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Deutsche Elf

Der Weg an die Weltspitze ist noch weit

Oliver Fritsch | Montag, 27. Juni 2005 Kommentare deaktiviert für Der Weg an die Weltspitze ist noch weit

Michael Horeni (FAZ 27.6.) erfreut sich an der Begeisterung der deutschen Fans für ihre Mannschaft: „Oft heißt es über das verzagte Deutschland, daß die Stimmung schlechter als die Lage sei. Im Fußball dagegen hatte das Volk bei diesem Turnier immer ein sicheres Gespür zwischen hohem WM-Anspruch und rauher Wirklichkeit. Dabei ist es gar nicht so einfach, die richtige Perspektive zu finden für eine Mannschaft, deren Fortschritte sich angesichts des Erbes der Europameisterschaft bei jedem Länderspiel nachweisen lassen, der aber andererseits in jeder Partie auch noch Defizite vorzuhalten sind wegen ihres höchsten Ziels, im kommenden Jahr die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Das verständige Publikum nahm dankbar die offensive Erneuerung unter Klinsmann auf und sah trotzdem noch die Lücke, die bei dieser in entscheidenden Momenten noch zu unerfahrenen Mannschaft bis zur absoluten Weltspitze der besten vier, fünf Mannschaften klafft. (…) Die Identifikation der Deutschen mit ihrer Nationalelf, die vor einem Jahr mit dem Breitwandfußball erloschen schien, wurde bei diesem Turnier neu gestiftet. Dies ist ein in der Niederlage nicht zu unterschätzender Gewinn.“

Unterhaltungsware

Ludger Schulze (SZ 27.6.) zählt die Fortschritte in der Klinsmann-Ära: „Das Projekt 2006 hat ein konkretes Gesicht bekommen durch eine Menge von Zwischenergebnissen in der Arbeit des deutschen Trainerstabs: neue, offensichtlich hochtalentierte Spieler, die vor kurzem noch so weit weg von internationaler Klasse zu sein schienen wie ein Behördenbrief von Literatur; ein verinnerlichtes Spielsystem; flüssige Kombinationen als Resultat konzentrierter Trainingsanstrengungen. Der unzweifelhafte Fortschritt der Auswahl ist von der Mehrzahl der Sachverständigen mit Erstaunen, vom Publikum sogar mit allen Anzeichen freudiger Überraschung zur Kenntnis genommen worden. Die Zeit zermürbender Langeweile wie an Fernsehabenden mit Länderspielen gegen die Färöer Inseln, Island oder Rumänien ist vorbei, deutscher Fußball ist wieder eine spannende und Laune machende Unterhaltungsware.“

Defizit

Was hat uns Brasilien voraus, Michael Ashelm (FAZ 27.6.)? „Der Vergleich zwischen dem Angreifer Adriano und dem Innenverteidiger Huth zeigte die grundsätzlichen Unterschiede: hier das Symbol für Fußball-Perfektion, dort das Bild einer hoffnungsvollen, aber unfertigen Entwicklung. (…) Nürnberg zeigte dem zwanzig Jahre alten deutschen Innenverteidiger, welche Defizite er auf dem höchsten internationalen Niveau noch aufzuholen hat. Nur körperliche Stärke oder sogar Überlegenheit reicht eben nicht aus auf dieser Stufe des Weltfußballs. Technische Fertigkeiten, viel Erfahrung und die Fähigkeit, Aktionen des Gegners zu antizipieren, gehören hier zur Grundausstattung.“

Der Weg an die Weltspitze ist noch weit

Jan Christian Müller (FR 27.6.) ist skeptisch: „Jürgen Klinsmann wird die individuellen Klassenunterschiede durch seine Arbeit auch in den nächsten zwölf Monaten nicht ausgleichen können. Seine Mannschaft hat gegen Argentinien und gegen Brasilien in der Nähe ihres Leistungszenits gearbeitet, ist taktisch jeweils perfekt eingestellt und aufgestellt gewesen und hat dennoch nicht gewonnen. Der Weg an die Weltspitze ist noch weit.“

Defensiver und pragmatischer

Andreas Lesch (BLZ 27.6.) merkt an: „Spätestens diese Partie hat bewiesen, dass Klinsmanns ständig propagierter offensiver Tempo-Stil nur noch in den Pressekonferenzen existiert. Auf dem Platz denkt das deutsche Team längst defensiver und pragmatischer. Es orientiert sich am Gegner und an den eigenen Möglichkeiten.“

Reaktionen auf das Spiel, FAZ

Wahlkampf der Torhüter geht weiter

Ist es überhaupt erlaubt, über die Torwartfrage zu diskutieren – mit Argumenten und so? Philipp Selldorf (SZ 27.6.) meint ja: „Lúcio werden trotz seiner fünf Jahre währenden, soliden Deutschland-Erfahrungen gewisse Verständnisprobleme nachgesagt, doch handelt es sich womöglich um einen Irrtum. Am Samstag offenbarte Lucio, dass er verstanden hat, wann es heikel wird im hiesigen Fußballdiskurs. Die Frage, ob er sich wundere, dass Oliver Kahn nicht im Tor gestanden habe, schien er gleich als Aufruf zum Beitrag für die deutsche Torwart-Debatte zu deuten. Er antwortete vorsichtig: „Lehmann ist auch ein guter Torwart.“ Man weiß ja nie, wie gefährlich eine exponierte Meinung in diesem explosiven Konflikt ist. (…) Deutet man den Ablauf des Turniers, ist Kahn neben den in Acht und Bann geratenen Mexikanern Carmona und Galindo sowie Otto Rehhagel einer der großen Verlierer des Confed-Cups. (…) Er musste zuschauen, wie Widersacher Lehmann durch gute Auftritte und gewinnende Öffentlichkeitsarbeit punktete: In Köln hielt er tadellos und durfte sich am Beifall des Publikums aufbauen; auch in Nürnberg zeigte sich Lehmann von der besten Seite. In der Schlussphase rettete er gegen konternde Brasilianer durch gute Paraden die dünne Hoffnung auf den Ausgleich. Noch mehr gefiel er durch sein konstruktives Pass-Spiel, das ihn für gehobenes Mittelfeld-Niveau qualifizierte. Einmal gab es sogar Szenenapplaus, als er einen Rückpass aufnahm und mit einem gezielten 50-Meter-Zuspiel auf Bernd Schneider in einen vielversprechenden Angriff verwandelte. Der Ball fiel Schneider vor die Füße, dass es eine Pracht war. Der Wahlkampf der Torhüter geht also weiter.“

Diven im Tor

Die FAZ (27.6.) fügt hinzu: „Es kann wirklich keine Rede davon sein, daß der Confederations Cup als gemeinschaftsbildende Maßnahme der deutschen Fußball-Nationalelf zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann geführt hätte. Überall und jederzeit ist das gespannte Verhältnis zwischen den Diven im Tor zu spüren.“

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