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Bundesliga

Auf Platz 1 gezaubert

Oliver Fritsch | Montag, 27. Oktober 2008 Kommentare deaktiviert für Auf Platz 1 gezaubert

Der Tabellenführer TSG Hoffenheim verführt die Experten nicht bloß durch gute Ergebnisse wie das 3:0 gegen Hamburg, sondern vor allem durch spektakulären Offensivfußball / Jürgen Klinsmann legt beim 4:2 gegen Wolfsburg sein „Gesellenstück“ (FTD) ab / Hans Meyer bringt zu seinem Comeback nach Mönchengladbach das Glück mit

Hoffenheim schickt weiterhin die Journalisten auf die Suche nach neuen Superlativen. 3:0 gegen Hamburg, und das Ergebnis stand schon nach gut dreißig Minuten fest. Immerhin maß sich hier der Tabellendritte mit dem Zweiten. Oder anders: der jüngste Bundesligaklub mit dem dienstältesten.

Jan Christian Müller (FR) bestaunt die Überlegenheit des Aufsteigers: „Der Neuling TSG 1899 Hoffenheim hat mit dem Dino eine Halbzeit lang verwirrend Brummkreisel gespielt, ehe er in der zweiten Hälfte Gnade vor Recht ergehen ließ und die Hamburger ohne weiteres Gegentor auf die Heimreise schickte. Selten zuvor hat eine Mannschaft in einer vergleichbaren Hochgeschwindigkeit Bundesliga-Fußball demonstriert.“

Oliver Trust (Tagesspiegel) imponiert die „spielerische Macht und Überlegenheit“ der TSG, die den „überforderten HSV überrollt“ habe. „Auf Platz 1 gezaubert“, titelt die FAZ. Die SZ betont die Ausgewogenheit der Hoffenheim’schen Qualitäten: „Es war faszinierend zu sehen, wie die junge Hoffenheimer Elf jeden Angriff konsequent zu Ende spielte. Alles passierte schnell, aber nichts hastig, alles war filigran, aber nichts verkünstelt.“

Die volle Lust am Leben

Bayern gewinnt zuhause gegen Wolfsburg (4:2), an dem Ergebnis ist nichts ungewöhnlich. Doch dem Zustandekommen gewinnen manche Zeitungen hohen Nachrichtenwert ab. Es sei der Erfolg des Trainers gewesen, der in der Halbzeit die Weichen auf Sieg umstellte, indem er den Spielmacher Zé Roberto in der zweiten Halbzeit in die Abwehr beorderte und Tim Borowski einwechselte. Zé Roberto bereitete zwei Treffer vor, Borowski schoss das Führungstor.

Michael Neudecker (Berliner Zeitung) schreibt die Wende dem Trainer gut: „Dass die Bayern trotz des 0:2-Rückstandes noch 4:2 gewannen, das lag insbesondere an Klinsmann, weil er zum ersten Mal als Bayern-Trainer während des Spiels eine richtige, ja: glänzende taktische Entscheidung traf.“ Auch die Financial Times Deutschland spricht von „Klinsmanns Gesellenstück“. Neudecker hält aber auch fest, wie sehr die Stimmung auf der Kippe gestanden habe: „Klinsmanns Popularität in München hält sich in Grenzen, und sie wäre auf einen neuen Tiefpunkt gesunken, hätten die Münchner so weitergespielt, wie sie begannen.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ) weist auf einen anderen Aspekt hin, den großen und Bayern-untypischen Hedonismus des „All-Inclusive-Programms“, das mit Klinsmann Einzug gehalten habe. Das neue Erlebnis sei „weniger etwas für Freunde der Hochkultur des Spiels, die jeden Fehler am liebsten stundenlang auf der Taktiktafel nachvollziehen, mehr etwas für Fans des Spektakelfußballs, die im Stadion für ihr Geld die volle Lust am Leben suchen, Zerstreuung pur, Ablenkung von den Sorgen des Alltags.“

Peter Heß (FAZ) stimmt ein und nimmt Klinsmann wegen seiner angekündigten Reformen auf den Arm: „Klinsmann hat bei den Bayern eine Menge bewegt. Mannschaftsformation und Spieltaktik ähneln zwar immer mehr den Vorstellungen Ottmar Hitzfelds. Aber im Gegensatz zur vergangenen Saison bietet der Deutsche Meister fast immer gute Unterhaltung.“ Lukas Podolski allerdings habe wenig zum Sieg beigetragen, seine Aktien seien wieder gesunken, meint Heß: „Einige Male stand das Bayern-Sorgenkind nun in der Anfangsformation, nicht einmal vermochte es, seinen Anspruch auf einen Stammplatz argumentativ zu untermauern.“

Noch viel zu tun

Hans Meyer ist mit einem 1:0-Erfolg über Karlsruhe in die Bundesliga und nach Mönchengladbach zurückgekehrt. Doch in Einklang mit ihm finden die Experten einigen Grund zur Beanstandung. Richard Leipold (FAZ) kann abseits des Ergebnisses nicht viel Gutes erkennen: „Meyer konnte bei seiner Premiere nur eines gewinnen: die Erkenntnis, dass ihm und seinen Gefolgsleuten noch viel Arbeit ins Haus steht auf dem Weg in sicheres Bundesligafahrwasser. Den Sieg verdankten sie weniger ihrer eigenen Stärke als dem Unvermögen des Gegners, seine Überlegenheit in Treffern auszudrücken.“ Ulrich Hartmann (SZ) fügt hinzu: „Der zweite Saisonsieg hat weder dem neuen Trainer noch den Spielern vorgaukeln können, dass nun alles wieder gut ist bei den wochenlang erfolglosen Gladbachern.“

Beste Unterhaltung

Momentan fallen viele Tore, an der Tabellenspitze stehen Mannschaften, Hoffenheim und Leverkusen, die ihren Erfolg in der Offensive suchen, selbst Bayern und Hamburg, traditionell eher verteidigende Teams, kriegen manches Mal die Hütte voll. So schön das alles ist – spricht das für oder gegen die Qualität der Bundesligavereine?, fragen sich zwei Kommentatoren heute. Markus Lotter (Berliner Zeitung) sucht den kleinsten Nenner: „Mit Verzögerung ist hemmungsloser Offensivfußball in den deutschen Arenen zu bestaunen, für den diese Arenen aus dem Boden gestampft wurden und werden. Der Fußball ist endlich so attraktiv wie das schicke Drumherum, die Liga so spannend wie nie, weil unberechenbarer und ausgeglichener als jemals zuvor. Gesteigerte Attraktivität ist allerdings bekanntlich nicht immer ein Zeichen für Klasse und Güte, aber wenn schon in Deutschland auch in Zukunft nicht die besten Fußballspieler der Welt den besten Fußball der Welt spielen, darf man sich wenigstens für den Moment über das Erreichen der nächsten Entwicklungsstufe und über die beste Unterhaltung in der Geschichte der Bundesliga freuen.“ Christian Eichler erörtert im FAZ-Kommentar am Montag den Trend zu kuriosen Spielverläufen, kann sich aber nicht festlegen, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist: „Sicher ist nur, dass es so schwer ist wie nie, Gegner auf Abstand zu halten.“

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