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Interview

Der Teppich von Moskau

Christoph Asche | Dienstag, 6. Oktober 2009 1 Kommentar

Vier Tage vor dem wichtigen Spiel der deutschen Elf gegen Russland dreht sich vieles um den Kunstrasen im Moskauer Luzhniki-Stadion. So auch in den Interviews mit Guus Hiddink und Andreas Ivanschitz.

Matthias Schepp und Christoph Biermann (Spiegel Online) sprachen mit dem russischen Trainer:

SPIEGEL ONLINE: Herr Hiddink, der deutsche Fußball ist in Holland über viele Jahre hart kritisiert und teilweise sogar verspottet worden. Sie haben sich dabei auffallend zurückgehalten. Aus Höflichkeit?

Hiddink: Nein. Das liegt an meiner Abneigung gegen Generalisierungen. In der Vergangenheit war der deutsche Fußball vielleicht technisch nicht so versiert, sondern eher läuferisch stark. Wir in Holland hingegen haben unsere Spieler immer technisch und taktisch gut ausgebildet, aber das Athletische etwas unterbewertet. Wenn man den Unterschied beschreiben wollte, hat man vom Laufpensum gesprochen, was eines dieser phantastischen Wörter ist, die es nur in der deutschen Sprache gibt. Schaut man auf Spieler wie Beckenbauer, Netzer und Overath, waren sie aber technisch gut und sehr elegant.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch heute noch deutsche Spieler, die Sie als Fußballliebhaber gerne sehen?

Hiddink: Oh ja, Podolski macht immer viel Betrieb, und der junge Özil ist ein kreativer Spieler, wie man ihn gerne sieht. Auch Lahm ist sehr aktiv. Es gibt einige Schlüsselspieler in der deutschen Mannschaft, die wir am Samstag neutralisieren müssen. Vor allem aber müssen wir selbst initiativ werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben beim FC Chelsea mit dem deutschen Mannschaftskapitän Michael Ballack gearbeitet. Was für einen Spieler haben Sie dort kennengelernt?

Hiddink: Er ist eine große Persönlichkeit. Das habe ich nicht zuletzt gemerkt, als ich ihn ab und zu aus taktischen Gründen draußen lassen musste. Es gibt Jungs, die daraufhin im Training nicht mehr als nötig machen. Aber er hat sich nichts anmerken lassen und gearbeitet wie immer. Ich habe ihn übrigens neulich getroffen, als ich nach unserem Qualifikationsspiel in Wales nach London zu meinem alten Club gefahren bin. Er war felsenfest davon überzeugt, dass Deutschland in Moskau das Unentschieden schaffen wird, das die Mannschaft braucht.

SPIEGEL ONLINE: Ist der Kunstrasen im Lushniki-Stadion ein Vorteil für Ihr Team?

Hiddink: Nein, oder zumindest kein großer Vorteil. Die russischen Spieler sind vielleicht etwas mehr daran gewöhnt, aber wenn die deutsche Mannschaft, wie sie es in Mainz in dieser Woche tut, eine Woche lang darauf trainiert hat, spielt das keine Rolle mehr. Der Unterschied zum Normalrasen ist sowieso nicht mehr groß. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, auf Kunstrasen zu spielen, weil es in Moskau manchmal schon im Oktober sehr viel regnen oder sogar schneien kann. Vor zwei Jahren haben wir gegen Kroatien zur gleichen Zeit auf Naturrasen gespielt und der Platz war so schlecht, dass man darauf keinen Pass spielen konnte. Das wollten wir vermeiden.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Nationalspieler Ivan Saenko, der früher in Nürnberg war, hat gesagt: „Hiddink hat uns das gegeben, was wir vorher von keinem russischen Trainer bekommen haben: Freiheit.“ Sind Sie antiautoritär?

Hiddink: Nein. Autorität ist nichts Schlechtes, sie darf nur nicht falsch angewandt werden. Als ich nach Südkorea kam, saßen die Nationalspieler mittags nach Alter geordnet an drei Tischen. Tisch zwei ist erst zum Buffet gegangen, wenn die Alten sich was geholt hatten, und die Jungen kamen zum Schluss dran. Also habe ich meine Autorität benutzt und die Sitzordnung durcheinandergebracht. Zwei Spieler der mittleren Gruppe sollten früher kommen und sich an Tisch eins setzen und zwei Junge an Tisch zwei. Als der Rest der Spieler zum Essen kam, haben sie sich gewundert. Aber ich habe signalisiert: Das ist schon in Ordnung.

SPIEGEL ONLINE: Sie erzählen das mit großem Vergnügen.

Hiddink: Das stimmt, aber ich habe ihnen hinterher auch erklärt, was ich wollte. Mich hat gestört, dass auf dem Platz die jungen Spieler den Ball immer zu den alten weitergeleitet haben, auch wenn das nicht die beste Lösung war. Dadurch haben sie weniger gezeigt, als möglich gewesen wäre.

Das komplette Interview mit Guss Hiddink kann man hier nachlesen.

Auf Sueddeutsche.de hat sich Christof Kneer mit dem Mainzer Andreas Ivanschitz über die Chancen der deutschen Elf auf dem ungewohnten Moskauer Geläuf unterhalten. Der gebürtige Österreicher ist bestens mit den Besonderheiten von Kunstrasen vertraut, seitdem er ein halbes Jahr bei Red Bull Salzburg gespielt hat.

SZ: Herr Ivanschitz, nach den Unstimmigkeiten mit Österreichs Nationaltrainer Constantini sind Sie nicht in die österreichische Nationalelf berufen worden. Sie hätten in dieser Woche also Zeit, mal zu gucken, wie die deutsche Nationalmannschaft in Mainz trainiert.

Ivanschitz: Vielleicht mache ich das tatsächlich, aber ich weiß natürlich nicht, ob man da einfach so reinkommt.

SZ: Sie müssten halt sagen, dass Sie Kunstrasen-Experte sind und nützliche Tipps geben können.

Ivanschitz: Ich bin überzeugt, dass die Deutschen auch ohne meine Tipps gut informiert sind. Aber es ist ja auch so, dass ich nicht stolz darauf bin, ein Kunstrasen-Experte zu sein.

SZ: Warum denn nicht?

Ivanschitz: Ich bin einfach der Überzeugung, dass Fußball auf Naturrasen gehört, auch in Zukunft, obwohl die Kunstbeläge immer besser werden. Der Kunstrasen sollte aus meiner Sicht aber maximal die Alternative sein, damit man im Winter mal ausweichen kann. Aber Meisterschaften, Europapokale oder große Turniere sollten auf jeden Fall auf normalem Rasen entschieden werden.

SZ: Das heißt, Sie würden sich auch dran stören, wenn Sie mit Ihrer Nationalmannschaft nun in einem entscheidenden Spiel auf einem russischen Kunstrasen antreten müssten.

Ivanschitz: Auf jeden Fall, und ich denke, dass hundert Prozent der Fußballprofis dieser Meinung sind.

SZ: Also: Wettbewerbsverzerrung!

Ivanschitz: Das ist zu hart formuliert, aber einen kleinen Wettbewerbsvorteil haben die Russen mit Sicherheit. Sie wissen schon, was sie auf diesem Rasen tun müssen, die Deutschen dagegen müssen sich das in dieser Woche erst erarbeiten.

SZ: Erzählen Sie mal: Was muss man auf einem Kunstrasen tun?

Ivanschitz: Das Gute ist: Man weiß, was man von so einem Platz erwarten kann. Er ist eben, die Bälle verspringen nicht, man erlebt keine Überraschungen. Wobei das Wetter eine große Rolle spielt: Wenn es trocken und heiß ist, stoppt der Kunstrasen den Ball eher. Ist es dagegen nass, wird der Ball extrem schnell.

SZ: Die Wettervorschau für Moskau sagt: Donnerstag, Freitag Regen und am Samstag immerhin noch 60 Prozent Regen-Wahrscheinlichkeit.

Ivanschitz: Dann werden sich die Deutschen auf ein sehr schnelles Spielfeld einstellen müssen.

SZ: Was heißt das für die Spielweise?

Ivanschitz: Das heißt: die Bälle genau in den Fuß spielen, am besten extrem kontrolliert, per Kurzpass. Die beliebten Bälle in den Raum oder hinter die Abwehr sind dagegen gefährlich; die funktionieren nur, wenn sie auf den Millimeter präzise sind. Sonst werden sie so schnell, dass man sie nie mehr erlaufen kann.

SZ: Die Deutschen werden ein paar Trainingseinheiten auf dem Mainzer Kunstrasen bestreiten und danach nochmal in Moskau üben. Reicht das?

Ivanschitz: Das ist nicht sehr viel, aber für Mannschaften mit internationaler Klasse müsste das eigentlich reichen, um sich umzustellen. Ich denke, am Ende wird der Rasen nicht den einen, entscheidenden Unterschied ausmachen – zumal die meisten russischen Spieler den Kunstrasen zwar von den Länderspielen gut kennen, aber eben auch nicht von der täglichen Arbeit. Einen wirklich großen Vorteil hat der, der tagtäglich drauf trainiert – wie zum Beispiel Salzburg. In dem halben Jahr, in dem ich dort war, haben wir nur ein einziges Heimspiel verloren.

Das ganze Interview gibt es auf Sueddeutsche.de.

Kommentare

1 Kommentar zu “Der Teppich von Moskau”

  1. tafelrunde
    Donnerstag, 8. Oktober 2009 um 22:02

    rasante Russenkunst auf Kunstrasen wird deutsche Rasenkünstler rasend machen;-)

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