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Deutsche Elf

Er weiß, was er nicht kann

Oliver Fritsch | Samstag, 25. Juni 2005 Kommentare deaktiviert für Er weiß, was er nicht kann

Eine Hymne auf Jürgen Klinsmann (den die FR nach dem 3:0 gegen Tunesien als schönredenden Liebhaber „rosaroter Wölkchen“ bezeichnet hat) von Jan Christian Müller (FR 25.6.): „Wenn das Land voll von Klinsmännern wäre, hätte es im Herbst keine Neuwahlen geben müssen. Klinsmann ist struktur-konservativ, egoistisch, sozial und grün, er ist relativ uneitel, er ist immer offensiv, innovativ und mutig. Und notorisch optimistisch. Er ist Individualist und Mannschaftsspieler. Er ist stark amerikanisiert und gilt im traditionsbewussten Deutschen Fußball-Bund als Radikal-Reformer. Er wohnt seit sechs Jahren in den USA. Das macht ihn verdächtig. Vorgänger Rudi Völler war trotz gelegentlicher cholerischer Anfälle berechenbar. Völler lebte am liebsten in Zeitlupe. Klinsmann führt ein Leben im Schnellvorlauf. Tempo ist sein Schlüsselwort. Hohes Tempo. Er treibt unermüdlich an. Er macht Druck. Von hier oder von Übersee. Er packt sich die Tage randvoll mit Terminen und arbeitet jeden einzelnen gründlich ab. Er weiß, was er kann. Aber seine größte Stärke ist eine andere: Er weiß, was er nicht kann. Das tun dann andere. Am 9. Juli 2006 wird sein Projekt beendet sein. Jürgen Klinsmann ist intelligent genug zu erkennen, wie schnell man sich in diesem Job verbraucht: seinen Körper, seinen Geist, sein Vokabular, aber auch sein Bild in den Medien und bei den Spielern. Die Intensität der Personalführung auf ein einziges großes Ziel hin verträgt vermutlich keine Wiederholung ab dem Tag danach. Ohne die ständige Abkehr vom Arbeitsplatz wäre er wohl schon vorher verbraucht.“

Ruhe im deutschen Strafraum

Sven Goldmann (Tsp 25.6.) hält die Torwartfrage für geschickt beantwortet: „Mit einem einfachen Trick hat Klinsmann die alte Rangordnung auf der wichtigsten Position der Nationalelf bestätigt. Nicht per Erlass wie Rudi Völler, sondern transparent und nachvollziehbar, auch für die drei unmittelbar Beteiligten und deren Lobbyisten. Es herrscht Ruhe im deutschen Strafraum. Wenn das kein Meisterstück ist.“

Signale

Andreas Lesch (BLZ/Seite 3 25.6.) rügt Michael Ballack für seine Fouls und sein Dominanzverhalten: „Seine Spielweise ist härter geworden (…) Glaubt er, dass er solche Signale geben muss, nun, da er der Kapitän ist im deutschen Team? Vertraut er nicht auf all seine anderen Begabungen, die so viel positiver wirken auf dem Platz? Oder will er die alten Vorurteile weggrätschen, die ihm unterstellten, er sei ein Weichling, ein Schönling, ein Genie, einer, der sich zu fein ist für den Kampf? Diese Fragen bilden die einzigen Unebenheiten in Ballacks Karriere, die ansonsten so glatt verläuft (…) Die fiesen Fouls passen nicht in das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Ballack macht. Er spricht vor den Kameras Sätze, die souverän sind. Er ist im deutschen Team anerkannt als wichtigster Mann. Er wird von den Boulevardzeitungen als Familienvater fotografiert, im Urlaub mit seinen drei Kindern. Er könnte der perfekte Profi sein – wenn die Fouls nicht wären. Aber Ballack interpretiert seine Rolle als Kapitän ohnehin aggressiv. Wenn der Schiedsrichter eine Entscheidung trifft, die ihm nicht passt, rennt er wütend auf ihn zu, diskutiert, gestikuliert, das Gesicht vor Wut verzerrt. Ballack schubst seinen Gegenspieler auch schon mal weg.“

Qualitätsmaßstab

Roland Zorn (FAZ 25.6.) befasst sich mit der Frage, wie Brasilien zu schlagen ist: „Eine Mustervorlage, wie den südamerikanischen Künstlern beizukommen sei, gibt es nicht. Brasilianer können mit zwei, drei Aktionen Marksteine setzen, über die ihre Gegenspieler bei noch so viel Anstrengung letztlich oft genug gestolpert sind. Selbst ein matter Ronaldinho, Adriano, Kaka oder Robinho wird sich im Zweifel immer wie ein Weltmeister fühlen; die Deutschen dagegen streben zwar fleißig nach dem höchsten der Titelgefühle, müssen aber selbst nach größten Triumphen immer wieder von vorn um Ruhm und Respekt kämpfen. Brasilianer sind im Fußball der Qualitätsmaßstab und deshalb immer ganz oben – auch dann, wenn sich andere Länder mal die Krone aufsetzen dürfen.“

FAZ: vor dem Halbfinale – „Triumph über den Weltmeister oder schachmatt in zwei Zügen?“

NZZ-Portrait Per Mertesacker
Tsp-Interview mit Torsten Frings
FR-Interview mit Thomas Hitzlsperger
SpOn: Robert Huth – vom Holzmichel zum Heiligen

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