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Bundesliga

Ende des nationalen Wettbewerbs

Oliver Fritsch | Dienstag, 14. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Ende des nationalen Wettbewerbs

Bayern München spielt nicht gut, und beherrscht die Liga – Thomas Kilchenstein (FR) fürchtet um die Bundesliga: „Die unerträgliche Dominanz der Bayern nimmt der ganzen Liga den Spaß. Und die Tristesse an der Spitze wird zunehmen: Derzeit gibt Bayern München im Jahr 60 Millionen fürs Personal aus, in dieser Saison fließen 16,7 Millionen Euro an TV-Geldern, in den nächsten drei Jahren werden das jeweils rund 27 Millionen Euro sein. Die Münchner kratzen beim Umsatz an der 200-Millionen-Euro-Grenze, Eintracht Frankfurt etwa hat einen Etat von 43 Millionen Euro. Heribert Bruchhagen hat vorgerechnet, dass die Eintracht 1992, als sie fast Meister wurde, einen um 40 Prozent niedrigeren Etat als München hatte. Heute betrage der Abstand 300 Prozent. ‚Das kann man nicht mehr aufholen.‘ Im Grunde ist das, was die Bayern aus nachvollziehbaren, aber egoistischen Gründen tun, nämlich Juventus Turin, Real Madrid oder dem FC Barcelona Paroli bieten zu wollen, das Ende des nationalen Wettbewerbs. Denn es ist kein Wettbewerb mehr, wenn der Sieger vorher feststeht. Der FCB hat keine natürlichen Gegner mehr. Schlimmer noch: Der Meistertitel wird durch diese Übermacht regelrecht entwertet, der Titel verliert, wie der DFB-Pokal, an Wert.“ Stimmt schon, Bayern München hat genug, man hätte das Fernsehgeld gleichmäßiger verteilen können. Warum verteilt man das Fernsehgeld überhaupt nach „Leistung“? Mit gleicher Berechtigung und mindestens gleich guter Argumentation hätte die DFL in Anbetracht der ungleichen Verhältnisse allen achtzehn Vereinen den gleichen Teil geben können. Andererseits sei an einen alten Witz der FAZ erinnert: „Wie komme ich ganz schnell auf zehn Millionen? Indem ich zwanzig in Eintracht Frankfurt investiere.“

In seinem Bundesliga-Kommentar fasst Peter Unfried (SpOn) die Beschränkung Jürgen Klinsmanns durch den DFB als Anpassung an deutsche Verhältnisse auf: „Wo alles schwächelt, wäre ein starker Bundestrainer eine zu große Provokation für die allgemeine Mittelmäßigkeit. So gesehen war es sozial, dass der DFB aus dem Unternehmen ‚Weltmeister 2006: Deutschland‘ selbst die vorletzte positive Energie rausgenommen hat. Außerdem hat man es Klinsmann mit der Installation des Sportdirektors Sammer endlich mal richtig gezeigt. Das wird ihn lehren, den deutschen Fußball und seinen Verband reformieren zu wollen. Und was noch schlimmer ist: Alles ohne Springers Bild-Zeitung. Klinsmann glaubt nicht an Bild. Aber Bild glaubt, Papst zu sein.“

Philanthrop

Was hat Thomas Doll in den letzten Wochen gelernt, Stefan Osterhaus (NZZ)? „Dass die Bundesliga keine Klimaschutzzone ist, kein Humidor, der dem Talentierten beliebig viel Entfaltungsspielraum gewährt. Lange hatte man sehr freundlich über ihn gesprochen, er war wahlweise: der Taktiker, der Motivator und, vor allem, der Mittler, der penibel sämtliche Stimmungsschwankungen im Kader austariert und so zu Spitzenleistungen animiert. Eine Art Jürgen Klinsmann, bloss authentisch. Doch jetzt musste der Coach erkennen, dass ein paar kleine Irritationen genügen, um das sorgfältig hergestellte Binnenklima kippen zu lassen – was wiederum die Performance welken und den Ertrag schrumpfen lässt. (…) Im Zeichen der Mini-Krise verebbte der blosse Appell Dolls an die Fähigkeiten des Personals; man konnte förmlich dabei zusehen, wie nach der Verletzung Ailtons auch das Nervenkostüm des Trainers schwand. Und er forderte eine Reaktion. Seine Spieler sollten, bitte schön, gegen Mainz ‚humorlos drei Punkte abholen und den Mund abputzen‘; ein Tonfall, der die Anhänger des zum Philanthropen Neigenden irritierte und vermeintlich jene bestätigte, die es ja schon immer gewusst hatten: dass der Doll mit seinen gerade 39 Jahren eben doch kein grosser Trainer ist; ein Amateur, der bloss in ein wunderbar bestelltes Umfeld gerutscht ist; einer, der sich erst noch hereindienen müsse in diese Liga mit ihrem immergleichen Inventar an Visagen. Am Samstag spielte Wicky im Mittelfeld zentral, de Jong an seiner Seite rechts. Da konnten alle sehen, wie schnell der Doll lernt.“

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Bayern München–1. FC Nürnberg 2:1

Defensivprobleme, Ideenarmut und Unkonzentriertheit

Florian Haas (FAZ) über die Sorgen der Sieger: „Weder das siebzigste Bundesligator des Nationalmannschaftskapitäns noch das damit verbundene historische Ereignis (54 Punkte nach 21 Spieltagen sind neuer Bundesligarekord) konnten über abermalige Defensivprobleme, Ideenarmut und Unkonzentriertheiten hinwegtäuschen. Die zwanzigste Meisterschaft für den Klub sehen zwar weder Uli Hoeneß (‚Es geht nur noch um den zweiten Platz‘) noch Felix Magath ernsthaft in Gefahr. Ungleich größer scheint aber die Angst vor Unterforderung und einhergehender Selbstzufriedenheit, die den anvisierten Dreifach-Triumph in DFB-Pokal, Meisterschaft und Champions League gefährden könnten.“ Auch Philipp Selldorf (SZ) sucht nach Reizpunkten: „Selbst die Hundert Millionen Bayern-Gegner in Deutschland werden diese Äußerung nicht mehr als Ausdruck von Arroganz werten, sondern als realistische Anschauung. Beinahe rührend war es, wie Magath dem Land Trost zusprach, indem er die Spannungsmomente raffte: Den Kampf um die verbliebenen Champions-League-Plätze, das Uefa-Cup-Gerangel, die Abstiegsfrage.“

Zu gut, um schlecht zu sein

Wer sind wir? Christof Kneer (SZ) empfindet die Selbstfindung der Nürnberger nach: „Der arme 1. FC Nürnberg weiß derzeit selbst nicht so genau, was er von sich halten soll. Das ist einerseits ein großer Fortschritt und andererseits ein kleines Problem. Im Herbst wussten die Nürnberger besser Bescheid über sich. Sie wussten, dass sie ein Kellerkind sind und eine Abwehr haben, die so lustig vor sich hinwackelt, dass sie bestimmt gleich ein Tor fangen, weshalb sie irgendwann auch aufs Angreifen verzichteten. Sie sind ruhig davon ausgegangen, dass sie am Ende verlieren, meistens hat das gestimmt. Und jetzt? Jetzt spielen sie plötzlich so, dass man ihnen das Kellerkind gar nicht mehr ansieht, und es irritiert sie manchmal, dass sie immer noch eines sind. Sie stehen nur einen Punkt über diesem bösen Tabellenstrich, der die Absteiger markiert. Es ist gar nicht so einfach, wenn man plötzlich zu gut ist, um schlecht zu sein. Manchmal kann eine Mannschaft unglückliche Niederlagen schwerer begreifen als unvermeidliche Pleiten, und man hat nur in die Gesichter schauen müssen, um das neue Luxusproblem dieser Elf zu verstehen.“

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