indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Abwehrreaktionen des deutschen Expertentums

Oliver Fritsch | Dienstag, 14. April 2009 6 Kommentare

Der Sieg gegen Eintracht Frankfurt hilft Jürgen Klinsmann nur kurz gegen seine Kritiker / Die Torwartfrage ist in Bayern eine politische Frage / Wolfsburg und Stuttgart sind Titelkandidaten, Berlin nicht mehr

Die Kritik an Jürgen Klinsmann geht ins Persönliche, auch wenn er seine Gegner durch den 4:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt ein paar Tage Pause verordnet hat. Nun hat ihm Günter Netzer „Arroganz“ vorgeworfen. Michael Horeni (FAZ) beantwortet die Frage, warum die Debatte in diesem Ton geführt wird und warum sich so viele daran beteiligen: „Es geht um die Deutungshoheit in einem Änderungsprozess inklusive Machtverlust, der im deutschen Fußballexpertentum noch immer scharfe Abwehrreaktionen hervorruft. Im Kern geht es weiterhin um die Frage, ob sich Reformen in der Bundesliga tatsächlich durchsetzen lassen – und zu welchem Preis.“ Zudem wirft er den Bayern halbherzigen und mutlosen Reformwillen vor: „Die Bayern haben mit Klinsmann den Wandel gewollt. Aber sie hofften auf einen Wandel ohne große Schmerzen mit Titeln inklusive. Es war und ist jedoch eine Illusion zu glauben, ein neuer Trainer allein könne Wandel herbeizaubern.“

Elisabeth Schlammerl
(FAS) erstellt eine lange Liste von „leeren Versprechungen“ und Klinsmann-Fehlern, etwa bei der Wahl des Assistenten, im Umgang mit der Mannschaft oder in taktischen Fragen: „Er sah sich nach zwei Jahren Nationalmannschaft nicht mehr nur als Projektleiter, sondern eine Stufe höher als Trainer. In dieser für ihn neuen Funktion ist er nun gescheitert.“

Der Schwächere stand im Tor

Die Torwartfrage ist bei den Bayern offenbar eine politische Frage. Aus der SZ erfahren wir, dass Sepp Maier ausgeplaudert habe, dass Klinsmann vor der Saison Jens Lehmann nach München holen wollte. Bezeichnenderweise habe der Aufsichtsrat abgelehnt. Schon in der Vorrunde habe Klinsmann einem Nachwuchstorwart den Vorzug geben wollen. Uli Hoeneß hat Michael Rensing immer verteidigt, weil er ihm Wort jahrelang mit dem Erbe Oliver Kahns vertröstet hat. Klinsmann hingegen soll nie ein Rensing-Freund gewesen sein. Inzwischen soll Hoeneß den Widerstand gegen Klinsmanns Plan, Rensing aus dem Tor zu nehmen, aufgegeben haben: „Jürgen, mach‘, was Du für richtig hältst!“, gibt Klinsmann Hoeneß wieder.

Michael Neudecker (Berliner Zeitung) schreibt: „Es war eine Botschaft an Uli Hoeneß – Rensing ist Hoeneß‘ Nummer 1. Auch deshalb schweigen Hoeneß wohl wie Rummenigge seit der Nacht von Barcelona.“ Klaus Hoeltzenbein (SZ) hält den Torwartwechsel für „fachlich gerechtfertigt“. Das Klinsmann die Entwicklung Rensings im Saisonendspurt hinten anstellt, „kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass der FC Bayern lange wissentlich den Schwächeren, nämlich Rensing, im Tor stehen hatte.“

Rensing sei auch in der Mannschaft umstritten, referiert Hoeltzenbein. Er leide an seinem Vorgänger: „Anders als Oliver Kahn halte Rensing nicht die Unhaltbaren, wird beklagt, und: Er verunsichere den Gegner beim Torschuss nicht mit seiner Aura. Im Gegenteil: Sein Bemühen, Kahn ähnlicher zu werden, so autoritär, so furchteinflößend, wirke sich eher negativ aufs Nervenkostüm der eigenen Verteidiger aus.“

Zähigkeit, Unberechenbarkeit, nervende Ruhe

Beim 2:1-Sieg im Mönchengladbach entdeckt Bernd Müllender (FR) einen Aspiranten für den Titelgewinn: „Man muss Wolfsburg im wechselvollen Titel-Gerangel 2009 ernster nehmen denn je. Der VWfL hat zum neunten Mal hintereinander gewonnen. Das ist phänomenal. Er hat jetzt allein drei Punkte Vorsprung – das ist ein kleines Polster, das auch mal einen Ausrutscher erlaubt. Und mit jedem Spieltag zählt das (vermeintlich) leichte Restprogramm des Hauptkonkurrenten Bayern München weniger. Die Stärken der Wolfsburger sind Zähigkeit und Unberechenbarkeit. Sie strahlen nervende Ruhe aus und wiegeln den Gegner mit ihrer Scheinschläfrigkeit in Sicherheit.“

Hilfreich

Zwi Rote Karten, neun Spiele hintereinander sieglos, Transfers, die nicht einschlagen, als Herbstmeister auf Rang 6 gefallen – Moritz Kielbassa (SZ) fasst den Fall Hoffenheims zusammen und rät zur Neujustierung: „Aus der Traumfabrik Hoffenheim könnte ein ganz normaler Ligastandort werden, in guter Mittelklasse, aber auch mit allen Unzulänglichkeiten, die zum Gewerbe gehören. Diese Entwicklungsphase kann hilfreich sein – sofern ein Einnorden unterhalb zu hoher Erwartungen gelingt und Hoffenheims Spielidee überlebt.“

Fehlt ein Stückchen

Frank Hellmann (FR) hingegen schreibt Berlin nach dem 0:2 in Hannover und der Roten Karte für Torjäger Andrej Woronin ab: „Die Höhenluft ist der Hertha nicht gut bekommen. Im Grunde war es für die über ihre Verhältnisse spielende Mannschaft der Anfang vom Ende, als die Papp-Meisterschalen auftauchten und jeden Tag intensiver der Titeltraum debattiert und kommentiert wurde. Favres gut sortiertem Ensemble fehlt ein Stückchen Klasse, Konsequenz und Konzentration.“

Alles drin

Peter Ahrens (Spiegel Online) notiert einen weiteren Geheimtipp, den 1:0-Sieger gegen den HSV: „Als Trainer stehen Markus Babbel die großen Negativerlebnisse noch bevor, aber in dieser Spielzeit dürfte er sie nicht mehr erleben. Zu gefestigt erscheint sein Team. Dabei hat Babbel einen Kader mit teilweise problematischen Charakteren zu führen: einen Jens Lehmann, der immer für eine Kapriole gut ist, auf dem Feld unberechenbar wie eine außer Kontrolle geratene Cruise Missile, einen Jan Simak, der eine extrem schwierige Vergangenheit als Profi hinter sich hat, einen Mario Gomez, der sein Loser-Image aus der Nationalelf verarbeiten muss. Wenn das Team so weitermacht wie in den vergangenen Wochen und sich Wolfsburg nur eine kleine Schwächeperiode erlauben sollte (und das Auswärtsspiel beim VfB verliert), dann scheint in Stuttgart sogar noch alles möglich. Alles heißt: Meisterschaft.“

Nebenan heißt es: Schwacher Gomez schiebt VfB an die Tabellenspitze ran.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Abwehrreaktionen des deutschen Expertentums”

  1. Eisen
    Dienstag, 14. April 2009 um 13:58

    Ha! Babbel bringt das in München verloren gegangene „Duselgen“ nach Stuttgart. Endspiel um die Meisterschaft am letzen Spieltag in der Allianz-Arena…

    Hoeneß plant schon ein Treffen mit Gomez am Vorabend des Spiels am Augsburger Flughafen (sofern es da einen Flughafen gibt).

  2. Lena
    Dienstag, 14. April 2009 um 14:12

    Dieses Jahr werden aber auch ein Haufen Manschaften hoch- und wieder runtergeschrieben.

    Jetzt also auch noch der VfB Richtung Meisterschaft.

    Dabei wäre es doch auch so eine schöne Geschichte. Babbel, ohne Trainerschein, stiehlt dem Klinsi die Show am 34. Spieltag…

    edit: ups ad war Eisen schneller. 🙂

    und es gibt einen Flughafen dort, aber besser is an der Tankstelle.

  3. Steffen
    Dienstag, 14. April 2009 um 19:10

    Zum Thema selbst-ernannte Fussball-Experten:

    Waldi „Schwätzer“ Hartmann (und ich nenne ihn hier nur stellvertretend) sagt: Nicht die Revolutionäre spielen erfolgreichen Fussball, sondern Traditionalisten wie Furguson oder Benitéz.

    Wenn nun Klinsmann Dinge einführt, um in Deutschland (beim FC Bayern) ein Niveau einzuführen, das an den Standard der Vereine der genannten Trainer – wohlgemerkt – heranreicht, so zeigt das nur, wie weit der Fussball in Deutschland den führenden Ligen hinterher ist.

  4. Fritz Viereck
    Mittwoch, 15. April 2009 um 12:29

    Ist doch prima, wenn eine Liga ausgeglichen ist, da kann man jede Woche eine neue Sau durchs obere Tabellendrittel jagen. Jetzt ist Berlin dann doch nicht SO gut, wie man erst gedacht (nd geschrieben) hat, VWfl hat einen Lauf, der blöderweise erst spät so richtig entdeckt und dann aber umso mehr gefeiert wurde, Hoffenheim muss zurückstecken (erwartungsgemäß und wie in der Vergangenheit eigentlich fast jeder oben mitspielende Aufsteiger in der zweiten Saisonhälfte), und der Kollege Ahrenspeter holt dankenswerter Weise den VfB aus dem Mittelmaß, damit die anderen Honks darau aufmerksam werden. Auch wenn er genau weiß, dass die Stuttgarter (mit Verlaub, Herr Fritsch) nicht Meister werden. Wahrscheinlich halten sie sogar in Gelsenkirchen nach zwei Siegen in Folge gegen KSC und Bielefeld elf Punkte für machbar, und nächsten Montag steht das dann nach drei Punkten gegen Cottbus sogar in den Zeitungen!

  5. Stephan
    Mittwoch, 15. April 2009 um 14:06

    Klinsmann ist nicht zu beneiden! Er musste mit einem dünnen Kader in die Saison starten und hat im Winter keine Verstärkung bekommen…. Die Fehler sind eher bei der Vereinsführung zu suchen als bei Klinsmann. Man kann nicht einen Bruchteil des Geldes ausgeben, dass andere Vereine die auf dem Niveau spielen (welches Bayern gerne hätte)und dann TOP Leistungen erwarten. Dann muss man mit dem Überstehen der Gruppenphase in der CL zufrieden sein.
    Wenn ich einen Sosa sehe der maximal für eine Halbzeit Luft hat und bisher bis auf 2 ganz gelungene Pässe (denen stehen unzählige Fehlpesse und Ballverluste entgegen)nichts von seinem super Talent gezeigt hat, dann werde ich als Fan wütend. Ganz zu schweigen von Lell, der nach dem Barcelona Spiel nie wieder ein Bayern Trikot hätte anziehen dürfen.
    Breno lässt ebenfalls nur die Hoffnung offen, dass dem prognostizierten Talent auch bald Leistungen folgen. Klinsmanns entscheidungen bezüglich Rensing kann ich voll verstehen.
    Rensing macht eine ohnehin verunsicherte Abwehr noch nervöser. Ausserdem muss Klinsmann in der jetzigen Phase seinen eigenen Arbeitsplatz retten.
    Fazit: Wenn Bayern in Europas Spitze spielen will, dann muss man Klinsmann auch die Zeit und das Geld dafür geben!!!

  6. Manfred
    Mittwoch, 15. April 2009 um 18:46

    Jeden Spieler täglich ein bisschen schlechter machen geht auch ohne Geld ganz wunderbar…

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