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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Wozu überhaupt Qualifikationsspiele?

Frank Baade | Freitag, 20. November 2009 2 Kommentare

Henry spielt den Ball für alle ersichtlich mit der Hand, dass er damit durchkommt, mag kein Zufall sein, Otto Rehhagel bleibt auch im Erfolg störrisch, Bosniens Traum ist geplatzt

Henrys Handhilfe

Thierry Henry spielt den Ball mit der Hand, was das gesamte Stade de France sah, nur die Schiedsrichter nicht. Ralf Sotscheck vermutet Absicht in der taz: „Wozu führt man überhaupt Qualifikationsspiele durch? Ehrlicherweise sollte die Fifa die großen Länder, die das Geld bringen, automatisch zur WM einladen und die restlichen Plätze unter den Fußballzwergen ausspielen lassen. Der Weltverband hat alles drangesetzt, damit große Fußballnationen wie Frankreich an der WM teilnehmen. Zuerst wurden sie bei der Auslosung der Gruppen gesetzt. Als das nicht ausreichte, änderte die Fifa kurzerhand die Regeln und setzte bei den Relegationsspielen erneut vier Mannschaften. Und als die Iren die Rangordnung dennoch beinahe durcheinanderbrachten, trugen die Schiedsrichter Frankreich praktisch zur WM nach Südafrika. Hansson entschied während des ganzen Spiels jede umstrittene Situation zugunsten der Franzosen.“

Johannes Korge (Spiegel Online) findet das Ergebnis dieses Playoffs auch sportlich fragwürdig, wodurch dessen Trainer weiterhin in der Kritik bleibe: „Sein Team konnte über weite Strecken der Begegnung mal wieder kaum überzeugen. Ohne den verletzten Bayern-Profi Franck Ribéry agierten die Gastgeber harmlos und apathisch. Die Iren kämpften dagegen verbissen und dominierten das Spiel zeitweise. Die wenigen guten französischen Einzelleistungen gingen in dem Tumult über Henrys Handhilfe völlig unter. Denn letztlich retteten sogar drei Hände die Heim-Elf im Stade de France. Torhüter Hugo Lloris habe sein Team mit glänzenden Paraden ‚am Leben erhalten‘, stellte nicht nur ‚L‘Equipe‘ fest. Entsprechend stehen Domenech erneut schwere Wochen bevor.“

Domenechs Stuhl wackelt weiter

Auch Roland Zorn (FAZ) empfindet den Qualifikanten als unwürdig: „Eigentlich mutete dieser peinliche Abend zwischen dem Erschrecken vor der eigenen Unfähigkeit und dem Austricksen der Regelhüter so an, als hätte sich die Grande Nation für das kommende Weltfußballfest eher disqualifiziert. Das goldene Lametta-Feuerwerk danach war viel Lärm um nichts, da den französischen Spielern ihr schlechtes Gewissen auf Schritt und Tritt anzumerken war. Wie tief die Enttäuschung der Franzosen über die erschwindelte WM-Teilnahme tatsächlich sitzt, machte sich am Donnerstag bemerkbar: Beispielsweise in einer Online-Umfrage von „Le Monde“, bei der 89 Prozent von 38 000 Lesern der Ansicht waren, Frankreich habe die WM-Qualifikation nicht verdient.“

Und Rod Ackermann (NZZ) erwähnt die dicken Keile, die sich zwischen Team und Trainer befinden: „Mit dem knappen Sieg dürfte Nationaltrainer Domenech seinen Kopf abermals im kritischen Moment aus der Schlinge gezogen haben. Wie der umstrittene Sélectionneur sein Ensemble allerdings auf die Endrunde vorbereiten kann, steht in den Sternen. In kaum verhehlter Zwietracht mit Kapitän Henry und von den Medien seit geraumer Zeit unter Beschuss genommen, bleibt der Stuhl Domenechs am Wackeln.“

Griechenlands Stärken sind Zusammenhalt und die Vermeidungsstrategien des Trainers

Die Berliner Zeitung hat Griechenland und die Ukraine bei ihren Vorbereitungen beobachtet: „Ein Angriff, der das Attribut torgefährlich verdient, reichte der Elf des deutschen Trainers Otto Rehhagel, die Partie zu entscheiden. Georgios Samaras spielte einen feinen Pass in die Schnittstelle der ukrainischen Viererkette auf Dimitrios Salpingidis, der mühelos einschob. Mehr brauchte es nicht.“ Im Umgang mit der Drucksituation vermutet die Zeitung eine der Gründe für die Qualifikation Griechenlands: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Art, wie beide Teams mit der Hysterie im Vorfeld des Spiels umgingen, und wie sie der Hysterie später im Spiel Herr wurden, dann hatten die Griechen das Spiel schon früh gewonnen. Die Ukrainer gingen am Vortag beten, während ihre Medien Zahlen anriefen, als ergäben sie in der Summe einen Orakelspruch. Die Griechen machten genau das Gegenteil. Sie saßen die Hysterie in der Manier ihres stoischen Trainers einfach aus. Und genauso sind sie dann auch mit ihren Gegnern verfahren. Seine Griechen gehören nicht zur europäischen Elite. Aber sie funktionieren. Ihre Stärken sind ihr Zusammenhalt und ihre Bereitschaft, die Vermeidungsstrategien ihres Trainers umzusetzen.“

Oskar Beck würdigt in der Stuttgarter Zeitung den vor den Playoffs noch vor dem Rauswurf stehenden Rehhagel: „Rehhagel fliegt, aber nicht fristlos und im hohen Bogen, sondern nächstes Jahr zur WM. Der vermeintliche Tiefpunkt hat im letzten Moment einen Schritt zur Seite und Platz gemacht für den Höhepunkt, das Ende der Monarchie muss noch warten, König Otto lebt.“ Beck vergisst allerdings nicht, Rehhagels mal wieder selbstgerechten Auftritt nach dem Spiel zu erwähnen, als dieser seinen Interviewpartner wie einen Schuljungen belehrte: „Bei diesem unendlichen Fundus an Erfahrung, wie ihn Rehhagel in die Waagschale wirft, ist die Versuchung mitunter verlockend, dem Rest der Welt die Welt zu erklären, vor allem den neunmalklugen Kritikern. Die hält er salopp gesagt für nichtsnutzige Wegelagerer von abscheulicher Widerwärtigkeit, die keinen Ball geradeaus spielen können, aber die Weisheit mit Löffeln gefressen haben – und wer es wagt, König Otto zu interviewen, ist deshalb selber schuld.“

Kämpfer, aber kein Inspirator

Norbert Mappes-Niediek (Berliner Zeitung) befürchtet nach dem Aussscheiden den Zusammenbruch des einigenden Effekts der bosnischen Nationalmannschaft: „Den spontanen Angeboten, Nationaltrainer zu bleiben, wich Blazevic vorerst aus. Das sei nun sein ‚Schwanengesang‘, hatte der Kroate gleich nach Ende des Spiels gesagt – und der vielleicht traurigste Moment in seiner Laufbahn. Als definitiven Rücktritt wollte er das aber nicht verstanden wissen: ‚Manche Schwäne singen sehr lange.‘ Dass der als nationalistisch verschriene Tudjman-Freund ausgerechnet bei dessen einstigem Kriegsgegner so populär wurde, werteten Beobachter in Bosnien bis hin zum Hohen Repräsentanten in Sarajewo als Zeichen, dass aus der nationalen Versöhnung doch noch etwas werden könne. Aber nach der Niederlage von Zenica könnte es damit bald wieder vorbei sein.“

Die Berliner Zeitung weiß, woran es bei Bosnien gehapert hat, am Fehlen eines Bundesliga-Stars nämlich: „Sucht man nach Erklärungen für die Schwäche der Gastgeber, kommt man schnell auf die Personalie Zvjezdan Misimovic zu sprechen. Im Abschlusstraining hatte sich der Spielgestalter verletzt. Trainer Blazevic war entsetzt, brachte für Misimovic Zlatan Bajramovic ins Spiel, den Profi von Eintracht Frankfurt, der ein Kämpfer, aber eben kein Inspirator wie Misimovic ist. Und so spielten die Bosnier zwar mit Herz, aber eben nicht mit dem nötigen Verstand, um die tiefgestaffelte Mannschaft von Portugals Trainer Queiroz in Verlegenheit zu bringen. Ein paar Schussversuche von Ibisevic waren für die Gastgeber zu notieren, mehr nicht.“

Plötzlich im Schnellboot

Wynton Rufer berichtet bei 11Freunde, wie es um den neuseeländischen Fußball nach der Qualifikation bestellt ist: „Bis zu diesem Spiel in den Play-Offs hatte ich immer das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen und kaum voranzukommen. Nun ist es plötzlich so, als treibe man nicht nur mit der Strömung, sondern ich habe den Eindruck in einem Schnellboot zu sitzen, das in die richtige Richtung rast. Alle, die mit Fußball in Neuseeland zu tun haben, profitieren endlich von ihrer Arbeit. Langfristig besteht nun eine viel versprechende Perspektive. Die geschaffte Qualifikation für Südafrika 2010 zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.“

Eklatante Abschlussschwäche

Das Team des Gastgebers der WM 2010 kommt hingegen gar nicht in Tritt, wie Maik Rosner (Financial Times Deutschland) aus Bloemfontein berichtet. In der letzten Woche testete Südafrika mit 0:0 gegen Japan, in dieser Woche gab es beim selben Resultat gegen Jamaika wieder keine Tore und keinen Sieger. Der neue, alte Trainer Parriera übt sich im Schönreden. „Er ist bemüht, die zwarte Hoffnung auf eine erfolgreiche WM 2010 am Leben zu erhalten. Das Achtelfinale hat er als Ziel ausgegeben, Verbandspräsident Nematandani spricht sogar vom Viertelfinale. Doch nach dem ernüchternden Spiel gegen Jamaika drohen dem Gastgeber der ersten WM auf afrikanischem Boden nur wenige Tage nach Parreiras Dienstanstritt schon wieder unruhige Zeiten. Dass Nematandani und auch Zuma einen Südafrikaner als Nationalcoach bevorzugt hatten, nährt diesen Verdacht.“ Zwar seien die ersten 30 Minuten der Partie aus südafrikanischer Sicht gut gewesen. Der weitere Verlauf jedoch nicht mehr. Zu diesem Team „gehört allerdings auch die eklatante Abschlussschwäche. Bezeichnend, dass die ansonsten destruktiven Gäste aus der Karibik einem Treffer am nächsten kamen.“ In Südafrika endet die Saison wegen der WM bereits im Februar, die meisten in Europa unter Vertrag befindlichen Spieler säßen ohnehin meist nur auf der Bank, weshalb Parreira sie für diverse Vorbereitungslager von ihren Vereinen loseisen will. „Die schwierige siebenmonatige Mission erfolgreich zu moderieren dürfte eine seiner Hauptaufgaben werden.“

In der Berliner Zeitung gibt der Trainer der Südafrikaner, Carlos Alberto Parreira, dem selben Maik Rosner ein Interview.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Wozu überhaupt Qualifikationsspiele?”

  1. persiflo
    Freitag, 20. November 2009 um 15:17

    das mit henry ist grausam. abartig.
    als bewusster konsument bin ich aus ölologischen und ökonomischen gründen fleischverzichter. … was mache ich denn jetzt?! es gibt kein richtiges leben im falschen.

  2. Linksaussen
    Freitag, 20. November 2009 um 21:05

    Mit Verlaub: Ralf Sotscheck lebt, wenn ich das recht erinnere, seit einigen Jahrzehnten in Irland. Das macht seine Schiedsrichterkritik dann doch ein wenig… voreingenommen.

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