Bundesliga
Möglichst große Schlagzeilen im Zonenrandgebiet
| Mittwoch, 23. Dezember 2009Was Hoeneß in Wolfsburg erwartet und was man von Hoeneß erwartet, Interview mit Zwanziger, Trainertrends der Bundesliga und Weiteres zum Verlust des Heimvorteils
Auch als Sündenbock im Tagesgeschäft
Es werde knistern in Wolfsburg, prophezeit Christian Otto im Tagesspiegel, doch das sei Teil des Plans: „Was passiert, wenn die Alphamännchen Hoeneß und Veh direkt aufeinandertreffen, dürfte Spannungen bringen und dürfte gewollt sein. Denn keiner in Wolfsburg kann leugnen, dass Hoeneß als neuer Vorsitzender der Geschäftsführung allen Untergebenen Beine machen soll – vor allem Veh, der bisher nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnte. Als neuer Boss einer neureichen Fußballfirma hat Hoeneß erst einmal freie Fahrt und darf nach dem schnellen Ausscheiden in der Champions League gerne auch den Boulevard bedienen. Möglichst große Schlagzeilen können sie im ehemaligen Zonenrandgebiet von Niedersachsen schließlich gut gebrauchen.“ Die Funktionsbereiche Hoeneß‘ umfassten jedoch auch einen, der wohl nicht explizit im Arbeitsvertrag niedergerschrieben sein dürfte, denn Hoeneß werde „nicht nur als Chef für das Operative, sondern auch als möglicher Sündenbock im Tagesgeschäft installiert.“ Wichtigste Aufgabe in Wolfsburg sei es aber, ein „Kompetenzgerangel“ zumindest öffentlich zu vermeiden. Keine einfache Aufgabe: „Den in die Kritik geratenen Trainer vom Druck zu befreien, ohne ihn gänzlich in den Schatten zu stellen und damit vollends zu degradieren, erfordert jede Menge Fingerspitzengefühl.“
Sein Erbe kostet die Erstklassigkeit
Peter Ahrens (Spiegel Online) denkt an den Führungsstil der Wolfsburger Neuverpflichtung: „Alle Coaches, die Hoeneß in seiner Amtszeit verpflichtet hatte, waren Trainer von seinen Gnaden. Jürgen Röber, Huub Stevens, Falko Götz – sie alle akzeptierten mehr oder weniger stillschweigend, dass Hoeneß bestimmte, wie sich der Profikader schlussendlich zusammensetzte. Als Hoeneß‘ letzter Trainer, der Schweizer Lucien Favre, sich dem zu widersetzen anfing und sich Einmischungen in seinen Arbeitsbereich verbat, begann der lange Abschied des Hertha-Managers. Auf Armin Veh kommen ungemütliche Zeiten zu.“ Dass Hoeneß nicht gerade mit dem besten Zeugnis aus Berlin anreist, ist wohl gemein bekannt. Ahrens listet noch einmal auf: „Am Ende des Tages sind fast alle in der Hertha-Schule ausgebildeten Spieler längst zu anderen Vereinen abgewandert und haben wie Jerome Boateng anderswo ihr Glück gefunden. Die Stars, vor allem aus Südamerika, haben Hertha auf Dauer nicht weitergebracht, aber viel gekostet. Der Verein ist bis über beide Ohren verschuldet. Das Erbe Hoeneß‘ dürfte den Club die Erstklassigkeit kosten. Sein Nachfolger als Manager, Michael Preetz, agiert wie ein Konkursverwalter.“ Damit müsse sich der neue Mann in Wolfsburg aber nicht mehr beschäftigen. Völlig anders als derzeit Preetz könne Hoeneß ab sofort wieder wirtschaften, oder besser gesagt: einkaufen. „Volkswagen wird den Geldhahn für seine Fußballabteilung so rasch nicht zudrehen. Hoeneß bekommt die Gelegenheit, zu zeigen, ob er seine Vorstellungen beim einem finanziell potenteren Club umsetzen kann.“
Interview Zwanziger
Theo Zwanziger geht in einem sehr ausführlichen Interview mit der FR beim heikelsten Bereich des Fußballs immerhin so weit, zuzugeben, dass ihm von dieser Problematik betroffene Spieler bekannt seien. „Zugeben“ im Sinne eines Fortschritts, nicht im Sinne eines Fehlers: „Ich habe in letzter Zeit mit einigen Leuten geredet, die in dieser Situation sind, und sie haben mir vermittelt, weshalb sie sich nicht outen wollen. Es hängt damit zusammen, dass für einen Homosexuellen im Fußball die persönlichen Bindungen, die Freude am Sport und auch das Geldverdienen verloren gehen können, wenn er sich outet. Ich habe geglaubt, das kann nicht sein. Denn in Politik, Kunst und Kultur ist das ja gar kein Problem mehr. Auch der Amateurfußball geht inzwischen besser damit um. Aber der Profifußball ist da offenbar noch einmal fester gefügt.“ Weitere Themen sind der Wettskandal, Robert Enke sowie der Widerspruch zwischen der extremen Leistungsorientierung im Jugendfußball und dem Verständnis für Schwächere. Außerdem natürlich immer ein Thema im Gespräch mit Theo Zwanziger: Dietmar Hopp, dessen Projekt, und die Anfeindungen, derer er sich stellen muss (oder auch nicht).
Trainer-Vorbild Thomas Schaaf
Aus der schweizer Ferne hat Stefan Osterhaus (NZZ) die Trainer der Bundesliga im Blick und nennt einen hier selten Wohlgelittenen als Nutznießer: „Schweinsteiger profitiert stark von den deutlichen Ansagen Louis van Gaals, der ihm strategische Aufgaben übertrug.“ Zwar seien Van Gaals Methoden gewöhnungsbedürftig, er erreiche aber das, „was Jürgen Klinsmann im letzten Jahr als Bayern-Coach vollmundig versprochen hatte: er wolle Spieler besser machen – als sei dies etwas Besonderes für einen Trainer.“ Und nicht zuletzt: „Van Gaal hat hochtalentierten Nachwuchs in die Mannschaft befördert.“ Einen Nachwuchsspieler, den Klinsmann bei Bayern nicht gebrauchen konnte, hat mittlerweile ein anderer Trainer der Stunde weiterentwickelt, Jupp Heynckes nämlich: „Er hat nicht nur Kroos eine grosse Spielfreude wiedergegeben. Er hat auch Stefan Kießling zu einem Top-Stürmer geformt, der einlöst, was er zuvor nur versprochen hatte.“ Das Wirken dieser Trainer erinnere an einen gemeinsamen Nenner, urteilt Osterhaus: „Die Spitze der Liga wirkt, als habe der Trainer Thomas Schaaf von Werder Bremen seinen Kollegen als Vorbild gedient. Die Häufigkeit, mit der Schaaf hochveranlagte Nachwuchskräfte zu Klassespielern formt, ist in der Bundesliga ohne Beispiel, und deshalb ist es auch nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass Werder sich in diesem Jahr runderneuert präsentiert.“
Tore nur noch im Anschluss an einen Puckgewinn
Sven Flohr (Welt) geht der Frage nach, warum die Zahl der Heimsiege in der Bundesliga stetig sinke: „Die wichtigste Antwort auf diese Fragen findet sich im taktischen Bereich. Die meisten Mannschaften sind nicht bereit, das Spiel zu machen. Weil sie es schlicht nicht können, oder weil sie es nicht wollen. Ein gutes Beispiel findet sich in Gelsenkirchen. Die Schalker haben 17 Auswärtspunkte gesammelt, zuletzt gewannen sie sogar bei Werder Bremen. Zu Hause blieben sie hingegen zwischenzeitlich in vier Spielen in Folge sieglos.“ Flohr zeigt sich als sportartübergreifender Experte, wenn er weiter erklärt: „Entliehen ist die Taktik dem Eishockey, wo die überwiegende Anzahl von Toren im Anschluss an einen Puckgewinn fällt. Wie im Eishockey sind auch im modernen Fußball alle Spieler in die Abwehrarbeit eingebunden. Immer mehr Trainer verlangen von ihren Mannschaften nach dem Ballgewinn einen schnellen Gegenangriff. So wird die noch unsortierte Abwehrreihe des Kontrahenten ausgehebelt.“ Neben den taktischen Gründen habe aber auch eine veränderte Erwartungshaltung des Publikums keinen kleinen Einfluss: „Wenn die eigene Mannschaft nicht das Spiel übernimmt und sich schnell Chancen herausspielt, mehren sich die Pfiffe. In den großen Stadien mit den stetigen Zuschauerrekorden in der Bundesliga nimmt der Druck auf die Spieler der Heimmannschaften offensichtlich zu.“
Ein möglicherweise nicht ganz unbekannter Kommentator namens tafelrunde wirft bei Welt Online allerdings noch eine andere mögliche Erklärung ein. Er glaubt, dass „heutzutage alles extrem nivelliert ist, vor allem die sogenannten Platzverhältnisse. Die Heimmannschaft war früher viel mehr ihr eigenes Geläuf gewohnt als der Gegner. Spezifische Besonderheiten des Platzes gab es in ausgeprägteren Formen.“ Das habe die Gäste verunsichert und der Heimmannschaft Selbstvertrauen gegeben.
Kommentare
1 Kommentar zu “Möglichst große Schlagzeilen im Zonenrandgebiet”
Mittwoch, 23. Dezember 2009 um 22:04
Oh. Schönes Weihnachtsgeschenk vom Trainer mal so in der Presseschau für den kritischen Fußballfreund erwähnt zu werden.
Wie andernorts auf dem IF schon erwähnt, die allerbesten Wünsche für 2010 und hoffentlich jetzt mal endlich eine ruhige, staade Zeit für alle Verantwortlichen dieses Vereins hier.
Obwohl, was machen dann alle Fans von diesem?
Einzige Antwort: Premier League kucken, wenn möglich. Und dann in der englischen Presse kommentieren. Oder vielleicht auch hier? Das wäre grandios!