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Bundesliga

Ignoranz und Kassierermentalität

Oliver Fritsch | Montag, 9. März 2009 Kommentare deaktiviert für Ignoranz und Kassierermentalität

23. Spieltag: Die Branche will nicht kapieren, dass Doping ein Problem ist / Werder-Chef Jürgen Born wird verdächtigt, sich bei einem Transfer bereichert zu haben / Neue Gewalt im Fußball – eine Folge der Finanzkrise? / Hertha auf leisen Sohlen nach oben / Wende in Bayern zum Guten noch nicht vollzogen / HSV ist kein Spitzenteam / Hoffenheim und Bremen ballern sich zum 0:0

Die Hoffenheimer Dopingkontrollsünder Ibertsberger und Janker sollen dem DFB zufolge ohne Strafe davonkommen, stattdessen wird der Mannschaftsarzt für das Säumnis verantwortlich gemacht. Die Branche redet nach wie vor den Fall und das Thema klein, doch Tobias Schall (Stuttgarter Zeitung) lässt sich nicht abspeisen: „Alles ist wieder gut, um eine ernsthafte Debatte ist man herumgekommen. Warum auch? Doping im Fußball? Quatsch, hat doch keinen Sinn. Nicht im Fußball. Nur weil im Fußball heute doppelt so viel gelaufen wird wie früher, nur weil es fast nur noch englische Wochen gibt, und nur weil es um Milliarden Euro geht? Hat doch keinen Sinn, und macht bestimmt auch keiner. Dass Fußballer Schmerzmittel futtern wie andere Smarties? Schmeckt halt gut. Und Hoffenheim? Ach, die Proben waren ja negativ. Frag nach bei Karl-Heinz Rummenigge: ‚Ob die Spieler um 17.48 oder um 17.38 Uhr in der Dopingkabine antreten, ist egal. Wichtig allein ist das Ergebnis: Und das war negativ.‘ Leider falsch geraten. Über so viel Ignoranz – in den vergangenen Tagen allerorten im Brustton der Überzeugung vorgebracht – könnte man lächeln. Wenn nicht alles so traurig wäre.“

In Bremen ist Vorstand Jürgen Born in den Verdacht geraten, sich an einem Spielertransfer vor acht Jahren bereichert zu haben. Ein Kontoauszug soll aufgetaucht sein, der nachweise, dass ein Berater Born 50.000 Euro überweisen habe. Born bestreitet dies mit der Erklärung, es handle sich um eine Rückzahlung von Privatschulden. Jörg Marwedel (SZ) hat sich umgehört und reiht den Fall ein: „Diese Erklärung gilt Kennern des Fußball-Business als wenig glaubwürdig. Der Fall sei womöglich eher ein Beispiel für die Kassierermentalität im weltweit populärsten Sport. In England gibt es Urteile über Trainer, die an Spielertransfers mitverdient haben. In Deutschland muss Reiner Calmund mit Vorwürfen leben, viel Geld auf illegale Weise hin- und hergeschoben zu haben. Etliche Trainer, von Otto Rehhagel bis zu Frank Pagelsdorf oder Vorstandsmitglieder wie der frühere Boss des 1.FC Kaiserslautern, Jürgen Friedrich, haben am liebsten mit einem gut vertrauten Berater zusammengearbeitet. Die Gerüchte sind nie verstummt, dass das auch finanziell nicht von Nachteil für sie war.“

Nährboden für Dummheit

Randale in Karlsruhe am vergangenen Sonntag, Ausschreitungen in Hamburg am Freitag – gibt es einen neuen Trend der Gewalt unter Fans? Markus Lotter (Berliner Zeitung) kann nicht ausschließen, dass es sich um die Folge der Finanzkrise handelt und fordert Maßnahmen: „Die Weltwirtschaftskrise beeinflusst den Fußball nicht nur bei Generierung finanzieller Mittel negativ. Zudem bringt sie noch mehr Menschen hervor, die dabei nicht nur nach Zerstreuung, sondern nach Zerstörung suchen. Die den Feiertag Fußball als Feiertag für die Gewalt verstehen. Und die Organisatoren dieser Gewalt freuen sich über die zahlreichen Überläufer von gewaltbereit hin zu gewalttätig. Krisen waren eben seit jeher Nährboden für Dummheit und Chance für das Böse. (…) So hat sich hierzulande die Polizei mit dem Problem zu beschäftigen. Sollte die vielleicht schon bald keine Lösung mehr parat haben, gibt es nur eins: Fußballspiele mit erhöhtem Konfliktpotenzial müssen an neutralem Ort und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden.“

Auf leisen Sohlen nach oben

Zum Sportlichen: Nach dem 3:1 in Cottbus distanziert Hertha BSC Berlin den Rest des Feldes auf vier Punkte. Das Team bleibt wegen seiner unspektakulären Spielweise dennoch Außenseiter. Roland Zorn (FAZ) hält die zurückhaltende Art der Berliner für einen Vorzug: „Seine eigenen Ziele nach innen wie nach außen autonom und nicht reflexhaft zu definieren und so unbemerkt wie möglich Schritt für Schritt voranzukommen, ist ein Weg zum Titel, den zuletzt der VfB Stuttgart im Jahr 2007 einschlug. Im Moment beflügelt die selbsttragende Kraft des Erfolges die Hertha. Vielleicht sind die Berliner dann eines Tages Meister, ohne vorher ein Wörtchen darüber verloren zu haben. Sie wären nicht die Ersten, die auf leisen Sohlen ans Ziel kämen.“

Wende noch nicht erreicht

Der 5:1-Sieg gegen Hannover garantiert den Bayern und Trainer Jürgen Klinsmann ein wenig Ruhe. Doch die FR gibt zu bedenken: „Die Lage bleibt undurchsichtig. Niemand vermag, neuerliche Rückfälle auszuschließen. Auch das Klinsmann-Thema wird weiter schwelen. Anders als vor ein paar Wochen noch hört man aus der Führungsetage momentan nicht mehr den Satz, Klinsmann werde, komme, was wolle, bis zum 34. Spieltag und darüber hinaus Bayerntrainer sein. Bedingungsloser Zuspruch sieht anders aus. Die Wende ist noch lange nicht erreicht.“ Michael Neudecker (Berliner Zeitung) weist auf den Zustand des Gegners hin: „Die netten Hannoveraner taten einfach so, als spielten sie in der Dritten Liga, und ließen die Münchner Tor um Tor erzielen, damit die ihren Trainer doch noch behalten konnten.“

Grätschknecht trifft gegen schnöde Arroganz

Arroganz und fehlende Klasse macht Bernd Müllender in der taz für die Hamburger Niederlage verantwortlich: „Der HSV, zwischen lässig und langweilig, von der schnöden Arroganz der Sorglosigkeit befallen, kassierte bald Tor auf Tor. Ein einziges Spiel mit womöglich großer Weichenstellung: Erst haben die Hamburger zu Hause gegen Wolfsburg verloren, zwischendurch das Publikum gegen Wehen Wiesbaden gequält, und jetzt so ein Absturz. Innerhalb von sechs Tagen wurde aus der Tabellenführung eine Frühjahrskrise. Der HSV beweist in Gladbach, dass er kein Spitzenteam ist.“

In Großhandelsmengen

Zudem verweist Müllender in einer Kaskade von Wortspielen auf die geschäftige Einkaufspolitik bei Borussia Mönchengladbach sowie darauf, welche Spieler nun den höchsten Sieg seit dreieinhalb Jahren bewerkstelligten: „Auffallenderweise überragten genau diejenigen Borussen, die im Verlauf der Saison massiv geschwächelt haben und viele persönliche Bankkrisen abzusitzen hatten. Oder die gleich als eigentlich erstligauntauglich erklärt wurden, weshalb man für sie Ersatz und Back-ups in Großhandelsmengen anschaffte. Direkt vom Klo auf den Platz gekommen war der magendarmmalade Marko Marin, der endlich mal wieder keck brillierte, auch defensiv gegen die pomadigen Rothosen gut sicherte und an drei Treffern feinfüßig tatbeteiligt war. Mittelstürmer Rob Friend traf erstmals seit gefühlt 1913, dazu jener Brouwers, als Stopper eigentlich fünfte Wahl. Sogar Grätschknecht Tobias Levels, der sechste in dieser Saison getestete Linksverteidiger, durfte toren, erstmalig in seinem Bundesligaleben. Die Wiedergeburt der Aufstiegshelden kommentiert auf subtile Weise die kopflose Personalpolitik (32 eingesetzte Spieler) im niederrheinischen Kaufhaus des Westens.“

Ulrich Hartmann (SZ) lässt den Frühling rein: „Es war, als hätte jemand einen Karton geöffnet, nach vielen trüben Monaten endlich den Deckel abgenommen und Licht eingelassen in das dunkle und stickige Stadion, in dem kaum noch jemand Luft bekommen hatte.“

Wie ein guter Krimi

Moritz Kielbassa berichtet in der SZ von einem schnellen, attraktiven Remis. Unterhaltsam „wie ein guter Krimi“ sei dieses Spiel gewesen, das trotz seiner Torlosigkeit an das 5:4 aus der Hinrunde erinnerte. „Präzision und Zielstreben“ hätten auf beiden Seiten gefehlt, was angesichts der Probleme in beiden Lagern aber nicht verwunderlich sei. Hoffenheim fehlte neben Wintereinkauf Timo Hildebrand ein komplettes Mittelfeld sowie Torgarant Ibisevic, zudem habe die Dopingdebatte die Konzentration gestört. Trotz der aktuell schlechteren Phase mit nur einem Sieg aus den letzten acht Spielen und dem Stillstand in der Tabelle sieht Kielbassa die Hoffenheimer nicht vollends abstürzen: „Ihr Durchmarsch ist vorbei, doch gegen einen Crash scheint zu sprechen, dass nach dem mauen Rückrundenauftakt Spielwitz und Angriffs-Schablonen der Vorrunde langsam wieder aufflackern.“

Strebertruppe aus dem Labor

Stefan Osterhaus (FTD) schildert einen Sympathieentzug: „Mit Rückrundenauftakt hat sich irgendwas an der Rezeption geändert. Das Privileg der Jugend zählt anscheinend nicht mehr, zunehmend werden die Kicker an sehr harten Maßstäben gemessen. War es nicht schon immer eine Strebertruppe? Konzipiert am Reißbrett, eine Revolution aus dem Labor? Der große Flirt des Fußballlandes aus der Hinrunde ist jedenfalls vorbei. Die Halbsaisonsympathisanten verabschieden sich. Bei der Berliner Hertha hießen solche Leute früher Erfolgsstricher. Opportunist tut’s auch.“

Ohne Know-How

Peter Unfried bestätigt in der taz den allgemein verbreiteten Eindruck der Harmlosigkeit des KSC mit einem interessanten Vergleich: „Der KSC spielte, wie der KSC halt derzeit spielt: okay organisiert, okay engagiert, aber ohne kollektives oder individuelles Know-how übers Toreschießen. 18 Tore hat das Team bisher erzielt, so viel wie Hoffenheims Ibisevic allein.“

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