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Bundesliga

Klarer Spielverstand — 32. Spieltag (Teil 1)

Oliver Fritsch | Donnerstag, 4. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Klarer Spielverstand — 32. Spieltag (Teil 1)

1. FC Köln–Hamburger SV 0:1

Ulrich Hartmann (SZ) lobt Kölner Kampf und Spiel: „Die Kölner haben das überforderte Spitzenteam vom Hamburger SV in dessen Spielhälfte beschäftigt. Sie haben ihre Zuschauer mit munterer Offensive unterhalten. Sie haben den HSV in allen statistischen Rubriken deklassiert. Wenn bloß diese eine dumme Sache nicht gewesen wäre: Köln hat 0:1 verloren, seine Fußballer waren zu beeindruckt vom eigenen Spiel. Die Kölner ignorierten die Melancholie des Niedergangs durch intensive Ausschüttung von Adrenalin. Eine geniale Therapie. Von Absteigermannschaften sieht man in den letzten Spielen einer Saison sonst eher tollpatschigen Aktionismus, das sieht dann aus wie Dreibeinlaufen beim Kindergeburtstag. In Köln ist das anders. Die Spieler geraten jetzt in eine ansehnliche Verfassung. Sie besitzen Ausdauer für mindestens ein Fußballspiel und verfügen trotz panisch anmutender Tabellensituation über einen klaren Spielverstand.“

Macht des positiven Denkens

Roland Zorn (FAZ) blickt zurück auf Fehler der Kölner Führung: „Das ambitionierte Vierjahres-Aufsteigerprojekt des FC scheint gescheitert. Der Klub, der mit einem üppigen Etat von 50 Millionen Euro in die Saison ging, verpflichtete zunächst in Uwe Rapolder einen Trainer, der nicht zum Team paßte, stellte einen Kader zusammen, der viel zu spät Erstligareife bewies, und verfehlte damit schon im ersten Jahr sein Etappenziel auf dem ersehnten Weg zurück in die europäische Bedeutung. Erst Rapolders Nachfolger Latour verstand es, dem FC mit Augenmaß und viel Begeisterung so etwas wie eine neue Bodenhaftung zu geben. Während sich Köln alsAbsteiger nolens volens von einigen seiner Stars trennen muß oder will (Podolski, Streit, Streller), sehen die Hamburger das Werben zahlungskräftigerer Vereine um ihre besten Spieler im Augenblick ganz entspannt. Wer oben steht, darf mehr erwarten – und handele es sich dabei auch um Ablösesummen. Daß Abwehrfachkräfte wie Daniel van Buyten (Bayern München) und Khalid Boulahrouz (FC Barcelona) umbuhlt werden, empfindet Thomas Doll im Augenblick eher als Kompliment. ‚Ist es nicht schön, daß der eine oder andere Spieler nach dieser Klassesaison Begehrlichkeiten weckt? Es beunruhigt uns nicht, sondern macht uns stolz, wenn unsere Jungs im Fokus sind.‘ Es ist auch Dolls Macht des positiven Denkens, die diesen neuen HSV zur zweiten Kraft im deutschen Fußball hat aufsteigen lassen.“

Uf Wiederluege Geissböckli

Bernd Müllender (FR) verweist auf eine hohe Kölner Fluktuation: „Der FC hat die Saison nicht nur auf dem Rasen verloren. Eine dilettierende Führungscrew hatte immer neues Personal zugekauft. Im halben Dutzend lag man daneben. Gegen Hamburg lag der Rückennummernschnitt bei 21,7. Das zeigt, wie ersatzgeschwächt das Team war und wie viele mittlerweile mitwirken, an die zu Saisonbeginn noch niemand dachte. Immerhin: Auch die Schweizer Spieler sind in der Stadt des Überschwangs assimiliert. Marco Streller sagt: ‚Wenn wir noch zwei Tore gemacht hätten, wäre der Kessel explodiert.‘ Und Ricci Cabanas meint: ‚Es ist noch nicht vorbei.‘ Nein, da ist kein Fünkli Hoffnung mehr, kein Grüetzi, wie es im Winter hieß, als vier Schweizer wie die Lawinenhunde gekommen waren als Rettungsbeauftragte. Uf Wiederluege Geissböckli.“ Daniel Theweleit (FTD) rechnet mit der Kölner Rückkehr: „Die Zeit für Trauer und Melancholie wird noch kommen in Köln, doch angesichts einer jungen Mannschaft, die eine gute Substanz für die Zweite Liga besitzt, und weil dieser vierte Abstieg in acht Jahren von den Anhängern mit einer gewissen Routine hingenommen wird, könnte es ein Abschied ohne Tränen werden.“ Auch Erik Eggers (Tsp) hegt Optimismus: „Einige prophezeien Köln nun den Absturz, weil das Publikum die ewige Reise zwischen Liga eins und zwei satt haben könnte. Doch zuletzt verzeichnete der FC Zuschauerrekorde. Das macht Mut für die Zweite Liga.“

1. FC Nürnberg–Borussia Mönchengladbach 5:2

Kontinuierliches Wachstum am Fußball-Standort Nürnberg

Volker Kreisl (SZ) erkennt den Club nicht wieder: „Die Nürnberger haben nicht nur den Klassenerhalt gesichert, sondern in einer Weise gespielt, wie man es überhaupt nicht gewohnt ist. Es könnte ein Ausschlag nach oben gewesen sein, es könnte aber auch eine Art Meilenstein in der Entwicklung des Vereins darstellen. Nürnberg hat Konzeptfußball gezeigt, Abwehrschwächen hat Meyer mit einer Auswechslung schlagartig behoben, trotz Rückstandes spielte das Team unbeirrt weiter, und am Ende hatte es auch kein Problem damit, Konterchancen zu verwandeln. Garniert mit Zweikampfszenen, Tempogegenstößen auf beiden Seiten, einem verschossenen Elfmeter und jenen Momenten nach Schlusspfiff, als das Stadion in eine Art Riesendiskothek verwandelt wurde, war der Eindruck für die Verantwortlichen erschlagend. (…) Die Nürnberger haben in dieser Rückrunde bewiesen, dass sie alle Mannschaften kontrollieren können, die sie nächste Saison hinter sich lassen wollen. Das deutet alles auf kontinuierliches Wachstum hin am Fußball-Standort Nürnberg.“

Leichtigkeit des Seins

Auch Gerd Schneider (FAZ) reibt sich die Augen: „Es war alles anders als sonst in dieser Nürnberger Fußballnacht. Über viele Jahre hinweg hatte der Kombination Club und Bundesliga etwas Mühseliges, Graues, Freudloses angehaftet. Fast immer, wenn der neunmalige deutsche Meister in der höchsten Klasse spielte, glich der Alltag einem Überlebenskampf, finanziell wie sportlich. Das hat Spuren hinterlassen im Frankenland. Die einst für ihre Treue berühmten Fans wandten sich ab von ihrem Club. Im Spätherbst, als die Stimmung und der Tabellenstand ihren Tiefpunkt erreicht hatten, verloren sich bei manchen Spielen nicht einmal mehr 20.000 Zuschauer im Stadion. Dann kam Hans Meyer. Was seitdem in Nürnberg passiert ist, muß den Anhängern und allen Beteiligten wie ein Traum vorkommen. Plötzlich spielen die Nürnberger Profis, anstatt Fußball zu arbeiten; schießt Robert Vittek, unter Meyers Vorgänger Wolfgang Wolf zum Ersatzspieler mutiert, Tore am Fließband; und entdecken die Leute ihre Liebe zum Club wieder: Sie genießen den Stadionbesuch, anstatt zu leiden. Am Dienstag, es ging auf Mitternacht zu, konnten Tausende Fans in der Nordkurve gar nicht genug bekommen von der unerklärlichen Leichtigkeit des Seins.“

Hertha BSC Berlin–Bayer Leverkusen 1:5

Im Stile einer Jugendelf

Ronny Blaschke (StZ) gratuliert dem Leverkusener Trainer: „Es scheint, als habe Michael Skibbe einen Weg gefunden, das Potenzial in Leverkusen optimal auszunutzen, selbst an schwächeren Tagen wie in Berlin – Vorgänger Klaus Augenthaler war daran gescheitert. Die internationale Teilnahme wird Leverkusen zumindest ein bisschen helfen, um den Frust nach den negativen Schlagzeilen verbunden mit Reiner Calmund zu lindern.“ Von wegen unglückliche Niederlage – Matthias Wolf (FAZ): „Zugegeben, es war ein seltsames Spiel. Hertha lag früh zurück, kassierte durch Dimitar Berbatow einen Keulenhieb, bevor nach Marcelinhos Anschlußtor zwanzig Minuten lang nur ein Team stürmte: Berlin. ‚Das Ergebnis lügt‘, erklärte Rudi Völler voller Mitgefühl. Aber wahr ist auch: Wer so konfus stürmt, im Stile einer Jugendelf alle Absicherung vernachlässigt, besitzt kaum internationale Reife.“

SZ-Kommentar: Konterspiel, der neue Trend?

SZ: Karl-Heinz Rummenigge will Gehaltsobergrenze, der Bayern-Vorstand plädiert vor EU-Parlamentariern für einen gerechteren Wettbewerb; als Bundesliga-Fan kommt man nicht umhin, über diese Forderung zu schmunzeln

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