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Der nette Herr Löw – ein überwundenes Vorurteil?

Oliver Fritsch | Mittwoch, 16. August 2006 Kommentare deaktiviert für Der nette Herr Löw – ein überwundenes Vorurteil?

Heute bestreitet Joachim Löw sein erstes Spiel als hauptverantwortlicher Bundestrainer; die deutschen Zeitungen gewähren ihm einen Vertrauensvorschuß, man hat seit seiner Berufung zum Nachfolger Jürgen Klinsmanns kaum eine kritische Stimme vernommen – und das, obwohl Löw vor zwei Jahren als ein talentierter, aber für höhere Aufgaben ungeeigneter Trainer galt. Die damalige Skepsis ist nun überlagert von den zwei erfolgreichen Jahren des DFB-Teams, an deren Zustandekommen die Presse Löw teilweise ein sehr großes Zutun einräumt. Jedoch lesen sich die heutigen Urteile, Löw sei durchaus ein erfahrener und erfolgreicher Trainer, wie Beteuerungen. Beteuerungen gegen ungeäußerte Kritik, Löw fehle die Strenge und das Profil, das man für einen solchen Posten benötige. Noch ungeäußert, denn die Kritiker haben Feuerpause.

Mathias Schneider (Stuttgarter Zeitung) hat sich in Stuttgart, Löws erster Trainerstation von 1996-98, mal umgehört und in den Archiven gestöbert. Seine damaligen Wegbegleiter können anscheinend nur Gutes über Löw berichten; von Stil und Respekt gegenüber seinen Spielern ist die Rede. Jedoch scheint Löw zu gut (oder zu gutmütig) gewesen zu sein: „Respekt, Stil – das wurde ihm als Führungsschwäche ausgelegt. Gerhard Mayer-Vorfelder (der damalige VfB-Präsident, if) entließ Löw. Der VfB stand auf dem vierten Tabellenplatz, er hatte das Europapokalfinale gegen Chelsea erreicht. Einige Rädelsführer suchten dennoch das Gespräch beim Präsidenten. Sie fanden ein offenes Ohr. ‚Mayer-Vorfelder hat Löw von Anfang an auf dem Kieker gehabt‘, sagt einer, der nicht nachträglich in einen vergangenen Konflikt gezogen werden will. Der Boss bevorzugte Führungskräfte, die eher kernig und weltmännisch daherkamen. Löw war ruhig, zuvorkommend – das war verdächtig.“

Halbautonomer C-Trainer

Auch Stefan Osterhaus (taz) erinnert sich an den anfänglichen Erfolg Löws: „Zumindest die frühen Jahre zeigten erfolgreichen Fußball. Das notorische magische Dreieck – Balakow, Elber, Bobic – spielte unter Löw beim VfB immerhin um den Europacup der Pokalsieger, was manche schon vergessen haben, die Löw auf seine eher unglückliche Episode beim Karlsruher SC und ein gescheitertes Engagement bei Austria Wien reduzieren.“ Schneider hätte mit einigen anderen Beobachtern gerne erlebt, wohin Löw den VfB geführt hätte: „Noch heute behaupten Menschen, daß der VfB damals die große Chance verpaßt habe, etwas Bleibendes zu schaffen. Am Ende blieben zwei Parteien, die verloren hatten: Auf der einen Seite der Klub, der mit dem Nachfolger Winfried Schäfer ein Waterloo erlebte. Auf der anderen Seite der Jungtrainer Löw, als ‚netter Herr Löw‘ tituliert. Er wurde dieses Stigma, zu weich für diese rauhe Fußballwelt zu sein, nie mehr ganz los. Wo das Vorurteil herrührt, ob es gerechtfertigt war, das fragte niemand mehr.“

Doch wo und warum hat Löw die Spur nach oben verlassen? Schneider findet den Karriereknick in Löws Ungeduld, die ihn auf erstbeste Pferde, zum Beispiel Austria Wien und Fenerbahce Istanbul, hat setzen lassen: „Statt auf eine wirkliche Chance zu warten, vertraute er sich solchen Arbeitgebern an, die von Turbulenzen erfaßt oder von wenig zimperlichen Magnaten geführt wurden. Die Sehnsucht nach Fußball ließ ihn unvorsichtig werden.“ Löws Arbeit unter Klinsmann wertet Schneider als Gewinn: „Erst im Schoße des DFB fand Löw an der Seite von Klinsmann eine wirkliche berufliche Heimat. Erst dort schärfte er sein Profil, brachte seine Persönlichkeit so in der Öffentlichkeit durch, wie sie seinem wahren Charakter entspricht.“ Philipp Selldorf (SZ) stimmt zu, auf Löws enorme Befugnisse als Klinsmanns Co-Trainer verweisend: „In seiner halbautonomen Rolle setzte er eigene Beschlüsse durch, zum Beispiel die Nominierung David Odonkors für den WM-Kader.“

Als Vorzug betrachtet Osterhaus die Tatsache, daß der Trainer Löw in der Schweiz ausgebildet und sozialisiert worden ist, „deren an Erfolgen nicht eben reiche Fußballtradition es erst gar nicht erlaubt, in Selbstgefälligkeit zu verfallen. Wahrscheinlich rührt daher die Haltung, neue Methoden nicht ungeprüft als Unfug zu verwerfen und den Spielern Gummibänder anzutragen, wenn es ihm sinnvoll erscheint.“

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