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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Sündenbock Ronaldo

Frank Baade | Mittwoch, 9. September 2009 5 Kommentare

Portugal ist schon fast ausgeschieden und sucht Erklärungen, in Bosnien träumt man von Einigkeit, die Schweiz auf dem Weg zur direkten Qualifikation

Martin Henkel bringt angesichts portugiesischer Erfolglosigkeit mangelndes Karma des Trainers ins Spiel in der Berliner Zeitung: „Da braucht es Sündenböcke. Ronaldo ist der eine. Wie in den Spielen seines neuen Klubs Real Madrid stürmte der 24-Jährige zuletzt in den Spielen der Nationalmannschaft mit wilden Übersteigern und Sprints, desorientiert und verbittert, durch die gegnerischen Reihen – ohne Torerfolg. Der Kapitän hat seit dem 1:1 im EM-Spiel gegen Tschechien in keinem Pflichtspiel getroffen, da fällt auch sein Treffer im Freundschaftsspiel gegen Finnland im Februar nicht ins Gewicht: Es war ein Elfmeter. Der zweite Sündenbock ist Trainer Carlos Queiroz. Dem 56-Jährigen steht ein Heer an Topspielern zur Verfügung. Aber vielleicht ist das ja eines der Probleme, vielleicht fehlt ihm die nötige Autorität. Queiroz, bis vergangenen Sommer Assistenztrainer bei Manchester United, ist bislang nur einmal Cheftrainer eines Klubs gewesen, 2003 bei Real Madrid. Er wurde nach zehn Monaten gefeuert. Damals zeigte sich der gebürtige Mosambikaner wankelmütig und wechselte dauernd das System. Da hat er sich nicht verändert. Dass Ronaldo aber seit 567 Minuten nicht mehr getroffen hat, ist auch mit den häufigen Systemwechseln nicht zu erklären. Am Ende liegt es vielleicht doch am Karma des Trainers. Queiroz gilt als der Entdecker der ‚Goldenen Generation‘ um Luís Figo, Fernando Couto und Rui Costa, zweimal wurde er mit ihnen U20-Weltmeister, 1989 und 1991. Kurz darauf folgte er ihnen als Trainer zur A-Nationalelf – und führte sie in ein Debakel, das nun droht, sich zu wiederholen. Er verpasste die Qualifikation für die WM 1994 in den USA.“

In der taz erteilt Erich Rathfelder dem Fußball wieder Aufgaben, weit über das Sportliche hinaus: „Bosnien und Herzegowina kann am Mittwochabend die Türkei abhängen. Dabei geht es nicht nur um Fußball. Ein Erfolg könnte auch der inneren Integration des Landes dienen. Der jüngste Erfolg (2:0 in Armenien) war zwar ein Arbeitssieg und strahlte wenig Glanz aus. Aber das Spiel wurde gewonnen, obwohl der Wolfsburger Mittelfeldspieler und eigentlich unersetzliche Ideengeber Zvjezdan Misimovic fehlte. Dieses Spiel sei kein Maßstab. Gegen die Türkei seien alle wieder an Bord. Alle Spieler, so der Wolfsburger Stürmer Edin Dzeko, die Hoffenheimer Sejad Salihovic und Vedad Ibisevic oder der Cottbusser Verteidiger Ivan Radeljic, verdienen als Profis im Ausland ihr Geld – in Graz, Istanbul, Glasgow, Moskau, Lille, Athen, auch in Split und Zagreb. Aus der eigenen Liga dagegen kommt kein Einziger mehr. Die meisten Bewohner aus der kroatischen und serbischen Volksgruppe identifizieren sich bisher mit den Nationalteams von Serbien oder Kroatien. Schaffe man die Qualifikation, würden viel mehr Leute sich mit Bosnien und Herzegowina identifizieren. Und nicht nur die Bosniaken, wird ein bosnischer Fan zitiert.“ Ohne die Frage nach der Dauerhaftigkeit einer solchen Identifikation oder der Glaubwürdigkeit eines einzelnen Fans zu beantworten, schließt Rathfelder den Beitrag zu dieser eigentlich interessanten Frage.

Hitzfeld ‚an‘ der WM

Die NZZ berichtet vom üblichen Lavieren Hitzfelds zwischen den Polen: „Hitzfeld interpretiert die Rolle des Favoriten mit dem Wissen desjenigen, der sich nach vielen Meistertiteln und Champions-League-Finals auskennt mit bedeutungsvollen Spielen. Denn es geht um viel, um sehr viel: Die Ausgangslage für die Schweiz, die die WM-Qualifikation als Gruppenerster zum Ziel hat, ist als Leader mit drei Punkten Vorsprung auf Griechenland und Lettland so günstig, dass alles andere als die direkte Qualifikation für das Turnier in Südafrika grobfahrlässigem Versagen gleichkäme. Davon ist nichts zu hören vor dem Spiel gegen die Letten, sondern das Gegenteil: Vom ‚langen Weg an die WM‘ ist die Rede (…). Die Botschaft: auf dem Boden bleiben, Demut zeigen, Druck wegnehmen. Denn der Druck ist erheblich nach dem Sieg gegen Griechenland, der den Schweizern ‚drei Big Points‘ (Hitzfeld) eingebracht hat. Niemand schert aus in der Phase des Erfolgs. Immerhin steht die Schweizer Fussballnationalmannschaft vor der vierten Endrundenteilnahme in Folge. Die Erfahrungen, die nicht nur Spieler wie Yakin, Frei, Magnin, Grichting oder Huggel in der Vergangenheit gemacht haben, deuten sich auch im Selbstverständnis der Gruppe an. Es herrscht hier eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Realitätssinn. Den Umgang mit dieser explosiven Mixtur musste das Team in dieser WM-Qualifikation proben: Nach der Niederlage gegen Luxemburg galt es das Selbstbewusstsein zu wahren, fünf Siege später gilt es nun, nach dem Spiel gegen Griechenland Realitätssinn an den Tag zu legen.“

Kommentare

5 Kommentare zu “Sündenbock Ronaldo”

  1. Heinz Gründel lebt
    Mittwoch, 9. September 2009 um 11:29

    Ich konstatiere wieder einmal journalistische Kurzsichtigkeit: Unter Scolari spielte Portugal bereits ähnlich taktisch vogelwild wie unter Queiroz und quälte sich ächzend durch die Quali zur EM 2004, wo sie bekanntlich im Viertelfinale an einer Elf scheiterten, die deutsche Journalisten gerne klein machen.
    Ergo: Portugal ist seit 2004 eine Elf irgendwo zwischen Wollen und Können. Die kann gegen biedere, aber gut organisierte Dänen und Schweden schon mal scheitern.

  2. Andreas
    Mittwoch, 9. September 2009 um 12:34

    @Heinz Gründel: Protugal 2004? Da waren die im Finale gegen Griechenland und da die EM in Portugal stattfand mussten sie sich nicht ein mal qualifizieren.
    Darüber hinaus werden Portugal mit Ronaldo und Schweden mit Ibrahimovic seit Jahren überbewertet. Für mich waren die Siege von Deutschland und Rußland bei der letzten EM keine Überraschungen!

  3. Frank Baade
    Mittwoch, 9. September 2009 um 17:08

    Heinz Gründel meint sicher die EM 2008.

    Qualigruppen-Endstand der Gruppe A:

    1. Polen 28
    2. Portugal 27
    3. Serbien 24
    4. Finnland 24

    Letzte Partie: Portugal-Finnland 0:0. Da bei Punktgleichheit der direkte Vergleich gezählt hätte, wäre bei einem Sieg Finnland statt Portugal qualifiziert gewesen, was in einer Gruppe mit den obigen vieren plus Belgien, Kasaschstan, Armenien und Aserbaidschan wahrlich ein ächzendes Durchquälen zu nennen ist.

  4. Heinz Gründel lebt
    Donnerstag, 10. September 2009 um 07:51

    So ist es! Die Quali zur 2008 meinte ich natürlich … Bin mittlerweile schon so alt, dass ich all die Jahreszahlen dieser ZMs, ähm, WMs und EMs durcheinander bringe.

  5. Frank Baade
    Freitag, 11. September 2009 um 13:27

    Und außerdem wäre der Fall der Punktgleichheit bei einem Sieg Finnlands natürlich gar nicht zum Tragen gekommen, wie ich jetzt erst merke.

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