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Schattenboxen

Oliver Fritsch | Freitag, 15. September 2006 Kommentare deaktiviert für Schattenboxen

Der HSV wird beim 1:2 gegen Arsenal Opfer einer Regel und seiner Abwehrschwäche

Aus der 1:2-Niederlage des Hamburger SV gegen Arsenal gewinnt die deutsche Presse zwei Erkenntnisse: Erstens müsse eine Regeländerung her, denn daß gegen den HSV ein Elfmeter verhängt wird und er zugleich auf seinen Torhüter Sascha Kirschstein in Folge einer Roten Karte verzichten muß, wird als doppelte Strafe gewertet. „Kirschstein als Opfer der Fifa-Regel, die Regel gehört dringend abgeschafft“, klagt die FR; die Bild-Zeitung fordert das Ende des „Rot-Schwachsinns“. Franz Beckenbauer, der Fernsehexperte, soll sogar in der Halbzeit den Schiedsrichter eine Visite abgestattet haben.

Jörg Marwedel (SZ) hält ein Plädoyer für eine maßvollere Strafe bei einer Notbremse: „Der Schiedsrichter hat eine Diskussion ausgelöst, der sich die innovationsfreudigen, aber oft übereifrigen Regel-Bürokraten der Fifa nicht entziehen sollten, wenn sie nicht auch in Zukunft manchem Fußballspiel auf diese unschöne Art früh seinen Zauber nehmen wollen. Zu diskutieren ist außerdem: Hatte der Schiedsrichter in der Situation wirklich nur einen dermaßen kleinen Ermessensspielraum? Oder handelte es sich um eine fatale Überinterpretation des Notbremse-Paragrafen? Schließlich waren hinter Kirschstein zwei Hamburger Abwehrspieler auf die Torlinie geeilt, so daß van Persie eine gute, aber keineswegs todsichere Torschuß-Position hatte.“

Ralf Köttker (Welt) pflichtet bei: „Es ist überfällig, den Schiedsrichtern mehr Spielraum bei der Ahndung solcher Situationen zu geben. Wenn die Torchance durch eine gesundheitsgefährdende Aktion verhindert wurde, ist die geltende Regel und die anschließende Sperre richtig. In harmloseren Fällen ist sie überzogen. Ein Torhüter beispielsweise, der einen Gegenspieler im Strafraum ohne übertriebene Härte zu Fall bringt, muß mildernde Umstände bekommen. In solchen Fällen reichen auch der Elfmeter und eine Gelbe Karte.“ Frank Heike (FAZ) hebt den spielzerstörenden Charakter der Entscheidung hervor: „Im Grunde war alles Schattenboxen, was nach dieser zehnten Minute passierte: Man hatte nie das Gefühl, daß der HSV in Unterzahl eine Siegchance besaß. Man hatte nie das Gefühl, daß Arsenal alles zeigen mußte.“ Für die Bild-Zeitung ist es ohnehin kein Elfmeter, sie spricht vom „Schwalben-Skandal“.

Wir sind sehr dafür, daß sich was ändert

Schiedsrichter Knut Kircher bedauert in einem SZ-Interview, daß er einem Spieler nach einer Notbremse im Strafraum die Rote Karte zeigen muß: „Glauben Sie mir, wir Schiedsrichter sind die letzten, die auf dieser Regelauslegung bestehen, ich glaube, daß ich da auch für die meisten meiner Kollegen spreche. Wir würden sehr befürworten, wenn man sagt: Bei einer Notbremse im Strafraum reicht es auch, wenn man Elfmeter und nur Gelb gibt – egal, ob die Notbremse vom Torwart oder einem Abwehrspieler kommt. Vom Sinn und Geist der Regeln her würde ich die Sanktionierung per Elfmeter für ausreichend und angemessen halten: Ein Elfmeter ist genauso eine Eins-gegen-Eins-Situation wie der Alleinlauf zuvor auch. Natürlich ist die Notbremse ein kräftiges Vergehen, weil sie ein Tor verhindert, aber ein Elfmeter ist ja auch eine kräftige Strafe. Deshalb haben einige Schiedsrichter, darunter Markus Merk, der Uefa signalisiert, daß eine andere Regelauslegung an uns nicht scheitern soll. Wir wären sogar sehr dafür, daß sich da was ändert.“

BLZ: Die Rote Karte für HSV-Keeper Kirschstein im Spiel gegen Arsenal sorgt für Regeldiskussionen

Es ist noch keine Mannschaft

Zweitens gibt es dessenungeachtet große Zweifel an der Champions-League-Tauglichkeit der Hamburger; die Behauptung, in Gleichzahl hätte seine Mannschaft gewonnen, lassen die Journalisten dem HSV-Trainer Thomas Doll nicht durchgehen. Andreas Rüttenauer (taz) legt den Finger in die Abwehrwunde: „Die Diskussionen, ob der Strafstoß berechtigt war, nervten ebenso schnell wie die Beteuerung beinahe aller am Spiel Beteiligter, daß die Rote Karte nicht hätte sein müssen. Niemand ging auf die Situation ein, die dem vermeintlichen Foul des Torwarts vorausgegangen war. Warum nur durfte der Londoner so unbehelligt flanken? Und warum darf ein gegnerischer Stürmer so unbedrängt vor dem Tor herumstehen? Es war die Szene, die am besten veranschaulicht, daß es noch viel zu tun gibt beim HSV. Wenn sie in der Abwehr weiter derart schlampig agieren, dann werden sie wohl so schnell nicht hinauskommen über den Staus eines Kleinen in Europa – auch wenn sie noch so wacker kämpfen und rennen.“

Auch Heike will sich nicht vom Sportlichen ablenken lassen: „Doll wandelt im Willen, sein Team zum moralischen Sieger zu machen, am Rande der Schönrednerei. Natürlich hat der HSV zu zehnt wacker gekämpft; aber gegen Arsenal sind die tatsächlichen Probleme der Hamburger deutlich wie unter einer Lupe zu sehen: Das Team sucht Ordnung und Hierarchie, es sucht die passende Staffelung auf dem Feld und eine Formation im Mittelfeld, die sich vertraut. Es ist noch keine Mannschaft, die dort auf dem Rasen steht.“ Marwedel hingegen urteilt gemäßigter: „Die erste Prüfung des HSV auf höchster europäischer Ebene seit bald sechs Jahren fiel auch ohne jene Schlüsselsekunde gemischt aus. Zwar hatten die Hamburger mit entschlossenem Tempofußball losgelegt. Andererseits legte das stark verjüngte Arsenal-Team auch ohne den verletzten Weltklassestürmer Thierry Henry und den nur auf der Bank sitzenden Frederik Ljungberg mit präzisen Kontern die Abstimmungsprobleme in der neu formierten HSV-Defensive bloß.“

Blaue Tore

allesaussersport hört das Gras wachsen: „Täusche ich mich oder fand in den letzten Tagen so etwas wie ein verkapptes Bewerbungsgespräch von Jens Lehmann in Hamburg statt? Lehmann ist nicht wirklich als Plaudertasche bekannt, fand aber in den letzten Tagen im Fernsehen und in den hiesigen lokalen Blättern erstaunlich häufig die Gelegenheit den HSV, das HSV-Management und die ‚wunderschöne‘ Stadt zu loben, inklusive der immer noch vorhandenen Lichtinstallation ‚Blaue Tore‘.“

Welt: Real Madrid, geblendet vom eigenen Glanz

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