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Bundesliga

Dieter Hoeneß geht – die Ära eines verdienten Kleingeists ist beendet

Oliver Fritsch | Mittwoch, 10. Juni 2009 2 Kommentare

Die vorzeitige Trennung Herthas von ihrem langjährigen Manager löst unterschiedliche Reaktionen in der Presse aus, aber auch viele aufschlussreiche Interna über Hoeneß‘ Denken und Handeln (die man gerne früher gelesen hätte)

Johannes Kopp (taz) erinnert an die glorreichen Taten Dieter Hoeneß‘: „Die Vorgänge erinnern an die Ära vor Hoeneß, als Hertha in der Disziplin des Intrigenspinnens deutschlandweit ganz vorne lag. Es war ein Verdienst von Hoeneß, dass er den provinziellen Possenspielen ein Ende setzte und professionelle Strukturen aufbaute, die dem Verein den Aufstieg und die Etablierung in der Bundesliga ermöglichten.“

Ronny Blaschke (Stuttgarter Zeitung) erwidert: „Hoeneß nutzte seine Verdienste als Schutzschild. Dass der Club unter seiner Führung Schulden häufte, erwähnte er kaum. In der Wirtschaft hätte er seinen Posten längst räumen müssen, im Fußball klammerte er sich selbstsicher an seinen Thron – und Hertha BSC stagnierte weiter.“

Den Mittelweg findet Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung): „Seine erzwungene Demission ist ein epochaler Schritt. Obschon häufig umstritten, hat Hoeness die Hertha wie kein anderer geprägt. Der brillante Rhetoriker war neben seinem Bruder Uli der dienstälteste Manager der Bundesliga. Sein Verdienst ist der Aufbau professioneller Strukturen, besonders ragt die Etablierung einer erstklassigen Jugendarbeit heraus. Im Gegenzug aber ist die Hertha noch immer hoch verschuldet.“

Michael Horeni (FAZ) überschaut die Dimension dieser Trennung: „Die Berliner Scheidung ist mehr als eine der üblichen Personalien in dieser hektischen bis hysterischen Bundesliga-Nachspielzeit. Mit dem erzwungenen vorzeitigen Abschied emanzipiert sich die Hertha. Eine Ära ist beendet.“

Selbstgewissheit um die eigene Unverzichtbarkeit

Michael Jahn (Berliner Zeitung) plaudert aus dem Fußballnähkästchen: „Hoeneß war lange der richtige Mann am richtigen Ort. Er betätigte sich rund um die Uhr als Aufbauhelfer und baute fleißig an seinem eigenen Denkmal. Unter Berliner Journalisten nannte man ihn Ufa, in Anlehnung an seinen in München durchweg erfolgreich arbeitenden Bruder: ‚Uli für Arme‘. Eben weil die finanziellen Mittel zu Beginn seiner Tätigkeit knapp und die Vermarkter von der Ufa die wichtigste Geldquelle waren. Dieter Hoeneß wollte dabei alles selbst machen. Verantwortung delegieren und seinen Mitstreitern das Gefühl geben, dass auch sie sehr wichtig sind, das konnte er nicht.“

Eine Vorstellung von Hoeneßens Kleingeistigkeit bekommt man durch folgende Zeilen: „Der Manager bekam ein Problem, weil Herthas Erfolge immer mehr an Trainer Lucien Favre festgemacht wurden. Hoeneß schien darunter sehr zu leiden, und er verlor seine einstige Gabe, Stimmungen und Schwingungen im Umfeld richtig zu deuten. Er neidete Favre den Erfolg – eine paradoxe Situation. Er merkte zu spät, dass er sich isoliert hatte.“

Die SZ moniert den „fast unwürdigen Abschied“ von „einem der letzten Absolutisten der Bundesliga“. Zumal er an Gegenbauer, Preetz und Favre gescheitert sei, also an „drei Männern, die allesamt von Hoeneß in den Klub geholt wurden – und die ihn nun für verzichtbar halten“. Dem Text Claudio Catuognos entnimmt man auch, dass Hoeneß Favre in die Aufstellung gequatscht und sich öffentlich über Favre, den er eigentlich schätzte, despektierlich geäußert habe. „Den entscheidenden Fehler“, ergänzt Catuogno, „beging Hoeneß aber schon vor dreieinhalb Jahren: Da verkündete er wie aus einer Laune heraus, seinen bis Sommer 2010 laufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen, vermutlich auch in der Selbstgewissheit, dass seine Unverzichtbarkeit schon noch rechtzeitig auffallen würde. Doch niemand bat ihn um einen Rücktritt vom Rücktritt.“

Der Verein bin ich

Sven Goldmann (Tagesspiegel) stellt den neuen Mann der Berliner Geschäftsstelle vor: „Der Stürmer Michael Preetz war zu seiner besten Zeit Ende der neunziger Jahre mehr als ein gewöhnlicher Fußballspieler. Herthas Trainer damals hieß Jürgen Röber, sein Einfluss auf die Mannschaft war allerdings gering. Wenn die Spieler auf den Platz gingen, baldowerten sie ihre eigene Taktik aus, die eigentlichen Trainer waren Abwehrchef Kjetil Rekdal und eben Michael Preetz. Das klappte immerhin so gut, dass Hertha in die Champions League einzog. Röber sonnte sich gern in dem Erfolg, den er nur am Rande zu verantworten hatte, was Rekdal regelmäßig zur Weißglut trieb. Preetz hatte für den wütenden Kollegen nur ein müdes Lächeln übrig. Ist doch egal, wer sich feiern lässt, Hauptsache das Ergebnis stimmt.“

Zudem lässt Goldmann raus: „In semivertraulichen Gesprächen ließ Hoeneß gern durchblicken, wie wenig er von Preetz hält und wie viel dieser noch lernen müsse.“

Mit Preetz‘ schweren Erbe befasst sich Stefan Hermanns (Tagesspiegel): „Preetz muss auf die Schnelle eine Mannschaft zusammenstellen, die besser sein soll als die der vorigen Saison – und er darf dafür nicht nur kein Geld ausgeben, er muss sogar noch welches einnehmen. Michael Preetz legt sich nicht ins gemachte Bett, er fängt auch nicht bei null an, sondern weit darunter. Auch das ist eine Hinterlassenschaft des Dieter Hoeneß, der gerne das große Rad gedreht hat – ohne Rücksicht auf finanzielle Verluste.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) wirft zwei Brüder in einen Topf: „Das Jahr 2009 wird die Bundesliga so schnell nicht vergessen. Es ist das Jahr, in dem Uli und Dieter Hoeneß verschwinden und mit ihnen ein Jobprofil, das das deutsche Kickergewerbe über Jahre geprägt hat – das nun aber überholt zu sein scheint. Das Prinzip Hoeneß hat darauf basiert, dass alle Macht beim Manager liegt: Er darf dem Trainer einen Angreifer ins Aufgebot drücken, dessen Außenristschüsse ihm seit der letzten Südamerikareise schlaflos durchjauchzte Nächte bereiten. Er nimmt sich das Recht heraus, während des Spiels auf der Bank zu sitzen und dort – in schlechten Zeiten – für den Coach wie eine Kündigungsdrohung zu wirken. Er versteht sich als Fürsprecher und Reinredner. Seine Kernbotschaft lautet: Der Verein bin ich.“

Ein altes Zitat von Norbert Pflippen taucht wieder auf. Der ehemalige Berater Sebastian Deislers mokierte sich über den Spleen des Berliner Managers, möglichen Bewerbern die Stadt und den Grunewald zu zeigen: „Der Hoeneß ist mit dem Basti und mir beinahe vier Stunden durch den Wald gebraust. Ich habe ihn dann gefragt, ob der Sebastian etwa Förster werden soll.“

Kommentare

2 Kommentare zu “Dieter Hoeneß geht – die Ära eines verdienten Kleingeists ist beendet”

  1. Marc Lennard
    Freitag, 12. Juni 2009 um 00:51

    Das Rekdal und Preetz damals die Mannschaftsaufstellung machten ist ja wohl ziemlich lächerlich und zeugt von eher geringer Fachkompetenz!Tatsache ist doch das Jürgen Röber 6(!) Jahre hervorragende Arbeit in Berlin geleistet hat!Rekdal war sicherlich ein guter Spieler aber Er ist nicht mit Hertha aufgestiegen-und schon das war eine große Leistung!Und Preetz war vorher sicher ein guter Zweitligaspieler,den großen Sprung hat Er aber erst unter Röber gemacht,der ihn ja auch geholt hat!Das sind Tatsachen die gern vergessen werden!Und wenn es in einzelnen Spielen wirklich mal vorkam das die Mannschaft von sich aus Dinge geändert hat war das sicher eher die Ausnahme denn die Regel-und spricht ja auch nicht unbedingt gegen den Trainern und dessen Autorität sondern zeigt doch das Er in der Lage ist mit intelligenten Spielern umzugehen!
    Das Gespann Röber/Hoeneß war das Beste das diese Stadt jemals gesehen hat…daran konnte auch Hoeneß (bis vielleicht auf das letzte halbe Jahr) nie wieder anknüpfen…wollen wir hoffen das Preetz und Favre ähnlich erfolgreich werden!

  2. Maggoclown
    Freitag, 12. Juni 2009 um 20:42

    Also wenn man in längeren Dimensionen denkt muss Hertha dem Hoeness eingentlich ein Denkmal bauen. Hat er doch trotz allem maßgeblichen anteil, dass die Hertha wieder ein etablierter Club in der Bukli ist. Das war auch mal ein Vierteljahrhundert anders.

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