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Werder-Sozialisation

Oliver Fritsch | Dienstag, 22. November 2005 Kommentare deaktiviert für Werder-Sozialisation

Tim Borowski ist der neue Schatz der deutschen Fußballjournalisten. Seine Aufstiegskurve beschreiben sie als Parallele zur Aufstiegskurve Werder Bremens: langsam, aber stetig. Auch den ständigen Vergleich mit Michael Ballack muss Borowski aushalten – und kann ihn inzwischen standhalten. Für beide scheint zu gelten, dass sie ihren Kredit bei Fans und Öffentlichkeit erkämpfen und verteidigen müssen. Übrigens, als Ballack so alt war wie Borowski jetzt, war „der Schnösel“ wesentlich umstrittener: Beim 1:5 gegen England im September 2001 machte der kicker Ballack, damals noch nicht im Bayern-Trikot, als einen der Hauptschuldigen aus. Woher kommt Borowski, wohin führt sein Weg, Jörg Marwedel (SZ)? „Die Debatte, was Borowski wirklich ist oder noch werden könnte, wird vielleicht noch eine Weile anhalten. (…) Was Borowski und Ballack verbindet, ist neben ihrer schnellen Auffassungsgabe und dem technischen Talent diese aufrechte Körpersprache, die oft als Arroganz ausgelegt wird. Was sie trennt, ist außer Ballacks überragendem Kopfballspiel und dessen mächtigem Plus an Erfahrung eine völlig unterschiedliche Sozialisation in den vergangenen Jahren: ‚Ich habe die Werder-Philosophie drin‚ diese ruhige, zurückhaltende, selbstbewusste Art.’ Nächstes Jahr feiert er seinen zehnten Jahrestag in der Hansestadt, das prägt. Thomas Schaaf, den damaligen Amateurcoach, kennt er dann genauso lange. Von ihm habe er den Umgang mit Kritik und die nötige Selbstkritik gelernt.“ Frank Heike (FAZ) fügt hinzu: „Ohne den Namen Ballack funktioniert derzeit keine Geschichte über Borowski. (…) Die Fans pfiffen ihn früher schon beim zweiten Fehlpaß aus, bei Borowski stand immer der Verdacht der Arroganz im Raum.“

Romantiker

Thomas Schaaf hat einen hervorragenden Ruf in deutschsprachigen Redaktionen. Eigentlich ist es noch immer eine Überraschung, dass der tugendhafte Abwehrspieler, der er mal war, im Weserstadion jede Woche ein Spektakel aufführen lässt – und das mit Erfolg. Auch seine Rhetorik hat man lange unterschätzt und damit seinen Geist. Das Prinzip Franz Kafka. Der hat auch mit karger Prosa viel erreicht. Stefan Osterhaus (NZZ) schreitet Schaafs Ahnenreihe ab: „Vielleicht liegt ein Körnchen Wahrheit in der Vermutung, dass die grössten Romantiker des Fussballs eine spröde Fassade pflegen. Happel, der Wiener, war ein unverbesserlicher Nörgler, del Bosque, der Madrilene, ein verkanntes Genie, das frappierend an Obelix erinnerte, und der Rheinländer Weisweiler legte nie den Charme des ewigen Sportlehrers ab. Auch Schaaf dürfte einer dieser Romantiker sein, die man schon ausgestorben wähnte, die dem ebenso alten wie manchmal verhängnisvollen Leitspruch folgen, dass ihnen ein 5:4 lieber sei als ein schnödes 1:0. Er formuliert Sätze, die einen manchmal schmunzeln lassen (‚Der Gegner hat sehr laufintensiv gespielt’); er verfügt über die Gabe zur schnellen Analyse eines Matches. Nie verliert er vor den Kameras ein Wort zu viel, doch es spricht manches dafür, dass er im Zirkel seiner Professionals den richtigen Ton trifft.“

Welt-Interview mit Bremens Aufsichtsratschef Willi Lemke

Befreier

Ronald Reng (FTD) begründet Johan Cruyffs Wortmacht in Barcelona: „Ein Mann überträgt mehr Druck auf die Elf als all die hysterischen Medien und Fans zusammen. Sein Status ist ein Phänomen, das mit Cruyffs Großtaten als Fußballer und Trainer allein nicht zu erklären ist. Als er 1973 nach Barcelona kam und der Klub nach 14 Jahren wieder die Meisterschaft gewann, gratulierte ihm keiner – die Leute dankten ihm. Diktator Franco regierte Spanien, alles Katalanische wurde unterdrückt. Im Fußball wenigstens, bildeten sich die Katalanen ein, könnten sie das Madrider Regime besiegen. Cruyff war ihr Befreier. Dem 5:0 über Real Madrid im Februar 1974 kommt bis heute die Symbolik eines Aufstandes zu. Er ist nie da und immer präsent, eine permanente Stimme aus dem Off. (…) In Barcelona können sie nicht aufhören, zu diesem oft gnadenlosen Mann aufzublicken; sogar die, die unter ihm litten.“ Warum aber zählt Cruyffs Wort noch so viel in Holland? Vom Fußball-Diktator Deutschland hat er sein Land 1974 doch nicht befreit…

Markus Jakob (NZZ) führt die Folge an, die die Champions-League-Qualifikation des FC Villareal in der (Klein-)Stadt nach sich zieht: „Der Erfolg hat ein Fussballfieber entfacht. Jeder dritte Einwohner hat ein Saisonabonnement, ein Drittel sind Frauen (der höchste Anteil an weiblichen Mitgliedern in der Primera División). Erst recht als Kuriosum erscheint, dass das Jahresbudget des Vereins mit 43 Millionen Euro höher als das der Stadt ist. Es versteht sich, dass dies dem Klub und seinem Präsidenten eine gewisse Macht verschafft hat, die nicht allseits mit Wohlwollen gesehen wird. Wie in Spanien üblich, geht es dabei um Immobilienschacher, die angebliche Vorzugsbehandlung bei der Umwidmung von Grundstücken usw.“

Verbraucht

Wenn es wieder mal heißt, Alex Ferguson sei ein Auslaufmodell, hören wir schon fast nicht mehr hin. Doch die unehrenhafte Entlassung seines Ersten Offiziers Roy Keane deuten manche Chronisten als seinen letzten Fehler. Martin Pütter (NZZ) rechnet bald mit einem Großen Zapfenstreich für Ferguson: „‚Ein Manager darf nie einen Streit (mit seinen Spielern) verlieren’, heisst seine Devise. Darum musste auch Keane gehen. Doch hinter dessen Entlassung steht purer Überlebenskampf des Schotten. Er wollte damit dem neuen Eigentümer Malcolm Glazer und dessen Söhnen beweisen, dass er die Mannschaft noch im Griff hat. Doch dieser Schritt scheint panisch motiviert – mehr aus Selbstinteresse geschehen. Denn was selbst viele eingefleischte United-Fans nicht mehr bestreiten: Ferguson ist verbraucht. Das zeigen Resultate und die spielerische Entwicklung. Er hat den Anschluss verpasst. Dem Schotten ist auch das Auge für Talente und gute Spieler abhanden gekommen.“

Altersheim für Millionäre

1:3 in Florenz am Wochenende, nun das Spiel in Istanbul – Peter Hartmann (NZZ) sorgt sich um Gesundheit und Lebenssaft des AC Mailand: „Ihre Dinosaurier-Abwehrkette beginnt zu reissen, mit der Nässe und Kälte des Herbstes spüren die alten Recken ihre Abnützungsbeschwerden. Ist Milan ein Altersheim für Millionäre? (…) Das Schicksal der Mannschaft könnte sich innerhalb einer Woche entscheiden. Denn der Kampfwagen Juventus ist in der Meisterschaft schwer von hinten aufzurollen; schon in der letzten Saison haben sich die Turiner von der ersten bis zur letzten Runde an der Spitze behauptet. Und eine Niederlage am Bosporus würde bei den Mailändern das Trauma vom 25. Mai wieder aufreissen.“

NZZ: Der FC Thun braucht mehr als nur Flüge

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