indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Deutscher Meister wurde – ein Auto

Oliver Fritsch | Montag, 25. Mai 2009 5 Kommentare

Den Journalisten stößt es auf, dass Volkswagen den Meistertitel Wolfsburg zur Werbeveranstaltung nutzt / Lorbeer für Felix Magath, den Großen / Hertha mit Lucien Favre zu kopflastig

VW-Vorstand Martin Winterkorn hat auf der Meisterfeier gesagt: „Erster Volkswagen, Zweiter Bayern, so habe ich mir das gewünscht.“ Matti Lieske (Berliner Zeitung) zuckt ob dieser Unverblümtheit zusammen: „In Deutschland echauffiert man sich zwar gern über die Abramowitschs, über arabische Scheichs und amerikanische Business-Familien, die ihr Unwesen im Weltfußball treiben, dafür gibt es die merkwürdige Konstruktion des Werksklubs, und gespielt wird in Stadien, die sich wie ein Auszug aus dem Handelsregister anhören. Was passt da besser als ein Titeldreikampf zwischen einer bayrischen Telekom-Filiale, einem schwäbischen Ableger des Arbeitgeberverbandes und einem niedersächsischen Autobauer? Und welcher Meister passt besser zu einem Land, das sich beharrlich jedem Tempolimit verweigert, in der EU tapfer für das Recht kämpft, weiter dicke, stinkende, spritfressende Karossen produzieren zu dürfen, sieben Jahre lang von einem Autokanzler regiert wurde, und seit vier Jahren von einer Art Kleinwagenkanzlerin, als der VW Wolfsburg? (…) Deutscher Meister wurde – ein Auto.“

Mit Eindrücken von der Meisterfeier unterstreicht Oliver Trust (Stuttgarter Zeitung) dieses Empfinden: „Selbst beim Jubelempfang auf dem Marktplatz vor dem schmucklosen Rathaus ohne Balkon blieb lange unklar, ob der erste Titelgewinn der Vereinsgeschichte gefeiert wird – oder ob es sich um eine Autoschau handelt, als die Spieler, Trainer sowie einige VW-Manager in der gesamten Produktpalette direkt auf die Bühne fuhren.“ Die Berliner Zeitung ergänzt: „Der VW-Konzern hat für die letzten Meter alles aufgeboten: von Audi bis Bugatti. Irgendwie erinnert diese Veranstaltung an eine übertrieben pompöse Autohauseröffnung.“

Stadt des KdF-Wagens

Bernd Gäbler (Tagesspiegel) wagt einen historischen Einwurf: „Diese Meisterschaft ist auch ein Politikum. Jetzt erst ist diese Ortschaft, die 1938 künstlich als Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben gegründet wurde, endlich ganz in der Bundesrepublik angekommen.“

Aber es gibt auch ungetrübte Glückwünsche, Axel Kintzinger (Financial Times Deutschland) freut sich über die Unberechenbarkeit der Bundesliga: „Meister Wolfsburg! Vor ein paar Jahren noch hätte das geklungen wie die Prognose von Wirtschaftsforschern, aber nun ist es wirklich wahr. In England sind es die immer selben vier Klubs, die vorne stehen. Wie in Italien, wo es drei sind. Wie in Spanien, da sind es nur zwei. Wie langweilig! Es ist also Zeit, eine Lanze für die Bundesliga zu brechen. Das Schöne am Fußball ist, dass man vorher nicht weiß, wie es ausgeht. Für die Bundesliga gilt das mehr als anderswo, und das hat schöne Folgen: volle Stadien, prima Klima, die höchsten Sponsoring-Einnahmen weit und breit.“

Neue Fußballtradition hat begonnen

Das Unverbrauchte der Meisterfeier hebt Paul Linke (Berliner Zeitung) hervor: „Was diese Meisterfeier so erfrischend anders macht, ist der Vergleich mit dem Seriensieger FC Bayern München. Die Bilder aus Wolfsburg wirken einfach unverbrauchter, die Bierdusche ist spritziger, die Siegesschreie sind schriller. Ungläubig befühlten sie die Schale, wogen ihr Gewicht – vielleicht lag es daran, dass außer Christian Gentner noch kein Wolfsburger die Meisterschaft gewonnen hat. In München ist Siegen nur noch Routine. Konfettiregen eine Plage. Der DFL wäre wohl ein routinierter Meister und eine ordentliche Meisterfeier lieber gewesen.“

Ein Stück Wolfsburger Zauber entdeckt Peter Unfried (Spiegel Online): „Wolfsburg ist nicht der traditionslose Verein, der es auch mal schafft, es ist das Unternehmen, das durch besondere Investitionen seines Besitzers den sonst fast nicht mehr möglichen Schritt nach vorn gemacht hat und nun zu den Top-Fünf und damit auch zum Establishment gehört. VW müsste schön blöd sein, das wieder aufzugeben. Sagen wir es, wie es ist: Wenn VW den Titel als Anfang der Zukunft sieht, dann hat die Fußballtradition in Wolfsburg in diesem Moment begonnen.“

Gegenmodell zur Verwissenschaftlichung

Trainer Felix Magath bekommt von der Presse frischen Lorbeer. Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) würdigt dessen ungewöhnliche Leistung: „Magath hat eindrucksvoll bewiesen, dass er nicht nur aus einem Kader das Maximum herausholen kann, sondern dass er auch in der Lage ist, eine ganz neue und erfolgreiche Mannschaft zu kreieren. Das von ihm verpflichtete alles überragende Offensivtrio Misimovic, Grafite, Dzeko hat alles in den Schatten gestellt. Aber auch der Rest der Mannschaft wuchs über sich hinaus – spätestens nachdem klar war, dass Magath den VfL verlassen wird. Wer die von der Wechselnachricht ausgelöste Unruhe in der heißen Finalphase so professionell ausblenden kann, ist ein wahrer Meister.“

Stefan Hermanns
(Tagesspiegel) fährt Magaths Sonderweg ab: „Bei den Bayern ist Magath unter anderem an der Macht der Tradition, am Behauptungswillen der Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer gescheitert; in Wolfsburg gab es keine Tradition, und schon gar keine fragwürdige. Nur deshalb hat sich der VfL seinem Trainer bedingungslos ausgeliefert. Und er ist mehr als gut damit gefahren. Felix Magath ist kein Mann der Kompromisse, und in Wolfsburg musste er keine Kompromisse eingehen. Das Modell Magath ist das Gegenmodell zum Trend zur Spezialisierung, zur Verwissenschaftlichung des Fußballs.“

In der Ahnengalerie der großen Bundesligatrainer

Marcel Reif (Tagesspiegel am Sonntag) misst Magaths persönlichen Triumph: „Keine Frage, der VfL und Magath hatten viel Geld zur Verfügung, aber viel Geld haben und es auch gut anzulegen, ist keine Selbstverständlichkeit. Das hat Magath gemacht, hat nebenbei seinen inneren Marienplatz erlebt und sich am FC Bayern gerächt mit seiner Torwartauswechselung als Demütigung und seinem Interview auf dem Münchner Rathausbalkon. Und dann hat er noch, wenn man so will, all die Kompetenzteams des Fußballs mit Medizinbällen beworfen und getroffen.“

Philipp Selldorf (SZ) fügt hinzu: „Felix Magath hat sich für einen Platz in der Ahnengalerie der großen Bundesligatrainer qualifiziert, sein Portrait gehört in die Nähe seiner Lehrmeister und Vorbilder Ernst Happel und Branko Zebec, während zum Beispiel das Bild des Pragmatikers Ottmar Hitzfeld in einem anderen Saal hängt.“

Keine Wechselklamotten

Frank Heike (FAZ) verweist darauf, dass zum ersten Mal ein Japaner, Hasebe, Deutscher Meister geworden ist: „Endlich sind die vielen japanischen Journalisten mal belohnt worden für ihr Ausharren auf deutschen Pressetribünen.“ Die Berliner Zeitung hingegen schildert einen Kulturschock: „Die Sektdusche fiel erbarmungslos aus. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, waren die Japaner entweder frisch geduscht oder hatten keine Wechselklamotten mehr dabei.“

Ohne Herz und ohne Leidenschaft

Sven Goldmann (Tagesspiegel) ärgert sich über das 0:4 der Hertha in Karlsruhe und wirft dem Trainer, der Arne Friedrich und Andrej Woronin nicht aufgestellt hat, Kopflastigkeit vor: „Fußball ist keine Mathematik, er kennt auch eine metaphysische Ebene. Man wird nie erfahren, was allein die Präsenz des 64-maligen Nationalspielers Arne Friedrich wert gewesen wäre, welche Kapazitäten er jenseits aller technischen und taktischen Fertigkeiten geweckt hätte. Lucien Favre hat sich auf dieses gedankliche Experiment gar nicht erst eingelassen. Das muss und wird er sich vorhalten lassen. Es gibt Grenzen, die kann man mit intellektueller Überlegenheit allein nicht überschreiten. Große Mannschaften gewinnen große Spiele nicht nur mit dem Kopf, sondern auch und vor allem mit Herz und Leidenschaft. In Karlsruhe war deutlich zu sehen, warum Hertha BSC noch keine große Mannschaft ist.“

Dietmar Beiersdorfer kommentiert den 3:2-Sieg des HSV in Frankfurt und die Qualifikation für die Europa League: „In der 90. Minute im letzten Bundesligaspiel gibt es kein Abseits.“ Freddie Röckenhaus (SZ) befasst sich mit der Dortmunder Enttäuschung: „Dass BVB-Trainer Jürgen Klopp nachher, trotz sichtlicher Zerknirschtheit, die Saison als ‚erfolgreiches Zusammenwachsen von Mannschaft und Fans‘ bilanzierte, wäre noch vor zwei oder drei Wochen von jedem unterstrichen worden. Doch einen Matchball am letzten Spieltag zu vergeben, relativiert die Siegesserie des BVB und seine nur fünf Saison-Niederlagen.“

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Kommentare

5 Kommentare zu “Deutscher Meister wurde – ein Auto”

  1. Statistik Spammer
    Montag, 25. Mai 2009 um 18:01

    [quote=“Axel Kintzinger“]In England sind es die immer selben vier Klubs, die vorne stehen. Wie in Italien, wo es drei sind. Wie in Spanien, da sind es nur zwei. Wie langweilig![\quote]

    Die Meister in den letzten 17 Jahren, seit Einfuehrung der Premier League, sind:

    [b]Bundesliga[\b]
    Bayern: 9
    Dortmund: 3
    Bremen: 2
    Wolfsburg: 1
    Stuttgart: 1
    Kaiserlautern: 1

    [b]Serie A[\b]
    Juve: 5
    Milan: 5
    Inter: 4
    Roma: 1
    Lazio: 1

    [b]Primera Division[\b]
    Barca: 7
    Real Madrid: 6
    Valencia: 2
    Atlético Madrid: 1
    La Coruña: 1

    [b]Premier League[\b]
    Man United: 12
    Chelsea: 2
    Arsenal: 2
    Blackburn: 1

    Die Bundesliga ist also etwas abwechslungsreicher als die Premier League. Gratulation.

  2. Charly
    Dienstag, 26. Mai 2009 um 11:02

    Die FAZ hat leider nicht richtig recherchiert. Bereits 1978 schoss der Japaner Okudera den 1. FC Köln mit 2 wichtigen Toren im letzten Spiel gegen St. Pauli zur Deutschen Meisterschaft.

  3. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 27. Mai 2009 um 22:13

    Danke Charly, mein Fehler. Die FAZ hat das nicht geschrieben, das ist von mir. Okudera – wie konnte ich ihn vergessen? Ich hab noch ein Stollwerck-Sammelbild von ihm

  4. Der Treter
    Donnerstag, 28. Mai 2009 um 09:22

    @ Statistik Spammer:

    So eine Aufstellung ist natürlich unterschiedlich aussagekräftig; je nachdem, welchen Zeitraum man wählt.

    Beginn der Champions League ist jetzt kein schlechter Zeitpunkt. Es sind aber auch andere denkbar. Besagtes Blackburn wurde übrigens 1995 Meister (Bosman-Urteil). danach haben es in England auch nur noch 3 Mannschaften geschafft, Meister zu werden. Lässt man die Zählung in der Nach-Bosman-Zeit beginnen, ist das Verhältnis 3:6.
    Zwischen 1995 und 2003 haben Arsenal und ManU den Titel unter sich ausgemacht.
    Danach kam nur noch Chelsea dazu – ohne dem Einstieg eines gewissen Mr. A. im Jahr 2003 wären es aber wohl nur 2 Titelträger.
    Zum Schluß noch die Abschlußtabellen aus England der letzten vier Jahre. Abwechslungsreich!

    1. Manchester United
    2. FC Liverpool
    3. FC Chelsea
    4. FC Arsenal

    1. Manchester United
    2. FC Chelsea
    3. FC Arsenal
    4. FC Liverpool

    1. Manchester United
    2. FC Chelsea
    3. FC Liverpool
    4. FC Arsenal

    1 FC Chelsea
    2. Manchester United
    3. FC Liverpool
    4. FC Arsenal

  5. hendrik187
    Sonntag, 7. Juni 2009 um 22:11

    Diese Saison tritt das erste mal seit langem der Fall ein, dass ein deutscher Meister, der nicht FC Bayern München heißt, nicht nur keine Spieler gegen seinen Willen abgeben muss, sondern sich sogar noch hochkarätig verstärken kann.

    Seit dem gerade noch abgewendeten finanziellen Ruin des letzten echten Konkurrenten Bayern Münchens (Borussia Dortmund) zu Beginn des Jahrtausends hat sich immer wieder bestätigt, dass die Mannschaften, welche sich überraschend für die Champions League qualifizierten, mit der Mehrfach-Belastung überfordert waren und regelmäßig deswegen in der Bundesliga einbrachen. Deshalb gab es nach dem BVB keinen deutschen Serienmeister außer dem FC Bayern.

    Bei Wolfsburg besteht nun die Chance, dass sich dies ändert, darauf lassen die Äußerungen der Verantwortlichen – insbesondere der Vertreter von Geldgeber VW – schließen. Der Grund für eine rosige Zukunft des VFL Wolfsburgs ist der, dass der Verein einen unschätzbaren Vorteil besitzt: Dank Volkswagen kann Wolfsburg vergleichsweise risikolos in Vorleistung für zu erwartende Einnahmen gehen, die aus einer erneuten Qualifikation zur Champions League in der nächsten Saison sowie einem passablen Abschneiden in eben dieser resultieren können. Dank des Autoherstellers wäre man nicht sofort dem finanziellen Ruin nahe wie einst der BVB oder müsste wichtige Spieler umgehend versilbern, wenn die Champions League-Qualifikation in einer Saison unplanmäßig ausfällt.

    Ein Verein wie der diesjährige Tabellendritte VFB Stuttgart beispielsweise kann dieses Risiko des In-Vorleistung-Gehens nicht eingehen. Im Schwabenland wie auch an der Weser und an der Elbe muss man unter anderem das Gehaltsniveau maximal so planen, dass sich der Etat auch bei einer Europaleague-Teilnahme oder sogar ohne den Auftritt auf europäischem Terrain bestreiten lässt. Immer wieder liest oder hört man die Aussage von Vereinsvertretern wie Klaus Allofs, dass die Europacup-Einnahmen nicht in der Etatplanung als MUSS-Erträge enthalten seien. Aufgrund dieser – nachvollziehbaren – Vereinspolitk bleiben Top-Verdiener wie Hleb (VFB) oder Van der Vaart (Werder), um auf aktuelle oder zurückliegende Transfergerüchte anzuspielen, zumeist unerschwinglich oder können nicht gehalten werden (bspw. Diego). In der Folge werden unbekanntere Spieler verpflichtet und es muss ein Neuaufbau stattfinden, bei dem auf die positive Entwicklung der neuen Profis gehofft wird.

    Es ist nun mal so – es sei der Blick in die anderen Topligen empfohlen – dass nur die regelmäßige Teilnahme an der Champions League Fußballvereine finanzkräftig und vor allem auch interessant für Topspieler macht. Aus diesem Grund dominieren trotz allgemein hoher TV-Einnahmen jedes Jahr dieselben Teams die englische Premier League. Selbst der Ärmste unter den Reichen – Arsenal London – hat in der abgelaufenen Saison dank der Champions League um rund 30 Mio. Euro höhere TV-Gelder erhalten als der in der in dieser Tabelle nächstplatzierte FC Everton. Noch nicht enthalten sind in dieser Summe die zusätzlichen Ticketing- sowie Sponsoringeinnahmen. Ein solcher Unterschied beeinflusst die Kaderplanung der folgenden Saisons signifikant, da diese Mehreinnahmen mehrere zusätzliche Topspieler finanzieren. Die mehrmalige Qualifikation zur ausgesprochen lukrativen und prestigeträchtigen Champions League setzt also eine Positivspirale in Gang.

    Um meine Überlegungen zusammenzufassen: Ich hege die Hoffnung, dass sich Wolfsburg als zweite Kraft neben dem FC Bayern in der Bundesliga bestätigt und somit ein weiterer deutscher Verein mittelfristig in der Lage sein könnte, regelmäßig die Gruppenphase der Champions zu überstehen. Auch wenn man dann noch keinen zweiten FC Bayern hätte so wie es in Spanien Real UND Barca gibt, wäre der VFL doch zumindest ein niedersächsischer AS Rom.

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