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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Kein Stark, kein Schwach, nur Einerlei

Oliver Fritsch | Montag, 2. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Kein Stark, kein Schwach, nur Einerlei

Pressespiegel des 6. Spieltags: Die Presse wertet die neue Ausgeglichenheit der Bundesligatabelle als Beweis für mangelndes Niveau / Ideen- und reglose Bayern / Bremen nutzt die Initialzündung Barcelona in der Bundesliga / Aachen gewinnt und weiß nicht wie und will viel richtig machen gegen Rassismus

Die Presse wertet die neue Ausgeglichenheit der Bundesligatabelle als Beweis für mangelndes Niveau. Dabei mußte oft genug der gegensätzliche Befund, nämlich daß, wie in den letzten Jahren, eine starre und steile Hierarchie die Tabelle im Griff hat, für den gleichen Schluß herhalten. Sicher, daß die Bundesliga ein Problem hat – wer traut sich in diesen Tagen, diesem Urteil zu widersprechen? Doch an der Tabellenarithmetik läßt sich jede Erkenntnis über die vermeintliche Qualität einer Liga belegen und gleichzeitig ihr Gegenteil. Also alles und nichts. Also nichts. Man könnte es ja auch als gutes Zeichen werten, daß Wolfsburg, der Letzte, Bayern, den Meister und Ersten, schlagen kann – auf jeden Fall aber als ein erfreuliches und als etwas Erstrebenswertes. Doch von Freude ist in den Kommentaren von heute wenig zu spüren (was am Ende daran liegen könnte, daß der Paukenschlag des Spieltags vom VfL Wolfsburg stammt, der das Image einer Fußballretortenstadt nicht loswird, und nicht von Mainz 05).

Roland Zorn (FAZ) erkennt kein Stark und kein Schwach, nur Einerlei: „Der Trend heißt Mittelmaß, wohin das Auge schaut, und Labilität, wo immer um Punkte gekämpft wird. Halbheiten und Unzuverlässigkeit kennzeichnen das Erscheinungsbild der höchsten deutschen Spielklasse von oben bis unten. Oben? Unten? Wer heute an der Tabellenspitze mitmischt, kann morgen schon im Kellergeschoß gelandet sein. Wenn allen der Blick auf die Tabelle eher peinlich bis lästig ist, kann etwas nicht stimmen mit der Qualität der angebotenen Ware. In dieser Jo-Jo-Klasse hätte sogar Energie Cottbus den Platz über allen anderen erobern können, wären sie nur konsequenter im Nutzen ihrer Gelegenheiten gewesen.“

Alibi

Markus Völker (taz) beschreibt den deutschen Klubfußball als Ödnis: „Die deutsche Liga ist lau. Die Vereine krebsen über die internationale Bühne. Der Uefa-Cup ist unerreichbar, die Champions-League-Trophäe sowieso. Das Nationalteam muß erst von einem egomanen Sonderling aus Kalifornien auf Vordermann gebracht werden, damit was geht. In der Liga sind solche Kauze weit und breit nicht zu sehen, von Hans Meyer vielleicht einmal abgesehen. Von Erleuchtung oder Beseelung keine Spur.“

Andreas Burkert (SZ) befaßt sich mit der Gebrechlichkeit des FC Bayern und macht die neue Bescheidenheit dafür verantwortlich: „Zwar liegt man im Trend einer Liga, deren Wettbewerb zurzeit einem absurden Schneckenrennen gleicht: Ich kann nicht, nimm‘ doch bitte du die Tabellenspitze! Diese fußballerische Neufassung der Chaostheorie unterhält das Publikum prächtig – der FC Bayern jedoch dürfte die Renaissance des Unvorhersehbaren als alarmierend werten. Daß die Umgestaltung des Teams von Rückschlägen begleitet sein würde, ist wohl eingeplant gewesen. Doch die Pannenserie mit echten und gefühlten Mißerfolgen – Bochum, St. Pauli, Nürnberg, Bielefeld, Aachen, Wolfsburg – ist bereits derart lang, daß sie ein tiefer liegendes Problem andeutet. Denn das Team hat vor dieser Saison der Erneuerung von den Klublenkern ein Alibi geliefert bekommen: Man dürfe durchaus auch mal Zweiter werden, kein Problem. Das war gut gemeint, doch offenbar bekam es der Gruppe gar nicht gut.“

Keine Reaktion auf die Blamage

Frank Heike (FAZ) findet in Bayern München keine wärmende Stelle: „Es war erschreckend, wie ideenlos die Bayern ihr Pensum abspulten. Falls irgendjemand aus Mailand irgendwann dieses Spiel ohne Unterhaltungswert sehen sollte, wird er sich entgeistert an den Kopf fassen und fragen, ob es mehrere Versionen dieses FC Bayern München gibt. Schöner, kreativer, herzerwärmender spielen, das wollen die Bayern ja schon lange, und besonders in dieser Saison sollte das Augenmerk auf attraktivem Fußball liegen. Magath, seit dem Sieg in San Siro mit neuem Kredit der Oberen ausgestattet, wird da viel zu tun haben und am Ende vielleicht doch wieder in seiner Meinung recht behalten, nach der Siege einfach das Attraktivste sind, was der Fußball zu bieten hat. Beckenbauer und Rummenigge haben eine andere Sicht auf die Dinge des Fußball-Lebens.“

Andreas Lesch (BLZ) hält das Geständnis Felix Magaths, seiner Mannschaft falle es schwer, gegen defensive Teams aufs Tor zu schießen, für eine Ausrede: „Diese Sätze muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Da redet sich der FC Bayern, der selbsternannte Vorreiter des deutschen Fußballs, der üppig besetzte Edelklub, der Verein mit dem am prallsten gefüllten Festgeldkonto der Republik, einen handfesten Außenseiter-Komplex ein. Da behauptet Magath allen Ernstes, seiner Mannschaft fehlten die spielerischen Mittel, um gegen Gegner von den Rändern der Bundesliga zu bestehen. Diese Argumentation hat das Zeug zum Witz des Monats. Es war erstaunlich, wie lustlos der amtierende deutsche Meister bei einem Abstiegskandidaten drei Punkte verschenkte. Noch irritierender aber war, wie ungerührt er auf die Blamage reagierte.“ Burkert rechnet mit einer Abreibung für die Bayern-Profis: „Und so nehmen die Bayern nicht die Hochgefühle von Mailand mit in die Spielpause, sondern ein schauriges Déjà-vu und die Ahnung, kaum vorangekommen zu sein bei den Renovierungsarbeiten einer von unmodischen Mustern dominierten Mannschaft. Wiederholungstäter kommen gewöhnlich nicht straffrei davon, und Uli Hoeneß, das nebenbei, gilt ein Verfechter der Gerechtigkeit. Sein erregtes Schweigen, davon ist auszugehen, ist nur die Einleitung seines Urteilsspruchs.“

Tsp: Die Bayern sind nicht einmal überrascht, daß sie in Wolfsburg verloren haben

Initialzündung gegen Barcelona

Christian Kamp (FAZ) sieht Bremen nach dem 3:0 gegen Mönchengladbach wieder auf dem richtigen Weg: „Die Gelassenheit der Führungsetage, neue Harmonie auf dem Platz, dazu gute Personalentscheidungen von Schaaf, der gegen Gladbach aufs neue dem erfrischenden Hunt vertraut – das alles mögen Gründe dafür sein, daß die Bremer jetzt in Tritt kommen. Für die Initialzündung aber – darüber waren sich alle einig – hat die Mannschaft selbst gesorgt: mit der beeindruckenden Leistung gegen den FC Barcelona.“

Alles gut gemeint – und schlecht gemacht

Christoph Biermann (SZ) verliert nach der Niederlage Bochums in Aachen den Glauben an Fußballgesetze: „Man wird die Fußballgeschichte nicht umschreiben müssen, aber eine der berühmtesten Mahnungen zumindest überdenken: Sepp Herberger hat einst gesagt, das Spiel dauere 90 Minuten, und stets wurde das so verstanden, daß man sich eben auch in den letzten Minuten noch konzentrieren muß. Nun offenbarte die Partie jedoch den seltsamen Umstand, daß die Aachener daran im engeren Sinne aktiv nur eine Minute teilnahmen. Genau 57 Sekunden dauerte kurz nach der Halbzeitpause die Zeitspanne zwischen ihrem Ausgleich und dem Tor zum 2:1. Vorher und auch nachher waren die Alemannen ihren Gästen spielerisch wie kämpferisch und von der Zahl der Torchancen her so deutlich unterlegen, daß sie wahrscheinlich noch immer rätseln, womit sie diesen Sieg verdient hatten.“ Bernd Müllender (taz) wirft die Bild am Sonntag in die Ecke: „Das Kompetenzblatt jubelte den schwachen Schlaudraff (‚Aachen schlau drauf‘) in den Himmel und benotete die Aachener Spieler besser als die Bochumer. Immer auf die Sieger, immer mit den Glücklichen. So viel leistungsdiskriminierender Kotau ist noch grotesker das Spiel.“

Aachens gutgemeinten Versuche, den rassistischen Gesängen des letzten Heimspiels entgegenzuwirken, provozieren bei den Journalisten Häme und Schmunzeln. Müllender wendet sich ab: „Ins Kuriositätenkabinett für deutschen Gutmenschengeist schaffte es der offizielle Alemannia-Antirassismus-Spot, eilig in dieser Woche produziert: Neben inhaltlichen Schnitzern (Linksfuß Emil Noll schießt mit rechts) mußte Kapitän Reiner Plaßhenrich aufsagen: ‚Die Hälfte aller Tore werden von Ausländern geschossen.‘ Und die andere Hälfte werden als Eigentore von depperten Werbeagenturen erzielt? ‚Mohr&More‘ heißt die pluralistische Firma und nennt sich ‚Offizielle Lead-Agentur der Alemannia Aachen‘. Vielleicht hätten ein halber Sarottimohr bessere Lead-Deutsch gekonnten.“ Biermann grient: „Als eine Gruppe Fans die Gäste als ‚Ruhrpottkanacken‘ beschimpfte, verebbte der Sprechchor ganz schnell wieder, so als würden sich alle fragen, ob man das noch rufen dürfe. Eine politisch korrekte Version setzte sich nicht durch, die Alternative ‚Ruhrpottbewohner, ihr seid Ruhrpottbewohner‘, verhallte ohne Resonanz.“

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