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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Interview

Pressure, Cover, Balance

Oliver Fritsch | Samstag, 16. April 2005 Kommentare deaktiviert für Pressure, Cover, Balance

Uwe Rapolder mit Frank Hellmann & Thomas Kilchenstein (FR 16.4.)
FR: Sie machen manches anders in der Liga. Was?
UR: Grätschen sehe ich nicht so gern. Da pfeife ich im Training ab. Ein guter Abwehrspieler braucht nicht grätschen, der antizipiert.
FR: Sie trainieren immer nachmittags.
UR: Ja, können Sie mir die Logik erklären, dass man um 15.30 Uhr spielt, aber um 10 morgens trainiert? Wenn ich um 15 Uhr fit sein muss, warum soll ich dann um 10 trainieren? Für mich ist das das logischste von der Welt. Ich glaube, wir trainieren auch intensiver.
FR: Und Sie legen sehr großem Wert auf eine theoretischen Überbau.
UR: Die Spieler müssen wissen, warum wir so spielen und so trainieren. Bei uns gibt es keine Geheimnisse, keine Wunder. Zu Beginn meiner Tätigkeit in Bielefeld habe ich praktisch jede Trainingseinheit erst an der Tafel erklärt. Und wir haben uns das Spiel Chelsea gegen Bayern angeguckt. Ich bin ein Fan des vergleichenden Denkens. Man muss sich immer mit den Großen vergleichen. Und: Die Taktik muss stimmig sein mit dem Spielsystem, deshalb erkläre ich taktische Dinge oft an der Tafel. Sie können jeder Mannschaft in zwei Wochen ein neues Spielsystem verpassen. Pressure, Cover, Balance. Das sind die drei entscheidende Dinge im Fußball: Einer greift an, der andere sichert, der Rest schiebt.
FR: Ist Chelsea derzeit da das Maß aller Dinge?
UR: Nein. Was die machen ist Effizienzfußball hoch drei. Ich möchte schon noch was von Barcelona dabei haben, ein bisschen Eleganz. Meine Philosophie ist mehr Dominanz. Das Spiel in die Hälfte des Gegners verlegen, territorial, wenn ich so sagen darf, den Raum beherrschen und Dominanz ausüben. Das ist in Bielefeld schwer möglich. Da kannst du den Gegner nicht dominieren, höchstens kontrollieren.
FR: Ihnen scheint als Trainer lange das „Standing“ gefehlt zu haben?
UR: Ich als ehemaliger Zweitliga-Profi war immer No-Name-Trainer. Als ich mit dem FC St. Gallen bei einem Trainingslager in Spanien Werner Lorant getroffen habe, hat der zum Bernhard Trares geblökt: „Was will der denn? Wo hat der denn gekickt?“ So haben die meisten in Deutschland gedacht.
FR: Kein Name, kein Job?
UR: Du musst als Neuer einbrechen in diese Phalanx der Ex-Spieler; das ist ganz schwierig. Und wenn du dann noch mit neuen Methoden kommst, kannst du es fast nicht schaffen. Allzu oft wird einfach ein bekannter Name verpflichtet, damit das Volk still hält. (…)
FR: Ein Egomane ist für Sie keine Spielerpersönlichkeit.
UR: Das ist auch so. Beim Führungsspieler ist das soziale Verhalten entscheidend. So einer ordnet sich auch unter.
FR: Dann ist Oliver Kahn doch kein Führungsspieler, oder?
UR: Gegenfrage: Hat er nicht seit Jürgen Klinsmann einen Umschwung zu verzeichnen? Klinsmann weiß doch genau, warum er im Tor die Rotation in Gang gesetzt hat. Oliver Kahn ist seitdem eindeutig sozial verträglicher geworden, ist vom Ego-Trip runter gegangen. Das finde ich in dem Alter ganz stark, einsichtiger, bescheidener und demütiger zu werden. Das hat Klinsmann ihm ein bisschen beigebracht. (…) Ich war bisher nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Deshalb sage ich bewusst nicht, dass ich bis 2007 bei Bielefeld bleibe. Ich bin der Arminia sehr dankbar, aber ich habe auch alles zurückgezahlt. Der Klub ist de facto entschuldet, hat die Klasse sicher und steht im Pokal-Halbfinale. Als ich kam, war der Verein Achter in der zweiten Liga, und es hieß, das Team sei nicht besser.

Wir müssen in Deutschland früher darauf achten, junge Spieler zu Athleten auszubilden

Ralf Rangnick mit Christian Gödecke (SpOn 15.4.)
SpOn: Warum steht Deutschland international so schlecht da?
RR: Das hat mehrere Gründe. Bei den Summen, die in England, Italien oder Spanien für Ablöse und Gehalt gezahlt werden, kann nicht mal Bayern München mithalten. Die anderen Vereine der Bundesliga noch weniger. Aber es ist nicht nur das Geld. Gestern habe ich mir das Spiel Eindhoven gegen Lyon angeschaut und mir ist aufgefallen, wie brutal athletisch die beiden Teams ausgebildet sind. Technisch war das kein Leckerbissen, aber 120 Minuten höchstes Tempo. Ich habe mir richtig Sorgen um den Schiedsrichter gemacht, weil er so viel laufen musste. Und zwischen Chelsea und Bayern gab es gerade im Hinspiel gravierende Unterschiede in Punkto Power und auch Härte. Da haben wir in Deutschland Nachholbedarf.
SpOn: Und das Modell Stuttgart? Kann man nicht auch mit wenig Geld und guter Nachwuchsarbeit Erfolg haben?
RR: Das ist ein anderes Thema. Auch hier: Schauen Sie sich Chelseas Lampard, Cole oder Drogba an. Das sind Modellathleten. Wir müssen auch in Deutschland noch früher darauf achten, junge Spieler zu Athleten auszubilden. Ich habe den Eindruck, dass wir mit unseren jungen Talenten immer noch zu schonend umgehen, nach dem Motto „bloß nicht zu früh verheizen“. Das muss sich ändern. In anderen Sportarten passiert das teilweise schon mit 10-Jährigen. Ich meine jetzt bewusst nicht die Methoden, die in der ehemaligen DDR angewandt wurden. In Deutschland gilt ein Spieler mit 21 noch als Talent. Mehmet Scholl zum Beispiel galt noch als Talent, da war der schon 28. Aber ein Wayne Rooney war in Everton schon mit 17 Stammspieler in der Nationalmannschaft. Und wie weit sind unsere 17-Jährigen?

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