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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Satire oder Science-Fiction?

Oliver Fritsch | Sonntag, 19. September 2004 Kommentare deaktiviert für Satire oder Science-Fiction?

Kommentare zum 5. Spieltag: „Die Bundesliga ist offener geworden“ (FAZ) – zwielichtiger Aktionär steigt in Dortmund ein, „vor einem Jahr hätte man solche Zustände im deutschen Fußball noch für Satire oder Science-fiction gehalten“ (SZ) – welcher Trainer passt nach Schalke? „der Schalke-Fan will ernst genommen werden in seiner Sehnsucht, in seiner Faszination“ (FAS)

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Die Bundesliga ist offener geworden

Michael Eder (FAZ 20.9.) freut sich über die Nivellierung der Liga: „Die Bundesliga ist offener geworden, weniger leicht auszurechnen; die schönen Favoriten-Bänke im Toto-Block sind Tips geworden, auf die man nicht mehr allzuviel setzen sollte. Die Kleinen geben sich nicht mehr so schnell geschlagen. Und je öfter sie merken, daß die Großen „auch nur mit Wasser gekocht sind“, wie der ehemalige Frankfurter und jetzige Leverkusener Stürmer Jones zu sagen pflegt, desto besser ist das für die Kleinen. Je weniger sie zu den anderen aufschauen, desto größer werden ihre Chancen: Auf Augenhöhe können sie eine ganze Menge erreichen.“

Was der Schakal für die Serengeti, das ist dieser Mann für den Kapitalmarkt

Freddie Röckenhaus (SZ 20.9.) warnt Borussia Dortmund und mahnt Präsident und Manager zum Rücktritt: „Über Florian Homm, den gefürchteten „Hedge-Fonds-Manager“ (schon der Begriff klingt nach Karate), hat der Sender SWR 3 neulich in einem Kommentar gesagt: „Was der Schakal für die Serengeti, das ist dieser Mann für den Kapitalmarkt.“ Nettere Begriffe als „Finanzjongleur“ oder „Spekulant“ finden sich kaum über den Neckermann-Erben Homm in der Branche, das beunruhigt. Spieler zum eigenen Vergnügen für Fabelsummen einzukaufen ist also nicht das, was man von so einem erwarten kann. BVB-Präsident Niebaum gibt den Traditionsklub Borussia Dortmund im Zuge des schier endlosen Finanzdebakels lieber in die Hände des Spekulanten Homm und des Londoner Finanzmaklers Stephen Schechter, statt endlich selbst den Hut zu nehmen. Das, so wird in Dortmund gemunkelt, könnte damit zu tun haben, dass sich der mit angeblich über einer Million Euro Gehalt dotierte Geschäftsführer Niebaum einen Verzicht auf dieses Geld nicht leisten mag. Erkennbar jedenfalls ist, dass der BVB immer tiefer in Abhängigkeiten und Fremdbestimmung durch teils dubiose Figuren gerät. Und all das offenbar, damit der einst verdiente Niebaum und sein getreuer Mit-Geschäftsführer Michael Meier weiter in Lohn und Brot bleiben können. Vor einem Jahr hätte man solche Zustände im deutschen Fußball noch für Satire oder Science-fiction gehalten. Doch BVB-Aufsichtsräte und DFL-Gremien haben die Verantwortlichen des Dortmunder Chaos stets gewähren lassen.“

Ohne Erfolg dauert Markenaufbau 20 Jahre

Der VfL Wolfsburg wird sicht- und hörbar – Ronny Blaschke (SZ 20.9.): „Es war einmal in Wolfsburg, da hörte man über den VfL nur, dass es wenig zu hören gibt. Selten schwappte Spektakuläres über die Grenzen Niedersachsens hinaus. Fremde hatten von diesem Fußballverein gehört, doch sie wussten nichts über ihn. Der VfL, dem es so schwer fällt, eine Tradition zu behaupten, war gefangen am Rande der Wahrnehmung, er wartete dort wie ein Aschenputtel. Viel deutet darauf hin, dass die Wolfsburger einen Quantensprung gemacht haben in ihrer auf Jahre angelegten Flucht aus der Anonymität. Sportlich scheint der VfL durch eine ausgewogene Mischung im Team die Pubertät hinter sich gelassen zu haben. Auch im Umfeld hat der blasse Klub an Farbe gewonnen. Über Jahre fahndete man mit ausgetüftelten Marketingstrategien nach einem Profil, eine Million Euro steckte man jährlich in die Öffentlichkeitsarbeit. „Ohne den Erfolg dauert Markenaufbau 20 Jahre“, sagte Geschäftsführer Klaus Fuchs. Ob Hauptsponsor Volkswagen diese Geduld aufbringen würde? So hat sich der Klub für die Abkürzung über den Erfolgsweg entschieden. In der vergangenen Saison erschienen 25 Prozent aller Artikel über den VfL in überregionalen Publikationen, inzwischen sind es 40 Prozent. Am Samstag gastierte Pablo Thiam im ZDF-Sportstudio – als erster Wolfsburger Spieler. Er sagte: „Die Bedingungen bei uns sind besser als in München.“ Er hat eine Zeitlang beim FC Bayern gespielt.“

Der Schalke-Fan will ernst genommen werden in seiner Sehnsucht, in seiner Faszination

Was muss ein Schalker Trainer tun, können und lassen? Eine Stellenbeschreibung von Richard Leipold (FAS 19.9.): “Die Spieler sind ihrer Animateure früher oder später überdrüssig, meistens früher. Sobald dieses Stadium erreicht ist, haben die Trainer nur noch Alibifunktion. Die Trainer kommen und gehen, die selbstgefällige Mannschaft und ihr Geist (gemeint ist nicht der Teamgeist) – sie bleiben. Nach der Trennung von Heynckes geht die Suche nach dem „Richtigen“ wieder von vorne los. Nach den Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre darf er nicht zu hart sein und nicht zu weich; nicht zu alt, nicht zu jung; nicht zu progressiv, aber auch nicht zu konservativ; er muß durchsetzungsstark sein, aber nicht stur; kommunikativ, aber nicht geschwätzig. „Vielleicht sollten wir in die Backstube gehen und uns einen Trainer backen“, sagt Teammanager Andreas Müller, der Assauer bei der Fahndung unterstützen darf. Das absurde Bild illustriert die Erfolgsaussichten dieser Suche nach einem vermutlich Unauffindbaren. Im Idealfall identifiziert sich der Fußballehrer mit der Region oder versteht wenigstens das Lebensgefühl des Ruhrgebiets. In der Arbeiter- und Arbeitslosenstadt Gelsenkirchen fällt es sofort auf, wenn einer nur so tut, als ob. Der Schalke-Fan will ernst genommen werden in seiner Sehnsucht, in seiner Faszination, auch in seinen Phantastereien. Es mag realistisch sein oder nicht: Die Fans wollen, daß ein Trainer sein Personal animiert, für Schalke möglichst so viel Leidenschaft aufzubringen, wie sie selbst es tun. Wenn das gelingt, kommt es nicht mehr darauf an, woher einer kommt, wie hoch sein Gehalt ist, welche Methoden er anwendet. In Schalke hängen die Leute der Illusion nach, daß die Fußballprofis ehrliche Arbeiter sind wie einst die Malocher in den Zechen.“

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