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Bundesliga

Gerecht sind solche Tore nicht

Oliver Fritsch | Dienstag, 5. Februar 2008 Kommentare deaktiviert für Gerecht sind solche Tore nicht

Eine fatale Fehlentscheidung in Bremen / Kevin Kuranyi, Held und Narr / Leverkusener Renaissance

Klaus Hoeltzenbein (SZ) nimmt das Abseitstor der Bochumer in Bremen zum Anlass, die Regeln und Mittel der Spielleitung zu reformieren: „Wer will diese Tore, die keine sind? Nostalgiker, die sich an den schönsten Irrtümern der Fußball-Geschichte (Hand Gottes, Wembley, etc.) weiden; vermutlich auch die Freunde von Tölpel-TV, die sich an allem erfreuen, was so schiefläuft im Leben. Nur gerecht sind solche Tore nicht, im Bremer Fall indirekt vielleicht sogar meisterschaftsentscheidend, was nie zu beweisen sein wird. Der Fußball leistet sich das pralle Leben mit dem menschlichen Makel, andere Sportarten versuchen, ihn zu reduzieren. Im Tennis hat der mündige Profi inzwischen die Chance, eine festgelegte Anzahl an Entscheidungen anzufechten, beim American Football wirft der Trainer ein rotes Tuch, wähnt er sein Team ungerecht beurteilt. Das löst nicht alle Streitfälle, aber manch offensichtlichen. Mit hohem technischen Aufwand wird seit Jahren versucht, einen Chip in den Ball zu operieren, damit die Tor-oder-kein-Tor-Frage sicher geklärt werden kann. Einfacher wäre es, in den rundum verkabelten großen Ligen des Fußballs zunächst den Oberschiedsrichter zu installieren. Seine Befugnisse wären noch zu klären, aber er könnte helfen, die Zahl grober Rechtsirrtümer zu reduzieren. Mittels jener Bilder, die heute zur Verfügung stehen. Allen, außer dem Schiedsrichter, dem niemand eine Rechts- und Sehhilfe gewährt.“

Frank Heike (FAZ) staunt über die Gelassenheit der Bremer im Umgang mit ihrer Benachteiligung und hat einen Blick für die Sieger übrig: „Sie wollten keine schlechten Verlierer sein. Aber irgendwie kamen Thomas Schaaf und Klaus Allofs immer wieder auf diese Szene in der 67. Minute zurück. In Bremen empfand man diese irrwitzige Episode als Beginn des Unheils, das in der Folge über Werder hereinbrach (…) Erwartungsgemäß interessierte die Bochumer das ominöse Abseitstor gar nicht. Es war ja auch nicht so, dass sie diese drei Punkte überaus glücklich entführt hatten. Sie hatten mutig gespielt und in Shinji Ono einen Mann auf der Bank gehabt, der (spät eingewechselt) für ein Plus an Qualität und Ruhe in den Bochumer Reihen sorgte. Ohne die abgewanderten Gekas, Drobny und Misimovic hat sich der VfL Bochum schon wieder weit von der Abstiegszone entfernt und steht vor Klubs wie Hertha BSC Berlin oder Borussia Dortmund. Marcel Koller muss ein guter Trainer sein.“

Blackout, Ignoranz, Dummheit?

Erst zwei Tore, dann Gelbsperre wegen Trikotausziehen – Richard Leipold (FAZ) schmunzelt über Kevin Kuranyi und hält den unterlegenen Stuttgartern den Spiegel vor ihre schwäbischen Gesichter: „Diese Partie hatte eine Menge von Handlungssträngen produziert, aber am Ende führten alle Wege zu Kuranyi. Ein gedankliches Eigentor, das an diesem Fußballabend alles überstrahlte. War es ein Blackout? War es Ignoranz, am Ende gar Dummheit? Es zeichnet das Fußballtheater aus, dass es zwischen Himmel und Arena-Erde Dinge gibt, die mit Schulweisheit nicht zu erklären sind, schon gar nicht, wenn sie sich in den Köpfen der Profis abspielen. Kuranyi hat nicht bloß Tore geschossen, er hat Freude und Frust gleichermaßen verkörpert. Und er hat auch seinem Heimatklub Stuttgart einen Dienst erwiesen, indem er von all den Schwächen ablenkte, die den Meister binnen weniger Monate ins Niemandsland zurückgedrängt haben. Alles, was die Stuttgarter versuchten, erschöpfte sich früher oder später in der Andeutung spielerischer Klasse, als wäre es nicht erst ein Dreivierteljahr, sondern unendlich lange her, dass diese Mannschaft den Schalkern die Schale mutig und vor allem gierig entrissen hat. Den Stuttgarter Meistern sind Grundtugenden wie Aggressivität und Willenskraft abhandengekommen. Auch das Spiel des FC Schalke war oft fehlerhaft, ja einfältig, aber die Westfalen vermochten ihre Mängel auszugleichen. Sie hatten Mumm, sie hatten Kuranyi, und sie hatten für fast alles eine Standardlösung parat. Drei ihrer vier Treffer resultierten aus ruhenden Bällen. Freistöße und Eckbälle gehören zu den verlässlichen Größen im Spiel der Gelsenkirchener.“

Welt: Stuttgarter Rückrunde beginnt mit Torwartdebatte

Eigenständige Fußballkultur

Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) sieht Zeichen einer Leverkusener Renaissance: „Als Leverkusen 2002 unter Coach Toppmöller mit der Grandezza eines Klasse-Toreros in allen Wettbewerben zu reüssieren schien, hatten die Freunde des Tempofußballs einen neuen Lieblingsklub gefunden. Das Mittelfeld mit Zé Roberto, Ballack und Schneider entfachte rauschartige Zustände – und wurde doch im Champions-League-Final gegen Real Madrid vom scheinbaren Tausendsassa-Keeper Casillas gestoppt. Ernüchtert gaben sie den Meistertitel in letzter Sekunde aus der Hand, und auch der Cup-Final ging verloren. Doch das Vermächtnis des ewigen Zweiten mit dem wunderschönen Fußball überdeckte inzwischen das Emblem des Bayer-Konzerns. Zum Maskottchen wurden aber weder Ballack noch Zé Roberto, sondern Reiner Calmund. Der runde Mann etablierte mit den Jahren jedoch eine beispiellose Praktik der Verschwendung, was dazu führte, dass er im Jahr 2004 hinauskomplementiert wurde und die Zeichen auf Sparkurs gesetzt wurden. Jetzt, wo auch die Emanzipation von Calmund geglückt ist, geht es relativ unbeschwert zur Sache. Die seinerzeit von Skepsis begleitete Verpflichtung Michael Skibbes erweist sich als zukunftsträchtige Lösung. Nahezu unbemerkt ist in Leverkusen entstanden, was in der Liga nur wenige Entsprechungen findet: eine eigenständige Fußballkultur.“

Raphael Honigstein (Guardian Blog) fügt an: „Champions League? Klingt gar nicht mehr lächerlich. Bayer mit seiner Fülle an ‚cultured footballers’ ist eine Mannschaft, die normalerweise viel verspricht und wenig hält – aber in diesem Jahr könnte das anders sein. Die Elf von Michael ‚Puppy Eyes’ (Welpenauge) Skibbe steigt schnell aus dem Nichts der Tabelle auf, und sie hat echte Klasse.“

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