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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

Gruselige Vielzahl an Szenarien

Frank Baade | Mittwoch, 13. Januar 2010 3 Kommentare

Nach den Anschlägen in Angola und trotz des sportlichen Beginns des Afrika-Cups sind die Diskussionen in vollem Gange, wie es um die Sicherheit bei der WM in Südafrika bestellt sein wird

Völlig aus dem Ruder gelaufenes Turnier

Olaf Jansen (Tagesspiegel) zeichnet ein Bild von der gegenwärtigen Lage in Angola, das alles andere als Feierstimmung für ein Fußballfest vermuten lässt: „Der Tag der Eröffnung wurde von Sicherheitsfragen bestimmt. In der Exklave Cabinda erhöhte Angolas Regierung das Soldatenkontingent auf 80.000, was bei rund 400.000 Einwohnern eine Quote von einem Soldaten auf fünf Einwohner bedeutet. Auch in der als sicher geltenden Hauptstadt Luanda dominieren nun Tarnfarben: keine Häuserecke ohne Soldatenpräsenz, keine Straßenkreuzung ohne Maschinengewehre im Anschlag. Zudem kreisen pausenlos Militär-Helikopter und Flugzeuge.“ Dazu sei auch der Spielplan des Turniers durcheinandergeraten. Zarte Andeutungen aus Togo, dass man nach einer Trauerphase bereit wäre, doch noch am Turnier teilzunehmen, seien vom afrikanischen Fußballverband CAF „brüsk“ abgewiesen worden. „Die CAF ist nun verzweifelt bemüht, das völlig aus dem Ruder gelaufene Turnier wieder in den Griff zu bekommen und der Welt zumindest das Gefühl zu vermitteln, Herr im Hause zu sein. Togos Kapitän Emmanuel Adebayor berichtete derweil, dass auch die in Cabinda einquartierten Teams der Elfenbeinküste und Ghanas kurz vor der Abreise standen.“

Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) rückt jenes in den Vordergrund, worum es den Beteiligten vor allem ginge: „Selbst die Togoer erklärten noch einmal, dass sie nach dem Ablauf der dreitägigen Staatstrauer gerne zurückgekehrt wären nach Cabinda. Es ist erstaunlich, doch Forderungen nach einem Abbruch des Turniers erklingen nur fern von Afrika. Würde die Abstellungspflicht aufgehoben, dann könnten die Klubs ihre Spieler zu einer Rückkehr zwingen, doch einen Gefallen würde der Weltverband Fifa den Fußballern damit kaum erweisen. Denn die wollen vor allem das tun, weshalb sie angereist sind: erfolgreich Fußball spielen bei einem Turnier, dessen Bedeutung sie besser einschätzen können als alle Kommentatoren aus Europa.“

„Relative Sicherheit“

Bei Welt Online spricht Theo Zwanziger mit Lars Wallrodt zum Thema „Sicherheit in Südafrika“ und klingt nicht überzeugend beim Versuch, die drohenden Gefahren als gering darzustellen:

„Es ist eine wichtige Botschaft an alle Landsleute, die zur Weltmeisterschaft kommen wollen – und ich hoffe, es kommen sehr viele – dass sie sich exakt an die Vorgaben der Sicherheitsbehörden halten. Wenn man diese befolgt und sich an diesen Rahmen hält, dann bewegt man sich auf relativ sicherem Terrain.

WELT ONLINE: Relativ?

Zwanziger: Ein so großes Fußballturnier ist grundsätzlich sehr emotional, und aus dieser Emotionalität können sich immer Gefahrenmomente ergeben, die man nur schwer kontrollieren kann.“

Südafrika vertraut nicht auf göttlichen Beistand

Etwas optimistischer ist die Bewertung der Lage in der FAZ, für die Thomas Scheen aus Johannesburg schreibt, dass „die Ernsthaftigkeit, mit der Südafrika sein Sicherheitsproblem angeht, endlich zur Kenntnis genommen werden“ müsse. Es folgt eine beeindruckende Liste an Maßnahmen, mit der sich Polizei, Krankenhäuser und Militär Südafrikas für die Großaufgabe WM 2010 wappnen. Es würden enorme Summen investiert, man habe schon bei der WM 2006, aber auch bei der EM 2008 aufmerksam vor Ort zugeschaut und gelernt. „Allein die Vielzahl der durchgespielten Szenarien ist gruselig genug. Sie zeigt aber auch, dass Südafrika nicht einfach auf göttlichen Beistand vertraut. (…) Doch gegen ein Image, zumal ein schlechtes, kommt man bekanntlich nur schwer an. Mehr als 50 Morde täglich haben Südafrika zu Recht den Ruf eines der gefährlichsten Länder der Welt eingebracht.“

Gefestigte demokratische Strukturen

Matthias A. Schmidt (Stuttgarter Zeitung) erhält aus dem Munde von Pawina Betama, einem Delegationsmitglied und Berater der Nationalmannschaft von Togo, eine afrikanische Einschätzung: „Es hilft nicht, nun Hysterie zu verbreiten. Das sind zwei völlig verschiedene Länder. Natürlich ist Südafrika nicht so sicher wie Deutschland und auch organisatorisch wird die WM nicht so perfekt ablaufen wie 2006. Aber Südafrika ist nicht Angola. In der Region Cabinda ist bei den Menschen überall Ablehnung gegenüber Angola zu spüren und noch immer sind die Folgen des jahrelangen Bürgerkrieges für jeden sichtbar. Die Exklave wird durch einen Streifen der Demokratischen Republik Kongo vom angolanischen Staatsgebiet getrennt und fühlt sich als eigenständiger Staat. Das sind ganz andere Voraussetzungen als in Südafrika, wo es gefestigte demokratische Strukturen gibt.“

Kommentare

3 Kommentare zu “Gruselige Vielzahl an Szenarien”

  1. Tobi
    Mittwoch, 13. Januar 2010 um 12:48

    Natuerlich gibt es erhebliche Sicherheitsprobleme in Suedafrika, aber die Sicherheit der WM wegen Vorfaellen in Angola in Frage zu stellen ist nicht viel anders als wenn amerikanische Journalisten ueber die Sicherheit der WM 2006 diskutiert haetten, weil Rumaenien erhebliche Probleme mit organisierter Kriminalitaet hat.

  2. Lena
    Mittwoch, 13. Januar 2010 um 14:55

    @tobi: exakt. Oder die Euro nach Georgien vergeben, wobei auch in Abchasien gespielt würde. Keine gute Idee.

    Abgesehen davon, scheint der „Anschlag“ doch eher eine amateurhafte Veranstaltung (eher was für den DF) gewesen zu sein. Da haben ein paar Leute ihre AK47 wild entleert. Zum Glück natürlich. Nicht auszudenken, was eine Handvoll echter Kämpfer hätte anrichten können: Immobilisieren der Fahrzeuge, dann ein paar Handgranaten in oder eine Panzermine unter die Busse. Hätte nicht länger gedauert.

    Wenn einer wollen würde, könnte er so was auch in Polen und der Ukraine machen. Da sollte man sich hier in Europa nicht zu sicher fühlen.

    Ich glaube, dass abgesehen von ein paar (groß aufgeblasenen) Fällen von Straßenkriminalität in Südafrika eine gigantische Fete steigen wird. Die Jungs und Mädels da unten haben Rhythmus im Blut, da wird es schwer abgehen. Den geneigten Fans sei ans Herz gelegt, daran zu denken, dass Südafrika eine der höchsten Durchseuchungsraten mit dem HI-Virus hat. Also bitte Safe Feiern.

    Abgesehen davon, freue ich mich auf das Monsterspektakel. Afrika, Afrika!

  3. tafelrunde
    Mittwoch, 13. Januar 2010 um 21:32

    Was aufregt, ist die oft unverhohlene Arroganz des Westens bzw. die Berichterstattung in den Medien, hier insbesondere (teilweise) auch in der FAZ, auf die westlichen Lebensumstände als Maßstab für die ganze Welt penetrant zu pochen.

    Fußball ist das global wohl populärste Spiel, v.a. in Afrika. Und nicht nur dort ist vieles anders wie bei uns im beschaulichen (West)Europa. Man bedenke die ebenfalls Angst infizierten Artikel über die kommende EM.

    Trotzdem wird uns ständig vorzumachen versucht, dass auch in Afrika alles bis ins letzte Detail so abläuft bzw. ablaufen soll wie bspw. zuletzt in Deutschland. Dies ist v.a. dem Einfluss der großen und mächtigen Werbetreibenden geschuldet, denen sich die FIFA ja total unterworfen hat. Ein weltweites Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist gut fürs Geschäft. Die Realität stört da nur. Die ist allerdings eben nicht so schwarz-weiß, wie es hierzulande überwiegend dargestellt wird. Nun gut, manchmal kann man auch differenzierte Betrachtungen lesen oder sehen, nur viel zu selten. Doch der Mainstream wird bedient nach dem gängigen Boulevard-Vorgehen: Hypen um jeden Preis. Die tatsächlichen Gegebenheiten sollen möglichst nur in rudimentären Folklore-Einsprengseln Geltung erhalten (Der Nescha tanzt halt gern).

    Solange man nicht zur Kenntnis nehmen will, dass der überwiegende Teil der Welt anders funktioniert wie unsere „Insel der Glückseligen“, aber eben auch (leidlich) funktioniert, wird immer eine wohlwollende Arroganz in der Wahrnehmung mitschwingen. Abhilfe könnte da nur selbst Erlebtes schaffen.

    Dazu wäre allerdings notwendig, mit offenem und unverstelltem Blick die Welt kennen lernen zu wollen. Und nicht, wie die übergroße Mehrheit, auf Wiener Schnitzel, egal in welcher Weltgegend, zu bestehen.

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