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Bundesliga

Kuriose Folge der Systemverherrlichung

Oliver Fritsch | Dienstag, 16. August 2005 Kommentare deaktiviert für Kuriose Folge der Systemverherrlichung

Christof Kneer (SZ 16.8.) erkennt einen Offensivtrend: „Die ganze Bundesliga wirkt wie eine machtvolle Demonstration gegen die Torwartdebatte: Den Unterschied machen zurzeit nicht jene, die Tore verhindern, sondern jene, die sie schießen. Stilprägend sind die Chancennutzer, nicht die Vernichter. Es ist die Erkenntnis der ersten Spieltage, dass all jene gut beraten sind, die auf verlässliche Stürmer vertrauen. Im Umkehrschluss wurden all jene mit Fehlstart bestraft, die den Wert des Stürmers unterschätzten: Frankfurt, Gladbach und vor allem die Konzeptfußballer aus Bielefeld und Mainz, die so oft dafür belobigt wurden, dass sie individuelle Schwächen übers System auffangen. Vermutlich ist dies die Rache einer Gattung, an der sich die Liga lange versündigt hat. An vielen Standorten glaubte man, sich den altmodischen Torjäger zugunsten des modernen Allrounders sparen zu können, was dazu führte, dass der Allrounder alles konnte – außer Tore schießen. Die kuriose Folge der Systemverherrlichung: Jetzt, da die aufs Kollektiv berechneten Systeme immer perfekter geworden sind, entscheidet doch wieder der individuelle Könner das Spiel.“

Anders- und Gar-Nicht-Denkende

Leid, Pein, Schmerz und Not, treue Begleiter eines Gladbach-Fans – Peter Ahrens (SpOn 15.8.): „Jedes Jahr, immer dann, wenn in Deutschland der Winter vor der Tür steht, also im August, keimt die Hoffnung neu. Dieses Jahr wird endlich wieder ein Borussenjahr. (…) Die Hoffnung währt gemeinhin ungefähr 31 Minuten, bis das erste Gegentor der neuen Saison fällt. Und spätestens nach dem Kick gegen den VfL Wolfsburg ist allen klar: Diese Saison wird genauso furchtbar wie die vergangene. Und die davor, und die davor. Ich will hier niemanden langweilen mit Reminiszenzen aus den siebzier Jahren, Aus-der-Tiefe-des-Raumes, Günter N. sich selbst in der Verlängerung eingewechselt und so weiter und so fort. Dieses fußballerische Alt-68er-Gerede, dieses übliche unkritische Netzer-Tum, rührseliges Nick-Hornby-Gesäusel, nein, nein, bloß nicht – aber wahrhaftig war das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnere, das Pokalendspiel gegen Köln 1973. Auch wenn Übelmeinende mich daraufhin der billigen Legendenbildung bezichtigen. (…) Unerschütterliche Zuversicht war das Anfangsgefühl. Danach folgten über all die Jahrzehnte Lothar Matthäus, Stefan Effenberg, Uli Borowka, Rolf Rüssmann, Holger Fach und Dick Advocaat als bisheriger Endpunkt einer nach unten offenen Unerträglichkeits-Skala. Wenn man eine Geisterbahn der bundesdeutschen Fußballhistorie ausstatten müsste, bitte bedienen Sie sich am Niederrhein – Duldsamkeit, Toleranz gegenüber Anders- und Gar-Nicht-Denkenden ist dem Borussenfreund inzwischen zur zweiten Haut geworden.“

Aktenzeichen VfB – ungelöst

Nach dem 2:3 gegen Köln – Thomas Klemm (FAZ 16.8.) kritisiert Giovanni Trapattonis Verzicht auf Zvonimir Soldo: „Wer versteht Trapattoni? Kaum jemand. Und das lag nicht nur an den vielen deutschen Worten, die der Italiener nicht so recht zu einer rundum nachvollziehbaren Rede bündeln konnte. Es lag vor allem an seinem eigenwilligen Einfall, den Kapitän und Vorzeigeprofi des VfB Stuttgart neunzig Minuten auf der Bank sitzen zu lassen und schlicht darauf zu vertrauen, daß es der Rest schon richten werde. Trapattoni mußte einsehen, daß ohne die Ruhe und Ordnung des 37 Jahre alten Routiniers nicht viel zusammenläuft beim VfB. (…) Seine erfolglose Fahndung nach einer Elf ohne Soldo, auf den er schon beim 1:1 in Duisburg nach knapp einer Stunde verzichtet hatte, endete mit der Erkenntnis: Aktenzeichen VfB – ungelöst. (…) Während Trapattoni aus der Tugend eine Not machte, ging Uwe Rapolder den besseren Weg: Aus der Personalnot heraus formte der FC-Trainer ein Team, das nicht nur kämpferische Tugenden offenbarte, sondern eine Stunde lang auch spielerisch und taktisch zu brillieren wußte.“

Ein Stück seines Glanzes eingebüßt

„Trapattoni hat die Mannschaft in ihren Grundfesten erschüttert“, ergänzt Peter Fromme (FR 16.8.): „Er hat nicht einfach ein alterndes Denkmal aufs Abstellgleis geschickt, er hat das Gesicht einer Mannschaft verändert. Verwunderlich allerdings, dass ‚Trap’ den Versuch ohne Soldo in der Vorbereitung stets unterließ. (…) Trapattoni hat ein Stück seines Glanzes eingebüßt und völlig unnötig eine Baustelle aufgemacht, die ihm unangenehme Tage bescheren wird.“

Als noch Könige herrschten

Volker Kreisl (SZ 16.8.) berichtet von der Zeremonie am Hofe Michael A. Roth: „Das waren Szenen aus vergangenen Zeiten, aus jenen Tagen, als es in der Bundesliga noch allmächtige Vereinspräsidenten gab. Ein wenig erinnerten diese Vorgänge aus Nürnberg sogar an noch frühere Jahre, als noch Könige herrschten, oder in der Provinz Fürsten und Grafen. Und auch wenn es nur Zweitliga-Regenten waren, dann feierten sie ordentlich, mit Empfängen, Trompetenklängen, Spielmannszügen, mit gebratenen Ferkeln und reichlich Gerstensaft und mit einem kleinen Triumphzug vor dem Volk. Michael A. Roth ist Präsident des 1. FC Nürnberg, er wurde am Samstag 70 Jahre alt, und das war ein Anlass zu einer Feier, wie sie auch die Bundesliga nicht mehr kennt. Der Tag hatte früh begonnen, mit einem Empfang im Rathaus, wo ihm unter anderem ein Innenminister, ein CSU-Generalsekretär und ein Oberbürgermeister die Ehre gaben. Nach dem Umzug des etwa 100 Personen starken Gefolges ins Frankenstadion zeigte sich der Jubilar dem Volke, drehte eine Ehrenrunde im eigenen Mini, schwenkte die Club-Fahne und nahm die Huldigungen entgegen, die freundlich bis euphorisch ausfielen, weil Roth in seiner insgesamt zwölfjährigen Amtszeit viel für den Verein getan hat, aber auch, weil die Fans auf Roths Kosten Freibier und Bratwürstl im Magen hatten.“

NZZ: Reinhard Rauball, Dortmunds Nothelfer
Bundesliga-Bildstrecke, sueddeutsche.de

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