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Bundesliga

Dilettanten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 10. November 2005 Kommentare deaktiviert für Dilettanten

Eine Entlassung und zwei neue, alte Trainer: Hans Meyer in Nürnberg und Peter Neururer für Ewald Lienen in Hannover. Heftige Kritik müssen die Verantwortlichen in Hannover lesen: „Dilettanten im Machtvakuum – die stillose Entlassung von Lienen zeigt, dass Hannover 96 nicht nur ein Trainerproblem hat“ (SZ). Die taz zeigt ungläubig auf die Tabelle: „Platz 13 – nichts, wofür sich eine Mannschaft aus der niedersächsischen Provinz schämen müsste“. Hannover präsentiert sofort den Neuen und erspart sich so die Lothar-Matthäus-mit-mir-hat-noch-keiner-gesprochen-aber-Hannover-ist-eine-Weltstadt-Bewerbung – wenigstens das haben sie richtig gemacht. Das Lienen-Bonmot vom letzten Wochenende, das wir am häufigsten zitiert finden, richtete er an seine Mannschaft: „Wir sehen uns in zwei Tagen. So Gott oder der Vorstand es will.“ Tut mir leid, aber meine besserwisserische Natur kann nicht anders: Dieser Satz verlangt den Plural „wollen“. Andererseits, „Marmor, Stein und Eisen bricht“ haben es auch zu geflügelten Worten geschafft.

Die Nürnberger nehmen nach einer „beispiellosen Absagenflut“ (FR) nun Glückwunsche der Journalisten entgegen; von Meyer haben sie eine hohe Meinung, nicht zuletzt wegen seines Humors und Geistes, die zu einer „launigen Atmosphäre bei der Trainervorstellung“ (FAZ) geführt haben. Auf die SZ färbt Meyers Witz bereits ab: „Hans im Club“. Die FR macht aufmerksam auf die ähnlichen Umstände der zwei Trainerwechsel: „Beide geschasste Trainer hatten bis zum bitteren Ende ein intaktes Verhältnis zur Mannschaft. Sie erreichten die Köpfe der Spieler noch. Doch das reicht offenbar in Zeiten der Krise den Klubleitungen nicht aus.“

Unbedarftes Verwaltungspersonal

Andreas Burkert (SZ) beklagt die Unwürdigkeit des Lienen-Rauswurfs: „Man muss vielleicht nicht vor Mitleid mit den Fußballlehrern zerfließen, denn zum Ausgleich für ihre Leiden werden sie ja fürstlich entlohnt. Wundern aber darf man sich, dass etwa ein sonst so prinzipienfester Charakter wie Lienen sich hin- und herschubsen lässt von offensichtlich unbedarftem Verwaltungspersonal. Der Fußball ist ein vielerorts von Quereinsteigern kontrollierter Durchlauferhitzer, und natürlich fällt den fachfremden Herren am Stopp-Schalter in Krisenzeiten nicht mehr ein als eine Lösung der Kategorie Peter Neururer. Manchmal dauert es dann allerdings, bis sie den Neuen präsentieren, denn sie müssen schließlich erst einmal die Akten prüfen: Hat Neururer (vgl. auch: Lienen, Funkel) bei uns nicht schon einmal trainiert? Kann ja sein. Man könnte meinen, die deutsche Trainerinnung bilde nur einmal pro Jahrzehnt Nachwuchs aus.“

Bermudadreieck der Eitelkeiten

Christian Otto (FR) beleuchtet die Vereinsführung Hannovers: „Das kuriose Hü und Hott, mit dem Lienen gedemütigt wurde, hatte ein fast unerträgliches Niveau erreicht. Dem Treueschwur der Mannschaft ist das eiskalte Votum der sportlichen Leitung gefolgt. Karl-Heinz Vehling, Nachfolger Martin Kinds, fehlt jegliche Erfahrung im Profifußball, entsprechend unsicher agiert er. So stolpert 96 von einer Posse zur nächsten. Der zunächst als Vereinspräsident auserkorene Götz von Fromberg ist nur noch ein Frühstücksdirektor, weil er als Notar nicht auch ein Wirtschaftsunternehmen wie einen Profiverein führen darf. Kaenzig und Lienen hatten sich über Monate öffentlich gestritten. Manager Ilja Kaenzig äußert zudem gerne seine Meinung, die deckt sich aber nicht immer mit der des Kollegen Vehling, Lienen sah die Dinge traditionell anders – irgendwo in diesem Bermudadreieck der Eitelkeiten ist der Trainer verloren gegangen.“ Jörg Marwedel (SZ) fügt zornig hinzu: „96 befindet sich in einer schweren Führungskrise, die den einstigen Skandalklub in seine alte Rolle zurückzuwerfen droht. Seit der amtsmüde Patriarch Kind seinen Posten als Vorstandschef aufgab, ist ein Machtvakuum entstanden, das viel Raum lässt für Ränkespiele und Dilettantismus. Götz von Fromberg ist zwar ein schwergewichtiger Gesellschaftslöwe, der gern mit seinem Freund Gerhard Schröder dicke Zigarren raucht, als Boss aber ist Fromberg nur ein Kätzchen – die Notarkammer untersagte dem Advokaten mit eigener Kanzlei eine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender, er darf nur repräsentieren. Derweil haben die Geschäftsführer im 96-Geflecht, der für die Profis zuständige Kaenzig und der gleich drei 96-Gesellschaften managende Vehling mit nicht eingelösten Versprechen und öffentlichem Zündeln in der Trainerfrage außer Lienen auch sich selbst geschadet. Kaenzig, dessen Vertrag 2006 ausläuft, gilt Insidern längst als Manager auf Abruf.“

Scheinheiliger Sittenwächter

Thorsten Jungholt (Welt) hat Neururers Kritik an Vorständen, die unbedacht Trainer feuern, noch im Ohr, und rügt dessen Bigotterie: „Es mutet reichlich merkwürdig an, daß Neururer die weit gediehenen Verhandlungen mit dem 1. FC Nürnberg mit der wenig glaubwürdigen Begründung abbrach, der Auftritt gegen Stuttgart habe ihn entmutigt. Wahrscheinlicher ist, daß er einen Wink aus Hannover erhalten hatte, es werde bald ein lukrativerer Job frei. Nürnberg kann froh sein, daß der scheinheilige Sittenwächter Neururer abgesagt hat. Der seriöse und fachlich erstklassige Hans Meyer ist für den Verein die bessere Lösung.“

Glückliches Nürnberg

Wird Meyer Nürnberg Glück bringen? Axel Vornbäumen (Tsp) lehnt sich weit aus dem Fenster: „Die einen halten ihn für einen Kauz. Die anderen verstehen etwas von Fußball. Für sie ist er Kult. Glückliches Nürnberg! So viel kann man schon verraten: Der Club wird nicht absteigen in dieser Saison. Nicht, solange Hans Meyer an Bord ist. Es gab in den vergangenen Jahren keinen Bundesliga-Trainer, der aus den vorhandenen Möglichkeiten, und waren sie auch noch so bescheiden, derart viel gemacht hat. Nürnberg ist Letzter. Das wird nicht so bleiben. In der unteren Hälfte der Liga sind die Leistungsunterschiede minimal. Über Abstieg und Klassenerhalt entscheidet auch, wer den besseren Trainer hat.“ Auch Michael Jahn (BLZ) erinnert sich an Meyers erfolgreiche Berliner Zeit: „Bei Hertha war es ihm gelungen, schnell eine Atmosphäre des Aufbruchs und der Hoffnung zu erzeugen. Er hatte die Traurigkeit von verunsicherten Spielern und ebenso verunsicherten Vereins-Angestellten genommen, die sich mit bis dahin nicht gekannten Existenzängsten herumplagten. Der damals völlig aus dem Tritt geratenen Mannschaft verpasste er ein Lifting. Meyer verfrachtete Routiniers, die ihm zu wenig Engagement zeigten, ins zweite Glied, etwa Niko Kovac oder Fredi Bobic. Namen waren ihm völlig egal.“

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