indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Subversive Kraft der Fehlentscheidung

Frank Baade | Montag, 10. August 2009 7 Kommentare

Diskussionen um eine mögliche Torkamera, schwache Bayern, ein zürnender Magath und Bremer Defensivprobleme wie im letzten Jahr

Bayern suchen sich noch

Die FAZ sieht die Bayern in Person von Christian Kamp noch auf der Suche nach Identität. Uli Hoeneß‘ Sicht, der einen hervorragenden Auftritt gesehen haben wolle, habe er exklusiv. Vielmehr sei noch viel zu tun für die Bayern. Obwohl taktische Fortschritte zur „strukturlosen Spätphase unter Klinsmann“ zu erkennen sei, fehlten Spieler, die wegen ihrer Klasse herausragten. Stattdessen sei der aggressive van Bommel prägendes Element im Bayern-Spiel gewesen: Angesichts der Investitionen der Bayern vor der Saison eine erstaunliche Erkenntnis.

Unter dem Titel „Das Lächeln des Löwen“ sieht Marco Plein (Spiegel Online) ebenfalls schwache Bayern: „Fahrig, unkonzentriert, umständlich – die Bayern sind unter Louis van Gaal erstaunlich durchwachsen in die Bundesliga gestartet.“ Und einen tierischen van Gaal: „Wie ein reizbarer Löwe im Zoo, den man besser nicht aufschrecken sollte – man weiß ja nicht, wie er darauf reagiert –, saß der autoritäre Fußballlehrer da. Seine Bayern, die in diesem Sommer mal eben fast den halben Kader ausgetauscht hatten, spielten so, als ginge es nicht gegen die starken Hoffenheimer, sondern noch mal gegen die sechstklassige Spielvereinigung Neckarelz. Miroslav Klose und Franck Ribéry wurden am Samstag beide schmerzlich vermisst. Der wuselige Franzose freilich noch ein bisschen mehr.“

Pro und contra Torkamera

Jan Christian Müller (FR) äußert sich zur Diskussion um eine mögliche Torkamera: „Letztlich können die Schiedsrichter noch so intensiv geschult werden (was aufgrund beruflicher Belastung längst noch nicht ausreichend der Fall ist) – in solchen Szenen hilft ihnen für zweifelsfreie Aufklärung am besten technische Hilfe. Dass die Uefa diese Saison in der Europa League Torrichter testet, ist ein richtiger Schritt in die falsche Richtung. Denn so wird die Verantwortung doch nur auf die Fehlbarkeit des Menschen übertragen.“

Im Kommentar für die SZ spricht sich auch Klaus Hoeltzenbein für die mögliche Technik aus: Der Vorfall in Hoffenheim habe klar gemacht, wie einfach solche Entscheidungen wären, wenn der Schiedsrichter das nutzen könnte, was jeder Fernsehzuschauer vor Augen habe. Auf diese Weise würde die Fairness erhöht und die Autorität des Schiedsrichters geschützt. Dass die UEFA nun nur auf menschliche Torrichter setze, sei nicht nachvollziehbar.

Eine Gegenstimme erhebt Markus Hesselmann im Tagesspiegel: „Der Fußball lebt auch von seinem anarchischen, subversiven Potenzial. Vom Favoritensturz durch den einen, genialen Spielzug des Underdogs. Von den Aussetzern der Superstars. Von einem entscheidenden Tor in der Nachspielzeit nach 90 Minuten grausigen Standfußballs. Und eben auch vom menschlichen Drama der Fehlentscheidung durch die oberste Autorität auf dem Platz. Der Fußball ist gerade deshalb so groß, weil er so anfällig ist für Fehler. Der Philosoph Martin Seel nannte populären Sport die ‚Zelebration des Unvermögens‘. Fußball wäre dann das Hochamt des Unvermögens. Den Schiedsrichter hier herauszulösen und ihm durch technische Mittel zu einer Quasi-Unfehlbarkeit zu verhelfen, nähme dem Spiel viel von seiner subversiven Kraft, aus der die Fußballkultur schöpft. Der Fußball, wie wir ihn kennen und lieben, braucht die Fehlentscheidungen sogar.“

Bremer Baustelle

Frank Hellmann (FR) kritisiert Werder Bremen: „Ein unfertiges Ensemble, schlecht eingespielt, kaum abgesichert, quittierte nach der verdienten Heimniederlage gegen die forsche Frankfurter Eintracht gellende Pfiffe. Die Probleme des Pokalsiegers sind diffizil und haben natürlich einiges mit dem Diego-Abgang zu tun. Die vollzogene Systemumstellung, das Mittelfeld zugunsten der Dribbler Özil und Marko Marin quadrat- statt rautenförmig anzuordnen, führt zu noch mehr Dysbalancen im Defensivkonstrukt, als wenn beide nur halbherzig den Rückwärtsgang einlegen. Und Rückkehrer Tim Borowski einfach die Nummer sechs auf den Rücken zu packen und zu glauben, der lethargische und in München nicht grundlos aussortierte große Blonde sei ein defensiver Mittelfeldstratege, könnte ein fataler Irrtum sein. Ob der Deal mit Claudio Pizarro, dessen Kauf insgesamt annähernd 20 Millionen Euro kostet, Sinn macht, muss Werder entscheiden. Womöglich wäre es vernünftiger, das Geld für einen guten ‚Sechser‘ auszugeben?“

Frank Heike sieht in der FAZ „schlampige“ Bremer Abwehrarbeit. Wie in der Vorsaison habe Werder sich verunsichern lassen und enorme Lücken im Mittelfeld gezeigt. In Frankfurt hingegen gebe es positive Stimmung und Skibbe habe zumindest an diesem Spieltag sein Versprechen des schöneren und schnelleren Fußballs gehalten. Und anders als Vorgänger Funkel wiegele Skibbe nach einem Sieg nicht gleich ab. Durchaus möglich, dass man das neue Gesicht der Eintracht gesehen habe, so Skibbe.

In der Welt stimmen Kai Niels Bogena und Patrick Krull in die Diagnose ein: „Das Bremer Kollektiv fühlt sich zum Stürmen berufen, das Verteidigen scheint ihm eher lästig zu sein. Vorn hui, hinten pfui – die neue Spielzeit beginnt schon wieder mit den alten Problemen. Zumal für die Abwehrabteilung keiner dazu gekauft wurde. Es brandet schlichtweg zu viel hinten an, als dass der Damm auf Dauer halten könnte. Als Miroslav Klose noch in Bremen spielte, war das anders. Er war der erste Abfangjäger seines Teams, attackierte den Gegner schon, als der sich noch zum Gegenangriff sammeln wollte. Kloses Nachfolger dagegen fühlen sich nicht als Abfangjäger. Im Vergleich zu ihm bieten Spieler wie Boubacar Sanogo oder Hugo Almeida den Kontrahenten Geleitschutz.“

Unprofessionelle Schalker

Oliver Müller schreibt in der Welt über den Schalke Auftaktsieg: „Der Sieg war zustande gekommen, obwohl sich die Schalker in Teilen unprofessionell verhalten hatten. Und so gab es für Magath viele Gründe trotz der drei Punkte sauer zu reagieren. Er befürchtet zum einen, dass die Defizite vom Sieg genauso übertüncht werden könnten wie sein Wunsch nach weiteren Verstärkungen. Zum anderen demonstrierte Felix Magath mit seinem Auftritt und all seinen Entscheidungen, wer auf Schalke außer ihm im sportlichen Bereich noch etwas zu sagen hat. Niemand.“

Gesunde Selbsteinschätzung

Über Armin Veh schreibt Stefan Hermanns (Tagesspiegel): „Man kann es gewagt finden, dass der VfL als Nachfolger für Felix Magath einen Trainer engagiert hat, der mit der Konsolidierung auf höchstem Niveau schon einmal überfordert war; man kann es auch als besonders clever werten, weil Veh mit Sicherheit klug genug ist, dieselben Fehler nicht ein zweites Mal zu begehen. In Stuttgart hat er einst mit Macht versucht, die Meistermannschaft personell aufzumotzen und dabei ein funktionierendes Team zerlegt; beim ersten Bundesligaauftritt mit dem VfL hingegen hielt sich sein Veränderungswillen in Grenzen. Das heißt nicht, dass in Wolfsburg alles so bleiben wird, wie es war. Veh will mehr Kurzpässe und Kombinationen sehen. Mit Grafite, Misimovic und Edin Dzeko verfügt Wolfsburg auch für diese Art Fußball über ausreichend individuelle Qualität. Ein Hang zur Selbstüberschätzung ist jedenfalls nicht festzustellen, viel eher eine gesunde Einschätzung der neuen Situation.“

Alte Mainzer Tugenden geweckt

Wie in alten Zeiten unter Klopp sieht Peter Hess in der FAZ die Mainzer: „Jugendlich, leidenschaftlich, stürmisch.“ Das läge zum großen Teil an Thomas Tuchel, der wie Klopp Forechecking und schnelle Ballzirkulation bevorzuge. Doch nach dem Rückstand sei dieser „Zauber“ beendet gewesen. Spätestens nach Ivanschitz‘ Ausscheiden sei den Mainzern nur geblieben, zu kämpfen und auf einen Standard zu hoffen. Dass Tuchel dieses Herz und diese Leidenschaft die Basis des Mainzer Spiels nenne, sei ebenfalls fast wie bei Klopp.

Reprise der Vergangenheit

Über die erste Partie Hertha BSC Berlins äußert Stefan Hermanns Lob im Tagesspiegel: „Das Spiel gegen Hannover wirkte in vielem wie eine Reprise der Vergangenheit. Die Mannschaft tut sich gerade gegen mäßige Gegner spielerisch schwer, überzeugt vor allem in der Defensive, die Fans rufen nach Pantelic, der Trainer ignoriert diesen Wunsch – und am Ende gewinnt Hertha durch einen späten Treffer mit einem Tor Unterschied. Möglicherweise hat dieses Tor, das auf eine ganz eigene Weise spektakulär war, einiges über die neue Hertha erzählt, die der alten doch noch frappierend ähnelt. Weil das Tor gezeigt hat, dass sich Kacar und Hertha eben nicht so einfach abschütteln lassen.“

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Kommentare

7 Kommentare zu “Subversive Kraft der Fehlentscheidung”

  1. Frank Baade
    Montag, 10. August 2009 um 14:33

    Gerade erreicht mich eine Leserzuschrift, die darauf hinweist, dass Frank Hellmann sich irrte, als er annahm, dass die Zuschauer in Bremen das eigene Team auspfiffen.

    Ein unfertiges Ensemble, schlecht eingespielt, kaum abgesichert, quittierte nach der verdienten Heimniederlage gegen die forsche Frankfurter Eintracht gellende Pfiffe.

    Vielmehr galten diese Pfiffe der Leistung von Schiedsrichter Fleischer, so die Zuschrift, die auch noch auf die Kicker-Note für den Schiedsrichter hinweist: Note 5. Der Autor bezeugt, dass das Bremer Team selbst mit warmem Applaus ob des immerhin beherzt offensiven Auftritts verabschiedet wurde und merkt an, dass er kein Bremen-Fan sei.

    Danke für diesen Hinweis.

  2. NummerNeunzehn
    Montag, 10. August 2009 um 15:13

    —Zitat—
    Den Schiedsrichter hier herauszulösen und ihm durch technische Mittel zu einer Quasi-Unfehlbarkeit zu verhelfen, nähme dem Spiel viel von seiner subversiven Kraft, aus der die Fußballkultur schöpft. Der Fußball, wie wir ihn kennen und lieben, braucht die Fehlentscheidungen sogar.

    Pah! Grober Unfug! Tor ist Tor. Und wenn ein derart klares Tor nicht gegeben wird ist das nicht subversiv, sondern schlichtweg ungerecht. Ich jedenfalls brauche keine derart offensichtlichen Fehlentscheidungen um mich am Fußball zu erfreuen. Es gibt auch so noch genügend Situationen, wo man sich über unterschiedliche Auslegungen streiten kann. Etwa die Szene van Bommel gegen Vorsah aus demselben Spiel.

    Die Torkamera oder auch der Chip im Ball muss her. Das so häufig vorgebrachte Argument, man könne nicht auf eine solche Art Unterschiede zwischen Profi- und Amateurfußball fördern, greift m.E. nicht. Diese Unterschiede existieren doch allein schon dadurch, dass es ab einem bestimmten Punkt keine Linierichter gibt.

  3. erha
    Montag, 10. August 2009 um 18:52

    Ein hervorragender Überblick über das 1. Bundesligawochenende! Vielen Dank.

    Zur Torkamera: das Subversive, ja das Magische rührte doch von der Gleichheit zwischen Schiedsrichter und (Fernseh-)Publikum. Beim Wembley-Nicht-Tor haben alle zusammen gerätselt, ob´s ein Tor war oder nicht. Das trägt zur Legendenbildung bei.
    Den Fußball vor voranschreitender Technologie zu schützen funktioniert deswegen nicht, weil der Fernsehzuschauer massiv aufgerüstet hat, er hat 20 Kameraaugen und ist dem Schiri überlegen. Das nenn ich Ungleichgewicht, denn dadurch wird der Schiri zum Idiot des Feldes, weil´s „alle“ gesehen haben und er nicht. Das ist nicht mehr spannend, das ist dem Schiri gegenüber unfair.

    Bei „Wer wird Millionär“ hat es der Telefonjoker unglaublich schwer, weil er – im Gegensatz zu den Menschen im Studio und am Bildschirm – die einzige an der Sendung beteiligte Person ist, die weder die Frage noch die Antworten sehen kann (is nämlich keine Live-Sendung). Der Schiri kommt mir immer vor wie Jim Carrey in der Truman-Show: alle wissen alles besser, nur Truman hat keine Ahnung.

    Der Schiri wird so (ungewollterweise?) zum Clown der Mediengesellschaft.

    mfG,
    erha

  4. Felix
    Montag, 10. August 2009 um 21:19

    OT:
    Wo sind denn die Links zu den wirklich sehr guten anderen Fußball-bzw. Sportblogs, die sonst immer am rechten Rand zu finden waren?

    Eine meiner liebsten Beschäftigung nach jedem Spieltag, die Meinungen der geschätzten Verfasser zu lesen.

    Keep up the good work!

  5. tafelrunde
    Montag, 10. August 2009 um 21:35

    @erha: Toller, überraschender Blickwinkel. Der Vergleich mit der Truman-Show: genial;-)
    Was allerdings die Passage mit der Jauch-Sendung da zu suchen hat, bleibt für mich rätselhaft.

  6. Nisang Van Kuchen
    Montag, 10. August 2009 um 22:24

    Ist schon ein Ding, was die Bremer sich da leisten. Haben letzte Saison noch versucht, das Ergebnis mit dem Pokalsieg und UEFA-Finale schönzureden. Doch jetzt heißt es, die Fehler zu erkennen, statt weiterhin zu erklären, daß sie nicht aktiv genug oder noch schlimmer zu passiv waren.

    Wo ist der Bremer Mannschafst- und Kampfgeist der Jahre 2003/04 geblieben, wo die Gegner so locker an die Wand gespielt wurden?

  7. Heffer
    Montag, 10. August 2009 um 22:41

    @erha: wirklich guter beitrag, vielen dank dafür!

    @baade: ich bin sehr dankbar, dass die Schau hier weitergeführt wird und Das meiner Meinung nach immernoch mit sehr viel Qualität!

    Heffer

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