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Deutsche Elf

Dieser DFB ist ein fortschrittlicher Verband

Oliver Fritsch | Donnerstag, 16. Februar 2006 Kommentare deaktiviert für Dieser DFB ist ein fortschrittlicher Verband

Ausschnitte aus einem sehr langen FAZ-Interview mit Theo Zwanziger über Matthias Sammer, die Vorzüge und Schwächen Jürgen Klinsmanns, den Zustand des DFB und wie diese drei Pole zusammenarbeiten können: „Der nächste Bundestrainer heißt nicht Sammer. Er übernimmt bei uns andere Aufgaben. Er wird daran gemessen werden, ob unsere Nachwuchsarbeit erfolgreich ist. Er wird auch daran gemessen, ob die Eliteschulen des Fußballs vorangetrieben werden. Für diese Aufgabe brauchen wir ein Gesicht. Wenn Matthias Sammer in Baden-Württemberg zum Kultusminister geht, dann wird ihm der Minister die Tür öffnen. Wenn Leute aus der zweiten oder dritten Reihe kommen, werden sie mit dem Referenten reden müssen. Ich sehe doch, was uns Franz Beckenbauer bringt. Wir brauchen im Fußball diese Gesichter. (…) In der Traineraus- und -fortbildung haben wir schon vor einiger Zeit eine Qualifizierungsoffensive eingeleitet. Dabei hat DFB-Vizepräsident Hans-Georg Moldenhauer eine wichtige Rolle gespielt. Deswegen war er auch von der einen oder anderen Kritik von Klinsmann so enttäuscht. (…) Die Weltmeistermannschaft von 1990 hat noch bis zur EM 1996 getragen. Danach sind wir in das berühmte Loch gefallen. Es fehlen uns fünf, sechs Jahrgänge – auch heute in der Nationalmannschaft. Insofern hat Klinsmann mit dem Zeitrahmen recht. Ich bin jedoch ein höflicher Mensch und würde eine andere Begrifflichkeit wählen. In der Zeit des Erfolgs haben wir zu lange geglaubt, daß wir die Nachwuchsförderung nicht intensivieren müßten. Es ist Herrn Mayer-Vorfelder hoch anzurechnen, daß er 2000 als Präsident gesagt hat, daß wir da mehr tun müssen. Damals ist die Entscheidung gefallen, die Wende einzuleiten. Aber diese Veränderung wird erst spät sichtbar. Wir haben bis jetzt zwar viel Geld ausgegeben und vieles verbessert, müssen aber gleichzeitig prüfen, was noch effektiver gestaltet werden kann. An diesem Punkt stehen wir aktuell – und da ist die Innovation von Jürgen Klinsmann wichtig. Deswegen ist die polarisierende Darstellung – der eine steht für Innovation, der andere für Establishment – falsch. Daher kommt auch der Unmut im Verband, weil schon viel verändert worden ist. Viele im DFB haben es nicht verdient, so dargestellt zu werden. Den Status quo zu ändern, dazu bin ich bereit – aber nicht, alles auf den Kopf zu stellen. (…) Leute wie Klinsmann braucht man immer. Der Verband hat von ihm seine globale Denkweise lernen können – und jeder, der von außen kommt, muß auch die Denkweise eines Verbands akzeptieren. Aber so wie ich Sammer einschätze, wird er auch nicht sonderlich bequem sein. Hier soll keine Grabesstille einkehren. (…) Wir geben Jürgen Klinsmann alle Freiheiten, die WM in seinem Sinn vorzubereiten – und zwar in einer Weise, wie es unser Verband noch nie zuvor getan hat. Seit seinem Amtsantritt haben Herr Mayer-Vorfelder, Generalsekretär Horst R. Schmidt und ich doch immer wieder die Wogen geglättet. Wir wußten aus Überzeugung, daß wir das dem Bundestrainer schuldig sind. Aber jetzt kann er doch nicht ernsthaft erwarten, daß wir in einer zugegebenermaßen schwierigen Personalfrage wie der des Sportdirektors, die man unterschiedlich beurteilen kann, uns ausschließlich von seinen Vorstellungen abhängig machen. Dann würde der Verband seine eigene Bedeutung aufgeben. Wir sind doch nicht lauter Trottel. Dieser DFB ist ein stabiler Verband – und er ist auch ein fortschrittlicher Verband, selbst wenn das draußen nicht jeder glaubt. Man braucht radikale Denkanstöße, aber Radikalität kann nicht immer übernommen werden. (…)
FAZ: Sammer hatte im Oktober doch abgesagt – und jetzt wollte er, unterstützt von der Springerpresse, den Job unbedingt. Da kann man doch mal Zweifel an den Motiven und der Kontinuität äußern. Zwanziger: Langsam. Im Oktober hatten wir keinen ‚drive‘ in der Sache. Michael Skibbe war damals noch bei uns. Erst mit seinem Wechsel zu Leverkusen wurden die Sondierungen für den Sportdirektorposten ernsthafter betrieben. Da man Sammer im Oktober ernsthaft in Erwägung gezogen hat, gab es im Januar doch keinen Grund, es nun nicht zu tun. Bei Sammer, und das stimmt, hat in der Zwischenzeit ein Änderungsprozeß eingesetzt. Es kann ja sein, daß Sammer eine Medienverbindung zu Springer hat. Aber das hat man vorher gewußt – und irgendwelche Medienverbindungen haben doch alle. Ich habe mir längst abgewöhnt, mir darüber Gedanken zu machen. Fußball ist öffentlich – und dann muß man damit rechnen, daß mal etwas in der Zeitung steht, was einem nicht gefällt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß ein selbstbewußter Trainer wie Klinsmann so in Bedrängnis geraten kann. Die Medien betrachten heute doch nicht nur Entscheidungsprozesse, sondern versuchen sie zu steuern.

Die Sport Bild bezeichnet Klinsmann für sein Nachhaken gegen Sammer als „beleidigte Maultasche“, wofür wir sie wirklich mal loben müssen. Dass sie sich jedoch immer wieder daran stößt, dass Klinsmann seine Zukunft vom Erfolg beim WM-Turnier abhängig macht und damit offen lässt, finden wir angesichts ihrer Abneigung ihm gegenüber schräg. Wie tickt jemand, wo drückt ihm der Schuh, welche Absicht verfolgt einer, der mit einem solchen Argument am Trainerstuhl sägt? Vermutlich gönnen sie ihm nicht, dass er über sein Ausscheiden selbst bestimmt; ihnen fehlt die Zielscheibe. Auch würden wir gerne wissen, was die Springer-Presse schreiben würde, wenn Klinsmann, ihren ach so heißen Wunsch erfüllen würde und seinen Vertrag morgen verlängert.

FR: große Fragezeichen in der deutschen Defensive

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