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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Unterschätzt

Oliver Fritsch | Mittwoch, 24. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Unterschätzt

Holger Gertz macht im Monatsmagazin Player seine Hoffnung auf ein gutes deutsches Turnier an Miroslav Klose fest: „Der Stürmer Klose scheint charakterlich aus einer Zeit zu stammen, als die Nationaltrikots noch schneeweiß waren und nicht verziert mit schwarz-rot-goldenen Farbklecksen. Er ist kein Showmann. Seine Fairness ist das Ergebnis seines Willens, sich nicht zu verstellen. Er hat sich nicht fallen lassen, als ihm Oliver Kahn mit dem Finger an der Nase herumgedrückt hat. Er hat sich später entschuldigt für ein wunderbares Tor in Köln – er habe damit keinesfalls die Kölner Verteidiger veralbern wollen. Er hat, vergangene Saison gegen Bielefeld, dem Schiedsrichter gesagt, der Torwart Hain habe ihn nicht gefoult. Der Schiedsrichter hatte auf Elfmeter entschieden und nahm das nach Kloses Einspruch zurück. Da stand es noch 0:0. Wenn man mit Klose spricht, hört er sich ein bisschen an wie Sepp Herberger oder Fritz Walter, und das liegt nicht am weichen, pfälzischen Klang seiner Stimme. (…) Er hat sich zu einem Kombinationsfußballer entwickelt, der zwar die 11 trägt, aber trifft wie eine 9. Er verteilt die Bälle und füttert die Kollegen, wie es eine 10 tut. Und er setzt nach und grätscht an der Seitenlinie im Stile einer 2 oder 3. Der Mann, der manchmal spricht wie einer der Helden von Bern, ist auf dem Platz einer dieser schnellen, kompletten Alleskönner, wie man sie von der PlayStation auf der höchsten Geschwindigkeitsstufe kennt. Oder von Fernsehübertragungen, wenn Arsenal oder Barcelona spielen. (…) Miroslav Klose kann ein Star werden bei der WM – auch deshalb, weil er noch keiner ist, trotz der vielen Tore. Klose ist zwar oft im Fernsehen, aber irgendwie sitzt er trotzdem immer am Rand. So sehr sich die Qualitäten eines stillen Strategen auf dem Platz bemerkbar machen, so sehr fallen sie im Fernsehen unter den Tisch. In den Fernsehspots sind vor allem Kahn, Ballack und Podolski. (…) Warum wird nach der WM alles von diesem Miroslav Klose reden? Weil er als Mensch in die gute alte Zeit reicht und als Spieler in die gute neue Zeit. Weil er warten kann, ohne das Ziel zu vergessen. Weil er unterschätzt wird, und unterschätzte Männer aus der Pfalz (vgl. Helmut Kohl und Kurt Beck) es öfter weit bringen.“

Mitreißer

Andreas Lesch (BLZ) fleht Jürgen Klinsmann an, Tim Borowski aufzustellen: „Klinsmann will seine Spieler jetzt zu einem Gebilde formen, das flexibel ist und sich versteht. Er will ein Team bauen, das Druck machen kann, das aggressiv auftritt, das sich durchsetzt gegen die Besten der Welt. Er kann bei diesem Vorhaben keinesfalls auf Tim Borowski verzichten, er braucht ihn dringend, und so könnte alles gut sein, wenn da nicht dieses Problem wäre, diese entscheidende Frage: Weiß der Bundestrainer das? In seiner bisherigen Amtszeit hat Klinsmann den Eindruck erweckt, er könne mit Borowski nicht so recht etwas anfangen. Es schien, als sei der Mittelfeldspieler ihm suspekt. Dabei könnte er, egal in welchem System, die deutsche Mannschaft stärker machen, als sie ist. Borowski gibt einem Spiel Struktur, er prägt es durch seine Pässe und seine Präsenz. Er kann durch seine Breitschultrigkeit, durch seinen aufrechten, fast arrogant wirkenden Laufstil dem Gegner imponieren. Er bereitet Tore vor oder erzielt sie selbst. Er ist eine dominante Figur, und er ist in vielerlei Hinsicht der genaue Gegenentwurf zu Bernd Schneider, mit dem er voraussichtlich um den Platz im halbrechten Mittelfeld konkurriert. Schneider ist ein verspielter Techniker, ein Kringeldreher, ein Mitläufer im Wortsinn: Läuft es gut, ist er gut; läuft es schlecht, ist er schlecht. Bei der WM aber wird die Mannschaft einen Mitreißer wie Borowski brauchen, und es wird viel über den Trainer Klinsmann sagen, ob er endlich einen Platz im Team für ihn findet.“

Jan Christian Müller (FR) blickt voraus: „Der junge Fußballlehrer Klinsmann ist kein begnadeter Taktiker. Er kann ein Spiel noch nicht mit der Routine eines alten Fahrensmannes lesen. Deshalb wird sich bei der WM eine deutsche Mannschaft mit mehr Herz als Verstand präsentieren. Es wäre verwegen anzunehmen, dass das zum Titel reicht. Aber zu aufregendem Fußball allemal.“

Kahns Hoffnung

Christof Kneer (SZ) geht der Platzverweis für Jens Lehmann nicht aus dem Kopf: „Diese eine Szene. Es ist die Szene, die das Torwartduell auf eine fühlbare Art und Weise neu belebt hat. Es ist ein banaler Satz, dass in einem Turnier immer etwas passieren kann, aber zu diesem banalen Satz gibt es jetzt ein anschauliches Bild. Es ist das Bild, wie Lehmann herausstürzt, foult, rot sieht. Es ist ein Bild, das zeigt, wie sehr das Torwartspiel des Jens Lehmann auf Kante genäht ist. Lehmann ist der modernere, aber auch riskanter spielende Torwart, und so ist dies auch ein Bild, das Kahns heimliche Hoffnungen beflügelt.“

FAZ: Jens Lehmann, der ruhige Abwehrberater
FAS-Interview mit Jens Nowotny
SZ-Interview mit Oliver Neuville über seine Rückennummer 10

FAZ: Das Fitness-Training Mark Verstegens
BLZ: Im Fitnessraum von Genf sollen Klinsmanns Spieler ihre Wettbewerbsnachteile ausgleichen
FR: Akribisch wie nie zuvor bereitet sich die deutsche Nationalelf neun Tage lang in Genf auf das WM-Turnier vor
Tsp: Klinsmann analysiert mit Hilfe von Wärmebildern und Weitwinkelkameras
FAZ: Sport-Wissenschaft in der Nationalelf – der moderne Fußballprofi ist gläsern

FAZ: U21-EM – kaum beachtet, aber hoch geschätzt

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