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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Angeblicher Visionär ohne klare Vorstellungen

Oliver Fritsch | Samstag, 11. April 2009 3 Kommentare

Die Kritik der Presse an Jürgen Klinsmann geht über Hohn hinaus, sie wird persönlich und ätzend / Die Klubführung wird in die Mitverantwortung genommen / Kaum Fürsprecher

Jürgen Klinsmann ist in der Presse durchgefallen. Die wenigsten geben ihm noch eine Chance, seine Reformen in München durchzuführen. Zwar wird auf die Mitschuld der Klubführung an der desaströsen 0:4-Niederlage in Barcelona verwiesen, doch der Trainer mit giftigen Vokabeln aus der Wirtschaftswelt bedacht. Die mit „Spott“ noch wohlwollend bezeichnet wären. Klinsmanns Ankündigungen, mit denen er im Sommer 2008 seinen Beginn versah, sind in der FAZ „Lehrsätze eines schlechten Unternehmensberaters“, er selbst ein „angeblicher Visionär ohne klare Vorstellungen“. Sogar das Etikett „Investmentbanker“ findet Roland Zorn treffend: „Aus den tollsten Gewinnversprechen sind längst schwere Verlustmeldungen geworden. Die Scheidung zwischen den Bayern und einem angeblichen Visionär ohne klare Vorstellungen ist nur noch eine Frage der Zeit.“

Wolfgang Hettfleisch (FR) rät Klinsmann die Lehre zu ziehen, das Gute zu bewahren: „Klinsmann ist bislang den Nachweis schuldig geblieben, ein fähiger Fußballtrainer auf höchstem Vereinsniveau zu sein. Diese Erkenntnis hat eine tröstliche Seite: Auch der Nutzen des importierten Vulgärwissens aus Management-Seminaren, auf dessen Basis Training und Umfeld umgekrempelt wurden, muss hinterfragt werden. Nicht weil, was neu ist, per se schlecht sein muss, sondern weil das Neue nicht automatisch auch gut und richtig ist.“

Sportliche Identität verloren

Klaus Hoeltzenbein (SZ) spricht Klinsmann die Eignung als Klubtrainer ab: „Bei der WM 2006 stand er als Bundestrainer im Ruf, ein Radikalreformer zu sein, doch auf der Langstrecke, im Klub, vor dieser unglaublich teuren Mannschaft, fanden seine Botschaften kaum Gehör. Das ambitioniert verkündete Programm blieb eine Hülle, die Inhalte kommen bei den Profis nicht an.“ Den Mangel einer Spielidee wendet er ins Grundsätzliche: „Der FC Bayern hat seine sportliche Identität verloren.“ Im Spielbericht beschreibt Peter Heß (FAZ) die Leistung der Bayern als „indiskutabel, unwürdig, unsäglich. Wie die Lämmer, die auf die bösen Wölfe warten, verhielten sich die hochbezahlten Profis.“

Hauptfehler aus der Vergangenheit

Daniel Theweleit (taz) nimmt Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer ins Visier: „Unter Experten ist es nichts Neues, dass der FC Bayern (wie übrigens auch das international erfolglose Inter Mailand) Einzelspieler kauft, während echte Spitzenteams wie Manchester United oder der FC Barcelona menschlich und fußballerisch harmonierende Gruppen kreieren. Diese Kunst gehörte noch nie zu den Stärken der Münchner, was man auch daran erkennen kann, dass fast kein Spieler, der in den letzten Jahren nach München gewechselt ist, dort besser wurde. Diese dauerhaften Probleme sind gewiss nicht die Schuld Klinsmanns, und deshalb bleibt es spannend, ob sich die Herren Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß nach der zu erwartenden Trennung vom ihrem Trainer eingestehen, dass sie die Verantwortlichen für nunmehr acht Jahre europäische Erfolglosigkeit sind. Der ‚Change‘ ist überfällig, aber derzeit sieht es so aus, als müsste er auch andere Bereiche berühren als nur die Trainerposition und das sportliche Segment.“

Nico Stankewitz (stern.de) fügt hinzu: „Die Verantwortung für den schlecht zusammengestellten, sehr kostspieligen Kader trägt Klinsmann nur zum kleineren Teil, Hoeneß, Rummenigge und Breitner sollten sich hinterfragen, denn der Hauptfehler stammt aus der Vorsaison, als man in Verklärung der realen Leistungen den Umbruch für abgeschlossen erklärte und offenbar wirklich glaubte, ein Spitzenteam von europäischem Niveau zu besitzen. So unterblieben notwendige Änderungen und Ergänzungen, der neue Trainer wurde mit einem unzureichend besetzen Kader auf die Reise geschickt.“

Alles braucht Zeit

Steffen Dobbert (Zeit Online) hingegen wirft sich für Klinsmann in die Schussbahn: „Wenn die Münchner sich verbessern wollen, müssen sie Rückschläge verkraften können. Wenn sie zu Europas Spitze gehören wollen, brauchen sie ein langfristiges Konzept und einen Trainer der es umsetzt. Der Verein braucht diesen Umbruch. Und der braucht Zeit. Für den Wandel müssen sich die Münchner ein Übergangsjahr, in dem es Kritik und Niederlagen gibt, erlauben können.“

Überliefert ist Rummenigges Satz aus der Bankettrede: „Ich hab unseren alten Freund Udo Lattek in der Halbzeit gesehen: Er hat geweint.“ Vielleicht ja nicht aus Trauer über die 0:4-Niederlage seines Ex-Klubs, sondern über den 4:0-Sieg seines Ex-Klubs.

Disclaimer: Ich arbeite in der Sportredaktion von Zeit Online.

Kommentare

3 Kommentare zu “Angeblicher Visionär ohne klare Vorstellungen”

  1. Moritz Meyer
    Sonntag, 12. April 2009 um 09:59

    Wenigstens ein paar Journalisten (namentlich Daniel Theweleit) haben ihren klaren Blick noch nicht verloren. Komisch, dass die Kollegen von FAZ und SZ aus ihren Fehlern von 2006 nichts gelernt haben. Damals haben sie Klinsmann mit der gleichen Vehemenz abgeschrieben, als er in einem Testspiel 1:4 gegen Italien verloren hat. Gut, es gibt einen Unterschied zwischen Testspiel und CL-Ernstfall. Aber vielleicht braucht Klinsmann diese Rückschläge, um daran zu erstarken.
    In Bayern hat er nur ein Problem: Die Führungsriege gibt ihm diese Zeit nicht, im Gegensatz zur Nationalmannschaft hat er nicht mal gegenüber der Mannschaft die volle Autorität. Er wollte zum Beispiel van Bommel aussortieren und ist gescheitert. Und was den Kader angeht, ist ohnehin nur Erfüllungsgehilfe von Heoneß, Rumnmenigge und Co.. Doch es wird wirklich Zeit, dass die mal auf den Prüfstand gestellt werden. Hoeneß ist seit 30 Jahren Manager bei Bayern. In der Zeit hat drei internationale Titel geholt (CL 01, Weltpokal 01, UEFA-Cup 96). Das ist keine berauschende Bilanz, gemessen an den Ansprüchen.
    Einen richtigen Kader hat es vor allem unter Hitzdfeld gegeben,ansonsten war die Mannschaft zusammen gestellt nach dem Prinzip: Konkurrenten wichtige Spieler wegkaufen, bzw. Spieler holen, die uns abgeschossen haben (z.B. Makaay). Und welche jungen Spieler außer Schweinsteiger sind bei Bayer zu internationalen Stars gereift? Jansen, Trochowski, Kroos, Misimovic, sind alle geflüchtet. Die Karriere von Tobias Rau ist dank Bayern ruiniert worden. Borowski wird hoffentlich bald die gleiche Erkenntnis haben, wie einst Andi Herzog, Totte Frings oder Isnmael: Von Bremen nach Bayern ist immer ein Rückschritt. Lahm wurde dafür bei Stuttgarts exzellenter Talenteschmiede groß. Der beste Jungspieler der WM 06 hingegen ist auf Vereinsebene zum Schatten degeneriert. Man möchte sich nicht ausmalen, was ein Arsene Wenger etwa aus Podolski hätte machen können. Und die Eigengewächse Ottl, Lell und Rensing (oder Görlitz)? Genügen durchschnittlichen Bundesliga-Ansprüchen. Internationales Niveau werden sie nie erreichen. Dazu kommen sinnlose aber millionenschwere Einkäufe wie Breno oder Sosa (erinnert sich noch jemand an Ali Karimi)?
    Klar, wer sich mal einen Klinsmann und Matthäus gönnt, Effenberg, Basler und Kahn finanzieren kann, Lucio und Ze Roberto langfristig halten kann, Ribery und Toni einkauft, hat immer die Garantie, regelmäßig deutscher Meister zu werden. Aber mit dieser flickgeschusterten Transfer und Kaderpolitik kann man international einfach nicht mehr bestehen. Und das hat bestimmt nicht Jürgen Klinsmann zu verantworten. Aber Uli Hoeneß hat sich ja geschickt sein Image als Supermanager aufgebaut, dass von den Medien auch gern abgefeiert wird. Aber das einzige was er kann, ist ein ordentliches Festgeldkonto anlegen. Eine sportlich stimmige Mannschaft zusammenstellen, dafür sollten die Münchener dringend jemand kompetenten einstellen.

  2. nedfuller
    Dienstag, 14. April 2009 um 14:51

    ManUtd hat im letzen jahr knapp 100 Mio EUR für Tevez, Hargreaves, Nani und Anderson um die CL zugewinnen.
    Und Bayern leistet sich nichts.
    ManUtd hat dann in diesem Jahr Berbatov gekauft, obwohl mit Ronaldo, Tevez und Rooney drei Topstürmer im Kader sind.
    Und Bayern kauft nichts. Nein, sie geben sogar ihren einzigen Linksverteidiger ab, damit ein Rechtsverteidiger die Position spielen kann.

    Mit Ottl, Lell, Oddo, Sosa, Breno sogar mit van Buyten/Demichelis gewinnt man die CL nicht.

    Aber man wird deutscher Meister.

  3. owenmeany
    Dienstag, 14. April 2009 um 17:37

    Barca – Bayern mit den Kickernoten gibt folgendes Bild ab:

    Butt (4) – Oddo (6), Demichelis (6), Breno (6), Lell (6) – van Bommel (6) – Schweinsteiger (5,5), Zé Roberto (5) – Hamit Altintop (6), Ribery (5,5) – Toni (5,5)

    Mit einer Abwehr bestehend aus Oddo, Lell und Breno hätte der Großmeister der langweiligen Kicks – Ottmar Hitzfeld – maximal ein 0:3 herausgeholt.

    Hier nochmal die Kickernoten zum grandiosen 0:4 in St. Petersburg (Uefacup-Halbfinale) vom letzten Jahr mit der unerreichten Taktik- und Trainerfuchslegende Hitzfeld. Nimmt man das höhere Niveau der CL hinzu, potenziert das mit dem Gegner, kann ich keinen großen Leistungsabfall feststellen.

    Kahn (4) – Lahm (5), Lucio (4,5), Demichelis (4,5), Jansen (5,5) – Zé Roberto (5), van Bommel (5,5) – Schweinsteiger (5), Ribery (4,5) – Klose (5,5), Toni (4)

    Aber die Presse muss halt einen Schuldigen ausmachen, in diesem Fall Klinsmann.

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