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Bundesliga

Wir können auch Meister werden

Oliver Fritsch | Montag, 7. Mai 2007 Kommentare deaktiviert für Wir können auch Meister werden

Pressestimmen zum 32. Spieltag: Kevin Kuranyi, Führungsspieler Schalkes / Blühende Fußballandschaft Schwaben / Lustlose Gladbacher und lustlose Bayern / Tapfere Bochumer / Launische Frankfurter / Mutlose Mainzer / Leichtsinnige Wolfsburger

Philipp Selldorf (SZ) schildert den Statusgewinn Kevin Kuranyis und seine Bedeutung für Schalkes Aufschwung: „In Schalke ist der jahrelang nicht erwartbare Zustand eingetreten, daß Kuranyi unersetzlich geworden ist, was nicht nur daran liegt, daß er regelmäßig die wichtigen Tore schießt. Nie war Kuranyi so gut wie heute, das steht fest. Aber es hat auch noch nie einen Kuranyi wie den heutigen gegeben: Sein Wert bemißt sich nicht nur in seinen Toren (bisher 15) und Torvorlagen (11), sondern ebenso in seinem inspirierenden Engagement als kämpferischer Spieler (und Ballräuber) und seiner moralischen Wirkung als verbaler Antreiber. Kuranyi war wegen seines Charmes immer schon beliebt in seinen Teams, aber nie haben seine Mitspieler und Vorgesetzten mit so viel Achtung von ihm gesprochen.“

Oliver Trust (Tagesspiegel) nennt die Schlüssel des Stuttgarter Erfolgs: „Anders als bei Bayern oder Werder muß sich in Stuttgart keiner um den Betriebsfrieden sorgen. Keine der Stammkräfte will weg, die Verträge der Schlüsselspieler sind verlängert. Und schließlich ließ es sich bislang mit Leidenschaft und Tempofußball prächtig leben im Windschatten der Platzhirsche. Eine Mischung aus Spiellust, Konzentration, Selbstvertrauen und Unbekümmertheit entfaltet die Kraft der Mannschaft.“ Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) beschreibt eine blühende Fußballandschaft: „Der VfB ist der Tip im Roulette um die deutsche Meisterschaft. Nach einer WM, die von schwäbischer Innovation geprägt war, erscheint die neue schwäbische Fußballherrlichkeit wie eine nationale Entsprechung. Und ist es mit Ralf Rangnick nicht auch ein Schwabe, der jetzt die TSG Hoffenheim aus dem Kraichgau in die Zweite Bundesliga geführt hat? Die Mission begann im Kriechgang. Rangnick war in der Frühphase der Saison ähnlich kritisch gemustert worden wie Armin Veh. Wir können alles außer Hochdeutsch, heißt es in der Werbekampagne des Musterländles. Wir können auch Deutscher Meister werden, könnte es demnächst heißen.“

Wo bleiben die Buhs?

Gregor Derichs (FAZ) läßt den Bayern und den Gladbachern ihr schlechtes Spiel nicht durchgehen: „Die Gladbacher lieferten zunächst eine Vorstellung ab, die viele Zuschauer mit höhnischen Gesängen bedachten. In der zweiten Halbzeit lösten dann die Bayern die Gastgeber bei der Demonstration von Lustlosigkeit ab. Bei ihren Argumenten für das halbherzige Gekicke waren sich die Gladbacher und die Münchner Chefs einig: Zu viele Darsteller haben mit ihren Vereinen schon abgeschlossen und denken an die nächste Saison mit neuen Arbeitgebern.“ Ulrich Hartmann (SZ) empfiehlt den Bayern mehr Geduld mit ihrem Nachwuchs: „Vor einigen Monaten haben die Münchener mal ihren Ausstoß gemessen, nicht den Feinstaub vom Mannschaftsbus, sondern ihren nationalen Exportwert, also wie viele Fußballer aus der Talentschule des FC Bayern es deutschlandweit in die erste oder zweite Liga schaffen. Der Wert war ausgezeichnet. In den vergangenen acht Jahren sind im Schnitt sechs von zehn Nachwuchsspielern aus dem Bayern-Regionalliga-Team in der ersten oder zweiten Liga gelandet. Diese Zahl ist ein Gütesiegel für die Jugendarbeit des Klubs, und es war auch kein Zufall, daß in der Münchner Startelf vier solche Spieler in der Startelf standen. Und doch bringt das dem Bayern-Nachwuchs perspektivisch nicht viel, denn zur kommenden Saison werden in einem Akt des brachialen Neuaufbaus bis zu sieben neue Spieler eingekauft.“

„Wenn die Spieler die ganze Woche lesen, daß sie fehl am Platze sind, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn nicht bis zum letzten Blutstropfen gekämpft wird.“ Dieser Satz von Uli Hoeneß bewegt Klaus Hoeltzenbein (SZ) zu einem verärgerten Vergleich zwischen Fußball und Bühnenkunst: „Es wäre am Residenztheater kaum vorstellbar, dass sich nach Spielende der Intendant vor den Vorhang schiebt: Nun gut, verehrtes Publikum, Sie werden’s gemerkt haben, unsere Magd war fahrig, sie ist in Gedanken schon am Thalia in Hamburg; der Bauer hat gestottert, aber, ich sag’s Ihnen im Vertrauen, er wechselt an die Volksbühne Berlin; und unser Großknecht, der Wastl, bitte, haben Sie Verständnis: Trennungsschmerz, sehr unentschlossen, der Gute, ob Düsseldorf, Bochum, oder doch lieber das Ausland, Zürich, vielleicht … Nur Buhs, keine Bravos – und die Kritiker würden mit ihren Spiralblöcken auf den Intendanten zielen. Sehr wohl lassen sich Theater und Fußball vergleichen. Beide wetteifern um die Gunst des Publikums, nur läßt sich dieses im Fußball mehr gefallen.“

Vom Glauben abgekommen

Christof Kneer (SZ) staunt enttäuscht über die hängenden Köpfe in Mainz und versucht, den Klub mit einer Pointe zu pieksen: „Abgestiegen sind die Mainzer noch nicht, aber es kommt ihnen so vor. ‚Wir stellen uns schon mal darauf ein, daß wir in die zweite Liga gehen‘, sagt Präsident Strutz, der einen ‚gefühlten Abstieg‘ diagnostiziert. Das klingt einerseits realistisch und andererseits doch erstaunlich für einen Klub, der sich in den letzten drei Jahren einen Sport daraus gemacht hatte, das Schicksal auf Linie zu zwingen. Jene Chance, die sie nie hatten, haben die Mainzer von Anfang an eindrucksvoll genutzt, sie haben den Besserverdienern ihre Überzeugung und ein schlaues Spielsystem entgegengehalten – am Ende des dritten Erstligajahres aber wird man das Gefühl nicht los, als sei Klopps Glaubensgemeinschaft vom Glauben abgefallen. Die Überzeugungstäter haben ihre Überzeugung verloren. Das Problem der Mainzer ist, daß sie nicht mehr glauben, daß sie’s können. In den letzten beiden Jahren war das Glauben einfacher, da wußten sie, daß sie sich hinten auf Abel, in der Mitte auf da Silva und vorne auf Thurk verlassen konnten. Vor dieser Saison aber haben sie all diese Spieler an die Konkurrenz verloren und mit ihnen auch den Glauben. Am Samstag hat da Silva zwar mit prächtigem Paß ein Tor vorbereitet, dummerweise aber im Trikot des VfB Stuttgart, und nach dem Schlußpfiff schritt er traurig die Mainzer Linien ab. Er hat sie alle in den Arm genommen, und es sah aus, als hätte er ihnen fest versprochen, nächstes Jahr das Montagsspiel im DSF zu gucken.“

Solidarpakt zwischen Mannschaft und Fans einseitig gekündigt

Ralf Weitbrecht (FAZ) billigt die Frankfurter Leistung gegen Aachen, rügt jedoch die neue, alte Launenhaftigkeit: „Daß die Eintracht allen Widerständen trotzte und sich nach einem beherzten Stück Fußball zu ihrer besten Saisonleistung aufschwang, paßte so schön in die derzeitige Gemengelage der Eintracht. Warum nicht immer so? Das mögen sich viele der Zuschauer gefragt haben. Warum kann Sensibelchen Albert Streit nicht immer so auftrumpfen wie gegen die Alemannia? Und warum kann die Mannschaft, von Trainer Funkel zum 32. Mal in dieser Saison personell ins Rotieren gebracht, nicht öfter so wie gegen Aachen Fußball aus einem Guß zeigen? (…) Doch was wird aus Friedhelm Funkel? Seit drei Jahren schon leistet er sportliche Aufbauarbeit, schien zuletzt aber an Grenzen zu stoßen, weil sich die Mannschaft nicht entscheidend weiterentwickelt hat.“

Jan Christian Müller (FR) geht mit den zwei Stars ins Gericht: „Aachen verlor in Frankfurt 0:4. Albert Streit hatte gewonnen – und Jan Schlaudraff hatte gewonnen. Denn jeder hatte gesehen, daß der bis Mitte der Rückrunde zwischenzeitlich erreichte Tabellenplatz dieses Unterdurchschnittsteams weit weg von den Abstiegsrängen vor allem dank seines außergewöhnlichen individuellen Könnens erreicht worden war. Schlaudraff wird nächste Saison mit den Bayern um den Titel spielen, Streit bei Schalke 04. Aachens Trainer Michael Frontzeck aber muß seine Demission trotz laufenden Vertrags auch für die zweite Liga noch viel mehr ins Kalkül ziehen als Friedhelm Funkel selbst im Fall des Klassenerhalts.“

Sehr lesenswert: Ein Hintergrundbericht (FAZ) über die dunklen Seiten des Transfergeschäfts

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) redet den Aachener Fans ins Gewissen: „Daß Alemannia Aachen zwei Spieltage vor Schluß überhaupt noch die Chance hat, in der Bundesliga zu bleiben, ist eine grandiose Leistung. Daß die Aachener aller Wahrscheinlichkeit trotzdem absteigen, macht es ihren Fans allerdings schwer, diese Leistung gebührend zu würdigen. Ihre Enttäuschung ist ebenso angemessen wie unangemessen. Eigentlich haben die Aachener von Anfang an gewußt, daß sie nur in der Bundesliga spielen, um dagegen zu kämpfen, nicht mehr in der Bundesliga spielen zu dürfen. Aber sie haben es im Laufe der Saison einfach vergessen. Der Solidarpakt zwischen Mannschaft und Fans, der die Alemannia schon manches Mal vor dem Untergang gerettet hat, ist einseitig gekündigt worden. Die Aachener sind Opfer überzogener Ansprüche.“

Erfolgreiche Kärrnerarbeit in Bochum

Frank Heike (FAZ) erfreut sich an der Tapferkeit der Bochumer, nicht ohne einen Seitenhieb auf die besiegten Hamburger: „Drei Zähler nur stehen die Westfalen hinter dem fünften Platz, nach einer von den in Bochum bestens bekannten Sorgen und Nöten begleiteten Serie könnte es ein triumphales Ende geben für diese namenlose Mannschaft der Grotes, Schröders und Butschers, die nimmermüde rackert, von Koller taktisch bestens eingestellt ist und vorn auf die Tore des famosen Griechen Gekas vertrauen kann. Doch es bleibt ein Drahtseilakt, mit den bekannt geringen Mitteln der Bochumer den Erfolg des Jahres 2007 zu wiederholen. Misimovic geht zum 1. FC Nürnberg, ‚Lebensversicherung‘ Gekas zu Bayer Leverkusen, wieder wird der VfL die Besten ersetzen müssen, die Kärrnerarbeit, die in Bochum zur Berufsbeschreibung des Coaches dazugehört. (…) Dem oft genug großmäuligen Großverein HSV haben die Bochumer wieder einmal gezeigt, was mit Willen und Disziplin zu erreichen ist. Daß sie im Vergleich mit dem HSV arme Schlucker sind, war für den Moment wie ausradiert. Doch daran wird der VfL schon bald wieder erinnert – spätestens, wenn Gekas zum ersten Mal auf dem Mannschaftsfoto der Leverkusener auftaucht.“

Über die Lage in Wolfsburg heißt es bei Claudio Catuogno (SZ): „Mehr aus Trägheit und Selbstüberschätzung denn aus Mangel an Geld und talentiertem Personal treibt der VfL Wolfsburg sich in der Nähe der Abstiegsgrotte herum, und erst wenn die Luke geschlossen wird, versucht er, noch schnell durch einen Spalt nach oben zu flattern.“

Mit solchen Resümees wird man zitiert – Daniel Theweleit (Spiegel Online): „Und am Ende läßt wie nach jedem Spieltag dieser Saisonendphase feststellen: Wie schön ist doch die Liga, wenn die Bayern einmal nicht um diese Schale mitspielen dürfen, die sie doch sowieso längst nur noch langweilt.“

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