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Champions League

Pfleglicher Umgang

Oliver Fritsch | Dienstag, 18. April 2006 Kommentare deaktiviert für Pfleglicher Umgang

Paul Ingendaay (FAZ) schildert die nachhaltige und auf Schonung bauende Arbeit Frank Rijkaards: „Der Aufstieg Barcelonas zur attraktivsten Mannschaft Europas läßt sich an mancherlei ablesen. In Ronaldinho und Eto‘o gehören gleich zwei Barca-Spieler zu den drei weltbesten Fußballern, wenn man dem Fachurteil glauben will. In Frank Rijkaard besitzt das Team einen Trainer, dessen Autorität auf der passenden Spielphilosophie, dem Angriffsfußball holländischer Schule, großer Gelassenheit und innerer Stärke beruht. Nicht zu vergessen das vielleicht größte neue Talent des internationalen Fußballs überhaupt, den Argentinier Leo Messi, noch nicht einmal neunzehn Jahre alt, ein Stürmer, der die Zuschauer schon mit zwei, drei Aktionen in eine andere Dimension versetzt. Gerade an Messi zeigt sich der pflegliche Umgang des Vereins mit seinen Stars. Soeben ist der Wunderstürmer, der sich nach verfrühter Rückkehr ins Team eine zweite Muskelverletzung einhandelte, mit einem Trainingsbetreuer nach Buenos Aires geflogen, damit er die spielfreie Zeit ohne Nervenbelastung und fern vom Champions-League-Fieber verbringe. Rijkaard und der Klub behandeln Messi mit väterlicher Aufmerksamkeit, der Gefahr bewußt, der junge Mann könne sich verschleißen oder vom Medienrummel um seine Person überwältigt werden. Blickt man zurück auf die Saison, läßt sich klar erkennen, wo und wann Rijkaard die wichtigsten Zeichen gesetzt hat: Als er sich die Freiheit nahm, selbst unangefochtenen Stars ohne Getöse einen Platz auf der Bank zuzuweisen.“

Jugendlicher Elan

Mailand, ein Jungbrunnen – Dirk Schümer (FAZ) taucht auf den Grund: „Ihre Kicker seien wie guter Wein, der mit den Jahren zur Spitzenqualität reife. Diese auffallende Rüstigkeit liegt nicht unbedingt an der guten Mailänder Smogluft, sondern an einem ausgeklügelten physiotherapeutischen System. Während man bei Juve wohl zumindest bis in die neunziger Jahre auch auf Dopingmittel aus der Apotheke setzte, vervollkommnete der medizinische Stab bei Milan die penible muskuläre Überwachung der kostbaren Fußballerbeine. Inzwischen hat jeder Spieler seinen Chip mit einem täglich aktualisierten Trainings- und Ernährungsplan, was die Rehabilitation lädierter Spieler perfektioniert, vor allem aber dem Verschleiß vorbeugt. (…) Die reife Jugendlichkeit des AC Mailand färbt auch auf seinen – inoffiziellen, doch allpräsenten – Patron Silvio Berlusconi ab. Der Mann im besten Rentenalter, der sich von seinem Arzt ‚gefühlte 42 Jahre‘ attestieren läßt, stürzte sich geliftet und mit transplantierten Haaren in einen fast verlorenen Wahlkampf und ließ die Konkurrenz recht alt aussehen. Nun möchte der Padrone auch mit fast 70 Jahren seinen Posten partout noch nicht räumen, weil er für die politische und fußballerische Zukunft noch große Pläne hat. Könne er zwischen Champions League und Italiens Regierung wählen, so bekannte Berlusconi mit typischem Kampfgeist, dann würde er beides nehmen. Solch jugendlicher Elan dürfte den rüstigen alten Herren von Milan zum Vorbild dienen.“

Schlauheit

Peter Hartmann (NZZaS) bewundert Clarence Seedorf: „Nicht Schewtschenko, nicht Kaka, nicht Maldini, nicht Pirlo, sondern Seedorf war im 264. Mailänder Derby beim 1:0 Milans der einflussreichste Spieler. Er denkt schneller als die Gegner, er versucht instinktiv das Überraschende, das dann das Richtige ist. Im schlafwandlerischen Kombinationsspiel von Milan ist er mit seinem vorauseilenden Timing die Schlüsselfigur neben dem Jagdhund Gattuso und dem Seidenfuss Pirlo. ‚Wenn Milan in Routine verfällt‘, sagt der alte Trainer und Seedorf-Bewunderer Giovanni Galeone, ‚dann sieht es so langweilig aus, wie wenn die Nonna 90 Minuten lang die Polenta umrührt.‘ Aber wenn die Maschinerie läuft, hat fast immer Seedorf seine Füsse im Spiel, als Beschleuniger mit direkten Pässen, mit scheinbar absurden Dribblings, mit denen er zwei, drei Gegner anlockt und Angriffsräume öffnet. Die Italiener fasziniert, wie er ihre Nationaltugend verinnerlicht hat, die ‚Furbizia‘: die Schlauheit, aus jeder Lage einen Ausweg zu finden. Vielleicht schützt ihn das in den Stadien gegen die Plage rassistischer Pöbeleien.“

NZZ: Duell der Freunde Ancelotti und Rijkaard

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