichts von Frankreich und England braucht man schon eine Überdosis Optimismus, um Italien unter den Siegern der EM zu sehen. Es reicht ein guter dänischer Stratege an der Spitze von guten (aber nicht mehr) und gut vorbereiteten Fußballspielern, um ihnen ein Unentschieden aufzuzwingen, das sogar von Trapattoni – noch zitternd vor den Gefahren, denen er gerade entronnen – als gerecht anerkannt wird. Denn die Torchancen waren wohl gleich verteilt. Die Dänen spielen nach einem logischen Muster, die unseren nicht. Sie beherrschten die erste Halbzeit und beschlossen auch die zweite im Angriff, während unser Fußball völlig improvisiert war – abgesehen von nur zwanzig anständigen Minuten der zweiten Halbzeit.“

Trapattoni scheint bereits alle Karten ausgespielt zu haben, und keine hat gestochen

La Repubblica aus Rom (15.6.) ergänzt: „Es fängt schlecht an. Aber nicht das Ergebnis ist das eigentliche Problem: Trapattoni scheint bereits alle verfügbaren Karten ausgespielt zu haben, und keine hat gestochen. Die erste Halbzeit so gespielt, die zweite anders. Zuerst Del Piero, dann Cassano. Totti weiter vorn, Totti weiter hinten. Es hat nichts genutzt. Buffon hat das Spiel eine Viertelstunde vor Schluss nach Schüssen von Tomasson und Rommedhal mit einer doppelten Heldentat gerettet. Es hätte noch schlimmer kommen können.“

Die EM hat gerade begonnen, und schon haben Engländer das Stadion unter Tränen verlassen

Matt Dickinson (The Times 14.6.) bescheinigt den Engländern ein brillantes Abwehrverhalten: „Alex Fergusons berühmtes Zitat „Football? Bloody hell!“ kann nicht mal annähernd die Geschichte umschreiben, die sich gestern im wohl erstaunlichsten Spiel mit englischer Beteiligung – seit dem Champions-League-Finale 1999 mit Manchester United – zugetragen hat. Diesmal war es jedoch keine Tragödie mit heldenhaften Taten, sondern eine Niederlage, die den englischen Spielern sicherlich schwer auf den Magen geschlagen ist. Die EM hat gerade mal begonnen, und schon haben Engländer das Stadion unter Tränen verlassen. „Der Erfolg ist blau“ stand auf einem Plakat, das neben der französischen Trainerbank hing, aber bis kurz vor dem atemberaubenden Endspurt sah alles danach aus, als würde dieser Schriftzug vom roten St.-Georges-Kreuz verdrängt werden. Dann jedoch übernahm Zidane die Verantwortung. Der beste Fußballer der Welt blieb über weite Strecken unauffällig, die englische Verteidigung machte es den französischen Angreifern schwer. Ein spätes Foul von Emile Heskey gab achtzehn Meter vor dem Tor gab dem Titelverteidiger doch noch die Chance auf den Ausgleich. Der Ball flog über die Mauer und schlug im Torwarteck ein. Nach brillanter Defensivarbeit und dem Führungstreffer von Frank Lampard, stand die Elf von Coach Eriksson plötzlich nur noch mit einem Punkt da. Wäre es wenigstens beim Unentschieden geblieben! Nur wenige Minuten später machte Steven Gerrard seinen ersten Fehler, und dieser hatte schwerwiegende Folgen. Nach seinem blind gespielten Rückpass konnte Henry sein Glück kaum glauben, umspielte Torwart James und wurde von ihm gefoult. Zidane ließ sich diese Chance nicht entgehen und traf vom Punkt zum 2:1. Nur zwanzig Minuten zuvor hatte David Beckham einen fälligen Elfmeter vergeben und wirkte daher zu recht sehr geknickt nach dem Spiel. Irgendwie sah alles nach dem Ende und nicht nach dem Beginn des Feldzuges aus. (…) Der wichtigste Bestandteil des französischen Spiels lag wie so oft im Fuß von Zidane, dessen Herrschaft über den Ball Paul Scholes, Englands besten Techniker, wie einen Anfänger aussehen lässt. Das englische Mittelfeld unterstützt von Wayne Rooney, dessen Frühreife einem den Atem stocken lässt, waren größtenteils damit beschäftigt, den weltbesten Fußballer in den Griff zu bekommen. Der einschlagende Erfolg bei dieser taktischen Maßnahme blieb meist aus, doch immerhin war Zidane nicht in der Lage, einen seiner spielentscheidenden Pässe zu spielen.“

Alle Achtung für Fabien

Colin Stewart (The Scotsman 14.6.) notiert die Aussagen der beiden Hauptakteure, Beckham und Zidane: „“Alle Achtung für Fabien. Ich hätte den Elfer nicht besser schießen können, aber er hat in mir gelesen und eine tolle Parade gemacht.“ Beckham sagt weiter, dass sein Versagen grausam für seine Mannschaftskollegen gewesen sein muss, nachdem sie eine großteils enttäuschende französische Elf beherrscht haben. „Wir haben das nicht verdient. Wir waren die Besseren über 80-90 Minuten, wir haben uns sehr gut präsentiert. Wir beherrschten das Spiels bis auf die letzten paar Minuten. Aber das ist Fussball.“ „Wir müssen viel von diesem Spiel mitnehmen in unser nächstes. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Form beibehalten.“ Zidane sagte, dass dieses Match eines seiner besten war: „Es ist sicherlich eines meiner besten Spiele mit der Nationalmannschaft gewesen, gleichzusetzen mit denen der EM 2000″, sagte Zidane – und weiter: „Wir hätten nie mit einer solch großen Herausforderung durch die Engländer gerechnet, aber wir haben auch gezeigt, dass ein Spiel erst mit dem Schlusspfiff zu Ende ist. Ein solches Spiels gewonnen zu haben, katapultiert die Moral der Mannschaft empor.“ Zidane zollt Barthez großen Respekt, dessen Leistungen der letzten Saison stark kritisiert wurden: „Fabien machte den Unterschied aus und gab uns die Möglichkeit, an unsere Chancen zu glauben“ ZZ abschließend: „Das Spiel verlief nicht nach unserem Willen, aber am Ende ist es ein sehr positives Ergebnis. Wir leiden darunter, aber wir sollten die Situation nicht überbewerten. Genau unter diesen Umständen bildet man Teamgeist.“

Zidane verwandelt sich in den Retter, um die Engländer niederzustrecken

Zinedine Zidane schießt einen Freistoß ins Tor und einen Elfmeter; Frankreich dankt dem Himmel. Gérard Davet (Le Monde 14.6.): „Sol Campbell, der ehrwürdige englische Abwehrspieler, mutierte nach der Niederlage zum Philosophen des Balles: „Morgen ist ein anderer Tag…“, sagte er beim Verlassen der Kabinen, ein Opfer, genau wie seine zehn Mannschaftskameraden, der plötzlichen Wandlung, an der sich die Franzosen erfreuten. Man könnte meinen, dass der amtierende Europameister diese förmlich heraufbeschwört und inszeniert, alle vier Jahre, sozusagen als perfekte Dramaturgie eines Fußballspieles; im großen Finale Frankreich gegen Italien der EM 2000 waren es die zwei Tore von Sylvain Wiltord und David Trezeguet. Dieses Mal gewann Frankreich das Spiel in der Nachspielzeit, nachdem sie 90 Minuten lang gegen eine bemerkenswert harmonische und solidarische englische Mannschaft ankämpften. Diese Art von Spiel, auf solch hohem Adrenalinspiegel, gewährt im Allgemeinen einem Spieler, der das Schicksal besiegelt, den Heldenstatus. Am Sonntag ist es Zinédine Zidane gewesen, der sich das Gewand des Retters dank seiner zwei Standardsituationen anziehen darf. (…) „Die Tatsache, dass wir auf diese Weise gewonnen haben, stärkt unsere Moral. Es zeigt, dass man nie aufgeben darf. Heute Abend haben wir verstanden, was gut für den Rest des Turniers ist.“, erklärte der französische Spielmacher nach dem Spiel. Wahrscheinlich wird die „Zizoumanie“ nun noch weiter ausgeweitet. Solche Phänomene hervorzurufen, ist das Privileg von Genies, selbst wenn ihre Leistung im Spiel nicht zauberhaft war. Aber zwei rettende Tore reichen völlig aus, um das Fehlen einer globalen Wirkung zu kompensieren. Sehr lange Zeit wirkten die Franzosen eingezwängt in ein zu durchschaubares Spielsystem, in welchem sie sich auf die Mittelfeldachse konzentrierten und dabei die Schwächen der Engländer auf den Außenpositionen vergaßen. Während also die englische mittlere Nahtstelle keinerlei Schwächen zeigte, schienen die französischen Individualisten lange Zeit machtlos, gezielte Vorstöße zu inszenieren.“

Aus Freude wurde Schmerz

Jeremy Armstrong, Paul Byrne & Clare Goldwin (Daily Mirror 14.6.) blicken zurück auf Englands bittere Niederlage: „David Beckham schleppte sich gestern unter Tränen vom Feld, nachdem Englands Griff zur europäischen Krone in einem düsteren Start endete. Der am Boden zerstörte Kapitän gab offen zu, dass er größtenteils selbst Schuld an der Niederlage gegen Erzrivale Frankreich sei, da er ja immerhin beim Stand von 1:0 einen Elfmeter verschoss. Aber eigentlich war es nicht dieser vergebene Strafstoß, der England das Herz brach, sondern zwei Gegentreffer von Frankreichs Zauberer Zinedine Zidane in der Nachspielzeit – und das innerhalb von nur zwei Minuten. „Das haben wir nicht verdient, wir hätten verdient, als Sieger vom Platz zu gehen“, so Beckham nach der Partie. „Hätte ich“, so der Kapitän weiter „den Elfmeter verwandelt, hätte vielleicht schon alles vorbei sein können. Besser hätte ich ihn jedoch nicht schießen könne, Barthez hatte mich eben durchschaut. Fakt ist, dass wir 90 Minuten guten Fußball gezeigt haben.“ Auch Trainer Sven-Göran Eriksson teilte die Meinung seines Superstars: „Alles lief sehr unglücklich, wir haben dennoch eine exzellente Leistung geboten. Daher dürfen wir die Köpfe nicht hängen lassen. Ich bin sicher, dass wir England im Viertelfinale sehen werden.“ Nach dem Führungstreffer von Chelsea-Akteur Frank Lampard sah es knapp eine Stunde lang recht rosig aus für die Engländer. Dann jedoch kam der Auftritt von Beckhams Real-Mannschaftskollegen Zidane, und aus Freude wurde Schmerz: Erst der Ausgleich per direktem Freistoß, dann ein verwandelter Elfmeter zwei Minuten später. Nach dem Spiel in Lissabon traf Wayne Rooneys Vater den Nagel auf den Kopf und spiegelte die Stimmung der Bevölkerung wieder: „Ich bin am Boden zerstört, diese Partie mussten wir gewinnen. Ich bin mir sicher, dass Wayne bitter enttäuscht ist.“ Jack Charlton, Weltmeister 1966, schilderte, dass er wie betäubt vor dem Fernseher saß, als die Engländer den sicher geglaubten Sieg regelrecht wegwarfen. „Innerhalb von wenigen Minuten“ so Charlton „wurden Sieger zu Verlierern, ich kann es nicht fassen. Nach dem Schlusspfiff konnte ich eine Zeit lang gar nichts sagen, jetzt kann ich nicht aufhören zu fluchen.“ Nach Ende des Matches saßen die 40.000 englischen Anhänger wie angewurzelt auf ihren Sitzen, während die französischen Fans ausgelassen feierten. (…) Rund 20.000 englische Fans verfolgten die Begegnung auf einer Großleinwand im Zentrum von Lissabon und in den zahlreichen Bars und Restaurants. Die portugiesische Polizei hatte ein großes Aufgebot bereitgestellt, um Ausschreitungen zu vermeiden. Es blieb größtenteils friedlich, englische und französische Anhänger spielten zusammen Fußball und genossen die gute Atmosphäre.“

Beckenbauer zerschneidet Schokoladenorange

Michael Walker (The Guardian 15.6.) über den ungeliebten Dick Advocaat: „Holland scheint unbedingt seinen Ruf bestätigen zu wollen: Halbiert wie eine Schokoladenorange, bekommt Trainer Dick Advocaat von jedem seine Brustwarzen herumgedreht – angefangen von Johann Cruyff bis zum Trainerstab von Ajax. Keiner von Ihnen ist überzeugt, das Advocaat der richtige Mann ist, um das Beste aus einer mit natürlichem Talent gesegneten Truppe herauszuholen. Die Debatte über Hollands produktivste Aufstellung zieht sich ähnlich lange wie die über Englands. Sogar Franz Beckenbauer bringt seine Meinung ein in die Diskussion, wie die Holländer spielen sollten. Er hält eine Spitze, Ruud van Nistelrooy, für zu wenig.“

Deutschland findet sein Spiel und sein Selbstvertrauen

Patrick Vignal (Libération 16.6.) reibt sich die Augen: „Bei ihrem Eintritt in die Euro 2004 hat die deutsche Mannschaft ihren Ruf als Spezialist für wichtige finale Phasen gestärkt, indem sie ihr bestechendes und verlockendes Gesicht gezeigt hat – weit entfernt von ihren armseligen Darbietungen in den Freundschaftsspielen. Der Ärger über den späten Ausgleich der Holländer konnte die Zufriedenheit ein gutes Spiel gezeigt zu haben nicht auslöschen.“

Schlacht mit den Roastbeefs lässt Franzosen kalt

Wer hat die bessere Fan-Kultur? Jon Henley (The Guardian 12.6.) beschreibt den Vorsprung der Engländer gegenüber den Franzosen: „Wie Michel Platini schon einmal zu einem englischen Journalisten sagte: „Ihr habt Fans. Wir haben Anhänger.“ Eigentlich ist nicht einmal das wirklich wahr. Französische Anhänger wachsen nur dann über ihrer bloße Rolle als Zuschauer hinaus, wenn ihre Mannschaft a la francaise spielt und du beau jeu produziert, also mit Stil spielt, mit Talent und Imagination. „Die Franzosen sind zu kühl, die stehen nicht wirklich hinter ihrer Mannschaft,“ sagt Patrick Mignon, Akademiker und Autor des Buches „La Passion du Football“: „Sie sind mehr ironische Zuschauer als Anhänger. Wenn sie gut spielen, werden sie anfeuern. Wenn nicht, gibt es Verachtung und Spott, wenn du Glück hast – und wenn nicht, komplette Gleichgültigkeit.“ (…) „Wir sind einfach keine Fußball liebende Nation,“ sagt Frederique Deslandes, französischer Online-Journalist. „Nur zwei Mannschaften, Lens und Marseilles, haben überhaupt erst die Anfänge einer englischen Fankultur, in der die Menschen das Spiel leben und atmen und ihre Heimmannschaft bis zum Tod unterstützen. Zusätzlich sind wir schrecklich unbeständig in unserer Liebe“ Französische Fußballfans sprechen von ihrer National- sogar von ihrer Heimmannschaft – in der dritten Person Plural, nicht der ersten. Es heißt immer „Sie waren wunderbar“, oder „Sie waren lächerlich“, niemals „Wir“. (…) Ein Journalist sagte in einer französischen Sportzeitschrift: „Glauben die Engländer wirklich, dass es mehr ist als ein Fußballspiel, in dem die besten Spieler der englischen Liga, im blauen Trikot, die Spieler in weiß schlagen werden?“

Kein Gerede über Frühstückseier und Speck

Michael Walker (The Guardian 12.6) berichtet über französische Legionäre in England: „Mit bis zu sieben Spielern aus der Premiership ist eine Theorie geboren: Frankreichs Erfolge bei der WM 1998 und der WM 2000 seien „made in England“ (…) Patrick Viera wurde gefragt, ob er irgendwelche englischen Charaktereigenschaften in seinen acht Jahren in England angenommen habe. Er antwortete, dass er an jedem freien Sonntag Morgen ein komplettes englisches Frühstück isst und die Zeitung liest. „Ich esse alles – wie ihr,“ sagt er. „Jeden Sonntag fühle ich mich wie ein Engländer.“

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