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Am Grünen Tisch | Deutsche Elf

Sohn einer Kiezgröße und einer Multimillionärin

Oliver Fritsch | Sonntag, 4. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Sohn einer Kiezgröße und einer Multimillionärin

Gerhard Mayer-Vorfelder ist eigentlich sehr sympathisch (TspaS) / Die Macht, die er in all den Jahren anhäufte, gründete sich auf sein Fähigkeit, Macht intern zu organisieren (FAS) – Die Nationalelf braucht frischen Wind durch einen ausländischen Bundestrainer (TspaS) – FAS-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge – BamS-Interview mit Ottmar Hitzfeld u.v.m.

Äußerlich der Sohn einer Kiezgröße und einer Multimillionärin, ist der wahre Mayer-Vorfelder anders

Mann, ist der nett! Martin Hägele (TspaS 4.7.): „Viele Menschen, vor allem Lehrer und Anhänger des VfB Stuttgart, die zum ersten Mal direkt mit dem Kultus- und Sportminister oder dem Patron des schwäbischen Traditionsklubs zu tun hatten, schwärmten geradezu von dieser Begegnung, und erzählten davon, wie doch der persönliche Kontakt ihr Bild von Gerhard Mayer-Vorfelder verändert hätte. Auch er selbst hat oft berichtet, wie angetan Menschen von ihm gewesen seien: „Sie sind ja ganz anders, als wir Sie aus Fernsehen und Zeitung kennen“, habe es oft geheißen. MV trug immer Goldkettchen, Rolex und Boss-Anzüge und tut das bis heute. Äußerlich der Sohn einer Kiezgröße und einer Multimillionärin, ist der wahre Mayer-Vorfelder anders: bemüht volksnah. Häufig bot er schon nach wenigen Minuten das Du an, als kenne er alle neuen Gesprächspartner seit Jahren vom Stammtisch. „Ich bin der Gerd.“ Zu seinen guten Zeiten hat den Rechtsaußen der CDU im Ländle auch nie die politische Coleur seines Gegenübers gestört. Er wurde nicht nur wegen seiner Kampfeslust im Parlament und im Kabinett gefürchtet, wenn er mit offenem Hemdkragen und markanten Sprüchen auf die Opposition losging, ebenso berühmt war die Art seiner Streitkultur. Ein Zank war nicht selten von kurzer Dauer. MV konnte sich heute wieder auf ein paar Viertele mit dem Gegner von gestern zusammensetzen. In geselligen Runden war Gerhard Mayer-Vorfelder stets ein glänzender Unterhalter. Er kennt sich in historischen Sachverhalten ungewöhnlich gut aus. Er liebt es, wenn er sein Wissen in die Gegenwart übersetzen kann. Fühlte er sich in einer solchen Runde wohl – und das war meistens rasch der Fall – gab er gern ein Liedchen zum Besten. Singen, auf einer Bühne stehen, ist ihm der größte Genuss. Der unerlässliche Abschluss vieler großer Parties im Mayer-Vorfelder’schen Bungalow im Stuttgarter Stadtteil Muggensturm war ein Frank-Sinatra- Songs dahinschmachtender Hausherr. Dieser Wunsch nach Nähe wich, als Mayer-Vorfelder aus dem Ministeramt ausschied, er ist um einiges reservierter geworden. Empfindlicher, vor allem sturer ist er geworden und schottet sich immer mehr in seinem „inner circle“ ab. (…) Nun steht er da, als Präsident von Franz Beckenbauers Gnaden. Auch weil er fühlt, dass der Präsident des größten Fachverbandes der Welt mit seinen sechseinhalb Millionen Mitgliedern nicht mehr viel zu sagen hat, weil die großen Geschäfte im DFB vom Organisationschef der WM 2006 und von den Strippenziehern aus der Bundesliga (DFL) erledigt werden, hat MV die Bundestrainersuche zu seiner Privatsache gemacht. Er wollte zeigen, dass nur er den Mann nach Völler holt. Dass er den alten Volkshelden nicht hat halten können, liegt wohl auch daran, dass Völler seinem Vorgesetzten nicht mehr blind vertraut hat. Den neuen Wunschtrainer des Landes, Ottmar Hitzfeld aber hat MV nicht gekriegt, weil er dem nicht schnell genug sein volles Vertrauen ausgesprochen hat. Der hätte sich sonst wohl kaum eine Bedenkzeit erbeten und hätte vermutlich nicht abgesagt. All das wird Mayer-Vorfelder am Montag bei einer außerordentlichen Präsidiumssitzung den Kollegen erklären müssen. Falls dieses Gremium seinem Chef überhaupt noch einmal richtig zuhören will. Die älteren Herrschaften sind verbittert, weil sie zu oft übergangen worden sind. Falls der 59-jährige Jurist Theo Zwanziger, im Verband bisher Schatzmeister , seinen Hut in den Ring wirft, würde eine Wiederwahl Mayer-Vorfelders beim Verbandstag im Oktober in Osnabrück unwahrscheinlich. Die Frage, die eine südwestdeutsche Zeitung vor vier Jahren an ihre Leser gestellt hatte, wäre ganz einfach beantwortet: „Wer entlässt Gott?“ hat es damals über dem Porträt Mayer-Vorfelders geheißen.“

Die Trainerausbildung des DFB ist längst zu einem geschlossenen System geworden

Brauchen wir einen ausländischen Bundestrainer, Stefan Hermanns (TspaS 4.7.)? „Der DFB sucht verzweifelt einen neuen Bundestrainer. Doch dass es ein Ausländer wird, Guus Hiddink, der Däne Morten Olsen oder der Franzose Arsène Wenger, das ist unwahrscheinlich. „Nicht durchsetzbar“, hat DFB-Vizepräsident Engelbert Nelle einen ausländischen Trainer genannt. Der wichtigste Posten im deutschen Fußball muss offensichtlich einem Deutschen vorbehalten bleiben. Warum eigentlich? Wenn heute im Finale der EM Portugal und Griechenland aufeinander treffen, spielen zwei Mannschaften ohne einheimischen Trainer um den Titel. Zum ersten Mal überhaupt wird ein Land mit ausländischem Coach Europameister – entweder Griechenland mit dem Deutschen Otto Rehhagel oder Portugal mit dem Brasilianer Felipe Scolari. Ein Zufall ist diese Entwicklung nicht. Schon bei der WM vor zwei Jahren hatten 8 der 32 Mannschaften einen ausländischen Trainer. Selbst bei den Nationalmannschaften verliert die nationale Komponente an Bedeutung. In Deutschland gibt es viele ausländische Trainer von Nationalmannschaften – abgesehen vom Fußball. In anderen Sportarten ist es kein Problem, wenn der Bundestrainer keinen deutschen Pass besitzt. Vlado Stenzel, der die bundesdeutschen Handballer 1978 zum WM-Titel führte, ist Jugoslawe. Die deutschen Basketballer wurden von Svetislav Pesic trainiert, einem Jugoslawen – und später von Henrik Dettmann, einem Finnen. Stelian Moculescu, Trainer der Volleyball-Männer, stammt aus Rumänien, der Coach der Frauen, Hee Wan Lee, aus Südkorea, und der US-Amerikaner Greg Poss übernimmt demnächst die Eishockey-Nationalmannschaft. Bei der WM vor zwei Jahren war Südkorea so erfolgreich, weil es Hiddink in kurzer Zeit gelungen war, traditionelle Denkstrukturen zu verändern. Auch der deutsche Fußball braucht dringend andere Impulse: in der Trainingsarbeit, in der Taktik, im Verständnis des Spiels. Aber woher sollen neue Ideen kommen? Die Trainerausbildung des DFB ist längst zu einem geschlossenen System geworden, das sich nur aus sich selbst erneuert. Ihre Absolventen sind meist ehemalige Spieler, die in deutschen Vereinen von deutschen Trainern trainiert wurden. Selbst in der Bundesliga arbeiten kaum noch ausländische Trainer. Der Österreicher Ernst Happel war vor 20 Jahren beim Hamburger SV der letzte, der mit seiner Idee vom Pressing den Fußball in Deutschland befruchtet hat. Genau wegen dieser hohen fachlichen Qualität war Happel 1978 Bondscoach der holländischen Nationalmannschaft, mit der er bei der WM in Argentinien Vizeweltmeister wurde. Dass der Gedanke an einen ausländischen Nationaltrainer zunächst gewöhnungsbedürftig ist, hat das Beispiel England gezeigt. Als der Schwede Sven-Göran Eriksson vor drei Jahren den Posten übernahm, schrieb die „Daily Mail“: „Jetzt hat das Fußball-Mutterland sein Geburtsrecht an eine Nation von Skifahrern und Hammerwerfern verkauft, die ihr halbes Leben in Dunkelheit verbringen.“ Inzwischen sind die Engländer froh, dass Eriksson seinen Vertrag verlängert hat.“

Wir stehen nicht gegen ihn
FAS-Interview (4.7.) mit Karl-Heinz Rummenigge

FAS: Immer mehr unter Druck kommt durch die Trainersuche der umstrittene DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder. Welche Fehler sehen Sie bei ihm?
KR: Dafür kann der Mayer-Vorfelder überhaupt nichts. Der hatte sich auf einen Kandidaten konzentriert, und das wäre auch der beste Kandidat gewesen. Doch der Ottmar Hitzfeld hat eben abgesagt. Daraus aber eine Problematik Mayer-Vorfelder zu kreieren, das halte ich für weit hergeholt.
FAS: Doch immer mehr im DFB-Präsidium halten Mayer-Vorfelder nicht mehr für tragfähig.
KR: Das sind diejenigen, die in der Vergangenheit nichts zu sagen hatten. Wie der Herr Nelle zum Beispiel. Der ist für die Amateure zuständig, und da ist er bestens aufgehoben. Der Mayer-Vorfelder ist sturmerprobt, ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich durch diese Sachen aus der Ruhe bringen läßt.
FAS: Sie sehen keinen Handlungsbedarf, was den DFB-Präsidenten angeht?
KR: Überhaupt nicht. Leute wie der Schatzmeister Dr. Zwanziger stehen auch loyal zu Mayer-Vorfelder.
FAS: Sehen Sie seine Wiederwahl im Herbst in Gefahr?
KR: Er hat kundgetan, daß er sich wiederwählen lassen will, dementsprechend kann man davon ausgehen, daß er im Oktober wieder zur Verfügung stehen wird.
FAS: Der mächtige FC Bayern und sein Vorstandsvorsitzender Rummenigge stehen also hinter Mayer-Vorfelder?
KR: Wir stehen nicht gegen ihn.
FAS: Das klingt kryptisch. Gibt es Alternativen?

Das Bild, das der DFB abgibt, ist einfach jämmerlich

Jürgen Klinsmann (FAS 4.7.)übt heftige Kritik am DFB: „In Portugal erhob am Samstag Jürgen Klinsmann, Kapitän der deutschen Europameistermannschaft von 1996, schwere Vorwürfe gegen den DFB in Sachen Krisenmanagement. „Das Bild, das der DFB abgibt, ist einfach jämmerlich. Die ganze Welt schaut auf Deutschland und dann stellt die internationale Presse fest, daß der deutsche Fußball ein Scherbenhaufen ist und sein Verband orientierungslos. Dabei stehen wir zwei Jahre vor dem wichtigsten Sportereignis, das in den nächsten 40 Jahren in diesem Land stattfindet“, so Klinsmann. Der ehemalige Stürmer fordert insbesondere, daß sich Verband, Liga, Organisationskomitee 2006, Sponsorenvertreter, Rudi Völler und „zwei, drei Spieler“ in einem Kommission zusammensetzen, um Fehler zu analysieren und Aufgaben eines jeden Mitarbeiters zu definieren und eventuell strukturelle Änderungen vorzunehmen. Als erste Maßnahme regt Klinsmann die Schaffung des Postens eines Nationalmannschafts-Managers an. „Der hätte als Gesprächspartner für Rudi da sein müssen, damit der eine Schulter zum Abladen gehabt hätte. Dann wäre seine Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Er wurde im Stich gelassen.““

Der Überlebenskünstler versuchte stets auch Lebenskünstler im engen Korsett seiner Ämter zu sein

Michael Horeni (FAS 4.7.) hält nicht viel von Mayer-Vorfelder: „“MV“, wie er in Fußball- und Politkreisen nur kurz genannt wird, hatte sich in den vergangenen dreizehn Jahren ständig mit staatsanwaltlichen Ermittlungen herumzuschlagen, deren Bedeutung stets weit größer erschien als die präsidialen Eigenmächtigkeiten, mit denen er sich nun bei seinen ehemaligen Fußballfreunden in den vergangenen Tagen immer weiter ins Abseits gestellt hat. Die im Stile eines Bundeskanzlers zur „alleinigen Chefsache“ deklarierte Suche nach einem Nachfolger für Teamchef Rudi Völler erwies sich zwar als taktischer Fehler. Dazu gesellte sich die Verärgerung der Funktionäre, daß nur der MV-Familientroß im Pool des Mannschaftshotels in Almancil planschen durfte. Die Allmachtsphantasien seines persönlichen und vom DFB bezahlten Helferleins, als Referent eingestellt, schadeten ihm ebenso wie die eigenmächtige Vertragsverlängerung mit dem umstrittenen „U21″-Nationaltrainer Uli Stielike – aber was ist das alles schon, mag sich MV denken, für einen ehemaligen Minister aus Baden-Württemberg, den der Verdacht der Untreue und der Steuerhinterziehung bis ins Amt des DFB-Präsidenten verfolgte? Denn immer wieder überstand der (sport)politische Überlebenskünstler diese juristisch nicht hieb- und stichfesten Vorwürfe. Auf die Anklagebank kam der Jurist Mayer-Vorfelder, für den der Grundsatz der Unschuldsvermutung immer wieder außer Kraft gesetzt wurde, jedoch nie. (…) Tatsächlich hat es Mayer-Vorfelder schon immer genossen, im mausgrauen Heer der Fußballfunktionäre auch durch seinen Habitus hervorzustechen. Der Überlebenskünstler versuchte stets auch ein bißchen Lebenskünstler im engen Korsett seiner Ämter zu sein. Schon in seiner Zeit als Staatsdiener gefiel es Mayer-Vorfelder, dessen Witz und Kumpelhaftigkeit immer auch viele Freunde fanden, sich als unangepaßten Politiker wider den Zeitgeist zu präsentieren und zu profilieren – auch wenn er dabei übers Ziel hinausschoß. Die Hausbesetzer der Hafenstraße setzte der Oberstleutnant der Reserve einst in Beziehung zu SA-Horden, und er wünschte sich, daß Schüler die erste Strophe der Hymne singen sollten (rund zwanzig Jahre später wird es ihn beim EM-Spiel gegen Lettland gefreut haben, daß Tausende Zuschauer ohne ministeriellen Rat das Deutschlandlied aus freien Stücken während des Spiels spontan anstimmten). Auf die Öffentlichkeit kann ein polarisierender Fußball-Politiker wie Mayer-Vorfelder seit Jahren schon nicht mehr setzen. Die Macht, die er in all den Jahren anhäufte, gründete sich auf sein Fähigkeit, Macht intern zu organisieren.“

Heute Morgen hätte ich fast noch geheult
BamS-Interview (4.7.) mit Ottmar Hitzfeld

BamS: Warum haben Sie den Job des Bundestrainers ausgeschlagen?
OH: Weil ich mich nicht in der Verfassung fühle, die nötig wäre, um dem deutschen Fußball wirklich zu helfen. Ich kann so ein Amt nicht übernehmen, wenn ich körperlich nicht topfit bin. Und das bin ich nicht. Ich muss mir und dem DFB gegenüber ehrlich sein: Ich fühle mich nach sechs Jahren Bayern wie seinerzeit nach sechs Jahren Dortmund ausgebrannt und verbraucht. So kann ich weder Freude noch Begeisterung auslösen oder vermitteln.
BamS: Wie hat DFB-Präsident Mayer-Vorfelder auf die Absage reagiert?
OH: Als ich ihn in Portugal anrief, war er natürlich tief enttäuscht. Er hatte mir vollstes Vertrauen entgegen gebracht und wir kennen uns ja schon 30 Jahre. Er hat versucht, meine Argumente zu verstehen, wollte mich noch umstimmen.
BamS: Bundestrainer – das war doch immer der letzte, große Traum für Sie…
OH: Ja. Aber ich darf nicht egoistisch sein. Ich nehme ein Amt nicht des Amtes wegen an. Ich arbeite ja schon seit einem Jahr sozusagen im roten Bereich. Ich hatte in der letzten Saison nicht mehr das Feuer und die Power, die man bei Bayern gebraucht hätte. Glauben Sie mir, ich hatte seit dem Gespräch am letzten Sonntag mit Mayer-Vorfelder schlaflose Nächte. Ich habe gegrübelt, ich habe schon über eine neue Nationalelf nachgedacht. Und ich bin jetzt traurig. Heute Morgen hätte ich fast noch geheult. Mein Herz hätte Ja gesagt, aber der Verstand hat gesiegt.“

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