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Deutsche Elf

Viele, aber nicht nur richtige Signale

Oliver Fritsch | Dienstag, 17. August 2004 Kommentare deaktiviert für Viele, aber nicht nur richtige Signale

Jürgen Klinsmanns Personalentscheidungen erreichen breite Resonanz: „schleichende Entmachtung Oliver Kahns“ (FR) / „es wirkt, als ob Klinsmann vor seiner Ouvertüre viele, aber nicht nur richtige Signale setzt“ (SZ) / Rüffel für Torarttrainer Sepp Maier u.v.m.

Seite 1 – Klaus Hoeltzenbein (SZ 17.8.) schildert Klinsmanns Personalentscheidungen: „In jedem Handbuch für den modernen Manager steht gleich in Kapitel eins, womit ein neuer Job zu beginnen ist: Grausamkeiten sind sofort zu begehen. Folglich hat Jürgen Klinsmann die größte Grausamkeit, die bei der Übernahme einer Nationalmannschaft vorstellbar ist, am ersten Arbeitstag mit der deutschen Elf verkündet. Am Montag wurde der langjährige Kapitän abgesetzt. Oliver Kahn, seit Juni 2001 damit beauftragt, allen voran aufs Spielfeld zu laufen, ist fortan nur noch einer unter vielen. (…) Sturm und Drang hat der 40-Jährige versprochen, er will der Nationalelf einen Stil vermitteln, der seinem Naturell entspricht. Klinsmann war ein Stürmer, ein Geist der Offensive. Er stand für eine Sehnsucht nach Toren, die Mannschaft, die er übernimmt, hatte die Langsamkeit für sich entdeckt. Erwartet wird vom neuen Bundestrainer der Bruch mit alten Hierarchien und eine Verjüngung auf vielen Positionen. Die ersten Nachrichten aber sind widersprüchlich. So hat Klinsmann nur zwei Debütanten berufen (den Bremer Frank Fahrenhorst und Robert Huth von Chelsea London), nominiert wurde jedoch auch wieder Thomas Linke. Ein solider Abwehrspieler, aber schon 34 Jahre alt. „Bei mir zählt nur Leistung, egal, ob einer 18 oder 40 Jahre alt ist“, begründet Klinsmann die Rückholaktion. Das mag dem Augenblick genügen, ermutigend für die Jugend ist die Personalie nicht. Und so wirkt es, als ob Klinsmann vor seiner Ouvertüre viele, aber nicht nur richtige Signale setzt.“

Jan Christian Müller (FR 17.8.) kommentiert den Wechsel des Kapitäns: “Der Bundestrainer begibt sich mit seiner wagemutigen Entscheidung, den Torwart zu entmachten, auf dünnes Eis. Denn er ist ja nicht so naiv zu glauben, dass so nicht weitere Unruhe im derzeit ohnehin unruhigen Umfeld entsteht. Schließlich ist Kahn kein normaler Fußballprofi in diesem Land. Er ist es gewohnt, aus einer Position der Stärke zu handeln und zu halten. Diese Position nimmt ihm Klinsmann nun ganz bewusst. Auch wenn die Probleme im deutschen Fußball, wie Kahn zurecht anmerkt, woanders liegen. Der neue Bundestrainer ist angetreten, Strukturen aufzubrechen. Käpt‘n Kahn hat sich in der Vergangenheit nicht selten verbal über die Mitspieler gestellt und ist damit bei denen alles andere als gut angekommen. Das wird nun nicht mehr passieren. Künftig kann sich aber auch niemand mehr hinter dem großen Blonden verstecken.“

Das wird in Zukunft nicht mehr passieren. Der Torwarttrainer muß Neutralität wahren

Sepp Maier darf nicht mehr Protegé Oliver Kahns sein, meint Klinsmann – Michael Horeni (FAZ 17.8.): “Von einer Entmachtung und Demontage Kahns wollte natürlich niemand aus der neuen Führung sprechen. Aber gerade Manager Oliver Bierhoff, von dem Kahn das Amt vor drei Jahren übernommen hatte, kennt aus eigener Erfahrung die Wirkung dieses symbolischen Akts. Kahn, der Held der WM 2002 mit Titanenstatus, muß sich bei Klinsmanns „Projekt WM 2006″ offensichtlich wieder einreihen unter die normalsterblichen Nationalspieler. Der Trainer ging dabei noch einmal auf die „Thematik Rotationsprinzip“ ein. Was er an Klarstellungen mitzuteilen hatte, dürfte Kahn auch nur bedingt gefreut haben. „Kahn ist die Nummer eins, Lehmann die Nummer zwei, und Hildebrand muß sich ranarbeiten“, sagte Klinsmann „zur Grundkonstellation“. Aber die Brisanz liegt, wie immer, im Detail. „Jens ist in der Herausfordererrolle, Olli muß seine Platz verteidigen.“ Seinen Platz verteidigen – das kommt für Kahn schon fast einer Majestätsbeleidigung gleich. (…) Für ordentlich Reibungshitze hat der Bundestrainer jedenfalls schon vor der Premiere gesorgt. Maier mußte sich von der neuen Führung für ein Interview in der „Welt“ rüffeln lassen, in dem der Torwarttrainer Kahn zur Nummer eins erklärte, das Rotationsprinzip als falsch bezeichnete und Kahns Ärger darüber artikulierte. „Das wird in Zukunft nicht mehr passieren. Der Torwarttrainer muß Neutralität wahren“, sagt Bierhoff. Der Bundestrainer machte unmißverständlich deutlich, daß „Gedanken in sportlicher Hinsicht mit mir oder mit Jogi und nicht über Dritte ausgetauscht werden“. Maier habe dies akzeptiert.“

Philipp Selldorf (SZ 17.8.) schaut Oliver Kahn ins Gesicht: „Oliver Kahn hat man schon entspannter erlebt als auf dem Trainingsplatz und später bei der Pressekonferenz im Hotel, wo er das Debattenthema Torwartrotation als „aberwitzig und absolut lächerlich“ geißelte. Man hätte jetzt zwar meinen können, dass er vor allem deswegen so unverhältnismäßig wütete, weil ihm Klinsmann mitgeteilt hatte, dass in Zukunft Michael Ballack Kapitän der Nationalmannschaft ist. Aber davon wollte Kahn selbstredend nichts wissen. „In gewisser Weise erleichtert“ sei er, dass er das ihm vor drei Jahren verliehene Amt los sei, behauptete Kahn – ähnlich klingt es, wenn ein abgewählter Premierminister sagt, dass er sich auf die nächsten Jahre Oppositionsarbeit freue und entsprechend gab auch Jürgen Klinsmann seinen Eindruck wieder: „Oliver Kahn hat das top-professionell aufgenommen, erste Klasse.“ Proportional zur schlechten Laune des alten Amtsinhabers ist die Stimmung bei Jens Lehmann gestiegen.“

Der Platzhalter wird bissig, wenn er sein Revier verteidigt

Frank Hellmann (Tsp 17.8.) ergänzt: „Wie gewagt es ist, dem nur noch in Teilen des Teams akzeptierten Egomanen Macht zu entziehen, wurde an dessen Verhalten auf das von Klinsmann kürzlich propagierte Rotationsprinzip deutlich. So reflexartig er mittags beim Torwarttraining die Schüsse pariert hatte, so reaktionsschnell verteidigte er zwei Stunden später verbal seine Position. „Die Diskussion ist aberwitzig und absolut lächerlich“, schimpfte Kahn, „wir haben einige andere Probleme im deutschen Fußball.“ Und keine, bitteschön, zwischen den Pfosten. „Die Diskussion wird bald verstummen. In einem halben Jahr wird kein Wort mehr darüber verloren, wer im Tor spielt.“ Im Selbstverständnis des Torwart-Titanen kann es nur er selbst sein. „Ich bin topmotiviert, habe meine Leistung bei der EM gebracht und in den Länderspielen meist gezeigt, dass man sich auf mich verlassen kann.“ Der Platzhalter wird bissig, wenn er sein Revier verteidigt.“

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