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Bundesliga

Münchner Pragmatiker, Berliner Versager

Jan-Kristian Jessen | Montag, 3. Mai 2010 2 Kommentare

Der 33. Spieltag hat fast alle offenen Fragen beantwortet: Meisterschaft, Champions League und Euroleague sind für Bayern, Bremen und Stuttgart nur noch Formsache. Einzig der Abstiegskampf sorgt noch für Spannung.

Die Bayern haben das erste ihrer vier Endspiele gewonnen und können nun – Bremens Sieg auf Schalke sei Dank – am letzten Spieltag entspannt nach Berlin reisen, um die Meisterschale abzuholen. In seinem Kommentar für die Frankfurter Rundschau beschreibt Jan Christian Müller diese Tatsache als das „Resultat hervorragender Arbeit“ von Louis van Gaal: „Die Bayern haben der Dreifachbelastung in einer eindrucksvollen Art und Weise getrotzt, die kein Konkurrent hierzulande kopieren kann. Denn dafür sind die Kader an anderen Standorten nicht breit genug besetzt.“

Gar als neuen „Herzensbrecher des Fußballs“ sieht Roland Zorn (FAZ) den deutschen Rekordmeister: „Die Münchner Pragmatiker haben sich inzwischen auch die Schönheit des Spiels zu eigen gemacht. Sie scheinen der Konkurrenz noch viel weiter enteilt zu sein als die gerade mal drei Punkte, die den Rekordmeister vom Ligazweiten FC Schalke 04 trennen. Was die Bayern derzeit auch anfassen, ist nämlich Gold und Geld wert.“

Dass dies noch vor ein paar Monaten noch ganz anders war, hat Ludger Schulze von der SZ nicht vergessen: „Im tristen November 2009 türmten sich Gewitterwolken am Horizont dieses Klubs auf, die schweren Hagelschlag mit zerstörerischen Folgen erwarten ließen: Der bis zum Verbohrtsein eigensinnige Trainer Louis van Gaal hatte die gesamte Vorstandschaft gegen sich aufgebracht und stand Millimeter vor der Entlassung.“ Peter Unfried (Spiegel Online) ergänzt: „Heute ist er sogar vielen Nicht-Bayern-Anhängern ans Herz gewachsen. Das liegt auch daran, dass man seine Außendarstellung jetzt anders wahrnimmt. Und natürlich am Erfolg, der ihm derzeit die Aura des Übernatürlichen verleiht.“

Schalke feiert Platz zwei – Magath hadert mit dem Schiedsrichter

Wer nach der Entscheidung im Titelkampf beim Schalker Anhang auf „Tränen, Bitternis und Resignation“ gewartet hatte, wurde eines Besseren belehrt, wie Philipp Selldorf von der SZ beobachtet hat: „Sie wollten den Trainer sehen, zu Tausenden riefen sie seinen Namen, und Felix Magath folgte der Aufforderung überraschend zügig.“ Das Publikum habe sich einfach geweigert, vorschriftsmäßig traurig und enttäuscht zu sein: „Aber entweder sind die Schalker mittlerweile unempfindlich gegen den Schmerz oder sie haben ein philosophisches Bewusstsein erlangt, nach der Erkenntnis: Man braucht im Leben ein Ziel, aber man darf es nie erreichen.“

Dass einzig Magath selbst mit der Situation unzufrieden ist, schreibt Stephan Klemm (FR) „Magath findet einen Schuldigen für das insgesamt schludrige, ideenlose, zähe und zu zurückhaltende Spiel seiner Mannschaft in einem Nicht-Schalker und Nicht-Bremer: Es ist Schiedsrichter Knut Kircher. Für Magath hat der ausgebliebene Elfmeter-Pfiff die Meisterschaft entschieden. […] Magath übernimmt die Opferrolle. Beim 1:2 gegen Bayern München ‚haben wir ein Abseitstor kassiert und einen Elfmeter nicht gekriegt’, dazu habe er damals geschwiegen, sagt Magath.“

Hannover jubelt, Nürnberg und Bochum zittern

Einen riesigen Schritt Richtung Klassenerhalt hat Hannover 96 gemacht.
Heiko Rehberg von der Hannoverschen Allgemeinen fehlte zum perfekten Glück „nur die Nachricht der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dass die Saison diesmal ausnahmsweise schon am 33. Spieltag abgepfiffen wird, schließlich ist der FC Bayern schon Meister, und mit Hertha BSC ist ein Absteiger bereits gefunden“. Doch auch ohne diese, war Feierstimmung angesagt: „La Ola in der AWD-Arena? Bei dieser Welle machten alle im Stadion mit und hätten am liebsten gar nicht mehr aufgehört damit. Es soll kein Gerücht sein, dass 96-Fans, die am Abend, als es im Fernsehen Bilder vom 6:1-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach zu sehen gab, die Welle auf dem Wohnzimmersofa einfach fortgesetzt haben.“

Die Chancen des VfL Bochum – nach der Niederlage in München auf Platz 17 abgerutscht – am letzten Spieltag gegen Hannover das Ruder noch rumzureißen, analysiert Christoph Biermann (Spiegel Online): „Warum sollte dem VfL Bochum gerade gegen Hannover 96 ein Sieg gelingen, wo Spieler und Fans nun schon verzweifelt seit elf Spielen darauf warten und in dieser Saison bereits der vierte Trainer an der Mannschaft herumdoktert? Zumal sich Gegner Hannover beim 6:1-Sieg über Mönchengladbach in Rausch und völlige Befreiung spielte. Das sieht nach Hannoveraner Selbstbewusstsein in Überfluss und einer klaren Sache aus.“

Die Nürnberger sind die einzigen der drei, die den Klassenerhalt nicht mehr aus eigener Kraft erreichen können und hoffen müssen, dass Hannover ein – wenn auch nicht ganz so dramatisches – Finale ereilt wie den Club in der Saison 1998/1999: „Das Entsetzen hatte eine Stimme: die von Günther Koch: ‚Ich pack das nicht!’ Seine Cluberer unterlagen dem SC Freiburg nicht nur 1:2, Hansa Rostock siegte in Bochum und Eintracht Frankfurt fegte den 1. FC Kaiserslautern 5:1 vom Platz. Der 1. FC Nürnberg stürzte dadurch vom 12. auf den 16. Tabellenplatz ab“, erinnert sich Biermann.

Kein Hauptstadtclub mehr in Liga 1

Für Hertha BSC ist das Kapitel erste Bundesliga fürs Erste beendet. „Warum eigentlich“, fragt sich nicht nur Marco Plein von Focus Online: „Hertha muss absteigen. Nicht etwa, weil der Klub zu schlecht ist und noch weniger, weil die anderen zu gut sind. Sondern? Ja, wieso eigentlich? So richtig kann das Versagen des Hauptstadtklubs niemand erklären.“ Es sei schon verrückt: „Berlin hat in der Rückrunde die wenigstens Gegentreffer der gesamten Liga kassiert (14), hat dabei vier Mal auswärts haushoch gewonnen, war oft drückend überlegen und hat mehr wie ein Europapokal-Anwärter als ein vom Abstieg bedrohter Krisenklub gewirkt. ‚Wir hatten in der Rückrunde Chancen en masse’, bilanzierte Trainer Friedhelm Funkel trocken. ‚Aber wir haben vor dem Tor immer und immer wieder versagt.‘“

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Kommentare

2 Kommentare zu “Münchner Pragmatiker, Berliner Versager”

  1. christian2010
    Dienstag, 4. Mai 2010 um 11:39

    Warum Hertha BSC absteigen muss…

    Also den letzten Abschnitt dieses Artikels mit einer derart plumpen und einseiten Darstellung der Berliner Hertha kann ich beim besten Willen nicht so stehen lassen.

    Es mag ja sein, dass Hertha eine tolle Rückrunde gespielt (wobei ‚toll‘ in den Augen der Hertha-Fans und -Verantwortlichen zu verstehen ist) und die wenigsten Gegentore kassiert hat.

    Aber falls es Ihnen entgangen ist: eine Bundesliga-Saison besteht aus zwei Hälften á 17 Spieltagen. Und wenn ich mich recht entsinne, dann war Hertha’s Hinrunde die Schlechteste der Vereinsgeschichte. Da muss man sich nicht wundern, wenn ein paar gute Spiele in der Rückrunde nicht für den Klassenerhalt reichen. Außerdem kann man sich im Fussball von ‚vielen Chancen‘ oder ‚Feldüberlegenheit‘ nix kaufen, zumindest keinen Klassenverbleib.

    Daher: der Abstieg ist völlig verdient. Punkt. Ende. Aus.

  2. Diddi der Däne
    Dienstag, 4. Mai 2010 um 17:56

    Wo ist denn bitte der Bayern-Kader breiter besetzt als der Schalker? 24 zu 37 Spieler (laut kicker, und der muss es ja wissen) sagen wohl etwas anderes. Und selbst wenn es umgedreht gewesen wäre, hätte Schalke ja immer noch keine sog. „Europapokalbelastung“ gehabt.

    Wie hinterher immer irgendwelche Erklärungen für bestimmte Ereignisse konstruiert werden. Vielleicht hatte auch Bayern einfach mehr Glück und Schalke mehr Pech. Oder auch nicht.

    Jan Christian Müller wird es wohl nicht wissen, höchstens der Fußball-Gott. Der deutsche Fußballjournalismus – von einigen Ausnahmen (SZ und 11Freunde beispielsweise) abgesehen – ist jedenfalls eine Katastrophe und tut immer hinterher so, als ob es genauso kommen musste wie es gekommen ist.

    Oder was wäre gewesen, wenn Schalke, z.B. mit dem berechtigten Elfmeter gewonnen hätte. Wäre der Bayern-Kader plötzlich nicht mehr der breiteste der Liga und die Mannschaft der Konkurrenz doch nicht noch „viel weiter enteilt als die gerade mal drei Punkte“?

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