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Mourinhos schwarze Reiter

Oliver Fritsch | Donnerstag, 2. November 2006 Kommentare deaktiviert für Mourinhos schwarze Reiter

Wenn Barcelona und Chelsea spielen, kommt immer Schönes und Böses heraus; besonders José Mourinho bleibt der böse Junge

Eine Horde Orks

2:2 in Barcelona – Chelsea-Coach José Mourinho ist der Bad Guy des europäischen Fußballs. Matti Lieske (BLZ) stellt seine Spieler als schwarze Reiter dar: „Erst in dieser Saison hat sich die dunkle Seite der schillernden Persönlichkeit Mourinhos in vollem Maß auf seine Mannschaft übertragen. Das Team hat einen schlechten Charakter, und selten trat dieser deutlicher zutage als beim FC Barcelona. Dessen Spieler sind ebenfalls mit allen Wassern gewaschen und dem rohen Spiel keineswegs abhold, doch angesichts der systematischen Gewalt des FC Chelsea wirkten Winzlinge wie Messi, Giuly oder Xavi phasenweise wie verschüchterte Hobbits, die in eine Horde Orks geraten sind. Bei Chelsea gibt es keinen Zweikampf ohne Foulspiel, kein Kopfballduell ohne Ellbogenstoß, kein Tackling ohne zusätzlichen Tritt. In völlig unenglischer Weise lamentieren die Spieler zudem gegen jede Schiedsrichterentscheidung und lassen sich theatralisch fallen – ein Vorgehen, für das Didier Drogba sogar regelmäßig im eigenen Stadion ausgepfiffen wird.“ Doch, und da ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens, prophezeit Lieske den Mißerfolg der Bösen: „Barcelona fiel auf Mourinhos Strategie der Eskalation herein, ließ sich anstecken und zahlte den Preis dafür. Andere Teams werden klüger sein. Ein Team, das sich über weite Strecken so wenig fürs Fußballspielen interessiert wie der FC Chelsea, muß früher oder später scheitern.“

Felix Reidhaar (NZZ) fügt hinzu: „Die Blues schienen sich am Vorabend von Halloween vor den Geistern zu fürchten, derart aufgeschreckt und unzimperlich gingen sie in die Zweikämpfe, deren Beurteilung praktisch nie nach ihrem Geschmack ausfiel. (…) Barcelona hat defensive Stabilität eingebüßt – mindestens gegen einen Herausforderer dieses Kalibers.“

Das Beste und das Schlechteste

Christian Eichler (FAZ) fühlt sich einerseits vom Treiben auf dem Spielfeld hingezogen, andererseits angewidert: „Die beiden wohl stärksten Klubteams Europas lieferten ein schönes Feuerwerk feiner Fußballkunst. Doch zugleich war, auch das typisch fürs aufgeputschte Duell, die Partie über weite Strecken zerrissen: durch echte Fouls und falsche Blessuren, ständiges Reklamieren und ‚Rudelbilden‘ – all die systematischen Aggressionen und zähen Betrugsversuche, die Fußball auf höchster Ebene oft nicht wie ein anständiges Spiel, sondern wie organisierte Kleinkriminalität aussehen lassen.“ Auch Eichler hält Mourinho eitles Gepolter vor: „Als Trainer von Welt muß man verbal seine Taktik durchziehen. Die von Mourinho ging etwa so: Wir waren umzingelt, von Feinden und Schwalben und einem Schiedsrichter, der gegen uns war, aber wir haben es ihnen gezeigt. Er weiß: Fußball lebt von Fakten, aber auch von der Fiktion. Mourinhos Spielchen war so durchschaubar wie wirksam: vor dem Spiel die anderen entrüstet als Schwalbenkönige beschuldigen – um dann herzhaft zu treten und sich nachher sogar noch als Opfer hinstellen zu können.“ Schließlich hofft er auf eine längere Atempause: „Nach sechs hitzigen Duellen in 19 Monaten läßt das Los nun hoffentlich Ruhe einkehren in die Beziehung des spanischen und des englischen Champions. Ihre Begegnungen bringen zwar das Beste aus beiden hervor; aber zunehmend auch das Schlechteste.“

Der Welt entnehmen wir, daß Mourinho, der früher Übersetzer in Barcelona war, die Pressekonferenz verlassen habe, während die Übersetzerin seine Worte wiedergab: „Eigene Erfahrung hindert ihn nicht daran, die letzte Demütigung seines polemischen Gastspiels einer Nachfolgerin im Amt zukommen zu lassen. Er ging hinaus und ließ die verstörte Dame mit seinen Worten allein.“

Glaubt der Klub wirklich, er könne die Gesetze des Sports ignorieren?

Ronald Reng (FR) findet seine Liebe zu Barcelona nur noch (oder immerhin) in Spuren: „Barça, das vergangene Saison auf ungekannte Weise Schönheit und Erfolg einte, hat sich im Herbst danach ein Stück weit von der Außergewöhnlichkeit entfernt. Das ist keine Überraschung, denn Einmaligkeit läßt sich schwerlich wiederholen. Den Vergleich mit dem Vorjahr wird Barça nicht mehr gewinnen. Es ist wieder eine ganz normale Spitzenelf, Tabellenführer in Spanien, in Europa momentan jedoch nicht Erster unter Gleichen. Die Partie lieferte ein exaktes Röntgenbild des immer noch tollen, aber gelandeten Barça. (…) Doch es ist noch immer Barça, das die Magie hütet. Die Tore von Deco und Eidur Gudjohnsen nach bahnbrechender Vorarbeit von Ronaldinho waren Meisterstücke. Allein, die Wunder bleiben derzeit Bruchstücke, sie bilden kein Gesamtwerk mehr.“

Frank Lampards Tor läßt Reng die Zunge schnalzen und das Getrete vergessen: „Es war ein Spiel im Elektrizitätswerk, unter der Aufschrift Achtung: Hochspannung! – mit viel zu viel Furor, wilden Fouls, überbordender Lust auf Revanche, bösen Fehlern, aber dazwischen immer wieder Momenten überwältigender Klasse. Einen einzigen Meter vor der Torlinie, acht Meter links vom Tor, drehte sich Lampard um die eigene Achse und hob den Ball mit rechts aus totem Winkel ins entfernte Toreck. Es schien eine physikalische Unmöglichkeit zu sein. Die, die machtlos erleben, wie ihr Gehirn gegen ihren Willen Details von Fußballspielen speichert, werden dieses Tor für immer bewahren.“

Sehr kritisch kommentiert Reng, daß der FC Barcelona seine Spieler schlecht auf die Saison vorbereitet habe: „Der Sommer lastet noch immer auf ihnen. Die Spieler, die bei der WM auftraten, verpaßten das Trainingslager. Dann schickte sie der Klub direkt auf eine Schautournee nach Amerika. Als die Saison begann, hatten Spieler wie Ronaldinho oder Deco fünf Trainingseinheiten absolviert. Glaubt der Klub wirklich, er könne die Gesetze des Sports ignorieren? Wann wird endlich der erste Spieler aufstehen und sagen: Ich mache diese irrsinnigen Schautourneen nicht mit, kürzt mir dafür gerne auch mein Gehalt?“

NZZ-Interview mit Louis van Gaal, Alkmaars Trainer: „Anfang 2005 konnte ich wählen zwischen Manchester City, Alkmaar und … (denkt nach) Dortmund oder Schalke, ich weiß es nicht mehr. (…) Ich mag den FC Bayern München zum Beispiel sehr und sollte dort auch schon Trainer werden. Aber immer zur falschen Zeit.“

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