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Eigengewächs-Elf

Frank Baade | Freitag, 2. Oktober 2009 Kommentare deaktiviert für Eigengewächs-Elf

Wolfsburg überzeugt und verliert dennoch, beim FC Bayern spielt die hauseigene Jugend Juventus an die Wand, ohne finalen Erfolg, der FC Zürich hat die Krise des AC Milan erfolgreich genutzt

Raphael Honigstein (FR) erlebt in Manchester eine sehr kurze Liebelei der Wolfsburger: „Der deutsche Meister war auch auf dem Platz sehr weite Wege gegangen, um am Ende die Spielstätte leider so zu verlassen, wie man sie 24 Stunden zuvor betreten hatte: mit exakt jenen drei Zählern aus dem Heimsieg gegen Moskau auf dem Konto. (…) In Wahrheit hatte sich die Partie irgendwo zwischen den mutwillig verwendeten Extremen abgespielt. Ein in Viertelstunden-Happen vor und nach der Pause richtig gutes Wolfsburg flirtete nach dem Tor von Edin Dzeko bis zum glücklichen Ausgleich von Ryan Giggs drei Minuten lang mit einer gewaltigen Überraschung, hätte ohne den glänzenden Diego Benaglio im Kasten aber auch problemlos höher verlieren können. (…) Erfreuliche Selbsterkenntnis: Der VfL Wolfsburg kann auf diesem Niveau nicht nur hübsch mithalten, der Meister kann auch gegen eine ausgewiesene internationale Spitzenmannschaft bestehen.“

Unsicher und ungeduldig

Von unentschlossenen Bayern bezüglich der Bewertung des Ergebnisses berichtet Stephan Klemm in der FR: „Die Bayern sind nach wie vor auf der Suche nach ihrer Souveränität. Sie sind unsicher und, wie van Gaal verriet, auch ungeduldig. Der Fortschritt lässt sich zu viel Zeit. Man könne nicht jede Woche sagen, dass man ja hätte gewinnen können. ‚Wir haben ja nicht gewonnen.‘ Die Tore fehlten. Das war auch eine kleine Rückblende auf den vergangenen Samstag: Da hieß es 0:1 in Hamburg. Nun wieder kein Treffer. Auf der anderen Seite war es ein überzeugendes Spiel, das Uli Hoeneß irgendwo auch beruhigt: Man habe gesehen, dass man auf höchstem Niveau mithalten könne.“

In der Berliner Zeitung verweist Michael Neudecker auf eine Besonderheit in der Aufstellung des FC Bayern, die man van Gaal zuschreiben müsse: „Ottl, Müller, Schweinsteiger, Lahm, Badstuber: Am Mittwochabend standen fünf Eigengewächse in der Startelf des FC Bayern, davon in Ottl und Lahm sogar zwei gebürtige Münchner. Die Eigengewächs-Elf dominierte Juventus Turin. Man kann Louis van Gaal vielleicht manches vorwerfen, seine eigenartige Wankelmütigkeit, was das taktische System anbelangt, sein eigenwilliger Umgang mit anderen Spielern – aber nicht, dass er Nachwuchskräften keine Chance geben würde. Er hat der Nation Holger Badstuber präsentiert, er hat Thomas Müller endlich losgebunden, und er hat die Münchner daran erinnert, dass sie noch einen Mittelfeldspieler namens Ottl haben. Ottl war nicht grandios am Mittwochabend, er schlug sogar ein paar wirre Fehlpässe. Aber er war defensiv weitgehend fehlerlos, zusammen mit Schweinsteiger hatte er Turins Diego im Griff. Van Gaal kam deshalb zu der Feststellung, Ottl und Schweinsteiger seien die besten Spieler auf dem Platz gewesen. (…) Bei aller Eigengewächseuphorie muss doch festgestellt werden: Es waren Ribery und Robben, die dem Spiel die Richtung gaben.“

Thomas Becker relativiert in der Financial Times Deutschland sowohl van Gaals Benehmen gegenüber dem Schiedsrichter nach Schlusspfiff als auch den Teilerfolg gegen einen vermeintlich großen Klub: „Die Aufregung van Gaals sah zwar nicht schön aus, war aber nachvollziehbar. Wer über weite Strecken der Partie eine Spitzenmannschaft wie Juventus Turin beherrscht hat, fühlt sich mit nur einem Punkt nicht adäquat belohnt. Wohl selten hat sich eine Mannschaft so viel Torchancen gegen die Juve-Defensive erarbeitet wie der FC Bayern in der ersten Halbzeit. (…) Wie gut ist der FC Bayern denn nun schon? Gut genug für Juve also, was toll klingt, laut Bastian Schweinsteiger aber relativiert werden muss: Manchester United sei noch einen Tick besser.“ Auch Thomas Becker verwendet leider die in England nur bei Gegnern des Klubs gebräuchliche Abkürzung „ManU“ für Manchester United.

Ein einsamer Bahnhofsvorsteher

Flurin Clalüna (NZZ) greift zu Eisenbahn-Metaphern, als der FC Zürich nach zuvor schwachen Leistungen überraschend in Mailand gewinnt: „Eine Verwandlung war es nicht, eher eine Wiederentdeckung von sich selber. Trainer Challandes spürte: Es war eine Frage der Zeit, bis dies geschehen musste. Er war wie ein einsamer Bahnhofvorstand, der genau wusste, dass hier irgendwann wieder ein Zug vorbeifahren würde. In San Siro fuhr er ein – nicht in Bern gegen YB, nicht gegen Xamax im Letzigrund, wo eine Reaktion vielleicht naheliegender gewesen wäre. Es klingt surreal, dass die Befreiung ausgerechnet in Mailand gelang, aber hier spielte der FCZ wie in den Ferien, weit weg vom Alltag. In einer solchen Umgebung gelingen manchmal verrückte Dinge. Challandes hatte seiner Mannschaft aber auch geholfen, sich in der Scala des Fussballs zurechtzufinden. Er bewies, dass er ein gegnerisches Spielsystem durchschauen und seinen Spielern Lösungen aufzeigen kann. Der FC Zürich profitierte von der Formkrise der AC Milan, doch das ist etwas, was einem Schweizer Team sonst nicht gelingt. Milan spielte vor allem in der ersten Halbzeit mit einem Mittelfeld, welches die ‚Perfektion des Negativen‘ war, wie die ‚Gazzetta dello Sport‘ schrieb.“

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