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Deutsche Elf

Brüchiger Friede

Oliver Fritsch | Donnerstag, 4. September 2008 Kommentare deaktiviert für Brüchiger Friede

Oliver Bierhoff und Michael Ballack räumen alles aus dem Weg, was sie trennt. Alles? Die Presse traut der Sache nicht und zweifelt an Ballacks sportlichen und sozialen Fähigkeiten / Lukas Podolski jammert nicht, Herr Hoeneß / Patrick Helmes, der Stürmer mit der besten Form (BLZ)

Worum kümmert sich die Presse heute? In erster Linie um die angebliche Versöhnung zwischen Oliver Bierhoff und Michael Ballack. Ballack hatte Bierhoff direkt nach dem verlorenen EM-Finale die Meinung gegeigt, weil er Bierhoffs PR-Aktion doof fand, und wollte gerade seine Fäuste sprechen lassen, bevor er von umstehenden Spielern und von Co-Trainer Flick zurückgehalten wurde. Eine Einlage, die wir aus der Zeitung erfahren haben, das Fernsehen hatte wieder mal geschlafen. Die Sport Bild, unser Lieblingsjournal (unter den Sportmagazinen, die mittwochs erscheinen), hat Mäuschen gespielt, Ballack soll Bierhoff einen „Pisser“ betitelt haben – und das war angeblich noch Ballacks netteste Vokabel.

Erstaunlich eigentlich, dass sich keine Redaktion nicht mal insgeheim auf Ballacks Seite schlägt, hat „Shampoo-Oli“ in Teilen der Presse doch einen schweren Stand. Kein heimlicher Pluspunkt für Ballack also, stattdessen bekommt er seine mittelmäßigen Leistungen vorgehalten und seinen Führungsstil. Philipp Selldorf (SZ) beobachtet den Rangverlust Ballacks, kann darin aber nichts Dramatisches finden: „Nach einem EM-Turnier, in dem seine Leistung den Sonderstatus nicht unbedingt bestätigte, rütteln Mitspieler an der Hierarchie, in der der Kapitän bisher einsam obenan stand. Das ist zwar kein Putsch, aber eine stille Allianz der Andersdenkenden. Ballacks Reputation hat keinen endgültigen Schaden genommen, doch sie hat gelitten. Das hat allerdings nichts mit Kulturkampf zu tun, sondern mit der natürlichen Evolution einer Mannschaftsrangordnung.“

Bierhoff hat gestern den Medien erklären wollen, dass der Streit begraben sei und man sich unter Männern und Golfkollegen ausgesprochen habe. Doch bei Jörg Hanau (FR) bleiben Zweifel: „Es bleibt intern, was intern bleiben muss. Es geht um Hierarchien und Macht, Einfluss und Missgunst. Das Konsensprinzip ist unantastbar im DFB. Was hinter den verschlossenen Türen wirklich besprochen wurde, bleibt geheim. Niemand weiß, ob sich Ballack nun für seinen Ausraster entschuldigt hat oder nicht.“

An anderer Stelle fordert Hanau Ballack auf, Satisfaktion zu leisten: „Mit seiner öffentlichen Wutprobe stellte sich Ballack am Ende selbst ins Abseits. Die Gossensprache wäre, so sie benutzt wurde, nicht zu tolerieren. Nicht mal der verständliche Frust des ewigen Endspielverlierers rechtfertigt solch einen Ausraster. Nur wenn Ballack das erkannt und zwischenmenschliche Probleme wirklich ausgeräumt hat, erhält der noch brüchig anmutende Friede ein festes Fundament.“

Ballack wird sich vorkommen wie im falschen Film

Und in der Tat hat Bierhoff einen Satz gesagt, der es in sich hat: „Wir haben in der EM-Qualifikation sehr gute Spiele mit und ohne ihn gemacht. Insofern zeigt das, dass die Mannschaft von der Person Michael Ballack unabhängig ist“ (via FAZ). Michael Neudecker (Berliner Zeitung) hat gut und genau zugehört: „Je länger Bierhoff sprach, desto mehr bekam man das Gefühl, dass sie beim DFB noch ziemlich weit von echter Harmonie entfernt sind. Die Auseinandersetzung auf dem Rasen, das ist inzwischen offenkundig, ist kein Resultat einer spontanen Emotion, sondern vielmehr das Resultat einer schon länger wachsenden Distanz.“ Gregor Derichs (Financial Times Deutschland) pflichtet ihm bei: „Die Friedensnachrichten können nicht darüber täuschen, dass die Zeit der Harmonie beendet ist.“

Carlos Ubina (Stuttgarter Zeitung) erinnert an eine ganz anders gelagerte Ballack-Führungsspieler-Debatte: „Ballack wird sich vorkommen wie im falschen Film. Denn jahrelang wurde ihm die Fähigkeit abgesprochen, eine Mannschaft zu führen. Jetzt tut er es mit Vehemenz – und wieder scheint es nicht recht zu sein.“ Was sagt denn Günter Netzer, der dem Ossi Ballack mal Führungsfähigkeit absprach (was er zwischenzeitlich zurücknahm)? Ob Netzer das so gemeint hat?

Gut gefällt mir übrigens der Ort des Friedensschlusses, vor allem Neudeckers Beschreibung: „der etwas übertrieben so genannte Spiegelsaal der Oberhachinger Sportschule“.

Gut gemeint

Lukas Podolski muckt heute in der SZ ein wenig gegen Uli Hoeneß auf, der ihm das „Jammern“ abgewöhnen will. SZ: „‚Jammern’ ist doch ein recht heftiges Wort. Akzeptieren Sie das?“ Podolski: „Nein, das akzeptiere ich nicht. Jammern lass ich mir nicht nachsagen. Ich bin mir sicher, dass Uli Hoeneß’ Worte auch gut gemeint waren. Aber so richtig verstehen kann ich sie trotzdem nicht.“ Einer anderen Zeitung sagt Podolski: „Wenn ich wüsste, dass es dann wieder so läuft wie jetzt gerade, dann nicht. Nein, noch mal würde ich dann nicht unterschreiben.“

Mit der Leichtigkeit eines frisch verliebten Teenagers

Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) hält Patrick Helmes für den aktuell besten Stürmer Deutschlands: „Während Miroslav Klose weiter gegen seine Dauerkrise kämpft, Mario Gomez nur langsam über sein EM-Trauma hinwegkommt, Lukas Podolski wieder einmal ständig auf der Bank sitzt, und Kevin Kuranyi reichlich Indizien für die These liefert, dass er ein Stürmer mit zu vielen Schwächen ist, spielt Helmes mit der Leichtigkeit eines frisch verliebten Teenagers. Seine Sprints sind unwiderstehlich, seine Schusstechnik ist umwerfend, und wenn er den Ball in Richtung Tor tritt, wird es praktisch immer gefährlich.“

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