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Deutsche Elf

Autorität?

Oliver Fritsch | Samstag, 7. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Autorität?

Matti Lieske (Berliner Zeitung) rückt eine eher unbekannte Seite Joachim Löws in den Vordergrund, seine Kompromisslosigkeit und Entschlossenheit: „Harmlos sieht er immer noch aus, wenn er gelehrt und engagiert über Fußball doziert, Fragen höflich und ausführlich beantwortet, niemals missgelaunt wirkt oder gar laut wird. Man muss ihn schon am Spielfeldrand beobachten, um eine Idee davon zu bekommen, wie es in ihm brodelt. Wo Jürgen Klinsmann schlicht versteinerte, wenn es schlecht lief, wandelt sich Löw zum badischen Vulkan. Er flucht bei jedem Fehlpass, schleudert wutentbrannt Wasserflaschen auf den Boden und schaut manchem Spieler hinterher, als würde er ihn am liebsten auf der Stelle an die Haifische verfüttern. In seinen Entscheidungen ist Löw knallhart, härter vielleicht als Klinsmann. Was zählt, ist der Erfolg, das hat er in seiner achterbahnartigen Trainerkarriere gelernt, und wer diesen Erfolg gefährdet, der darf nicht mit Nachsicht rechnen. Mit der Autorität des Fachmannes nimmt sich Löw die Freiheit zu tun, was er für richtig hält, und hat bei allem Mitgefühl keine Skrupel, etwa Timo Hildebrand gnadenlos auszusortieren. Und selbst sein Mitgefühl, so der Eindruck, hielt sich in diesem Fall in Grenzen. Der Rauswurf diente der Sache. Basta! Die meiste Zeit ist Löw aber tatsächlich der nette Jogi, als der er seit seiner ersten Trainerstation gilt. Sein Amt bekleidet er souverän und mit sichtlichem Vergnügen. Es ist ihm anzumerken, dass er angekommen ist, wo er immer hin wollte. Wer allerdings vor vier Jahren prophezeit hätte, dass dieser Mann eines Tages Bundestrainer sein würde, wäre an der Wahrsagerschule nicht mal als Hausmeister in Betracht gezogen worden.“

Michael Horeni (FAZ) hingegen hat Zweifel an Löws Härte ausfindig gemacht, um seine eigenen zu unterstreichen: „Diejenigen, auch in der Mannschaft, die seit einem Jahr in vielen großen und kleinen Dingen Veränderungen erkennen, bemerken, dass Pünktlichkeit und Organisationsstärke doch nur die unterschiedlichen Seiten derselben Medaille seien. Dafür fehle es an Führung. Und dann kommen die Beispiele, die belegen sollen, wie Löw das Erbe verrate. Die Fitness-Tests unter Klinsmann wurden von Löw abgeschafft. Die Offiziellen, die Klinsmann einst aus dem engsten Kreis der Mannschaft verbannte, sind wieder da. Dass er junge Spieler wie Marin, Helmes und Jones zu Hause ließ, zeige seine Vorliebe für Harmonie und alte Verdienste, nicht für Konsequenz und Veränderung.“

Mehr denn je gilt: Alles ist möglich

Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) traut Löw und seinem Team sehr viel, auch den Titelgewinn, zu: „Vermutlich hat seit dem genialischen Taktiker Sepp Herberger noch nie so viel Know-how eines Trainers in einer deutschen Mannschaft gesteckt. Es ist nicht so, dass Löws Kader mit Ausnahmespielern gesegnet ist. Die Kompensation von Schwächen ist die größte Stärke dieser Equipe, deren Personal den weltbesten Kontrahenten im direkten Vergleich nicht auf allen Positionen ebenbürtig ist. (…) Das stärkste Glied dieser Mannschaft ist das defensive Mittelfeld. Wer auf der Suche nach Sinnbildern ist, der entdeckt den ‚6er’, den Absicherer mit der Möglichkeit zum Sturmlauf, als zentrale Figur im DFB-Team. Frings kann auf dieser Position spielen, Ballack auch. Hitzlsperger hat seine Erfahrungen in dieser Rolle, und Rolfes gehört zu den besten der Bundesliga; er vereint Ballgewandtheit und strategische Qualität. In der Nummer 6 materialisieren sich die deutschen Hoffnungen. Das hat Tradition: Die WM-Mannschaft von 1990 prägte auch der lange verkannte Mittelfeldspieler Buchwald. Den letzten EM-Titel gewannen die Deutschen 1996 auch dank dem überragenden Dieter Eilts, der in England zum König des Zweikampfs aufstieg. Dass sich gegenwärtig Spieler mit großem Verständnis und einer hervorragenden Spielkultur anbieten, erscheint angesichts der deutschen Fußballgeschichte konsequent: Franz Beckenbauer prägte den Typus des defensiven Spielgestalters zu einer Zeit, als Spieler auf dieser Position noch Libero genannt wurden. Doch das DFB-Team steht ungeachtet seiner Qualitäten vor einem Turnier, dessen Ausgang niemand prognostizieren will. Mehr denn je gilt für die Deutschen die alte Maxime, dass alles möglich ist.“

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