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Champions League

Zwei Ligen als Meisterstücke von Markt-Designern

Oliver Fritsch | Freitag, 2. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für Zwei Ligen als Meisterstücke von Markt-Designern

Chelsea und Manchester sind im Endspiel, und die Journalisten fragen: Wie viel England steckt im Finale? Und antworten: Mehr als zunächst vielleicht vermutet / Frank Lampard und Paul Scholes sind die Helden / Chelseas Finaleinzug wird sogar Avram Grant zum Teil angerechnet

Das erste Endspiel zwischen zwei Premier-League-Klubs in der Champions League – Christian Eichler (FAZ) unterstreicht die äußerst gelungene Unternehmensführung beider Ligen und erörtert Für und Wider in Sachen Attraktivität: „Beide, Champions und Premier League, wurden gegründet und gestaltet mit einem Ziel, das heute erreicht ist: die Macht großer Marken auch im Fußball durchzusetzen; verlässlich reproduzierbare, verwertbare Angebote auf höchstem Level zu schaffen. Anders gesagt: Wettbewerbe zu kreieren, die das Unwägbare des Fußballs auf ein marktverträgliches Minimum reduzieren. Zwei Ligen als Meisterstücke von Markt-Designern. Sie wurden so entworfen, dass die Großen und Reichen dominieren können. Aus Sicht des Fußballfreundes ist es eine zwiespältige Entwicklung. Einerseits haben die ‚Kleinen’ Europas, zu denen schon die Bundesliga gehört, gegenüber Kadern aus zwei Dutzend Weltklassespielern, gepäppelt mit Gehaltsbudgets von jährlich hundert Millionen Euro und mehr, immer seltener eine Chance. Andererseits gelingt es der Champions League, dem Publikum zu bieten, was andere Wettbewerbe nie schafften: den regelmäßigen Vergleich der weltbesten Fußballer. Und das, ohne im Resultat vorhersehbar zu werden: Auch im 16. Jahr wird es einen anderen Sieger als im Vorjahr geben.“

Raphael Honigstein (SZ) filtert Englands Anteil heraus: „Englands Fußball feiert in Moskau seine ganz eigene Europameisterschaft – siebzehn Tage vor der richtigen EM, bei der man zu Hause bleiben muss. Das Rätsel der Diskrepanz zwischen der Stärke der Klubteams und der Schwäche der Nationalelf bleibt. Denn die billigste Erklärung – die angebliche Dominanz ausländischer Stars – wird vom Personal der Finalisten widerlegt. Nicht die spanisch geprägte Liverpool-Elf, nicht die nahezu engländerfreie Kunstkicker-Truppe von Arsenal hat sich durchgesetzt; sondern die einheimisch mitgeprägten Teams von United und Chelsea.“

Auch Engländer haben die Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment zu erheben

Barbara Klimke (Berliner Zeitung) trägt den Namen des um seine verstorbene Mutter trauernden Torschützen in Chelseas Chronik ein: „Diese Nacht wird in der Vereinsgeschichte mit Frank Lampards Namen verbunden sein. Denn dass die von einem russischen Oligarchen gesponserte Weltauswahl über Personal verfügt, von dem erwartet werden kann, im entscheidenden Moment über sich hinauszuwachsen, war der tiefere Sinn dieser Fußball-Kapitalanlage.“

Über den Helden schreibt sie: „Auch beim zweiten Halbfinale entschied ein Engländer das Spiel: Paul Scholes, zurückgetreten aus dem Nationalteam und fast schon ausgemustert von Alex Ferguson, erzielte den einzigen Treffer dieses Wettstreits der Multi-Kulti-Truppen. Niemand hatte ihn als Matchwinner auf der Rechnung – außer Ferguson, der ihm nun aus Dankbarkeit einen Platz im Finalteam reserviert. Denn das letzte Endspiel Manchesters, den Sieg über den FC Bayern 1999, hatte Scholes wegen einer Spielsperre verpasst.“

In ihrem Fazit rehabilitiert Frau Klimke England nicht ohne Pathos: „Die Überlegenheit der Vereine aus England, so hieß es bisher, sei mit fremdem Geld und ausländischem Personal erkauft; von einem englischen Nationalteam war zuletzt nicht einmal mehr die EM-Qualifikation zu erwarten. Womöglich ist die Situation nicht ganz so aussichtslos: Auch Engländer haben, wie Frank Lampard und Paul Scholes bewiesen, die Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment über die Kollegen zu erheben – mit dem Mut der Verzweiflung und jener Kraft, die aus tiefster Trauer erwächst.“

Aus dem Schatten von José Mourinho getreten

Honigstein freundet sich mit Chelseas Stil an: „Fußballromantiker haben es nicht leicht. Zum einen verdeutlicht der Verein wie kein zweiter in Europa, dass der Erfolg letztlich nur von der Höhe der Investitionen abhängt. 725 Millionen Euro hat Abramowitsch, den sibirischen Rohstoff-Tycoon, die erste Finalteilnahme seit seiner Übernahme vor fünf Jahren gekostet. Andererseits schlägt der hauptsächlich von der Qualität und Willensstärke der Spieler befeuerte Fußball eine Brücke zurück in die Vergangenheit, als noch nicht allerorten Trainer die Kicker zu bloßen Erfüllungsgehilfen ihrer taktischen Allmachtsphantasien degradierten. Chelseas Kraft der Gefühle schlug am Ende Liverpools Konzept. Wer den englischen Fußball mag, muss nicht traurig sein.“

Sogar Chelseas Trainer erfährt mal was anderes als Hohn, nämlich Anerkennung; bei Honigstein heißt es: „Avram Grant ist mit diesem Sieg wohl aus dem Schatten von José Mourinho getreten. Als dessen ungeliebter Nachfolger war er ein halbes Jahr lang von vielen als überforderte Notlösung verhöhnt worden. Nun hat er geschafft, was Mourinho dem großen Boss Abramowitsch nicht liefern konnte: das Finale der Champions League. Grant hat die Schmähungen lange stoisch ertragen, doch seit ein paar Wochen wehrt er sich.“

FAZ-Bericht: Chelsea–Liverpool (3:2)
NZZ-Bericht ManU–Barça (1:0)

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