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Deutsche Elf

Rudolf hat sich bemüht

Oliver Fritsch | Montag, 28. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Rudolf hat sich bemüht

„man spricht Deutsch in der Bundesliga, und das klingt zunehmend provinziell“ (Spiegel) – „Ottmar Hitzfeld sieht die Gefahr, inmitten politischer Interessen zerrieben zu werden“ (FAZ) / Ottmar Hitzfeld und Gerhard Mayer-Vorfelder verstehen sich nicht besonders gut (NZZ) u.v.m.

Also, Ottmar Hitzfeld, unterschreiben Sie

Gerhard Mayer-Vorfelder und Ottmar Hitzfeld sind schon häufig aneinander geraten, weiß Martin Hägele (NZZ 28.6.): „Vor dem momentanen Hintergrund scheint interessant, dass sich Mayer-Vorfelder schon Mitte der achtziger und auch Mitte der neunziger Jahre bereits zweimal mit Ottmar Hitzfeld an einen Tisch gesetzt hat. Und jedes Mal wurde der ehemalige Goalgetter der VfB-Aufstiegsmannschaft von 1977 von Mayer-Vorfelder anschliessend düpiert. Das erste Mal erfand MV die Geschichte, wonach Aaraus Präsident eine Million Ablöse für den jungen Erfolgstrainer verlange; das zweite Mal lancierte der VfB-Funktionär überzogene Gehaltsforderungen Hitzfelds in den Medien. Beide Male hat Hitzfeld die Fäuste in den Taschen geballt, ohnmächtig gegenüber den Intrigen, „weil man sich mit diesem Mann nicht anlegen kann, wenn man im deutschen Fussball nach oben will“. Diese leidvollen Erfahrungen mit dem Machtmenschen sind ein Grund dafür, dass Hitzfeld, der am Wochenende von Mayer-Vorfelder kontaktiert worden ist, die Chancen für eine Vertragsunterschrift mit „unter 50 Prozent“ bezeichnet. Sollte der vom FC Bayern freigestellte Coach tatsächlich am Montag nach Lissabon fliegen, könnte er im Uefa-Hotel die Bedingungen diktieren – und sich sogar das absolute Vertrauen Mayer-Vorfelders schwarz auf weiss festschreiben lassen. Der Plan von MV, im Falle von Hitzfelds Absage in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Daum zu inthronisieren, ist schneller aufgeflogen, als er geglaubt hatte. Die Bundesliga und alle vernünftigen Stimmen im deutschen Fussball stehen wie eine moralische Phalanx gegen den DFB-Präsidenten sowie dessen Lieblingstrainer. Christoph Schickhardt, der Anwalt von Hitzfeld, glaubt sogar, „dass die DFL den Grundlagenvertrag mit dem DFB aufhebt“, falls Mayer-Vorfelder auf Daum beharre. Andererseits ist der Funktionär auch Populist und will seine Wiederwahl in den Bundestag im Oktober nicht gefährden. Der Posten des Nationaltrainers verträgt keine dubiose Figur; Daum ist nicht nur deshalb ungeeignet, weil er ein ganzes Land für dumm verkauft und belogen hat. In seinem Wahn, Bundestrainer zu werden, wollte er sogar verdienstvolle Mitglieder des deutschen Fussballs, wie etwa den Bayern-Manager Uli Hoeness, anschwärzen. Nicht nur Völler verlangt zu Recht, dass „der Neue unbefleckt im Geschäft“ sein soll. Also, Ottmar Hitzfeld, unterschreiben Sie.“

Pech-und-Schwefel-Beziehung

Ludger Schulze (SZ 28.6.) warnt vor Mayer-Vorfelders Befangenheit: „„I did it my way“, schluchzte Gerhard Mayer-Vorfelder in das Mikrofon und sah hinunter auf den Mann, der vor ihm kniete und eine rote Rose empor reichte. Dieser Akt der Anbetung unter Männern fand zum 65. Geburtstag des heutigen DFB-Präsidenten statt, es war in der Alten Reithalle zu Stuttgart, der glühende Verehrer zu seinen Füßen hieß Christoph Daum. Die beiden verbindet eine Pech-und-Schwefel-Beziehung, die nicht einmal irritiert wurde, als der Fußballtrainer den Funktionär im Verlauf seiner Koks-Affäre arglistig täuschte. Mag sein, dass sich der emeritierte Berufspolitiker Mayer-Vorfelder an eigene Verhaltensmuster in Krisenzeiten erinnert fühlte und deshalb geradezu väterliche Verzeiher-Gefühle für Daum entwickelte. Wen das seltsame Gebahren des DFB-Präsidenten bei der Nachfolgersuche für Rudi Völler wundert, der sollte einen Blick zurückwerfen auf dessen Stuttgarter Zeit. Kein Präsident hat mehr Trainer verschlissen als MV, nirgendwo sonst wurde die Trainersuche zu einem derart absolutistischen Akt verbogen wie in dessen VfB-Präsidentschaft. (…) Mag irgendwer, außer MV, einen Lügenbaron als Bundestrainer, der unbedenklich Andere, wie etwa Uli Hoeneß, in den beruflichen Abgrund zu stoßen bereit war? Weil es hier nicht um die Qualitäten eines Gebrauchtwagenhändlers geht, weil der Posten des Bundestrainers auch moralische Anforderungen stellt, kommt Daum unter allen bekannten Fußballtrainern so ziemlich als Letzter in Frage. Doch der starre, alte Mann in seinem Hotel an der Algarve negiert dies, deshalb müsste man ihm die Verhandlungsführung aus der Hand schlagen.“

Der Mann sieht die Gefahr, inmitten politischer Interessen zerrieben zu werden

Wie geht es hinter den Kulissen zu? Roland Zorn (FAZ 28.6.) klärt auf: „Ob Hitzfeld, um den ein großes Tauziehen im Gange ist, am Ende überhaupt noch zusagen will, fragen sich inzwischen sogar enge Wegbegleiter. Hitzfeld hat das von Mayer-Vorfelder initiierte Procedere bei der Trainersuche nicht besonders gut gefallen. Der Mann sieht die Gefahr, inmitten politischer Interessen zerrieben zu werden. Im Hintergrund wirkt nämlich auch die eigentlich mächtigste Institution im deutschen Fußball an der bevorstehenden Inthronisation des neuen Bundestrainers mit: Franz Beckenbauer. Der Präsident des Organisationskomitees der Weltmeisterschaft 2006 und Weltmeister als Spieler und Teamchef macht sich dafür stark, daß Hitzfeld und niemand sonst den Job bekommt, den Rudi Völler am Donnerstag unter Verzicht auf das ihm vertraglich bis 2006 noch zustehende Gehalt von rund fünf Millionen Euro aufgab. Aber auch das DFB-Präsidiumsmitglied Beckenbauer möchte in diesen Tagen nicht unbedingt Flagge zeigen und dabei möglicherweise Mayer-Vorfelder attackieren. Konkret muß sich der DFB-Präsident allerdings darauf gefaßt machen, daß er viel Gegenwind aus der Bundesliga zu spüren bekommen wird. Wie er mit Werner Hackmann, dem Präsidenten des Ligaverbandes und Aufsichtsratsvorsitzenden der DFL, in Almancil verfuhr, bewies keinen Stil. Hackmann sollte, wie es heißt auf Wunsch von Völler, bei dem nächtlichen Gespräch dabeisein, das letztlich zum Abschied des Teamchefs nach dem deutschen Scheitern bei der EM führte. Tatsächlich versuchten nur Mayer-Vorfelder und DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt aber, Völler zum Bleiben zu bewegen. Hackmann blieb draußen vor der Tür. „Ich habe das bedauert“, sagt der Hamburger mit hanseatischer Höflichkeit, „der Präsident hat es zur Kenntnis genommen.“ Die DFL werde sich „zu gegebener Zeit“ zu Mayer-Vorfelder äußern. (…) In diesem Klima zwischen wenig Kooperation und sich abzeichnender Konfrontation soll Hitzfeld in ein paar Tagen zum Bundestrainer ernannt werden. Ob er das Spielchen noch lange mitmacht?“

Ottmar Hitzfeld pokert, denkt Frank Hellmann (FR 28.6.): „Das erste Gespräch, um auszuloten, was schon vor dieser EM gemutmaßt wurde: Hitzfeld wird Bundestrainer und Nachfolger von Rudi Völler. Doch die Gemengelage nach den ersten Telefonaten erscheint diffiziler; zu viele Einzelinteressen und Einflüsterungen fließen in diese bedeutende Personalie mit ein. Der vermutete Selbstgänger ist die Zusage des hoch dekorierten Vereinstrainers auch nicht. Die Chancen lägen bei „weniger als 50 Prozent“, ließ Hitzfeld beim Golfspielen aus der Schweiz verlauten, „es ist wirklich sehr, sehr offen.“ Und sein Zögern hat der Lörracher, ganz den Familienmensch mimend, gleich auch erläutert: „Ich muss das mit meiner Frau besprechen. Sie hat sich gefreut, dass ich das Jahr etwas anderes mache. Ich wollte doch ein Jahr regenerieren.“ Aussagen, die als Teil des begonnenen Pokerspiels verstanden werden dürfen. Denn Hitzfelds Lebenstraum ist es, die von Völler freigeräumte Planstelle zu besetzen. Unverhohlen hat der clevere Mathematik-Lehrer schon erste Forderungen gestellt. Eine entscheidende lautet: Er möchte seinen Assistenten Michael Henke ebenfalls beim DFB unterbringen. „Zu ihm habe ich ein absolutes Vertrauensverhältnis. Er ist ein Freund von mir.“ Zudem müsse ja noch über Konzepte und Vertragslaufzeit gesprochen werde; möglicherweise möchte Hitzfeld gleich eine Option bis zur EM 2008 in der Schweiz und Österreich ausgehandelt haben. Vom Verband erwarte er absolute Rückendeckung.“

Jan Christian Müller (FR 28.6.) übt Kritik am DFB: „In diesen Tagen wird scharfe Kritik an der Außendarstellung des DFBs geübt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Es hat keinen guten Eindruck gemacht, dass die Mannschaft nach ihrer Landung in Frankfurt hermetisch abgeschirmt wurde. Nicht besser hatte sich die Delegation vor dem Abflug aus Faro präsentiert. Der Bus wurde vom Sicherheitspersonal weiträumig vor einigen wenigen Berichterstattern mit Hunden geschützt, damit die Spieler stumm in das Gefährt steigen konnten. Dabei war anderthalb Stunden zuvor Teamchef Rudi Völler zurückgetreten, und es gab einen berechtigten Anspruch, eine Reaktion der Spieler auf diese einschneidende Entscheidung einzuholen. Auch das selbstgerechte Verhalten von Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der tags darauf nicht zu einem kurzen Gespräch im vereinsamten Mannschaftshotel bereit war, wirft kein gutes Licht auf einen Verband, der eigentlich stets bemüht ist, sich für seine Verbundenheit zur Basis ins rechte Licht zu rücken. Stundenlang hockte Mayer-Vorfelder mit seinem Bürovorsteher Jan Lengerke beim Kaffee und las Zeitung, ehe der Mediendirektor Gerhard Meier-Röhn seinen keine zehn Meter hinter ihm hockenden Präsidenten im Pressegespräch vertreten musste und sich dabei spürbar unwohl fühlte. (…) Nun, da ein neuer Mann die sportliche Verantwortung übernimmt, ist es an der Zeit, die Fenster weit aufzureißen und frische Luft hereinzulassen.“

Rudolf hat sich bemüht

Sehr lesenswert! Warum hinkt Deutschland hinterher, Klaus Brinkbäumer & Jörg Kramer (Spiegel 28.6.)? „Es folgten die Grabreden. Mayer-Vorfelder sagte, Völler sei ein Mensch von „großer Akzeptanz“, Franz Beckenbauer sagte, Völler sei „ein wunderbarer Mensch“, und Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einem Menschen, „an dessen persönlicher Integrität man nun wirklich nicht zweifeln kann“. Das kann man nicht, aber mancher wird solche Sätze so verstehen, als meinten sie einen Trottel: sehr lieb, aber fachlich leider ungeeignet, so wie einstmals im Grundschulzeugnis: „Rudolf hat sich bemüht.“ Dieses Ende machte die Expedition der besten deutschen Mannschaft in die Welt der guten Mannschaften endgültig absurd. In Wahrheit gab es ja genau drei starke Figuren in der deutschen Nationalmannschaft: Philipp Lahm, Michael Ballack und Rudi Völler, der Teamchef jedenfalls war so stark wie nie zuvor. Es gibt andere Gründe für das Resultat, es gibt andere Wahrheiten: Die Bundesliga hat drei lausige Jahre hinter sich, sie ist, im internationalen Maßstab, mittelmäßig. Das liegt unter anderem daran, dass die guten ausländischen Spieler nach Spanien, Italien und England gehen; und es liegt daran, dass ausländische Trainer kaum gefragt sind – man spricht Deutsch in der Bundesliga, und das klingt zunehmend provinziell. Ein Austausch von Trainingsmethodik und Erfahrungen findet zwar überall in Europa statt, nur an der Bundesrepublik zieht das alles vorbei: Jenes direkte Spiel, das Trainer wie Arsène Wenger oder José Mourinho in endlosen Wiederholungen üben lassen, lernen bei Arsenal London oder dem FC Porto Spieler vieler Nationen, nur keine deutschen. Dass jahrelang der Nachwuchs nicht systematisch geschult wurde, gilt ja schon länger als gesicherte Erkenntnis. Dass dies natürlich längst korrigiert sei und bald eine Ära neuer deutscher Dominanz anbrechen würde, das galt bisher als gleichfalls gesichert; „Man muss nur Geduld haben, es dauert halt“, sagt Franz Beckenbauer. Darum sind die Ergebnisse von Portugal so trist: In Wahrheit ist der Abstand größer denn je. „Ich zieh mir persönlich für Deutschland so einen Schuh nicht an“, sagte Bundestrainer Skibbe. Und es stimmt ja, es hat sich etwas getan, aber wie soll jemand aufholen, dessen Rivalen eine Runde Vorsprung haben und sich im gleichen Tempo bewegen? Die Bundesliga-Trainer begriffen vor etwa sechs Jahren, wie Dreier- und Viererkette funktionieren, und die Spieler kapierten es dann auch. Aber da lernten die besten Mannschaften anderer Länder bereits, wie sich zehn Spieler, wenn sie verteidigen, in Ballnähe zusammenziehen und dann, bei Ballbesitz, übers Feld verteilen. Als die Deutschen auch diese Neuerung verstanden und sogar schöne deutsche Worte dafür gefunden hatten („Zustellen“), gab es international schon dieses direkte Passspiel, das in Portugal vier, fünf Mannschaften weit über die anderen erhebt: rasant und trotzdem fehlerfrei. Das üben nun auch die Deutschen, und da sehen sie mit Schrecken, dass jetzt Dribbler wie der Portugiese Cristiano Ronaldo in Mode kommen, die enge Abwehrreihen allein knacken können. Es ist also die Geschichte von Hase und Igel, und als Völler sagte, „dass es leider ein Tick zu wenig war“, und dabei ganz verloren auf die Wand am Saalende starrte, da sah er so aus, als habe er in Lissabon kapiert, dass der Gastgeber der „WM zwo-sechs“ (Völler) in Wahrheit schon zwei Jahre vor dem Eröffnungsspiel besiegt ist. Die Trainer Völler und Skibbe haben nicht viele Fehler gemacht in Portugal, vielleicht nur zwei. Völler hat neulich gesagt: „Es wäre der Anfang vom Ende eines Trainers, wenn du überlegst, wen du einwechselst, damit du besser wegkommst.“ Aber genau so wechselte er am Ende ein, da spielte dann Podolski, von dem Völler nicht sehr viel hält. Und sie schafften es nicht, diese Angst zu vertreiben, die zu 45 Minuten Lähmungszustand im Spiel gegen Tschechien führte, zu Hamanns Querpässen, zu Schneiders Stillstand, zu Arne Friedrichs Vorsicht. Andere Teams wollen ein Spektakel, und dieses Spektakel wollen sie gewinnen – die Deutschen spielten, als wollten sie bloß nicht verlieren. Aber sonst? Völler trat lässig und klar auf in Portugal, und jene, die ihm in den Talkshows nach dem Rücktritt vorhielten, er sei „zu wenig Schwein“ gewesen, zielten vorbei: Seiner Mannschaft mangelte es nicht am Willen und schon gar nicht an Disziplin, und deshalb hätte keine noch so harte Hand geholfen – es mangelte an Begabung. Diese Mannschaft hatte das Niveau von Kroatien, sie komplettierte die Vorrunde, sie gehörte in eine B-Europameisterschaft (…) Andreas Hinkel litt in Portugal noch an den Folgen eines doppelten Bänderrisses, aber er gilt als sicherer Kandidat für die WM 2006, und er brachte es vermutlich deshalb so weit, weil er in der D-Jugend, mit zehn Jahren, vom TSV Leutenbach zum Bundesligaclub VfB Stuttgart gelotst wurde. Da lernte er an der Taktik-Tafel das Abwehrsystem der Viererkette kennen und das Verschieben der ganzen Mannschaft. „Bei den kleinen Vereinen in Deutschland hapert es an der Qualität der Trainer“, sagt er, „da macht es schnell mal irgendein Vater, der keine Ahnung hat.““

Erfolge sind eine logische Folge bei einer derartigen Konzentration von Talenten

Die FAZ (28.6.) geht mit gutem Beispiel voran und berichtet das A-Jugend-Endspiel (Bayern München – VfL Bochum 3:0): „Die Vielzahl von begabten Fußballspielern beim FC Bayern ist kein Zufall, sondern systematische Arbeit. Mitte der neunziger Jahre haben die Münchner begonnen, die Nachwuchsarbeit zu professionalisieren. Vor sechs Jahren standen die A-Junioren zum ersten Mal im Finale, vor vier Jahren holten sie zum ersten Mal die Meisterschaft in der Vereinsgeschichte. Titel sind für das Juniorteam zwar nur Nebensache, im Vordergrund steht die Ausbildung von bundesligatauglichen Spielern. Aber Erfolge sind eine logische Folge bei einer derartigen Konzentration von Talenten.“

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