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Bundesliga

Stuttgarts Hunger nach Siegen

Oliver Fritsch | Montag, 14. Mai 2007 Kommentare deaktiviert für Stuttgarts Hunger nach Siegen

Pressestimmen zum 33. Spieltag: Die Presse gönnt dem VfB Stuttgart den möglichen Meistertitel / Schalke bekommt nach der Niederlage in Dortmund Häme und Kritik zu lesen / Bremen enttäuscht / Trotz und Zusammenhalt in Mainz – und das Gegenteil in Aachen

Oskar Beck (Welt) erzählt das Gleichnis vom Stuttgarter Schleichen an die Tabellenspitze: „Kennen Sie den? Ein Schwabe kommt zu früh nach Hause, erwischt seine Frau in den Armen eines anderen, zieht seinen Revolver und befiehlt: ‚Stellt Euch hintereinander!‘ Warum erzählen wir diese fast wahre Begebenheit? Weil sie den Vorzug der Schwaben trefflich beschreibt: Die Sparsamkeit dieses Menschenschlags, der selbst in der hitzigsten Lebenslage kühlen Kopf behält und keinen Schuß zuviel abgibt. So haben es auch die Fußballschwaben vom VfB gehalten, seit Monaten. Vor lauter Schalke und Bremen merkte keiner, daß es auch noch den drohenden lachenden Dritten gibt. Selbst als sie die Bayern aus dem Rennen geschossen hatten, haben die Stuttgarter die Rivalen in trügerischer Sicherheit gewiegt und das Konzert der zwei Großen nicht weiter gestört – bis sie die Zeit für reif hielten, um aus dem Schatten zu treten und zu rufen: ‚Stellt Euch hintereinander!‘ So gibt man der Konkurrenz die Kugel.“

Peter Heß (FAZ) warnt den VfB vor seiner neuen Fallhöhe: „Vorsicht, die Schwaben sind schon der vierte große Meisterschaftsfavorit in dieser Spielzeit. Die Bayern waren es vor der Saison, die Bremer in der Vorrunde, Schalke über weite Strecken der Rückrunde – und sie alle strauchelten, obwohl es in jedem einzelnen Fall gute Gründe für den Vorschußlorbeer gab. Armin Veh und Horst Heldt ist es gelungen, eine relativ junge und unerfahrene Mannschaft ständig bei Laune und auf ihrem höchsten Leistungsniveau zu halten. Ihr Hunger nach Siegen und ihr unverkrampfter Umgang mit Rückständen zeichnen die Stuttgarter am meisten aus, die spielerisches Format mit kämpferischem Einsatz verbinden. Ob sie aber dem Druck standhalten, die beste Ausgangsposition zu verteidigen und zu nutzen? Das ist eine Tugend, die der VfB erst noch beweisen muß.“ Die Welt hält fest: „Sollte Stuttgart den ersten Meistertitel seit fünfzehn Jahren holen, würde ihn die beste Mannschaft der Saison gewinnen. Kein anderer Klub hat mit soviel Ruhe, Teamgeist und Zusammenhalt auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet.“

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FAZ-Portrait Timo Hildebrand
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Keine Charakterdarsteller

Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) gibt den Sympathieverlust Schalkes zu bedenken und empfände den Stuttgarter Meistertitel als Happy End: „Die Schalker Niederlage in Dortmund gehorcht der Logik einer verworrenen Saison, in der Schalke lange von der Schwäche der Bayern und der Bremer profitierte und in der sich Stuttgart nun daran macht, die Konfusion des gesamten Trios mit einem sensationellen Titelgewinn zu strafen. Es geschähe auch zur Freude derjenigen (und es sind viele), die es unerträglich gefunden hätten, wenn ein Klub, der seit ein paar Monaten mit dem Emblem des verrufenen russischen Energiekonzerns Gasprom wirbt, für dessen Einstieg auch noch mit dem Titel belohnt würde.“

Christof Kneer (SZ) hält das Scheitern für den Genius loci, also den Geist des Ortes Schalke: „Es dürfte keinen Zweifel mehr daran geben, daß diese Saison als Cup der Angst in die Geschichte eingeht. Den Schalkern hilft es plötzlich nicht mehr, daß sie eine schlüssig gebaute Elf haben, die den 4:38-Minuten-Titel von 2001 lange tapfer verdrängt hat; im entscheidenden Moment spielt die Elf doch wieder, als gäbe es ein historisches Gedächtnis, das sich von Spielergeneration zu Spielergeneration vererbt. Und auch den Bremern fährt trotz pünktlich beiseite geschaffter Turbulenzen ein Zittern ins Gebein, weil sie wissen, daß sie die historisch günstige Konstellation nützen müssen – in einer Saison, in der die Bayern ausnahmsweise kein Faktor im Titelkampf sind. So wären die historisch und auch sonst völlig unbeladenen Stuttgarter ein logischer Titelträger: Sie wollen nichts zwingen, nichts beweisen, nichts bewältigen. Sie wollen nur spielen.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) schreibt enttäuscht von dem Schalker Kleinmut: „Das Duell der Revierrivalen war zum größten Derby aller Zeiten stilisiert worden – umso mehr fiel auf, wie winzig die Schalker in dieser Begegnung wirkten. Sie spielten wie die Karikatur eines Meisterschaftsanwärters: ohne Hirn und ohne Herz, ohne Kraft und ohne Kreativität, ohne Initiative und ohne Ideen. (…) Selten ist ein einziges Fußballstadion mit so viel Schadenfreude gefüllt gewesen.“ Christian Eichler (FAZ) stimmt ein: „Die Spieler schienen gelähmt, nicht körperlich, aber geistig. Sie hatten das Spiel dominiert und doch nichts bewegt, hatten das Spiel kontrolliert, aber dabei völlig jenes Unkontrollierbare vermissen lassen, das ein Meisterteam braucht. In der Drucksituation des Saisonendspurts offenbarten die Schalker Möchtegern-Meister ihre Grenzen, ihre spielerischen vor allem. Das Schalker Ensemble wirkte wie die Besetzung eines aufwendigen Filmes, dem Millionen entgegenfiebern, in dem das Drehbuch, die Kulisse, die Namen stimmen – und in dem am Ende doch etwas fehlt, weil alle ihre Rolle nur herunterspielen. Ohne Esprit, ohne Sinn für Dramatik – etwas Action, aber keine Charakterdarsteller.“

American Arena schlägt den Rückgriff auf klassisch-pädagogische Reiz-Reaktion-Modelle vor: „Jeder im professionellen Sport, der just in dem Moment einbricht, wenn es darauf ankommt, sollte in der nächsten Saison so bestraft werden wie italienische Clubs beim Korruptionsskandal: ab in die zweite Liga. Oder wenigstens ein Strafkonto mit 20 Minuspunkten. Klingt drakonisch, ich weiß. Aber wie sollte man anders einem Team wie dem FC Schalke 04 klar machen, daß es in diesen Wochen um etwas geht, wenn die Belohnung für eine schlampige Leistung in der Teilnahme an der Champions League in der kommenden Spielzeit besteht? Für Ruhrpott-Ehre scheinen sie nicht zu spielen, sonst wäre ihnen gegen Borussia Dortmund nicht so wenig eingefallen.“

Die vier schönsten Spötteleien:

„Rekordmeister der Herzen“ (Financial Times)
„Nur gucken, nicht anfassen“ (BVB-Fans halten im Block eine Meisterschale hoch; ein geklauter Harald-Schmidt-Gag)
„Public Weining“ (Arena)
„Schalke, die größte Salzwassertherme Deutschlands“

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